Über Einschnitte in unser Leben

Wie schön, wenn im Frühling alles zu spriessen beginnt! Wie hoffnungsvoll wird da unser Gemüt. Aber unter den vielen Pflanzenarten gibt es ganz verschiedene Charaktertypen, die sich auch ganz unterschiedlich entwickeln, genau gleich, wie sich eine bunte Kinderschar später zu ganz verschiedenen Charakteren auswächst, obwohl sie in ihrer Jugendzeit alle nur hoffnungsvoll grünes Laub getrieben haben. Später dann beginnt es sich zu zeigen, wohin die ganz unterschiedliche Wachstumsart einen jeden Wuchscharakter führt. Dabei wird bei vielen auch die Notwendigkeit zur Pflege immer deutlicher. Die Vorsichtigen und Umsichtigen haben wohl einen ausgewogenen Aufbau ihres Wesens. Aber wohl die meisten haben im Überschwang ihrer Triebkraft bald einmal eine solche Unordnung, die ein ferneres gedeihliches Wachstum verunmöglicht. Diese müssen dann vom Gärtner ebenso beschnitten werden, wie unser menschliches Wesen oft durch allerlei Widrigkeiten beschnitten werden muss. Wo wir die Beschneidungsregeln finden, wird ebenso erklärt wie die Möglichkeit eines "schicksalhaften" Rückschnittes.

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ÜBER EINSCHNITTE IN UNSER LEBEN ZU GUNSTEN EINER HARMONISCHEN ENTWICKLUNG

Unter den vielen Gewächsen dieser Erde gibt es solche, die nur ein einziges Jahr lang leben – genauer ausgedrückt: nur eine Vegetationsperiode lang, also vom Frühjahr bis zum Herbst. Dann gibt es aber auch solche, die genau zwei Jahre lang leben, oder zwei Vegetationsperioden lang. Sodann gibt es solche, die einige bis viele Jahre lang leben, aber immer nur – wie die zweite der beiden vorgenannten Arten auch – in ihrer Wurzel den Winter überdauern, um jedes Jahr von neuem wieder Blätter, Stängel mit ihren Blüten und den ihnen nachfolgenden Früchten zu bilden. Und endlich gibt es solche, deren oberirdische Teile ebenfalls Jahre überdauern und mit ihrem Altern dann gleichzeitig holzig werden. Das sind zunächst die Kleinsträucher, wie das Erika, die Preiselbeeren, Rauschbeeren etc., dann die Sträucher mit ihrer grösseren Anzahl von Stämmen, wie beispielsweise der Haselstrauch, viele Beerensträucher, wie Holunder, Johannisbeeren, Stachelbeeren und viele Ziersträucher, und zuletzt die Bäume, welche einen kräftigen Stamm oder manchmal auch zwei bis drei Stämme bilden.

Die Einjährigen blühen oft eine sehr lange Zeit des Jahres und setzen dabei vielen Samen an. Sie gleichen den gut gemeinten Ratschlägen und Redensarten, die sich unter den Menschen schnell verbreiten, wie etwa: "Was lange währt, wird endlich gut" oder "Ehrlich währt am längsten", oder auch – wenn solche Redensarten zum Unkraut gerechnet werden müssen – blossen Feststellungen wie etwa "Man kann es nie allen recht machen". Solche Gewächse haben wie die ihnen entsprechenden Redensarten keine oder nur wenig Überlebenskraft in ihrem Entstehungsort – den Wurzeln bei den Pflanzen, und im Herzen bei den Menschen, welche solche Redensarten gebrauchen, sodass beide in ungünstigen und kalten Zeiten nicht überleben können. Kalte, und damit ungünstige Zeiten für solcherlei Redensarten sind solche, in welchen die Menschen zu sehr und zu fieberhaft dem Profit nachrennen. Da haben sie dann keinen Platz oder vorrätigen Raum mehr in ihrem Gemüt für derlei Redensarten und keine Liebewärme für weitere Betrachtungen über sie.

Die zweijährigen Gewächse haben schon eine grössere Kraft in ihrem Entstehungsort, der Wurzel. Sie gleichen in ihrem Wesen eher den Überlegungen, welche die Menschen immer wieder anstellen, denen gemäss sie dann auch eine gewisse zeitlang handeln, um sie durch den Erhalt oder das Erscheinen ihrer Frucht als "richtig" bestätigt zu bekommen. Solche Überlegungen können sein: "Rom ist auch nicht in einem Jahr erbaut worden" oder "Wo ein Wille, da ist ein Weg" oder "Geld allein macht nicht glücklich". Das letztere denken und sagen sie aber nur, solange sie nicht viel davon haben, es aber sehr wünschen. Sie gebrauchen es jedoch nur als Trost für ihre enttäuschte Liebe zu ihm. Sollten sie doch einmal zu vielem Geld kommen, so möchten sie sich angesichts der sich auftuenden Möglichkeiten seiner bald einmal nicht mehr erinnern. Das erste Wort – über die Erbauung Roms – hingegen kann einen ungeschickten Kaufmann, der es ebenfalls zu seinem Trost gebraucht und ihm darum auch in seinem Gemüt einen Glaubensplatz gibt, veranlassen, seine schlechte Ware eine längere Zeit anzubieten, weil er glaubt, dass es Zeit brauche, bis sie von seinen Kunden akzeptiert wird. Dieser Glaube auch ist die eigentliche Wurzel seines Ausharrens auf Grund dieses Wortes. Darum wird er aber auch keine andern Gründe für den schlechten Geschäftsgang suchen, wie zum Beispiel die Schlechtigkeit der Ware oder ihr geringer Nutzen etc. – Sein Tun ist und bleibt im Glauben verwurzelt, dass alles nur Zeit braucht. Kommt er dann doch endlich einmal zum Erfolg im Verkauf von seiner Ware – vielleicht sogar, weil es einfach zur Mode geworden ist, auch unnützes Zeug zu kaufen, wie es heute schon überall gang und gäbe ist –, dann ist seine Glaubenspflanze endlich zu einer Frucht gekommen, die sich in seinem Gemüt und als Folge davon wohl auch in seiner nähern Umgebung zu verbreiten beginnt. Das heisst, er wird bei allen seinen weiteren Unternehmungen seine Hoffnung für das Gelingen auf die Zeit setzen – anstatt auf Qualität und Nützlichkeit!

