Heutige Erziehungsbestrebungen

Ein trauriges, aber aussagekräftiges Bild, das da geschildert wird. Traurig dabei ist, dass es fast nicht zu ändern ist. Nicht, weil man seinen Entstehungsgrund nicht einsehen könnte, aber man will nicht. Zu sehr ist jedermann auf seine vorläufige Ruhe und seinen vorläufigen Vorteil bedacht. Doch wie schnell kann das ändern! Und dabei wird dann dieses entworfene Bild zu einer apokalyptischen Voraussage.

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ERZIEHUNGBESTREBUNGEN
Dargestellt in einem Bilde über unsere Kultur

Einmal kam ich in eine Stätte mitten in einem verwüsteten Dschungel. Die kahlen und zum Teil ganz verwaisten Wohnstätten waren ringsum von vielen verschiedenen, niedergedrückten und übereinander gehäuften Gewächsen umgeben. Überall sah man zwar noch Spuren üppigen Wachstums, aber die Pflanzen hatten keine Kraft mehr, um sich aufrecht zu erhalten und trugen auch nur noch ganz wenige verkümmerte Früchte. Die Bevölkerung entsprach in ihrem innern Wesen durchaus dem Bilde dieser Landschaft, die sie bewohnte. Die Häuser waren in sehr schlechtem Zustand. Sowohl Fenster wie auch Dächer waren schadhaft. Nur die Türen waren noch mehr oder weniger intakt, da die Bewohner sich vor gegenseitigem Diebstahl fürchteten.

Eine regelrechte Schule gab es nicht mehr, sondern bloss einige Erwachsene, die versuchten ihre zusammengerufene Kinderschar so zu beschäftigen, dass sie nicht aggressiv oder ausfällig wurde gegen die schlechte äussere Ordnung, in welcher sie leben mussten. Auch das Handwerk lag am Boden. Die Bewohner dieser Stätte stellten nichts, aber auch gar nichts mehr selber her. Sie lebten bloss vom Durchgangsverkehr einer nahe gelegenen Hauptverbindungsstrasse. Mit den Verkehrsteilnehmern trieben sie einen losen Handel, indem sie den Verkehrsweg an manchen Stellen immer wieder mit nur scheinbaren Unterhaltsarbeiten blockierten und gegen eine kleine Bezahlung vorgaben ihre Arbeiten unterbrechen zu können, sodass der zahlende Verkehrsteilnehmer dann wieder weiterfahren konnte. Aus diesem Grunde war auch von der ferne gelegenen Landesregierung beschlossen worden, den Verkehrsstrom über eine neue, anderswo erstellte Route zu leiten, weil die Bewohner dieser Stätte ihre "Erwerbsart" so geschickt betrieben, dass sie nicht ganz illegal handelten, und man sie darum gesetzlich begründet nicht hätte strafen können. Diese Situation kannte ich. Darum versuchte ich, die Einwohner dieser Gemeinde zu motivieren, doch lieber wieder selber etwas zu erzeugen, ein Handwerk aufzubauen, die Dächer und Fenster zu reparieren und Behälter zu schaffen, um geerntete Früchte sammeln und aufbewahren zu können, und Gefässe bereitzuhalten, das Regenwasser, dieses köstliche Nass des Himmels, sammeln zu können – denn ihre Wasserversorgung war ebenfalls sehr mangelhaft: Grundwasser gab es nämlich bereits keines mehr und die Gegend war auch regenarm. Nur durch eine mehr oder weniger instand gehaltene Leitung floss noch etwas Wasser von einer fern gelegenen Quelle her. Man hätte diese Leitung längst sanieren müssen, aber die Lieferanten des Wasser hatten kein Interesse, weil sie keine Sicherheit dafür hatten, ob die Verbraucher auch in Zukunft zahlungsfähig bleiben könnten. Denn wie bei den meisten Menschen, so kam auch bei diesen das Geniessen und Leben aus der Arbeit anderer vor der Überlegung, wohin ein solches Verhalten einmal führen würde. An eine aus der Liebe entsprungene Fürsorge für die andern oder auch nur für die eigene nähere oder gar weitere Zukunft war bei einer solchen Lebenseinstellung überhaupt nicht mehr zu denken.

