Erziehung als höchste Kunst

Der Mensch ist gar nicht so selbständig und unabhängig, wie er sich in Zeiten guter Gesundheit und befriedigender sozialer Verhältnisse oftmals vorkommen mag. Ein Unfall, ein Beziehungsproblem oder die Häufung von Überforderung – gesundheitlicher oder seelischer Natur –, und schon merken wir, dass es über uns und um uns noch andere Kräfte gibt, die wir zu wenig kennen und beachten. Das ist der Grund so mancher gescheiter-ter Karriere, so mancher Eheprobleme, aber auch so mancher Depressio-nen oder gar völlig gescheiterter Existenzen. Wie also müssten Kinder erzogen werden, damit sie sich – dessen eingedenk – gegenüber den auf sie einwirkenden äussern Kräften besser verhalten könnten? Das ist die grosse Frage bei der Erziehung. Und wann muss eine solche beginnen? Was sollte in einem jungen Menschen zuerst gestärkt werden, und was ist zweitrangig? Wie tief solche Gedanken und Fragen gründen können, zeigen nicht nur die später herbeigezogenen Psychologen und Ärzte, sondern eben auch diese vorliegende Schrift. Doch – – lesen Sie selbst.

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ERZIEHUNG ALS HÖCHSTE KUNST
Und wo sie beginnen sollte!

