Erziehungsart der Gesellschaft

Wie sehr gleichen sich doch Erzieher und Zöglinge!! "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Dieser Wahrspruch aus Christi Zeit ist heute wohl schon zu anspruchsvoll hoch gegriffen, als dass ihn heutige Gelehrte noch verstehen könnten. Wie sonst gäbe es so viele Forschungsarbeiten über soziales Verhalten, während überall leicht zu erkennen ist, dass das von den Eltern und Erziehern vorgelebte "Sich-selbst-Genügen" logischerweise auch in ihren Früchten offenbar werden muss. Wenn die heutige Erziehung die Kinder in ihrer kindischen Sphäre abholen zu müssen glaubt, ist es leicht einzusehen, dass ihre Vollstrecker bei diesem Unterfangen noch kindischer werden, als Kinder schon von Natur aus sind. Warum ihnen stattdessen nicht Grundlagen vermitteln zur Erkenntnis der eigenen Gegebenheiten und der Möglichkeiten zur Verbesserung ihres innern Seins? Denn richtig wohl ist es auch dem Sich-selbst-Genügenden nicht!

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ERZIEHUNGSART DER GESELLSCHAFT
UND DER ERZIEHUNGSMÖGLICHKEIT DES EINZELNEN

Ideales Familienbild, für viele Kinder blosser Wunsch oder Hoffnung




Ideale sind wie Sterne: Man kann sie nicht erreichen, aber sich an ihnen orientieren.





Mächtige Wogen, begrenzt durch die Uferpartien,
für Zweitklässler der Hinweis, dass alles Toben der Natur auch Grenzen hat.




Einmal hatte ich Gelegenheit, mit einem Knaben bekannt zu werden, der auffallend aufmüpfig war und sich wenig um allgemeine Gepflogenheiten kümmerte. Eines Nachts verschmierte dieser einmal die Hauswand eines freistehenden, leeren Gebäudes. Das war denn auch der Grund unserer näheren Bekanntschaft. Denn seine Eltern beklagten sich, dass sie ihm nun bald nicht mehr Meister würden und waren froh, dass ich mich seiner etwas annehmen wollte.