Da kam es einmal, wie es kommen musste, und wie es ein jeder nüchterne Beobachter auch hat kommen sehen:

Die Wasserleitung war derart schadhaft geworden, dass sie soviel Wasser verlor, dass die Betreiber der Wasserversorgung diese Leitung vom Netz nehmen mussten, sodass in dieser Gemeinde gar kein Wasser mehr zu haben war.

Zum Glück für die Bewohner fing es gerade zur selben Zeit an zu regnen, und das in recht grosszügigen Mengen. Die Bewohner freuten sich darüber. Aber bald merkten sie, dass ihnen ja das Wasser überall davon floss, weil sie es mangelnder Gefässe oder Vorrichtungen wegen gar nicht halten konnten ausser in ihren Wohnstuben, in welche es durch die schadhaften Dächer in Mengen floss, sodass alles durchnässt wurde. Auch der nach diesem anhaltenden Regen einsetzenden Abkühlung konnten sie nichts entgegen tun, indem ihre Fenster alle schadhaft waren, sodass sie alle in Wind und Durchzug leben mussten. In dieser Situation half auch das Darauf-Verweisen nichts, dass ein solches Wetter an diesem Orte höchstens alle Vierteljahrhundert einmal vorkomme. Zu alledem hatten sie noch das Pech, dass der grosse Verkehrsweg in ihrer Nähe, von dem sie mehr oder weniger lebten, just in dieser Zeit geschlossen wurde, da die Arbeiten zur Umleitung auf eine neu errichtete Route abgeschlossen waren.

Das war für die Bewohner ein grosses Pech. Wasser hatten sie zwar in ihren völlig durchnässten Wohnungen, aber keines zum Trinken. Früchte hatten sie beinahe keine im Vorrat. Werkzeuge zur Bebauung der Äcker fehlten ihnen ebenfalls gänzlich, weil sie nur vom Handel gelebt hatten, und Werkzeuge selber herzustellen vermochten sie auch nicht, weil das Handwerk am Boden lag. Die wenige Ackerfrucht mussten sie beinahe handvoll für handvoll einsammeln, weil ihnen die Gefässe fehlten, und Wasser mussten sie aus den Pfützen trinken, weshalb sich allerlei Krankheiten auszubreiten begannen. Es war zum Davonlaufen! Und das tat ich auch. Was hätte ich anderes tun können?! Denn was in der Not und für die Not nicht bereitsteht, lässt sich auch nicht gebrauchen. Diese Situation kennt jeder selber, der einmal in Not geraten ist; folglich war aller weiterer Rat von meiner Seite vergeblich, da er mangels vorhandenem Material und Gerät nicht umgesetzt werden konnte. Und dass einer allein nicht so Vielen helfen könnte, wo die Not am grössten ist, liegt auch auf der Hand. Hätten sie zur rechten Zeit auf meine Ratschläge gehört, so hätten sie ja Zeit und Möglichkeit genug gehabt, sie zu befolgen und ich selber hätte dabei werktätig mithelfen können und auch wollen. Aber nun, wo so viele getroffen wurden reicht einer allein zum Verbinden all der Wunden nicht aus – und ohne Material schon gar nicht.

Wohin soll ich mich nun aber wenden? Ich kenne noch eine Unzahl solcher Stätten. Für mich selber hätte ich zwar noch genügend zu trinken, weil ich das Regenwasser in meinen Behälter sammeln konnte, und die spärlich gewachsenen Wildfrüchte, welche die Bewohner gar nicht kannten und sich darum auch nicht davon zu essen getrauten, hatte ich schon lange in Säcke gefüllt. Aber mit wem soll ich es teilen und mit wem eine solide Gemeinschaft bilden, die so gesund fundiert, also auf einem derart wohldurchdachten, gefesteten und geschützten Standpunkt steht, dass er den Unbilden jeder Witterung zu widerstehen vermag?