Nach diesen Betrachtungen kommen wir zu den mehrjährigen Pflanzen, die aber immer nur in ihrer Wurzel oder auch in ihrem unterirdischen Knollen oder ihrer Zwiebel überleben. Man nennt sie Stauden; zu ihnen gehören zum Beispiel Primeln, Lupinen Rittersporn, Iris, Lilien, Margeriten, Tulpen, Narzissen, Krokusse und viele weiter Arten. Diese gleichen den jugendlichen Idealisten, welche schon eine feste, bestimmte und gediegene Liebe zu ihren Idealen haben und darum einer oder auch mehrerer kalten Winterzeiten wegen ihr Bestreben nicht aufgeben, in der Welt ihre Ideale zu verwirklichen. In ihrer Jugendlichkeit sind sie allerdings viel zu schnell und unbedacht in ihren Unternehmungen, sodass ihre Triebe – oder Unternehmungen – des schnellen Wachstums wegen nicht die nötige Festigkeit erlangen, um ungünstige Zeiten, wie der Winter eine ist, überleben zu können – oder mit andern Worten: zu dauerhafterem Holz zu werden. All ihre Vorhaben scheitern zwar immer wieder einmal, ihre Liebe und aus ihr die Treue zum Ideal bleibt hingegen und ist eben jene Wurzel, die alle Jahre wieder schön gestaltetes Laub und herrliche Blüten treibt, auch Früchte ansetzt, das heisst auf solch jugendliche Idealisten bezogenen: Nachahmer findet. Unter dieser Art Pflanzen gibt es auch solche, die in sehr ungünstigen und dem Leben und seiner Entwicklung hinderlichen Verhältnissen oder Situationen leben können und vorzüglich auch dort vorkommen. Sie können dort ihre Triebe nicht so unbedacht in die Welt hinaus wachsen lassen. Diese haben darum auch genügend Zeit, sich um den Erhalt ihrer Triebe mehr zu sorgen und finden dabei in der leichten Verholzung jene Möglichkeit, auch noch schlechtere Zeiten zu überleben, als der Sommer für sie schon gewesen ist. Diese entsprechen in ihrem Wesen ebenfalls jugendlichen Idealisten, welche jedoch ihre Unternehmungen mangelnder Gelegenheiten halber nicht so weit verwirklichen können wie andere, dabei aber Zeit finden, sie besser für schlechte Zeiten abzusichern. Pflanzen solcher Natur wachsen denn zumeist auch auf sauren und darum dem Fortkommen des Lebens nicht allzu holden Böden, oder dann auf sehr nährstoffarmem steinigem Grund, der neben seiner Armut an Nährstoffen auch immer wieder einmal zu wenig Feuchtigkeit zur wohlgedeihlichen Entwicklung ihres Lebens hat. Das Erika zum Beispiel, aber auch viele kleine Ginsterarten, Heidelbeeren und Preiselbeeren gehören dazu. Es ist wunderschön, in einer solchen Landschaft spazieren zu gehen. Aber die Schatten spendenden und die Landschaft so herrlich gliedernden Bäume und Sträucher fehlen da dann eben doch. Bäume wachsen an solchen Orten zumeist nur an Bächen, die wenigstens für die notwendige Bodenfeuchtigkeit sorgen, wenngleich auch nicht für viele Nährstoffe. Das sind zum Beispiel Erlenarten, der Faulbaum oder Weidenarten.

Noch besser gedeihen die Sträucher und Bäume allerdings in einem nahrhaften und tiefgründigen Boden, der nicht allzu lebensfeindlich sauer ist. Ihre Blätter sind dann zumeist zarter und weniger ledrig. Die Sträucher haben in ihrem Wesen immer noch etwas von den mehrjährigen Stauden, wie etwa Rittersporn Margeriten, Lilien etc.: Dass sie nämlich gerne wieder neue Triebe vom ihrem Grunde austreiben und dergestalt zu einer "Krone" kommen, die dem Boden allerdings praktisch aufliegt. Zwar haben alle ihre bodenständigen Triebe wohl mehr oder weniger den Charakter eines Stammes. Aber weil sie ihre ganze Kraft in mehrere Stämme zu zerteilen beginnen, so können sie den einzelnen Stamm nicht so gediegen ausbilden, wie die Bäume das tun, was zur Folge hat, dass sie sich unter der Last ihres schweren, weil noch etwas materiellen Laubes und vor allem auch der Last des winterlichen Schneebelages wegen nach aussen zu krümmen beginnen. Aber kaum wird ihnen durch diese Krümmung oder Biegung ihrer Stämme nach aussen hin in ihrer Mitte wieder etwas Licht, so beginnen sie immer wieder von Grund auf einen neuen Stamm zu entwickeln, sodass sich die Äste und Zweige ihrer Stämme durch den dabei stattfindenden Lichtentzug selber zu würgen beginnen. Dieser Gattung Gewächse gleichen die meisten Menschen! Wie diese nehmen sie sich viel vor, möchten die Welt entdecken und geniessen (Beruflicher Aufstieg, Familie, Ferien, Gesellschaft etc.), geben sich aber trotzdem oft auch alle Mühe, in ihrem Wesen beständig zu sein. Aber die grosse Last der dabei aufkommenden Sorgen beugt ihre angestrebten Ziele oft wieder zur Erde nieder, das heisst: richtet ihr Augenmerk allzu sehr auf den bloss materiellen Erwerb, anstatt eher auf den Erhalt des in ihrem Ziel enthaltenen Ideals. Und dabei erstickt die grosse Anzahl ihrer Neutriebe (ihrer Unternehmungen) das zur Orientierung notwendige Licht oder die notwendige Zeit und frisst ihnen dadurch auch den dazu nötwendigen Ruheplatz auf, sodass sie in sich, das heisst in den Möglichkeiten zur Ausführung ihres Weges zu ihren Zielen hin kahl zu werden beginnen wie die Sträucher in ihrem inwendigen Bereich.