Weil das Wort "Erziehung" den Begriff "Ziehen" in sich birgt, sollte eigentlich schon der Wortsinn alleine offen legen, worum es bei einer Erziehung geht; und das ist auch bei der heutzutage so sehr geforderten Erziehung zur Selbständigkeit nicht anders. Erziehen ist also immer ein Ziehen – und der Gezogene oder Zögling ist nicht selbständig, solange er gezogen wird. Wie also ist diese scheinbare Unvereinbarkeit zu lösen? Etwa so, wie sie heute versucht wird zu lösen, indem man den Zögling möglichst viel gewähren lässt, ihm dazu noch viele Spielsachen für Denkanstösse geben sollende Beschäftigungen zuweist? Wo das hin führt, das sehen wir ja eben in dieser Zeit, da die dergestalt Pseudoerzogenen gross geworden sind: Technisch verstehen solche Menschen zwar oft vieles. Aber ein tieferes Verständnis – insbesondere über das Wesen des Menschen und die verschiedenen Beziehungsmöglichkeiten der Menschen unter sich – haben sie absolut keines. Denn: Rücksicht zu nehmen liegt nicht im "Lehrplan" einer solchen Erziehung. Darum nehmen die derart Erzogenen nicht nur auf die Allgemeinheit – den Staat und seine Funktionstüchtigkeit – keine Rücksicht, sondern auch nicht auf ihre nächste Umgebung. Das verdeutlichen die vielen Ehescheidungen – trotz des späten Heiratsalters!! –, sowie der Umstand, dass kaum volljährig gewordene Kinder bereits eine eigene Wohnung suchen und zumeist auch schon haben. Ja, sie nehmen nicht einmal auf die eigene Person – ihren Leib – Rücksicht. Im Gegenteil: sie experimentieren mit extremen Sportarten, mit Drogen und mit Sex, bis sie – seelisch und oft auch gesundheitlich total hilfebedürftig geworden – mit ihrem Elend den andern zur Last fallen. Ja, selbst etwas besser Erzogene sind oft nicht fähig, die Forderungen ihres Körpers richtig einzuschätzen oder gar zu verstehen. Denn bei kleinsten Unstimmigkeiten im leiblichen Wohlbefinden brauchen sie die Hilfe des Arztes. Aber auch in allen weitern Fachgebieten brauchen sie bald einmal Sachbücher und viele weitere Informationen, weil sie nicht gewohnt sind, im Eingehen auf die Erscheinungen einer Sache auf den Grund zu kommen und dann von diesem Grunde aus viele weitere, ihrem eigenen innern Wesen angemessene Möglichkeiten zu entdecken. Sie können dann zwar mit einer solchen bloss äusseren Hilfe oftmals recht vieles dem Äusseren nach effektuieren, aber von einem eigentlichen tieferen Verstehen ist dabei nicht die Rede. Orientierung vom Grunde her und seelentiefe Entscheidungen zu fällen, aber auch eine innere, aus der Sache gewonnene Überzeugung liegt da nicht drin! Wie aber kann man auch so etwas als selbständig anpreisen?! Jeder Automat der Industrie arbeitet ja nach demselben Prinzip: Man stellt ihn auf die neue Art seiner Tätigkeit mit Hilfe der Gebrauchsanweisung ein, und schon ergreift er selbständig seine Arbeitsstücke, verarbeitet sie mit erstaunlicher Schnelligkeit und Präzision – oft sogar mit einer Nachkontrolle – und übertrifft mit seiner Arbeitsleistung scheinbar den besten Menschen. Scheinbar darum, weil ja eben erst der Mensch ihn programmiert hat, nachdem er ihn sogar zuvor schon hergestellt hat. Alles, was es braucht, ist ein gutes Computermodul und eine geeignete Programmierung. Das sind beim Menschen entsprechend: ein gutes Gedächtnis und ein geeignetes Fachbuch. Ist das Fachbuch wirklich sehr gut, so braucht es kaum Verstand, um die darin gegebenen Ratschläge in die Praxis umzusetzen – es ist ja alles bebildert –, sondern nur das gute Gedächtnis für all die Anleitungen. Aber eben gerade der sorgfältig gebildete und von aller Ich-Bezogenheit gereinigte Verstand wäre ja das selbständige Element im menschlichen Wesen, indem er alleine fähig ist, die tiefern Zusammenhänge und Gründe zu erkennen, zu beurteilen und zu verstehen, sodass der Mensch auch ohne Programmierung durch Fachbücher zu erstaunlichen Fertigkeiten im äussern Gelingen einer Arbeit kommen könnte und dabei überdies erst noch fähig würde, seine eigenen Gefühle zu erkennen und zu ordnen, sodass er sie – die Auswirkungen eines tatsächlichen innern Lebens – in seiner Ratlosigkeit ihnen gegenüber nicht unterbinden müsste, wie es heute bei den meisten Menschen üblich ist. Damit sei nichts gegen Fachbücher im Allgemeinen gesagt. Diese sollen ja eine Wissenschaft in ihren Prinzipien vermitteln, die sich der Arbeitende sonst mühsam und langwierig selber erwerben müsste. Eine Misslichkeit der Fachbücher liegt aber darin, dass sie stets nur zur Effektuierung äusserer Erscheinlichkeiten anleiten – und damit den Menschen auch beinahe dazu drängen –, ohne je auf den Sinn solcher Effektuierungen einzugehen. Denn es gibt so viele äussere Möglichkeiten und Tatsachen, die zwar bestehen, die aber dem Menschen weder in seinem persönlichen innern Weiterkommen, noch zur Bildung eines etwaigen äussern Reichtums nützlich sind, zu wissen. Diese alle zerstreuen also nur die Kraft seiner Liebe und seines Ernstes in alle Richtungen, sodass sich der Mensch in Bezug auf seine Bestimmung zu verlieren beginnt und dabei in seinem innern Wesen – das alleine den leiblichen Tod überdauern kann – verarmt, so sehr verarmt, dass er sich vor Fragen nach dem eigenen Grund und der eigenen Zukunft zu fürchten beginnt. Ja, so stark kann eine solche Zerstreuung wirken, dass der Mensch mit der Zeit so viel an eigener ihn einender Kraft verliert, dass er schwermütig und depressiv werden kann, weil seine geringe Kraft immer mehr in einem Missverhältnis zum Andrang äusseren Wissens zu stehen kommt.