Darum wende ich mich in meiner Einsamkeit mit all meinem Vorrat gerade an dich, lieber Leser! Denn mir kommt es vor, dass Du dich in einer ähnlichen Situation befindest wie ich. Denn: noch immer liest Du weiter und suchst wohl in diesen Worten den verborgenen Sinn, weil Dir die Welt ganz ähnlich wie mir vorkommt und Du dennoch nicht ermitteln kannst, weshalb. Denn wir Menschen in Europa bewohnen doch reiche Länder und zivilisierte Städte. Waren aber jene Bewohner nicht auch reich, wenn sie ohne grosse Arbeit, nur mit Mäklerei und etwas Geschick, durch die äussern Verhältnisse bedingt, Geld verdienen konnten durch Leistungen, die andere für sie erbrachten? Ja gewiss, wir sind so reich wie jene. Aber reich an was? An innerer Genugtuung, dass es durch unser Wirken allen besser geht, oder dass wir das Leben in uns derart gestärkt haben, dass wir schon zu Lebzeiten auf dieser Erde das jenseitige Leben als etwas Reales empfinden können? Nein, an dem allen sind wir so arm wie die Bewohner der erwähnten Stätte (Wirkstätte)! Aber an allerhand Arten von Steinen sind wir reich! Und Steine bestehen aus ganz gediegenem Material. Es ist fest und unnachgiebig. Mit ihm lassen sich solide Häuser bauen; lässt sich durch Brennen Zement gewinnen, der nachderhand, als Gemisch mit Sand und Kieselsteinen und zu Beton aufbereitet, alles zu einer gediegenen, festen Form bindet. Nur eines hat der Stein nicht: ein freies Leben! Aus ihm kann nichts anderes werden. Selbst wenn er unter hohen Temperaturen gebrannt wird zu Zement, so vermag er nichts anderes zu binden als wieder nur Steine. Er ist starr in seiner Ordnung wie der Verstand der Menschen. Denn dieser erkennt zwar wohl auch die materiellen Gesetze der äusseren Natur, aber das Leben begreift er nicht. Und würde er es begreifen, so entstände durch sein Licht im Gemüt der lebendigen Seele ein Bild und es erwachete in ihm ein Gefühl, ein wahrnehmungsfähiges Empfinden seines lebendigen Seins. Denn alle diese Vorgänge – ein solch sukzessives Werden – sind ausschliessliche Attribute des Lebens. – Und einem solchen wäre ein mögliches Weiterleben nach dem Tode keine offene Frage mehr, sondern vielmehr ein Bewusstsein aus den Erfahrungen seines bisherigen Seins. Das alles ist aber unseres mangelnden Liebeernstes zufolge nicht der Fall! Die Begriffe des Verstandes sind fest – gebunden, auch gesetzlich –, sie lassen keine Veränderung zu, so, wie ein Stein auch im lebendig sprudelnden und fliessenden Wasser keiner innern Veränderung fähig ist. Darum ist der Stein –  wie der die Gesetze erkennende und entwickelnde Verstand – nicht lebensfähig, ganz im Gegensatz zu lebenden Zellen, welche Wasser aufnehmen können und mit ihm auch Nährstoffe erhalten, die sie zum Aufbau ganz neuer, aber ihrem Wesen entsprechenden Formen und Vereinigungen benützen, wie es eben alle Zellen der Pflanzen, der Tiere und des Menschen tun.