Dieser Sachverhalt liegt bei den Bäumen etwas anders, obwohl auch sie in ihren Kronen Äste bilden können, welche beinahe Stämmen gleich sind oder gar den anfänglichen Stamm zu zerteilen beginnen und damit zu einer mächtigen Krone werden lassen. Der Unterschied zu den Sträuchern liegt jedoch darin, dass das bei ihnen erst in einer gewissen Höhe, gewisserart auf halbem Wege ihres Strebens nach Licht und äusserer Freiheit, geschieht und dass es bei der einmal vorgenommenen Verzweigung bleibt – dass sich also an diesen Stellen später nicht noch einmal weitere neue Verzweigungen entwickeln. Diese Art von Gewächs – die Bäume also – gleichen Menschen, welche einen sehr starken und bestimmten Willen haben, ihr Wesen hinein in das Licht reeller Wahrheitserkenntnis wachsen zu lassen; die darum auch eine gewisse Ordnung in ihrem Bestreben haben und ihr Verlangen nicht so leicht in alle Himmelsrichtungen schiessen lassen, bis dann allerdings die freie Höhe ihres Erkenntnisstandes sie dennoch verlockt oder verführt, sich in verschiedene Richtungen zu verzweigen. Ihre Kronen verkahlen darum in ihrem Innern nicht so leicht, weil in jener luftigen Höhe erstens mehr frische Luft durch sie hindurch streichen kann, welche die Blätter jugendfrisch und gesund erhält, und zweitens das Himmelslicht von allen Seiten her in ihre Kronen dringen kann, weil selbst die Luft unter ihren Kronen noch mehr oder weniger von Licht durchtränkt ist – im Gegensatz zum Erdboden bei den mit ihren Kronen dort aufliegenden Sträuchern.

Unter den Bäumen gibt es allerdings zwei völlig verschiedene Arten: einerseits die Laubbäume – deren Wesensart wir soeben betrachtet haben – und anderseits die Nadelbäume, die in ihrer ursprünglichen Art ihres Strebens nach Licht und Freiheit konstanter bleiben, ihren Stamm daher nicht zerteilen, sondern ihn unbeirrt und gerade in die Höhe treiben. Sie sind darum auch stark und regelmässig in ihren aus diesem Grunde kegelförmigen Kronen, weil selbst ihre Äste und Zweige vor allem nur ein einziges Streben haben – jenes nach Licht. Darum wachsen ihre Äste und Zweige an ihren nach aussen gerichteten Spitzen ungleich schneller als an ihren von dieser Richtung abweichenden Seitenzweigen, was ihnen eine regelmässige und geschlossene Kronenform verleiht. Sie können ihre Blätter, oder besser: Nadeln, darum auch mehrere Jahre lang erhalten, während die Laubbäume sie im Allgemeinen den Winter über nicht erhalten können. Der harzige Duft der Nadelbäume stärkt zwar die Lungen und kräftigt dadurch das Wesen eines eher kränkelnden Menschen. Eine nährende Frucht ist von ihnen hingegen nicht zu erwarten. Solche Bäume entsprechen den Lehrern und Führern unter den Menschen, die mit ihrem klaren Streben das angestrebte Ziel in ihren Zöglingen derart festhalten können, dass sie es zumeist auch erreichen, obwohl sie für sich selber noch nicht jene Durchhaltekraft dafür gehabt hätten. Jedoch wird bei ihnen durch diesen erstmaligen Erfolg auf Grund des Ernstes ihrer Lehrer dann auch ihr Durchhaltewillen für fernere Ziele gefestigt.

Die öfters sinnlichen Bestrebungen Raum gebenden Laubbäume hingegen gleichen eher gemüthaften Menschen, oft weiblichen Geschlechts, die durch ihre die eigene Kraft etwas zerteilenden Verschiedenartigkeit ihrer Bestrebungen eher eine offenere Krone – beim Menschen entsprechend: eine reichhaltigere Erfahrung – haben, die durch ihre dadurch erlangten verschiedenartigen Erkenntnisse schneller einmal eine nährende Frucht zum Aufbau von Zuversicht, Hoffnung und gutem Willen für andere hervorbringen.