Er kam schon das erste Mal alleine – also ohne seine Eltern – zu mir und als ich auf sein Läuten an der Hausglocke hin die Haustüre geöffnet hatte, da sagte er ein selbstbewusst klingendes "Guten Tag" und setzte hinzu "Ich soll zu Ihnen kommen; jetzt bin ich da!" Ich erwiderte seinen Gruss ebenso klar und selbstsicher und mit einer jugendlichen Spannkraft in der Stimme und hiess ihn hereinkommen. Als wir Platz genommen hatten, fragte ich ihn, ob er wisse, weshalb er zu mir kommen müsse. Er antwortete fast etwas verächtlich: "Wohl wegen der Schmierereien". – " Und nun nimmt es dich wunder, was ich dazu wohl sagen würde, nicht wahr?" – Er schwieg. Darauf eröffnete ich unser Gespräch mit einer für ihn wohl völlig überraschenden Feststellung, indem ich zu ihm sagte: "Es gibt nämlich zwei ganz verschiedene Gesichtspunkte zur Beurteilung deiner Tat: einen auf die Allgemeinheit bezogenen und einen auf dich persönlich bezogenen. Auf die Allgemeinheit bezogen muss ich dir ehrlich sagen: Ich finde es absolut nicht falsch, dass du das gemacht hast; ja in einer gewissen Hinsicht freut es mich sogar. Du hast damit nämlich dasjenige ausgedrückt, was ich selber empfinde und denke: Den heutigen Erwachsenen ist das Leben eine Spielerei! Sie probieren alles und versuchen alles ohne jedes Bedenken über die möglichen Folgen. Sie spekulieren mit Geld, mit der Treue ihres Partners, oder darauf, dass der Chef nichts merkt, wenn sie Absenzen haben. Dann glauben sie auch alles – wie die kleinen Kinder –, was die Politiker sagen, und glauben den von der Wirtschaft beauftragten und durch ihr Honorar bestochenen Wissenschaftern, was sie verkünden; und was darüber in der Zeitung steht, empfinden sie als eine Bestätigung. Und was am Fernsehen kommt, das nehmen und empfinden sie allemal fast eins zu eins mit der Wahrheit. Im Übrigen ist ihnen fast alles egal, solange sie dabei nicht gerade persönlich tangiert sind. Warum solltest du da anders werden?! – Einfach darum, dass du ihnen weniger Mühe machst, dass sie sich weniger um dich kümmern müssen, dass sie freier sind? Das brauchst du ihretwegen nicht zu tun! Sie machen dir ja ebensolche Mühe mit all ihren wenig überlegten und durchdachten Vorschriften und Wünschen und aus diesen hervorgehenden Gesetzen, die sie für sich selber dann aber noch weniger beachten als du." – Der Knabe wurde während meines Redens sichtlich aufmerksamer. Er war offensichtlich damit beschäftigt, das Vernommene nicht nur zu begreifen, sondern zugleich auch zu prüfen, ob ich wohl ebenfalls einer jener Erzieher sei, die mit Kindern kindisch und mit Bengelhaften bengelhaft sein wollen, um damit ihre Gunst und ihr Vertrauen zu erwerben. Einen kleinen Moment unterbrach ich meine für ihn überraschenden Feststellungen, um ihm Gelegenheit zu einem kleinen Überblick zu verschaffen; dann aber sprach ich weiter zu ihm: "Normale Erwachsene machen auch immer noch wie die Kinder alles mit, was die Gesellschaft alles kreiert, weil sie glauben, dass man das von ihnen erwartet – und man erwartet es wohl auch als eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus aber wollen sie sich aber dennoch auch wieder profilieren, und sich also dennoch wieder von den Übrigen abheben, und das können sie – mangelnder Intelligenz wegen – eben nur durch völlig idiotische Verhaltensweisen. Früher war es das Rauchen von Zigaretten, welche einen Mann vor den andern – und vor allem vor den Jüngeren – als ihnen überlegen erscheinen liess. Dann begannen die Frauen, ihnen diese Dummheit nachzumachen, weil sie glaubten, darin ein Zeichen ihrer Emanzipation zu sehen. Dabei wäre doch just das angestrebte Emanzipieren bloss ein sich Loswinden von den gesellschaftlichen Vorgegebenheiten, und nicht ein sich Fügen in ihre Regeln oder Ansichten. Betrachte auch die Kleidermode, dann wirst du am leichtesten merken, wie kindisch und einfältig die Menschen sind: Entweder ziehen sie sich die engsten Kleider an und wollen sich darin beweglich zeigen als ein Zeichen ihrer Leichtigkeit mit der sie allen Blödsinn überwinden. Dann wieder haben die Frauenkleider an allen möglichen Orten fehlendes Gewebe, damit ihre Reize sichtbarer werden; und wenn dann ein dadurch gereizter und dadurch angezündeter junger Mann sich nicht mehr halten kann in seiner Gier, so sind sie noch empört. Warum halten sie sich denn nicht in der Ordnung, was ihnen doch sicher leichter fällt als einem durch ihr Tun und Lassen in Hitze gekommenen Mann. Oder dann besudeln die Menschen ihre Kleider mit einfältigen schmiererischen Motiven, mit Buchstaben, Zahlen und Nummern. Sind Kleider dazu da, um im sorglosen Übermut besserer Zeiten Allotria mit ihnen zu treiben? Oder sind sie nicht doch eher dazu notwendig, den Menschen vor den Unbilden der Witterung zu schützen. Wie manch Armer in andern Ländern wäre froh und dankbar um ihre schützende Wirkung, wenn er nur zu guten Kleidern käme. Aber heute gibt es nicht nur eine Kleidermode, sondern alles lässt sich zur Mode machen, was ursprünglich vom Menschen eigentlich nur zu seinem Nutzen geschaffen wurde. Zum Beispiel die Autos. Da sind es heute völlig unnütze, protzenhaft aussehende und Geld und Platz verschlingende Autos (so genannte Off-Road Autos) die mächtig viel mehr an Kraftstoff verbrauchen, als notwendig wäre, und ebenso viel mehr Platz auf der Strasse beanspruchen, obwohl sie dabei anderseits im Innern ihren Besitzern weniger Platz bieten können als durchdachte Konstruktionen ganz normaler Personenwagen. Mit solchen Vehikeln versucht man, sich von den andern abzuheben, denen man doch sonst sosehr in allem andern nachläuft, was die Gepflogenheiten der Gesellschaft betrifft. Oder dann sind es kleinplätzige Sportautos, deren Motorleistung man ja gar nie ausnützen kann. In allen diesen Fällen schmälern solche Ehrgeizlinge den ihren Nächsten zustehenden Raum und ihre Ruhe, ihr Wohlbefinden und schaden mit ihrem Tun anderseits nur sich selbst – sowohl ihrer Gesundheit als auch ihrem Geldbeutel.