In unseren Schulen jedoch wird nicht das lebendig empfindende und wahrnehmende Gemüt gebildet und gefördert, sondern einseitig nur der Verstand, welcher dann das lebendig empfindende Gemüt an das harte Gesetzliche, an das Materielle bindet. Solche Schulen vermehren die Steine in unserer Landschaft. Der Sozialismus ist ein solch weit verbreitetes Material oder Gedankengut des Verstandes. Er sieht zwar lieblich aus wie ein Rosenquarz, ist aber steinharte, systematische Berechnung, wie das Material des Rosenquarzes auch, das dennoch nicht einem allzu grossen Druck standhält. Ein derart gebundenes und durch den Druck äusserer, gesetzlicher Verhältnisse ertötetes Sein lässt das Walten einer freien Liebe nicht mehr zu. Diese kalte Rechnung des Verstandes fordert von der einen Seite und gibt es den Fordernden auf der andern Seite, sodass beide Seiten in ihrer Gesamtheit, zu gesetzesgebundenen Gliedern einer Gesellschaft, und damit zu steinharter Materie werden müssen. Alles ist bemessen und dennoch sucht ein jeder sein Loch, weniger geben zu müssen oder mehr zu bekommen.

Ganz anders verhält es sich im wahren, innern Leben, das sich aus der Liebe, als seiner einzigen Kraft, bildet! Auch diese Liebe hat in sich zwar ebenfalls das Bestreben, alles an sich zu binden. Und durch dieses Bestreben kann sie bei materiell gesinnten Menschen zwar auch zu einem "toten Stein" werden, welcher rücksichtslos alles seinem Wesen verwandte Material an sich bindet und das Leben spendende Wasser dabei ausschliesst. Die reine und lichtvolle Liebe hingegen möchte allerdings nur alles Leben in sich vereinen und überlässt darum ihrem Nächsten gerne, was er zum Leben, zu seiner ordnungsmässigen Freiheit, braucht. Sie sorgt und verteilt; sie möchte helfen und bewahren. Sie sehnt sich nach einer freien und lebendigen Ordnung und strebt darum nach dem Licht der Erkenntnis ihres innern Wesens, das sie auch in ihrem Nächsten findet und auch dort versuchen kann, es zu begreifen. Denn oft hat man aus einer gewissen Distanz eine grössere Übersicht und einen besseren Überblick, sodass man eigentlich im Nächsten seine eigenen Schwächen oft besser und schneller erkennen kann als bei sich selbst. Nur ist die wahrhafte Liebesorge dann darauf gerichtet, die eigene Schwäche zu überwinden und gibt ihrem Nächsten erst dann davon Kunde, wenn sie selber ihre Schwäche besiegt hat und ihm dann erzählen kann, wie es ihr dabei ergangen ist, sodass der Nächste nicht verleitet wird, seine Fehler zu verteidigen, sondern viel eher nach dem für besser erkannten Zustand begehrlich wird, sodass er dem ihn Ermahnenden auch wirklich zuhört und seine Gedanken aufnimmt.

Wenn wir, all dieser Betrachtungen eingedenk, einmal unsere heutige Schule oder Schulungsweise betrachten, so erkennen wir leicht, dass sie demgegenüber bloss verstandesmässiges Wissen vermittelt. Das Pensum ist überhäuft mit äussern Betätigungen, die den Verstand, als einen Steinbildner, fördern, nicht jedoch das empfindsame, weil lebensvolle Gemüt (wobei zu vermerken ist, dass dieses ja auch schon von durchschnittlichen Eltern alles andere als gefördert wird). Empfindungen sind heute nicht mehr modern, Sachlichkeit oder – besser – "Sächlichkeit" wird heute angestrebt. Mit seinen Empfindungen bleibt der Mensch – auch schon der junge Mensch – von den andern isoliert. Er wäre ja ein lebendiges Individuum, anstatt eine bloss gesellschaftsfähige und -konforme Einheit oder Nummer. Keiner geht auf solche "Mensch" gebliebenen Menschen ein, weil keiner mehr mit seinen eigenen immer wieder durch seine Empfindungen durchsickernden Lebenszeichen etwas zu schaffen haben will. Einen jeden zieht es hinaus in die Welt, in die Gesellschaft.