Mit all diesen Feststellungen wäre die verschiedenartige Wesenheit der Bäume – sowie ihre bildhaften Entsprechungen für die verschiedenartige Wesenheit der Menschen genügend festgehalten worden. Ein Überblick ihrer Wirkungen auf das allgemeine Klima in der Natur, sowie – in bildlicher Entsprechung – auf die Atmosphäre in der menschlichen Gesellschaft darf jedoch nicht vernachlässigt werden, denn sie gehören allesamt zu jener Gattung Gewächse, welche das Klima für alle andern Gewächse durch ihr beharrliches Wesen vorausgestalten, indem sie zum Beispiel die Kraft der Stürme brechen, die sommerliche Hitze und die ihr nachfolgende Austrocknung des Bodens verringern, die starken elektrischen Schwankungen der Luft ausgleichen und durch ihren Laubfall den Boden ebenso bereichern und lockern, wie sie ihn mit ihren Wurzeln aufschliessen und zermürben. Sie liefern mit ihren lebendigen Stämmen das Material zu einer wohnlichen Gliederung der Landschaft und mit dem Holz der geschlagenen Stämme ein ungewöhnlich solides und haltbares Material zur Errichtung von Häusern und Wohnungen für die Menschen.

Hingegen wäre es sinnvoll und nützlich, noch etwas näher oder detaillierter auf das Wesen der unter den Menschen viel häufiger vorkommenden Strauchcharaktereigenschaften einzugehen. Nicht nur, weil es wohl die am meisten verbreitete Charakterart unter den Menschen darstellt, sondern vor allem auch, weil es eher als alles andere zu seiner langfristig gedeihlichen Entwicklung immer wieder einmal beschnitten werden muss. Und diese Arbeit ist der uns am meisten berührende Teil sowohl des Wesens dieser Sträucher wie auch des unsrigen.

Eigentlich wären vom Schöpfer beider Gattungen – der Sträucher, wie der Menschen – klare Richtlinien zum Schnitt oder zur Gestaltung ihres Charakters gegeben worden, damit sie andern mit der Vielfalt ihrer Wünsche und Möglichkeiten nicht im Wege ihrer Entwicklung stehen (in den 10 Geboten). Aber ihres uns Menschen oft allzu einschneidend vorkommenden Charakters wegen übersehen wir sie gerne, oder – anders gesagt: Wir sind froh, dass wir nicht ganz so sicher sind, ob es einen Gott gibt, und darum auch nicht mit Bestimmtheit wissen können, ob diese 10 Gebote tatsächlich von einem Gott her stammen. Nur eines übersehen wir dabei – manch einer vielleicht sogar geflissentlich: Dass sie nämlich derart vernünftig sind, dass sie ein aufrichtiger Mensch auch ohne sichergestellte göttliche Einsprache rechtheissen muss – wenigstens vom 3. Gebote an, welches das erste ist, das sich nicht auf Gott selber bezieht. Denn 6 Tage zu arbeiten und am 7. Tage zu ruhen, wie es das 3. Gebot vorschreibt, ist nicht nur im Sinne aller Arbeiter und Angestellten, sondern entspricht auch der menschlichen Natur. Denn wer sich stetig und mit Gier nur materiellem Erwerb hingibt, dessen Geist verkümmert, sodass er mehr Tier als Mensch wird; und am Ende zerrüttet ein solches pur materielles Streben auch seine leibliche Gesundheit. In früheren Zeiten kannte man die Folgen bei anhaltender oder gar übermässiger Schwerarbeit: Auszehrung und Schäden der Muskulatur und der Gelenke. Bei der heutigen gedanklichen und verstandesmässigen Dauerarbeit sind es hingegen Herzinfarkte und eher depressive als leibliche Erschöpfung. Wir können uns nur in der Ruhe die zu unserer fernern Orientierung so notwendigen Gedanken machen, wie zum Beispiel jene, die wir nun anhand dieser 10 Gebote weiterverfolgen wollen. Das 4. Gebot rät uns, Vater und Mutter zu ehren. Ein Gebot das selbst die Pflanzen aus ihrer Natur heraus beachten. Denn mit ihren Wurzeln verbleiben sie in dem sie mütterlich nährenden Boden fest verhaftet, und mit dem zum oberirdischen Wachstum bestimmten Teil des ehemaligen Keimes streben sie der sie aus ihrem Samendasein erweckenden Wärme zu, bis sie endlich über dem Boden all ihr weiteres Wachstum nach dem Stand des Lichtes richten. Nur wenige gibt es, die sich nicht erheben mögen und darum nur faul und träge dem Boden entlang schleichen oder kriechen. Und beim Menschen? Natürlich betrachtet sind die meisten froh, dass der Vater für ein Zuhause sorgt, und die Mutter für Kleidung und Essen. Wer sie daher durch befolgen ihrer Anweisungen ehrt – selbst dann, wenn er es mehr schlecht als recht tut, der verdankt ja seine ganze frühe Entwicklung, die ihm im künftigen Leben nur zustatten kommen kann, eben seinen Eltern. Geistig betrachtet sieht es allerdings etwas anders aus. Da gibt es eine nicht zu unterschätzende Bestrebung des Menschen von der Natur, der Mutter seines leiblichen Wesens, hinweg in die so genannte Kultur oder Künstlichkeit und auch vom einfachen, lichtvollen Verständnis der väterlichen Gesetzlichkeit aller physikalischen Vorgängen hinweg, zu einer sinn- und zwecklosen Ausnützung all ihrer Möglichkeiten in einer Technik, deren Vollendung die Menschen stets unselbständiger werden lässt und sie auch verblendet gegenüber jenem Gesetzgeber, der eben diese Menschen der Natur erst entbunden und ihnen eine innere, geistige Form gegeben hat. Ein solches Verhalten zieht kein langes und gesundes inneres Leben nach sich. Und nur um ein inneres Leben kann es sich handeln, wenn es von einem Gott verheissen wird, der nach Aussage der Schrift pur Geist ist.