Du hingegen bist ein Einzeltäter, der aus ganz anderen, im eigenen Wesen begründeten Motiven handelt, wenn dir dabei vielleicht auch noch nicht alle Gründe dazu voll bewusst sind. Im Unterschied dazu ist die Allgemeinheit eine derart zähe Masse; ist in ihrem Geiste so stink- und denkfaul als nur möglich und nur darauf bedacht, ja nie aus dem gesellschaftlichen Konzept zu fallen. Dabei gehört ja zum heutigen gesellschaftlichen Konzept eben gerade eine völlige Konzeptlosigkeit (die Menschen möchten auffällig sein wie alle andern auch – was ist dann aber daran noch auffällig, wenn es alle andern auch sind?). Darum ist es notwendig, dass solche Schmierereien, wie du sie nun ein erstes Mal produziert hast, diese Menschen aus ihrem geistigen Schlummer und ihrer sinnlichen Schlemmerei aufwecken, um sie dadurch möglicherweise doch noch zu einem eigenen Denken und Urteilen anregen zu können. Allerdings soll dabei nicht das Eigentum eines Einzelnen in Mitleidenschaft gezogen werden. Hättest du das an einem bewohnten, privaten Haus getan, so hättest du mit deiner Tat einen Einzelnen bestraft, der vielleicht gar nicht zu dieser Art Menschen gehört hätte. Natürlich ist vernünftigerweise überhaupt kein Haus dazu da, um Proteste eines Einzelnen auf seinen Aussenwänden zu tragen; aber anderseits ist auch kein Mensch dafür auf die Erde gekommen, um von den andern, den Profilierungssüchtigen, in seinem innersten Gemüt misshandelt zu werden. Ist das aber trotzdem der Fall, so müssen all diese, welche solches billigen auch auf die Folgen ihres Tuns aufmerksam gemacht werden – und das werden sie unter anderem eben durch solche Vorkommnisse. Aber, wie du in deinem Falle siehst, lassen sie lieber mich darüber urteilen und etwas dagegen unternehmen, weil sie absolut keine Lust zum Ernst des Lebens haben und darum auch keine Zeit zur Beurteilung der Gegebenheiten aufwenden wollen. Das beginnt schon in der Schule! Dort wird heute viel mehr gespielt und die Zeit mit Unnützem vertrödelt, als ernsthaft versucht, die äusseren Notwendigkeiten zu erkennen und zu verstehen und ihre Bemeisterung dann möglichst harmonisch, das heisst die Persönlichkeit bereichernd, zu erlernen. Auch da erkennt man leicht wieder dasselbe Massen bildende Modeverhalten, wie bei allen vorher besprochenen Sparten. Je ausgefallener die Lehrmethode, desto moderner und zeitgemässer erscheint sie den Politikern und desto eher findet sie unter den Fortschrittsgläubigen Befürworter. Je einfältiger und verschmierter das zu Erlernende präsentiert wird, desto kindernaher erscheint es den unverständigen so genannten Sachverständigen. Wohin soll denn das führen, wenn Lehrer und Erzieher sich noch dümmer und einfältiger benehmen als die Kinder von Natur aus sind?! Wo sollen Schüler den Ernst des Lebens kennen lernen, wenn ihre Lehrer den ohnehin schon vorhandenen unbekümmerten Spieltrieb der Kinder noch pflegen und unterstützen, anstatt ihn in für das spätere Leben und Zusammenleben nützliche Bahnen zu lenken? Ich rede damit gar nicht etwa dem in früherer Zeit als richtig angesehenen, bloss materiellen Büffeln das Wort. Aber das heutige spielerische Lernen ist ebenso falsch wie das frühere Büffeln! Dem einen fehlt der Ernst, und damit das Mark des Lebens; und dem andern fehlt die ergreifende Liebe und damit das eigentliche, innere frei sich entfaltende Leben des Menschen selbst.