Tausch und Kauf ist alles, was man in der Schule lernt. Man kann die verschiedenen Messgrössen umrechnen, Kräfteverhältnisse berechnen und in Gleichungen alles zu einem Ausgleich bringen. Man kann sich auch leiblich betätigen – also turnen oder basteln. Nur eines kann man dort nicht: eine schöne Idee heranwachsen lassen zu einer mehr oder weniger klaren Vorstellung – weder von der Gesellschaft, noch von der Harmonie des eigenen Wesens. Dafür fehlt der Ernst! Alles muss spielerisch geschehen. Damit glaubt man die Kinder zu gewinnen. Man gewinnt sie allerdings auch, aber nur für das Spiel, für Komik, Ausgefallenes oder für Dummheiten! Nur ja keinen Ernst durchblicken lassen! Nur ja keine Stärkung des Willens, kein Festhalten an einer Idee, an einer innern Vorstellung oder an einem innern Bild, bis es endlich durch viele Arbeit, Hantierung und Geduld als ein äusseres und damit allen zugänglichen und verständlichen Bild unserer innersten Gedanken oder empfundenen Gefühlen vor uns steht. So etwas wird heute weder in einem Aufsatz geübt, noch in Zeichnungen oder Tönen, noch in mündlichen Erzählungen oder in gehaltvolleren Handarbeiten. Ganz im Gegenteil, heute werden bereits in der 1. Klasse (!!!) Vorträge zu halten geübt und auch gehalten, das heisst bei derart kleinen und noch unerfahrenen Kindern mit andern Worten: Bluff vermittelt, weil ja das Wissen eines Erstklässlers alles andere als gediegen ist. Denn schon das kleinste Kind wird durch seine eigenen Beobachtungen gelehrt, dass es in allem noch unfertig ist, dass es alles noch nicht richtig begreifen kann und auch noch nicht richtig ordnen kann; eine Sache auch nicht richtig in seine  Hände nehmen kann. Ein solches Erkennen lässt es nicht nur bescheiden werden, sondern macht es auch aufnahmewillig für das ihm noch Abgehende. Diese gute und für die innere Entwicklung notwendige, gemüthafte Wahrnehmung wird bei einer solchen Erziehung nicht nur durchkreuzt, sondern regelrecht zunichte gemacht. Man fordert mit solchen Vorträgen das Kind auf, sich über alle seine Schwächen hinwegzusetzen und in einem solchen Vortrag etwas von sich zu geben, das es nicht im Geringsten besitzt, sondern nur auf die Zeit seines Vortrages hin geliehen oder gar gestohlen hat. Ist das nicht der Beginn der Werbung oder des Freiens, nämlich zu scheinen, was nicht ist. Ist das nicht das Prinzip der Politik, der heutigen Gesellschaft – kurz: der grossen Masse? War es nicht die Art des Erwerbs bei den Einwohnern der geschilderten (Wirk-)Stätte, wenn sie durch vorgeschützte Arbeiten an der Strasse die Möglichkeit gewannen, durch Bestechung wieder freie Fahrt geben zu können? Natürlich muss ein Kind lernen, sich auszudrücken. Aber warum lässt sich das nicht durch ein Erzählen darüber erreichen, was ein Kind erlebt hat, oder was es am meisten beschäftigt. Das wäre doch wenigstens eine Beschäftigung mit inneren, seelischen Verhältnissen, welche das Gemüt erfüllt und den Charakter stärkt. Muss diese Arbeit unbedingt aufbewahrt werden bis zum später einmal erfolgenden Gang zum Psychologen oder gar zum Psychiater? – Warum müssen heute schon die kleinsten Kinder erwachsen sein? Warum werden sie gekleidet und sogar mit allerlei Schmuck verziert wie Erwachsene? Warum sie über Dinge referieren lassen, die sie noch gar nicht verstehen. Viel wichtiger wäre doch, dass sie sich selber besser kennen lernten und dabei versuchen würden, das noch nicht Bewältigte zu bewältigen, zum Beispiel die übermässige Lust an Spiel oder gar an Blödelei oder die Schwäche, unangenehmen Situationen durch Lügen auszuweichen. Aber auch alle andern äussern Betätigungen in der Schule orientieren sich viel eher am Schein als an der Nützlichkeit für den Dienst am Nächsten. Anstatt Handfertigkeit zu erlangen bei allerlei nützlicher Handarbeit mit Karton und Papier oder mit Holz – bei den Knaben – und Nähen, Flicken und Stricken aber auch Kochen – bei den Mädchen –, wird bloss etwas "gebastelt", ein Wort, das man sonst bei bloss stümperhafter Handwerksarbeit verwendet. Basteln, im heutigen Sinn des Wortes ist bloss eine sinnlose leibliche Tätigkeit ohne weitern Zweck, mit dem einzigen Ziel, die Zeit zu vertreiben und kostbares Material zu verschwenden oder – mit andern Worten – sich selbst zu genügen! Nur ja keine Tätigkeit zum allgemeinen Nutzen, lieber sich am Grotesken einer Unordnung zu freuen und hemmungslos seinen Mist zur Belästigung der andern von sich zu geben! Sicher waren anderseits in früheren Zeiten – im Unterschied zu heute – mehr Menschen gehemmt als bei der derzeitigen Schulmethode. Aber: kann eine solche Hemmung nur durch eine masslose Selbstdarstellung überwunden werden? Bestünde nicht die viel fruchtbarere Überwindung einer Hemmung im ruhigen, aber steten Weitersammeln an Kenntnissen und am Ausgestalten eines ausgeglichenen Wesens, das erst aus der Übersicht seines Standes und dem Reichtum seiner Erfahrungen den andern sehr wohl unter die Arme greifen könnte, sodass aus dieser sichtbaren Notwendigkeit heraus jede Hemmung von selber fällt. Wohl geschähe eine solche Überwindung einer ganz natürlich bedingten Hemmung bei vielen erst zu einem späteren Zeitpunkt des Lebens, aber dafür auch in aller Wahrheit aus den Umständen der eigenen Fülle heraus, und nicht in einer hemmungslosen Anmassung gegenüber bereits vorhandenem Besseren. Warum also nicht schon in der Schule seine Gefühle beschreiben und die hinter ihnen stehenden Fragen betrachten und unter kundiger Leitung besprechen? Kurz: Schulen für das wirkliche und tatsächliche Leben gibt es keine, nur eine Beschäftigungsanstalt zur Erlernung des geschäftlichen Verkehrs zu sinnloser Kommunikation und zur Stillhaltung der Kinder.