Das 5. Gebot ist schon etwas auslegebedürftiger. Was darf man nicht töten? Die Fliegen? Oder andere Tiere? Oder nur den Menschen nicht? Die Tiere dürfen ja zu Nahrungszwecken getötet werden, das erhellt aus dem Speisezettel, den Moses, als ein Prophet Gottes, den Juden, als dem Volke Gottes, gegeben hat. Anderseits ist es einem gemütreichen Menschen klar, dass er dem Leben seines Nächsten nichts anhaben darf, will er, dass auch dieser ihm nichts anhabe. Das heisst, er darf nicht nach demjenigen Streben, was seines Nächsten Leben rechtmässig beinhalten kann. Nicht nur das natürliche, leibliche Leben, auch sein geistiges Fortkommen soll nicht mit eigennützigen Bestrebungen unterbunden werden. Nicht einmal Neid, Missgunst und Hass sollen die Ruhe seines (innern) Lebens schmälern. Denn das möchten wir ja auch von unsern Nächsten uns gegenüber beachtet wissen. Das 7. Gebot, welches das Stehlen verbietet, ist ja dem Sinne des vorherigen Gebotes nach nur eine weitere Präzisierung. Denn was ich durch Diebstahl meinem Nächsten unrechtmässig entziehe, das kann seine Lebensbasis empfindlich schmälern. Zum Beispiel die Ruhe, gestört durch Lärm, unberechtigte Forderungen oder gar Drohungen; die Zeit, gestohlen durch unaufhörliches Reden, Fragen Fordern und Berichten; die Freiheit der Entscheidung, gestohlen durch Vorenthalt wichtiger Bedingungen  oder Tatsachen bei einem Vertragsabschluss, aber auch bei einseitiger Aufklärung in Zusammenhang mit einem Therapievorschlag eines Arztes, oder einfach durch Aufdrängung eigener Meinung. Das alles ist Diebstahl an den Grundlagen des Lebens eines andern – ganz zu schweigen vom normalen Diebstahl von Sachen, die ja alle dem Nächsten mehr oder weniger zum Leben dienen können.

Das 8. Gebot, welches verbietet, ein falsches Zeugnis zu geben, ist wohl jenes, das heute am wenigsten beachtet wird. Ein Lächeln auf dem Gesicht zu tragen, wenn man stocksauer ist, gehört ja schon in diese Sparte, wie übrigens jede Verstellung, sei es in Mimik, Rede oder durch Geschenke. Ja, ganz im Innersten sorgfältig geprüft, ist sogar das verbale Wünschen eines guten oder schönen Tages eine barste Lüge, sofern man nicht alles daran setzt, das Möglichste Eigene zur Erfüllung dieses ausgesprochenen Wunsches beizutragen. Denn wer das unterlässt, dem war das Ausgesprochene ja auch kein wirklicher Wunsch und damit eine barste Lüge. Daran ändert auch die allgemeine Gepflogenheit, sich solcher Ausdrücke zu bedienen nichts. Sie sind als Gedankenlosigkeit zwar entschuldbar, verstossen hingegen gegen, das viel höher stehende Gesetz Jesu, das uns auffordert, unsern Nächsten zu lieben wie uns selbst. Denn so, wie wir behandelt werden wollen, müssen wir ja diesem Gesetze gemäss auch unsern Nächsten behandeln. Von den Versprechungen und Verführungen der Werbung ist unter diesem Aspekt ganz zu schweigen. Sie gaukelt bewusst in Bild und Sprache eine materielle Glückseligkeit vor, wohl wissend, dass Komfort nicht glücklich macht. Selbst die Haustiere des Menschen, wie Hund und Katze, werden genutzt, um dem Menschen das Geld aus seiner Tasche zu locken, indem behauptet wird, dass das industriell hergestellte Futter besser sei als natürlich zubereitete Speise. Oder es wird die Erreichung von Gesundheit und Wohlbefinden durch Heilmittel vorgegaukelt, obwohl diese durch die von ihr angepriesenen Mittel nicht erreicht werden kann, sondern bestenfalls eine momentane Symtomlosigkeit. Und all das nur um des Geschäftes Willen! Das alles gehört zu der Missachtung dieses 8. Gebotes durch die Werbeindustrie. Ihre Methode ist durch ihre Vielfältigkeit und Beständigkeit schon so sehr zum Allgemeingut geworden, dass selbst eine Stellenbewerbung von übertriebenem Eigenlob nicht mehr frei ist. Und mit dieser Feststellung sind wir auch schon beim nächsten, beim 9. und 10. Gebot, welches verlangt, dass wir kein Begehren tragen sollen nach dem, was unser Nächster hat. Denn gerade die so genannte Werbung macht heute einen grossen Teil des Bruttosozialproduktes aus, und ist nicht nur jene Lügnerin, die stetig falsche Zeugnisse gibt, indem sie Darstellungen präsentiert, die in der gegebenen Art nicht der Wirklichkeit entsprechen, sondern mit ihrem Tun auch ein gar mächtiges Verlangen nach dem Gelde verrät, das in den Taschen der durch sie Angesprochenen steckt. Aber heute, wo für die (von Moral) freie Wirtschaft nicht nur alle Handelshemmnisse, sondern viel mehr noch alle ethischen Hemmnisse ausgeräumt worden sind, ist schon bald der kleinste Mann schon zu einem Ungeheuer geworden, das stetig nach jenem ein Verlangen hat, was eigentlich seinem Nächsten gehören würde. Alle Aktionäre auch die sich mehrenden Kleinaktionäre gelüstet es nach Gewinn, nach jenem Geld, das vorher den Arbeitern vorenthalten worden ist, und den Kunden durch vorgaukelnde Werbung aus der Tasche gezogen worden ist. Auch sie lassen sich sehr gelüsten, dessen, was ihr Nächster hat. Das Weib des Nächsten gibt es schon bald nicht mehr – soweit haben wir es schon gebracht –, sondern nur noch seine (momentane) Freundin, die ihm ohnehin bald einmal noch so feil sein wird, weil auch sie, wie er selber, von ihm oder dann er von ihr begehrt, was ihm nicht zusteht. Der (natur-)gesetzliche Rückschnitt im geschlechtlichen Teil des Lebens ist denn sicherheitshalber vom (Natur-)Gesetzgeber auch gerade in die Natur des Menschen selbst in Form von allerlei Geschlechtskrankheiten verankert worden. Ist die eine von ihnen endlich therapierbar geworden, so ist auch schon die nächste, weit schlimmere mit all ihren verheerenden Folgen da.