Aber für diese alle, die sich nur in und mit der Masse bewegen und verändern können, können wir beide nichts tun. Darum wäre eine weitere Erörterung der allgemeinen Sachlage sinnlos. Selbst wenn wir beide zusammen auch so stark wie Bären wären, so würden dennoch zwei solche Bären nicht mit einer derartigen Riesenmasse Denkfauler fertig werden, die alle frühestens dann erst zu denken beginnen, wenn es für sie schon lange zu spät ist. Aber mit dieser Feststellung kommen wir zum zweiten Gesichtspunkt unserer Beurteilung deiner Tat. Und dabei erhebt sich die Frage: Was bringt sie denn dir selber?

Zunächst sicher einmal eine gewisse Genugtuung, weil du sie sonst gar nicht begangen hättest oder sie danach wenigstens bereuen würdest, was mir allerdings nicht so vorkommt. Denn du hast es nicht etwa aus Langeweile oder aus purem Blödsinn – wie es andere tun – gemacht, das spüre ich wohl gut. Darum kann ich deine Genugtuung in der Tiefe meiner Seele sehr gut verstehen. Denn so viel zusammengehäuften Mist einer blossen Verbrauchergesellschaft stinkt für empfindliche und noch unverbrauchte, junge Nasen derart, dass man versucht ist, sich Luft zu verschaffen. Als zweites aber bringt dir eine solche Tat nur Scherereien, welche dich noch mehr und in näheren Kontakt mit dieser widrigen Masse bringen. Eine Masse, die ohne weiteres Bedenken tut, was ihr nur in den Sinn kommt und was ihr gefällt. Eine Masse die schon längst den materiellsten Sex für Liebe ansieht und Treue für altmodisch hält. Deren Glieder 20 Jahre lang notfalls abzutreiben bereit sind und dann wieder in einer Art  Torschlusspanik vor dem Ende der empfänglichen Zeit dennoch mit allen Mitteln der Medizin ein Kind erzwingen wollen – nur, um es verwöhnen zu können, weil sie selber, wenigstens ihrem Gefühle nach, in ihrer Jugend nicht verwöhnt wurden, ja auch heute nicht einmal so recht glücklich sind. Dabei waren es ja oft gerade sie selber, die sich ihr Leben sauer machten. Denn heute, wo ein Haushalt gegenüber früher noch den zehnten Teil an Arbeit und Zeit braucht, da wollen die meisten Frauen unbedingt und ohne jede Not draussen im Gewühl eines stetigen Wettbewerbs ihren Mann stellen, anstatt in der häuslichen Ruhe zu einer eigenen aufbauenden Ansicht der Dinge zu kommen, die sie dann ihren noch unmündigen Kindern vermitteln könnten. Und am Ende sind sie dann doch enttäuscht, weil ihr Streben weder von der Familie goutiert wird noch vom Arbeitgeber honoriert wird, während anderseits Männer, oft ohne ihr Wollen, Militärdienst leisten müssen, ohne dass sie in ihrem innersten Wesen dazu geeignet sind. Gleichberechtigung der Frau ist für alle solchen Leistungsstreberinnen gleichbedeutend mit "Gleichschaltung", also mit totaler Vermassung. Früher bestand die Menschheit doch noch aus Männern, Frauen und Kindern: heute hingegen besteht sie zum grössten Teil nur noch aus Konsumenten, die alles konsumieren, was sich nur immer konsumieren lässt, oder dann besteht sie aus Leistungs- und Renommierhelden, aus Spinnern und Selbstdarstellern. Und dieses Einerlei an zähem Ballungsbedürfnis mit gleichzeitigem Wunsch nach Abhebung raucht nicht nur dir in die Nase, sondern auch mir!" – Während diesem Teil des Gesprächs zeichnete sich im Gesicht des Knaben immer mehr der Ausdruck einer freudigen Zustimmung ab, sodass ich dadurch für mich selber die Bestätigung erhielt, dass ich die Gründe seines Verhaltens richtig einschätzte, wiewohl sie ihm selber beim Entschluss zu seiner Tat sicher nicht so offen und klar vor Augen gestanden haben mögen, wie er sie nun durch meine Worte besser erkannt hatte. Aber mit der Schilderung des Wesens oder der Eigenheiten der sie verursachenden Gesellschaft wurde ihm klar, dass es eben auch bei ihm diese aus der Gewohnheit heraus zwar nur dumpf und ungenau empfundenen Eindrücke waren, welche ihn durch die Stetigkeit ihres Druckes in seiner Art und Weise aktiv werden liessen. Ich konnte ihm darum also nun gut eine auf diese Tatsachen begründete neue Verhaltensweise vorschlagen, wenn es mir gelingt, ihm vorerst die Nachteile seiner eigenen darauf basierenden, unkontrollierten und spontanen Aktivität einleuchtend vor Augen zu führen. Und das versuchte ich mit folgenden Worten: "Um all den aus solchen Taten erwachsenden Scherereien willen, die dir nicht erspart bleiben werden, und noch mehr um deines wachen Geistes willen wäre es schade, wenn du in deiner jetzigen Art der Abwendung vom Mist und dem Gestank der Allgemeinheit verharren würdest. Denn weisst du, das eigentliche und wahrhaftige Leben liegt viel tiefer als es uns diese erscheinliche Welt glauben machen will. Die Kraft der innern Liebe, die sich in ihrer Erregung vieles vorstellen und in sich selber ausbilden kann und will, sodass sie die dabei gewonnenen und schon mehr oder weniger ausgereiften Ideen auch im Äusseren, im Materiellen, ausgestalten will, ist der eigentliche Grund des Lebens. Das kannst du bei ganz willensstarken Menschen erleben, die, am Rande ihres irdischen Lebens stehend, noch eine Idee fertig verwirklichen wollen und dadurch sogar ihr irdisches Leben noch um eine geringe Zeitspanne zu verlängern vermögen. Aber eine solch heftige Liebe, die anderseits aber auch wieder zu Gunsten eines Andern ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen kann, eine solche Liebekraft ist in der gegenwärtigen Menschenmasse schon vollständig erlahmt. Von daher wird kein frischer Wind mehr zu dir wehen. Wenn sich aber ein Mensch seines Nächsten nicht mehr annehmen kann, dann bleibt ihm nur noch das verkümmernde und bereits verkümmerte eigene Selbst übrig. Und das beinhaltet kein grosses Betätigungsfeld mehr zu einer weitern Entwicklung der eigenen Kraft und Fähigkeit, und damit zur Freude oder gar zur Seligkeit.