Jene wenigen unter den Kindern, die dabei nicht nur konsumieren gelernt haben, gleichen dann jenen Schlinggewächsen die rings um die eingangs beschriebene Stätte herum zu einem Dschungel ausgewachsen sind. Sie wachsen schnell durch eine günstige Bereicherung an Materiellem. Bei der Leichtigkeit eines solchen Erwerbs an Möglichkeiten finden sie nicht zur notwendigen Kraft des Ernstes, der sie stark und widerstandsfähig machen würde, sodass sie sich darum bloss gegenseitig aneinander lehnen und dann durch das eigene Gewicht sich auch gegenseitig zu Boden drücken. Bei einer solchen Erziehung haben die später einmal erwachsenen Gewordenen natürlich keine Gefässe zum Empfange und zur Aufbewahrung des belebenden Wassers entwickelt oder mit andern Worten: kein Gemüt zur Bergung ihres eigentlichen Lebens, das sich durch Empfindungen – sie bereichernd und belebend – immer noch kundgeben könnte. Sie haben auch weder die rechten Webstühle (Werkzeuge) noch das Handwerksgeschick, um Säcke – entsprechend der Fürsorglichkeit –, herzustellen in welchen sie die anfallenden Früchte, die ihr Leben allenfalls noch erzeugen könnte, sammeln könnten, sodass ihnen in Zeiten der Not daraus eine Stärkung zukommen könnte. Denn der Stoff solcher Säcke müsste durch Ernst und die ihn durchkreuzende Geduld fest verwoben sein oder auch durch eine starke Hoffnung und ein sie durchkreuzendes Bangen gefertigt werden. Das alleine ergäbe einen in der Praxis erprobten Glauben – als ein Gewebe, in welchem sich die durch das bisherige Leben hervorgebrachten Früchte auch sammeln und fort erhalten liessen zur Stärkung in einer Zeit der Not. Die Frucht selber wäre neues entstandenes Leben im Innern der Seele, sich manifestierend als ein Gefühl ewigen Lebens aus der überzeugenden Tätigkeit nach den erkannten Lebens- oder Liebesgesetzen, welche die Menschen mit Gott und untereinander verbinden. Sie haben auch keine Werkzeuge als da sind ausgebildete Talente, und noch weniger haben sie Handwerker, welche den starken Willensarmen der Liebe entsprechen, welche die verschiedenen Talente zu brauchbaren Vorbedingungen einer jeden höheren Tätigkeit harmonisch vereint.