Kurz, wenn wir all das hier Aufgezählte als eine "Beschneidung" der eigentlichen planlosen und rücksichtslosen freiheitlichen Entwicklung des Einzelnen betrachten wollen, so wird die Entwicklung des innern Menschen, hin zu einem schönen, harmonischen Wesen also doch sehr stark von einer guten und rechtzeitigen Beschneidung abhängen.

Wenn Bäume demgegenüber weniger oder zumeist auch gar nicht beschnitten werden müssen, weil sie in ihrem gesamten Wesen durch ihre vorgängige Stammbildung schon ausgereifter sind – wie wir gesehen haben –, so liesse sich daraus auch ableiten, dass wir Menschen uns schon in unseren Vorsätzen so beschneiden könnten, dass sie der Entwicklung unseres ferneren Lebens nicht mehr in den Weg kommen können. Dann wären wir den Grossen unter den Menschen – entsprechend den Bäumen – gleich. Solange wir jedoch immer wieder Vorsätze zur Ausführung bringen, die wir nachderhand als unserem Wesen abträglich finden, und diese nach dem Erkennen ihrer Abträglichkeit auch selber beschneiden, das heisst einstellen, solange sind wir selber die Regulierenden unseres Wesens. Gar oft jedoch – und besonders in Zeiten einer grossen Konjunktur – vernachlässigen wir Menschen unseren eigenen Rückschnitt oder Zurücknehmung unserer Triebe in die Welt und ihre Materie hinein aus Zeitmangel, Unachtsamkeit oder gar Gleichgültigkeit oder sehr oft nur aus unserer falschen Orientierung heraus, die sich doch immer zumeist nach dem Tun und Lassen der andern richtet, anstatt nach einer klaren Erkenntnis dessen, was der Mensch eigentlich wirklich braucht. Da wird dann oft von höherer Warte aus eingegriffen und hinweg geschnitten, was dem innern Leben des Gemütes zuviel Kraft entzieht. Solche Einschnitte können sehr gravierend und deshalb auch stark schmerzhaft sein, sodass unser Gemüt oft so verwirrt und verzweifelt wirkt, wie verzweifelt ein stark zurück geschnittener Strauch kurz nach dem Schnitt aussehen mag. Wenn wir in einer solchen Situation hingegen erkennen könnten und auch wollten, dass es – unserer bisherigen Unkenntnis darüber zum Trotz – dennoch einen weisen Gärtner oder Schöpfer allen Lebens gibt, so könnten wir nach einem solchen Schnitt bald einmal wieder in neuer und besserer Ordnung zu wachsen und unser Wesen zu entwickeln beginnen. Und gerade darum wollen wir nun die einzelnen Schnitt- und Eingriffsmöglichkeiten bei einer Strauchbeschneidung einmal näher betrachten, weil sie so genau der Beschneidung unseres eigenen Wesens zu Gunsten einer besseren Entwicklung entspricht, die durch eine höhere Vorsehung noch stets und immer wieder stattfindet.