Siehe, als du zu mir hereinkamst, da empfand ich die frische Atmosphäre eines zum Leben erregten Geistes, wie sie dein ganzes Wesen umgibt. Dass das alles aber noch nicht richtig geordnet ist, spielt derzeit noch keine Rolle. Denn es bewegt sich etwas in dir – und Ordnen ist ein Bewegen, und die Bewegung ist ein Zeichen des Lebens! Die gemüthafte innere Bewegung ein Zeichen inneren Lebens, und die äussere Bewegung eben bloss ein Zeichen äusseren, leiblichen Lebens ohne Anteilnahme des Geistes. Und was der Geist, wenn er einmal geweckt und durch seine fortlaufende Tätigkeit gestärkt ist, alles zuwege bringt, davon kannst du dir heute noch gar keine Vorstellung machen. Wie solltest du auch?! Denn gesehen hast du bisher nur den förmlichen Tod der Masse und zum bewussten Spüren deines Geistes war es bisher noch nicht gekommen, aber kommt es nun, wie mir scheint, sehr schnell, da du durch meine Worte denn doch einmal eine Bestätigung des effektiven Vorhandenseins einer dem Geiste lebenswidrigen, weil trägen (Seelen-)Masse erhältst, die dich mit der Zeit wach und wacher werden lässt, wenn du ihre Spuren, die sie auch in dir und deinem Gemüt schon hinterlassen hat, immer mehr erkennst.

Wende dich deshalb in Zukunft von allem diesem Gift ab, welches zwar der Sinnlichkeit frönt, wie das Wiegen eines Kindes seinem Schlafe frönt oder dient, dich oder deinen Geist jedoch betäubt. Betrachte weder das Fernsehen, noch Zeitungen und Zeitschriften, aber betrachte dafür das Verhalten der Erwachsenen bewusster, und du wirst leicht erkennen, woran alles in dieser Welt erkrankt ist. Alle Informationen, welche du durch solche Medien erhältst, sind ja nur Einzelheiten oder auch übersteigerte Formen ein und derselben Krankheit, die du in deiner nächsten Umgebung studieren kannst.