Sie haben nur Handel und Wandel oder entsprechend: den Austausch von Begriffen und Möglichkeiten, sie anzuwenden zum spielerischen Zeitvertreib und zur möglichst sorglosen Bereicherung, ohne eine Leistung erbringen zu müssen. Börse und Internet sind ihre gängigen Strassen hiezu, aber ebenso die Schulen und Weiterbildungskurse, die beide ein Wissen ohne Erfahrung und darum ohne festen Boden vermitteln. Sogar der Sex wird zur Austauschware, und das bereits unter 13- bis 15-Jährigen. Darum haben in der eingangs geschilderten, gleichnisweisen (Wirk-)Stätte die Häuser auch defekte und schlecht dichtende Fenster gehabt, welche die innern Räume und den darin noch vorhandenen Lebensrest dem Wind aller Modeströmungen, aber auch dem Sturm zügelloser Weltbelustigungen preisgegeben haben, sodass alles darin möglicherweise noch enthaltene Zartgefühl hinausgefegt wird. Auch haben sie defekte Dächer, durch welche ihnen kein Schutz mehr gewährt wird vor den Schreckensblitzen und dem erschütternden Donner selbstverschuldeter Schreckenszenarien, sowie dem Forderungsregen einmal eingegangener Weltverpflichtungen.

Wenn einer solchen Stätte (Wirkstätte des Todes – anstatt des Lebens) einmal das natürliche Wasser, das heisst: die Grundlage natürlichen Lebens, allzu sehr entzogen wird, so wird es knapp, zum Überleben. Wenn dann in einem solchen Zustand noch ein Wetter kommt, das heisst das Aufbrechen bisher wohlverwahrten, im Materiellen festgebundenen Lebens, dann ist das Unglück gross. Denn da rinnt es überall zum beschädigten Dach hinein und durchnässt dann alles, das heisst: erweicht ihre bisher festgefahrenen Begriffe und löst damit ihr Selbstverständnis völlig auf. Zum Beispiel ihren Begriff für soziale Verbundenheit, welche sie bisher in gesetzlichen Formen gebunden sahen und damit als garantiert glaubten, und nun merken, dass in ihrem Innern keine begleitende und sie unterstützende Beziehung statthaben kann, wie es im Äussern möglich ist. Da lässt sich nichts umverteilen, weil überhaupt nichts da ist, das verteilt werden könnte, weil ihnen ihre fürsorgende Liebe zum eigenen Leben gefehlt hatte, die da emsig hätte sammeln wollen.