Wenn zwei krumm gedrückte oder krumm gewachsene starke Stämme eines Strauches sich ohne genügenden Abstand kreuzen, so reiben sie sich beim geringsten Windaufkommen gegenseitig ihre Rinde hinweg, sodass das empfindliche Holz frei liegt und von Pilzen und Bakterien geschädigt werden kann. In einem solchen Falle ist es gut, den einen der beiden Stämme zu entfernen. Dabei sollte es stets jener mit den ungünstigeren weitern Entwicklungsmöglichkeiten sein. Manchmal kann das – in selteneren Fällen der Strauch – oder entsprechend: auch der Mensch – selber tun, indem er diesen Teil seines Wesens nicht mehr mit genügend Nahrungs-, resp. Willensnachschub versorgt. Zu diesem Vorgang kann es auch kommen, wenn der eine der beiden Stämme dergestalt verzweigt ist dass er dem Zweigsystem des andern mit seinem grossen Blattvolumen zu viel Licht wegnimmt, sodass der andere Stamm gar keine rechte Möglichkeit zu seiner Weiterentwicklung findet. In beiden Fällen wäre das ein vom Strauch selber vorgenommener Schnitt. Zwar besteht beim Strauch in seiner Weiterentwicklung kein Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Beim Menschen hingegen, der in seiner sorglosen Entfaltung seiner Kräfte in Richtung der äussern Welt sehr oft solchen Sträuchern gleicht, besteht zwischen den beiden eigenproduzierten Schnittmöglichkeiten ein wesentlicher Unterschied: Die beiden sich kreuzenden Stämme gleichen jener Situation, in welcher zwei Vorzugsbetätigungsfelder eines Menschen sich in zeitlicher Hinsicht überschneiden, sodass nicht beide zugleich wahrgenommen werden können, zum Beispiel die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten mit der Möglichkeit der Familienpflege oder der ernsthaften Erziehung mehrerer Kinder oder auch bloss den Erhalt einer Ehegemeinschaft mit nicht ganz einfachen Voraussetzungen. Wird dabei bewusst und aus einer klaren Überlegung das eine zurückgestellt zu Gunsten des andern, so waltet darin bereits ein klarer Wille, der durch eine solche Massnahme und einem ihr folgenden Effekt gestärkt werden kann, sodass im Verlaufe des weitern Lebens bei neuen ähnlichen Fällen schon beim Erkennen einer sich anbahnenden ähnlichen Situation ein neuer, klarer Willensentscheid auf Grund einer Selbstbesinnung stattfinden kann. Das verschafft dem Gemüt des Menschen ebenso Luft wie einem Strauch, der künftig nicht allzu viele Äste in allzu viele und allzu gegensätzliche Richtungen treiben würde – könnte er, wie der Mensch, seine Natur selber beeinflussen. Geschähe beim Menschen jedoch die Entscheidung, welchen Stamm er behält bloss durch das eher zufällige Überhandnehmen des einen Betätigungsfeldes gegenüber dem andern, so würde das auch in andern, kommenden Fällen wieder so geschehen. Das heisst mit andern Worten: Das Wesen seines Gemütes wird nur von seiner etwas wilden Natur bestimmt, und nicht etwa durch sein Erkennen und Wollen, das alleine ihn von den übrigen Geschöpfen der Natur abhebt. Und in einem solchen Falle kann es wohl einmal geschehen, dass der ihn pflegende Gärtner seine Unordnung durch einen klaren Rückschnitt wieder ordnen muss. Dabei wird er in der Regel denjenigen Stamm mit den schlechteren Möglichkeiten über seinem Grunde wegschneiden; es sei denn, er hätte nahe seiner Basis eine starke Abzweigung mit einer guten Richtung, also mit einer guten, weitern Entwicklungsmöglichkeit. In einem solchen Falle würde der störende Stamm erst über der Abzweigung geschnitten, gleichgültig wie hoch diese dann gelegen sein mag.

Kleinere Sträucher bis nur ca. 3 m Höhe haben jedoch zumeist so viele "Stämme", dass immer gleich mehrere von ihnen ausgelichtet werden müssen. Dabei kann man, wenn sie von Natur aus wenig verzweigt sind, versuchen, sie in unterschiedlicher Höhe zu schneiden, damit sie bei den Schnittstellen eine Gelegenheit zur Verzweigung erhalten, weil ihnen ja durch den Schnitt die vorhergehende Einmaligkeit ihrer Richtung benommen wurde. Entsprechend beim Menschen sind das solche Charaktere, die sehr schnell und überzeugt ein Ziel verfolgen, dadurch aber wenig Nebenumstände oder -möglichkeiten beachten, sodass ihre Unternehmung nur gerade ihrem eitlen Ziel nützt und weder ihnen, noch ihrer Umgebung einen Reichtum weiterer Möglichkeiten erbringt. Ehrgeizige Menschen neigen zu diesem Charakterbild. In ihrer Jugend bleiben da nicht viel andere Möglichkeiten als einen regelmässigen Schnitt. Im Alter, wenn die Wuchs- oder Durchsetzungskraft etwas gemildert ist, kann man mit einem gelegentlichen Schnitt noch recht schöne Wesensgestalten erzielen. Es wäre schön, wenn bei solchen jugendlichen ehrgeizigen Strebernaturen vor allem die Eltern zeitig eingreifen und schneiden würden, weil das in dieser Zeit doch nur blosse Schnitte in die äusseren Möglichkeiten sind, welche weniger stark verwunden als spätere Rückschnitte von höherer Warte aus, die dann schon in ein seelisch gefestigtes Gefüge erfolgen müssen, sodass es oft einer sehr langen Zeit der Rekonvaleszenz bedarf, bis die so drastisch gestörte einseitige Ordnung oder Zielstrebigkeit wieder eine neue Gleichgewichtsbasis gefunden hat. Bei frühzeitigem Schnitt kann durch eine gewisse Schwächung der Wuchs- oder Willensschubkraft noch eher eine Verzweigungsbereitschaft entstehen, welche das Basiswachstum etwas bremsen kann. Auch sollte der Boden, auf welchem eine solche Pflanze steht, nicht allzu nährstoffreich sein. Das heisst: entsprechende Dürftigkeit der äussern Verhältnisse hilft stark, solchen Menschen zu einem ganz harmonischen und nützlichen Wesen zu verhelfen. Wenn sich Eltern nur mehr solchen Möglichkeiten bewusst wären! Wie viel echtes und wahres Glück würden sie ihren Kindern damit bereiten können, anstatt sie mit möglichst vielen Zerstreuungsmitteln noch weiter in die gedanken- und bestimmungslose Unordnung des äussern Weltlaufes zu treiben. Wäre das nicht viel besser, als nachher – bei einem Schnitt von höherer Warte aus – zu klagen und zu fragen, warum musste denn das geschehen? Denn mit solchen Fragen unterstützen wir ja nur noch die Orientierungslosigkeit der Betroffenen, anstatt dass wir ihnen helfen, die Chancen eines solchen Schnittes nicht nur kennen zu lernen, sondern sogar zu schätzen und zu nutzen. Denn dann würden nicht nur fernere Schnitte unterbleiben können, sondern es würde auch in einem bejahenden Sinne eine neue Zielrichtung gefunden, die mit dankbarer Sorgfältigkeit verfolgt würde. In der Dankbarkeit liegt schon die Kraft der Liebe, welche allemal bessere Resultate aufweist als blosser Ehrgeiz oder Selbstsucht.