Zwar wirst du dir dabei einsam vorkommen wie sich ein Mensch in der Wüste vorkommen muss. Aber das macht nichts. Denn du wirst daneben auch ganz unvermerkt zu spüren beginnen, wie sich zu deinen erkennenden Gedanken laufend neue und ergänzende hinzugesellen, sodass du mit der Zeit dann auch um Dinge weisst und sie ihrem Grunde nach kennst, von denen du bist jetzt keine Ahnung haben kannst, weil sie eben in dir selber, in deinem Geiste liegen und darum nicht mit den Augen des Leibes gesehen werden können. Das geschieht so, wie ich nun in dir, in deinem Gemüte, eine Freude und Zuversicht aufsteigen sehe wie ein leichter weisser Nebel an einem schönen Frühlingsmorgen, der sich mit seinem Steigen stetig lichtet und dadurch all das erhellt was er dich bisher alles nur undeutlich erkennen liess. Dabei wirst du dann in dir Kräfte finden – eben aus der Kraft deiner Liebe zur Ordnung und zum Gedeihen erwachsend, von denen du bisher wohl keine Ahnung hattest, die du aber in diesem Moment schon leicht wahrnehmen kannst. Diese Bilder, diese Ahnungen und dieses Spüren von Gutem – anfänglich wie ausser dir seiend –, das sind dann deine wirklichen Freunde, die dich nicht alleine lassen, auch in schwierigen Situationen nicht. Wohl spürst du sie dann nicht unbedingt in dem Moment, in welchem du sie am dringendsten brauchst. Aber wirksam sind sie dennoch, und im Nachhinein wirst du dann oft erkennen, wie der so genannte Zufall in Wirklichkeit eine Zugabe dieser deiner gedanklich geweckten Freunde ist. – Siehe, das Licht in deinen Augen – in deinem Blick – ist schon ein solch neu erwachender Freund meiner eigenen Gedanken, der in dir zwar eine ganz neue, eigene Gestalt gewinnt, der mich aber ja eben durch seine Andersartigkeit, der darin trotzdem erhaltenen Gleichsinnigkeit wegen, unendlich bereichern kann."

Das war der Beginn unserer ersten Unterredung; es war der Aufgang der geistigen Sonne im Gemüte eines von der Welt verworren Gemachten. Seine Zuneigung wurde durch die Wärme dieser Sonne bewirkt, die in ihm ebenso manche schöne neue Pflanze mit ihren Blüten und späteren Früchten erweckt hat, wie sie die natürliche Sonne im noch kahlen Boden der Erde erweckt, wenn sie im Frühling täglich höher zu steigen beginnt, sodass ihr Licht dann nicht mehr durch die bisherigen andern Pflanzen hindurch den Boden der Erde berührt, sondern von immer weiter oben her direkter den Boden erwärmen kann. Wie das Einfliessen der göttlichen Kraft mit ihrem Licht ja in jenen Menschen auch stets ungehinderter geschehen kann, je distanzierter sie sich von der Masse der Gesellschaft befinden. Aber dieses distanzierte Alleinsein, vom zähen Teig der Alltagsmasse entbunden, ist anfänglich ein noch ungewohntes Gefühl, das Viele vom Entschluss zurückschrecken lässt, einen eigenen, jedoch immer dem Guten und dem Nutzen aller entsprechenden Weg zu gehen. Obwohl erst das dem christlichen Gebote entsprechen kann, Gott (und damit das von ihm angeordnete Gute und allen Dienliche) über alles zu lieben und seinen Nächsten nur wie sich selbst.

Dieser Knabe begriff bald einmal, dass sein wirkliches, neu erwachtes Leben nicht in seinem Leibe ist, sondern in seiner Seele; und er spürte mit seiner fortlaufenden Entwicklung auch, dass dieses den dereinstigen Abfall seines Leibes sicher überleben wird, was ja weder Atheisten noch Christen wirklich (das heisst mit wahrnehmender Überzeugung) glauben, sondern höchstens hoffen und wünschen. Aber das Spüren und eigene Erfahren steht da viel höher und ist auch viel beseligender, ist jedoch allerdings auch nur ausschliessliche Frucht eines ausgelebten Glaubens. Welches gesunde Wesen geht nicht der eben aufgegangenen Sonne mit einer gewissen Wonne entgegen!