Der Neid, die Missgunst und auch Scheelsucht bewirken in einem solchen Fall den Durchzug durch ihre Gemütsstuben, sodass die Bewohner, die Seelen, sich erkälten in ihrer egoistischen, sie isolierenden Haltung und zu kränkeln beginnen. Hilfe kann ihnen nicht mehr gebracht werden, denn ihre Türen hatten sie damals schon fest verschlossen gehabt aus Furcht, durch eine allzu klare Erkenntnis der Dinge ihrer bis dahin gehabten Weltfreuden beraubt zu werden. Aber – was gibt es denn in einer solchen Situation überhaupt noch zu rauben? Hat man sich durch das sorgfältige Verschliessen vor der Wahrheit nicht selber aller Möglichkeiten zu einem ferneren Leben beraubt, indem nur die Wahrheit uns wieder aus unserer innern Materialität erlösen könnte. Die verschlossenen Türen entsprechen also dem fest gefügten Sinn einer materiellen Weltanschauung und eines bloss materiellen Lebensverständnisses. Denn man hat dahinein alles investiert und will sich das mühsam zusammengeraffte nicht entgehen lassen, sondern klammert sich verzweifelt daran, bis es dann endlich der leibliche Tod dennoch holt. – Und das Drüben? – Ja, das Drüben ist das grosse (Zeit- und Zustands-)Gefäss, in welchem sich derart verflüchtigtes Leben wieder mühsam finden und festigen muss, weil es sich hier, auf einem gegebenen fest geordneten, materiellen Grund nicht sammeln wollte zu einem gediegenen, gedanklich geordneten und darum lichtvoll empfindenden Wesen. Wie mühsam muss das sein in einem Zustand, der einem nur gerade das Eigene überlässt, weil keine äussere dem Wesen fremde (materielle) Welt mehr zur Verfügung steht?! – Ist es da unverständlich, dass ich mich in einem solchen Falle nur auf und davon machen konnte?

Oder – habe ich bei Dir, mein geneigter Leser, mit meinen Gedanken eine lebendige, Anteil nehmende Aufnahme gefunden? Hat sich da vielleicht eine leise Hoffnung als eine Morgenröte tieferen Verstehens eingestellt. Das wäre ja die Erfüllung meines aufrichtigen Wunsches! Nur sehe ich da vielleicht noch eine einsame Leserin, die sich durch meine Worte nicht angesprochen fühlen kann, weil sie es begrifflich weiss, dass sie eine Frau oder ein weibliches Wesen ist. Wenn sie auf diesem Begriff ihres Wesens beharrt, so kann sie durch meine Anrede niemals angesprochen werden. Denn ein verständnisvoller und damit ansprechbarer Leser muss immer und vor allem ein Mensch sein, und keine Frau und auch kein Mann. Denn es wird ja mit solchen Worten und Gedanken nicht die Aussenform eines Menschen angesprochen, sondern nur sein inneres Wesen. Das sagt schon Paulus, wenn er den Galatern schreibt: "hier ist kein Mann noch Weib, denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu."

Noch besser wäre allerdings, wir wären alle Kinder (in unserem Gemüt) geblieben. Kinder, die noch heftig und ursprünglich empfinden. Kinder, die auf solche Empfindungen mehr achten als auf das Gerede der Welt, und diese Empfindungen auch verstehen möchten; die darum auch einen eigenen Weg in die Stille und in die Geborgenheit eines eigenen, geordneten Lebens suchen und sich nicht in feste Formen verlieren wollen. Kinder, die ewig leben möchten und sich nicht mit der toten Schale begnügen wollen. Darum sagte Jesus auch: "Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, sonst werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen." – – Und diesem Ausspruch Christi und allen den hier dargelegten Gedanken diametral gegenüber stehen die heutigen Bestrebungen, die Kinder schon in ihrem 3. oder 4. Lebensjahre einzuschulen, damit sie ja keine Eigenheit, keine individuelle Persönlichkeit in ihrem Gemüt mehr entwickeln können, damit sie noch austauschbarer werden und noch beeinflussbarer für die Werbung und Freiung durch die Grossen, die alles auf das Äussere angelegt haben, damit sie durch dasselbe Gewalt erlangen über den Einzelnen und seine Freiheit.

18. 5. 08

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