Wieder andere Sträucher, deren Wachstum noch stürmischer ist und bei denen die Schubkraft ihrer Natur so gross ist, dass sie überall wo Platz vorhanden ist, neue Schosse von Grund auf bilden, sodass sie dicht und undurchdringlich werden, müssen auch wieder anders geschnitten werden. Wenn man solchen bei einem allfälligen Schnitt auch mehrere oder sogar recht viele Triebe wegschneidet, so treiben sie unter jeder Schnittstelle gerade eine ganze Anzahl neuer Schosse, sodass der Strauch kurze Zeit nach dem Schnitt noch dichter und für das Licht undurchdringlicher wird, als er ehedem war, was seinem Aussehen nicht gerade förderlich ist. Auch haben bei so viel Trieben die einzelnen Ruten nicht mehr so viel Kraft, weil ihnen bei ihrem stürmischen Wachstum weder genügend Zeit noch genügend Nährstoffe noch genügend Licht zur Verfügung stehen, um ihr Holz reifen, das heisst fester werden zu lassen. Darum ist es besser, beim Schneiden solcher Sträucher gleich eine grössere Anzahl Triebe von ihrem Grunde weg zu entfernen und von den übrig gebliebenen eine Anzahl bloss in ihrer Höhe einzukürzen, damit die dortigen neuen Verzweigungen dem Strauch doch noch ein Volumen geben das seine Form ein wenig geschlossen erscheinen lässt. Das sind zwar grosse Eingriffe, die aber durch die Triebkraft des Strauches bedingt nur kurze Zeit eine Wirkung haben. Der ganze Strauch leidet dementsprechend auch nicht sehr unter solchen Eingriffen. Darin gleicht dann diese Art Sträucher jenen Charakteren unter den Menschen, die aus blossem Beschäftigungsdrang tätig sind, also ohne Mass und Ziel arbeiten, sodass sie keine Zeit haben, sich tiefere Gedanken über Sinn und Unsinn ihrer vielen Tätigkeiten zu machen. Einzig der tiefe Rückschnitt kann sie – wenn auch nicht lange über ein solches Ereignis hinaus – manchmal zur Innehaltung und zur Übersicht über ihre tatsächlichen Möglichkeiten bringen. Für die kurze Zeit solcher Ereignisse sind sie allerdings sehr empfindlich und darum auch auf Zuspruch von andern angewiesen. Und gerade für solche ist es wertvoll, schon bei völliger Gesundheit und in glücklicher Lage sich diesen Gedanken einmal zu widmen. Vielleicht wird das ihre Schubkraft etwas kürzen oder in mehrere Richtungen drängen, wovon die eine oder andere ganz gut eine etwas eher beschauliche Richtung sein könnte, die sich dann fruchtbringend auch auf alle andern Richtungen ihrer mannigfachen Tätigkeit auswirken könnte. Ein Zuspruch, der ihm unmittelbar auf einen solchen Rückschnitt sehr erwünscht wäre, bringt alles schneller und besser wieder in ein neues Gleichgewicht, in welchem das überlegende, geistige Moment vielleicht etwas mehr Gewicht erhält, sodass seine künftigen Unternehmungen bleibenderen Charakter haben könnten. Bei den wirklichen Sträuchern allerdings kommt dieses Moment nicht zum Zuge. Lediglich das Alter lässt sie im Wachstum etwas bescheidener werden.

Wenn wir das alles in aller Ruhe überdenken, so gewinnen wir ein ganz anderes Verhältnis zu so genannten Schicksalsschlägen. Meist können wir dann sehr leicht erkennen, was der Sinn eines solchen Schlages ist; vielleicht zuerst an uns entfernter stehenden Menschen, weil wir ihnen gegenüber keine so genannte Anteil nehmende Verpflichtung empfinden. Wenn wir das in einem solchen Falle ernsthaft prüfen, so werden wir leicht erkennen, was der Grund, und was die daraus resultierenden Möglichkeiten sind. Dann werden wir erst reif, unsere eigene Position näher zu beschauen und wir werden erkennen, dass auch uns ein kleiner Rückschnitt Not täte. Dann kommt es auf uns selber an, ob wir dankbar diese Chance nutzen, ihn selber zu tun, oder ob wir eher darauf vertrauen, dass es denn doch noch nicht so schlimm sei mit unserer Tätigkeit für das materielle Wohl.

Auf alle Fälle können wir aus diesen gleichnishaften Bildern erkennen, wie reich uns eine gemüthaft eingehende Betrachtung natürlicher Vorkommen oder Abläufe machen kann. Ist das wohl vom Schöpfer der materiellen Welt so gedacht, damit wir Menschen ohne sein Machtwort oder seinen Richtspruch uns selber bestimmen können, ja uns über all die Möglichkeiten dankbar erfreuen können, die uns mit diesem irdischen Leben geschenkt wurden? – Auch in Sachen Erziehung? Denn wie viel einfacher ist es für einen Menschen, solche Überlegungen zu begreifen, wenn er es in seiner Jugend durch seine Eltern schon erfahren konnte, wie notwendig dem allzu Unbedachten solche Rückschnitte sind, und wie heimatlich und dankbar danach all seine Empfindungen sein können.

Juni 2008

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