Natürlich kam der Junge anfangs öfters zu mir, als vereinbart war. Und ebenso natürlich machte mir selber das eine grosse Freude, zu sehen, wie seine ursprüngliche, noch ungeordnete und sich auflehnende seelische Kraft im Laufe der Zeit sich immer mehr zu einem hingebungsvollen und dadurch aufnehmenden Sammelgefäss der weitaus grösseren und wirksameren geistigen Kräfte aus Gott wurde, ohne dass er selber das anfangs so klar erkannte oder spürte. Denn dem äussern Geschehen nach kam es (das geistige Leben) ja über mich, durch meine Worte, zu ihm, wiewohl es in ihm schon wach, aber vorläufig noch untätig gewesen war. Aber immer mehr fand er dann durch seine ihn belebende Begeisterung direkten Zugang, sodass er wenig überrascht, sondern viel eher beruhigt war, als er von mir später einmal die Bestätigung erhielt, dass das, was ihm zufliesse gewiss Gottes Kraft sei. Ja er war sogar aufatmend dankbar – freilich erst einige Jahre später –, als ich ihm die dafür bestätigenden Sätze aus der Bibel bekannt gab; zum Beispiel:

"Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.....und wird keiner den andern lehren (müssen)" (Jeremia 31, 33/34) und als Bestätigung Jesu:   "Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren." (Joh. 14, 21) und: "Aber der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe." (Joh. 14, 26).  Aber auch über die zähe Masse gibt es ein Wort, wie sie einst war und wieder einmal sein wird und was ihr bei solchem Verhalten geschehen wird: "Sie assen, sie tranken, sie freiten und liessen sich freien bis an den Tag da Noah zu der Arche einging; und sie achteten's nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin." (Matth. 24, 38 und 39). Bei dieser letzten Stelle fiel es mir leicht, ihm zu zeigen, dass eben just das sich von der Masse zurückziehen (in die Arche gehen) das innere geistige Überleben sichert. Dass die heutige Aufdringlichkeit und Unverfrorenheit der Werbung einerseits und das willige Annehmen und Befolgen solcher Werbebotschaften von den Verbrauchern anderseits exakt dem in dieser Stelle erwähnten Freien und sich Freien-Lassen ebenso entspricht wie der heute übliche lose Partneraustausch, musste ich ihm zu jener Zeit schon nicht mehr extra begreiflich machen.

Übrigens hatte mir zur selben Zeit, als der Knabe erstmals zu mir kam, mein Grosskind sein neu erhaltenes Schullesebuch gezeigt, in welchem ich just jene Schmierereien entdeckte, die der Junge – wenn auch in anderer äusserer Form – an die Hauswand sprayte. Interessant war dabei der Umstand, dass er zufällig die Fassade ebenfalls von der Ecke her besprayte oder "verzierte", wie der sinn- und kopflose Gestalter des Lesebuches die Ränder der Seiten. So lernen die Kinder schon vor der Entwicklung eines eigenen Beurteilungsvermögens all die Folgen ihres Unmutes und all die Äusserungen ihrer Furzideen als eine durchaus akzeptable Form des Zusammenlebens zu interpretieren. Wer will, ja wer kann es ihnen verargen!!?

Wie einfach wäre es anderseits, das Himmelreich ausgeglichener Harmonie und nutzbringender innerer wie äusserer Tätigkeit zu finden und lebenskräftig und lebenswirksam in uns selber auszugestalten, wenn wir nur den Abstand von der zähen, toten Masse nicht so fürchten würden. Wenn wir mehr Ernst dafür aufwendeten, mit diesem von Jesus verkündeten und von jedermann guten Willens sehr wohl wahrnehmbaren und darum tatsächlichen Reich in unserem Innern eins zu werden, als dafür, mit der grossen, sinnentleerten Gesellschaftsmasse so homogen verbunden zu werden, dass wir darin als Individuum untergehen und später mit ihr einen ewigen Tod all unserer innern Kräfte erleiden.

Bei diesem Jungen war sein ursprünglicher Antrieb zu seiner Tat ja eine innere Empfindung und eine daraus resultierende Verneinung der durch diese Empfindung erkannten äusseren Ordnung, und darum im Eigentlichen oder im Grunde völlig richtig und gerecht. Aber diese Verneinung muss nicht eine Zerstörung des Verneinten zur Folge haben, es genügt dazu auch eine innere Abwendung. Aber wohin??! Das ist für so manchen die grosse Frage, weil für ihn sein Inneres, dessen Kraft und Reichtum er noch gar nie kennen lernen konnte ob der vielen auf ihn einstürmenden äusseren Eindrücke, noch gar nicht existent ist – übrigens ebenso wenig wie für die grosse Masse. Der Unterschied von ihm zur Masse bestand bloss darin, dass er ihren Druck noch nicht so gewohnt war wie die so genannt erwachsenen Menschen der grossen Gesellschaft. Denn in jenem Masse der Angewöhnung an den Druck wird der Mensch eben auch erwachsen, das heisst aber mit andern Worten: innerlich völlig unempfindlich und darum tot.

Hätte sich dieser Junge in seiner Ablehnung mit andern seinesgleichen vereint, so hätten diese sich als eine äussere Vereinigung gegenseitig ebenfalls wieder nur zu einer Gegenmasse entwickelt, die in sich ebenso wenig ein eigenes Urteil bilden könnte und würde wie die sie ursprünglich verursachende Gesellschaftsmasse. Nur weil das nicht der Fall war, war es so leicht, ihn zurecht zu bringen zu einer Zeit da er noch der Empfindung fähig war oder noch ein eigenes inneres Leben verspüren konnte, das auszubilden ihn immer mehr zu faszinieren begann.

Dabei hatte er an mir natürlich eine wohltuende Stütze, an die er sich lehnen konnte, in Momenten in denen er selber in seinem Empfinden etwas unsicher wurde. Das konnte er bei seinen innerlich schon mehr oder weniger abgestorbenen Eltern nicht. Aber sie haben und kennen dafür auch seinen (innern) Reichtum nicht, der mich selber bei jedem Zurechtbringen eines jungen Gemütes so mächtig erfüllt.

Wer ist noch so jugendlich, dass ihn diese Geschichte anzusprechen, ja innerlich sogar mit einer gewissen hoffnungsvollen Zuversicht erfüllt? Ihm möchte ich verraten, dass ich in meiner Jugend nie aus freien Stücken gelesen habe, auch nicht auf die Strasse durfte, ohne dass mir Zuhause ein TV, noch andere Spielzeuge zur Verfügung gestanden hätten. Da entdeckte ich, was alles im Menschen verborgen liegt. Die Tiefe dieses Reichtums ist ebenso unfassbar wie die Kraft, die sich daraus erschliesst – besonders wenn wir bedenken, dass auch – und vor allem – unser inwendiges Sein von einem Schöpfer rührt, der uns versichert, dass wir alle Erfüllung in uns selber finden, wenn wir uns bemühen, unser äusseres Tun mit dem Wahrheitslicht unserer Erkenntnis in Übereinstimmung zu bringen, damit die Schatten der Unkenntnis aller möglichen Folgen unserer Versäumnisse schwinden müssen.

Wer kann, ja wer will bei solch erkennenden Erfahrungen im Äussern, im Ordnen der Gesellschaft, noch eine Möglichkeit finden, die Menschen oder gar die Gesellschaft zu bessern. Nein, in sich selber muss der Mensch besser werden, so wird es im selben Masse und ohne Weiteres auch die Gesellschaft. Bis dahin aber hat der Einzelne auf der freien Weide seines innern Lebens und Erlebens einen überreichen Vorrat zur Vervollkommnung seiner Seligkeit. Mehr zu sagen wäre fehl am Platz, denn ich schreibe das nicht für die Gesellschaft, sondern für jene nur, die an den Unarten der Gesellschaft innerlich erkranken oder durch ihren Druck am Ersticken all ihrer innern Kraft sind.

2008



Ideale sind wie Sterne: Man kann sie nicht erreichen, aber sich an ihnen orientieren.
Diese Orientierung fehlt in der heutigen Erziehung. (z.B. im Lesebuch!)

Beispiele aus einem Lesebuch – als Gegensatz zu den Bildern auf der Innenseite des Titelblattes


bild bild
Realität in der Familie Füsse, so gross, dass sie alles Zartgefühl zertreten


Welle, dargestellt als Schmiererei, als Sturm ohne Grenzen

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