Darum bedeuten Fachbücher, aber auch bloss fachliche Belehrungen durch den Erzieher, ohne Bezug auf ein erfülltes Leben – so sehr sie, nach dem Fach beurteilt, richtig sein mögen – während der Zeit einer Erziehung immer eine gewisse Gefahr, weil sie den Menschen sich entfremden machen, indem sie ihn vom eigenen Wesen abziehen und ihn stattdessen in die Unermesslichkeit äusserer Erscheinungen und Vorgänge verleiten, die mit der Ausgestaltung seines eigenen Wesens nichts zu tun haben und darum weder seinem Wesen nutzen, noch der Gemeinschaftlichkeit dienen, die er mit andern zusammen zur Beseligung seines Gemütes haben und pflegen sollte. Vielmehr verlieren sich die Menschen in dieser äussern Unermesslichkeit derart, dass sie darin ihr eigenes, inneres Wesen nicht mehr wahrzunehmen fähig sind und damit zur Beute oder zum Spielball fremder Interessen werden, weil sie keine eigene Schwerkraft, keine zielgerichtete Liebe mehr haben.

Mit einer solchen Pseudoerziehung zur Selbständigkeit durch blosses Gewährenlassen oder gar durch Anreiz zu äussern Experimenten ist es also nichts! Der Zögling wird dadurch ja auch nicht eigentlich gezogen oder erzogen, sondern gestossen – ja, förmlich hineingestossen in die äussere, seinem eigentlichen Wesen fremde Tätigkeit, und zwar ohne weitere Orientierung – durch die grosse Menge der Spielsachen bedingt. Wenn dann der so genannte "Erzieher" noch so dumm ist, dass er den durch all die vielen Beschäftigungsmöglichkeiten gewitzigten Zögling zu loben beginnt, wenn er eine technische, aber jeder menschlich Rücksicht nehmenden Dimension bare Leistung vollbracht hat, so zementiert er ja den bedenkenlosen Irrsinn seines Zöglings in äusserst gefährlicher Weise, weil er mit seiner Anerkennung ein tieferes Beurteilungsvermögen seines Zöglings – welches ihn ja erst zu einem wirklichen "Menschen" und damit verantwortungsvoll selbständig werden liesse – durch die Anstachelung des Ehrgeizes zuschütten hilft.

Wie also, und was soll denn bei einer Erziehung gezogen oder erzogen werden?

"Ziehen" müssen wir einzig das Leben oder die Liebekraft, die alleine ein Leben ausmacht, weil nur sie ein von allem andern geschiedenes, eigenes Leben ausmacht, und das zwar in eine harmonisch gefestigte Bahn einer stets weitern und grösseren Kraftentfaltung. Ebenso wie man Bäume zieht, indem man sie sich entwickeln lässt, das heisst, sie vor allzu derben Umwelteinflüssen bewahrt und dabei ihre Entwicklungsrichtung notfalls so lange korrigiert, bis sie sich in ihrer Kraftentfaltung harmonisiert und in einer brauchbaren Form konsolidiert haben, ebenso müssen wir auch das menschliche Innenleben, welches alleine den Tod überdauert und aus welchem alleine alle nützliche, äussere Tätigkeit hervorgehen kann, ziehen. Dabei müssen wir zuerst die innern Bedürfnisse wach werden lassen – sich in den Gefühlen aussprechen lassen, sie dann zu erkennen suchen und sie in eine höhere, das heisst allen und allem dienende Ordnung bringen. Eine Ordnung, wo das Individuelle auf das Allgemeine Rücksicht nimmt und die Allgemeinheit dabei so gestaltet wird, dass sie das Individuelle in seiner Entwicklung möglichst frei lässt, ihm jedoch durch die eigene Gestaltung einen leicht gangbaren Weg zu einer steten Vervollkommnung nahe bringt. Die Gefühle sind also Wirkungen aus der Kraft unserer Liebe. Wenn wir das auch nicht so leicht begreifen können, so können wir uns aber doch vorstellen, dass alles, was ein Mensch aus seiner Liebe heraus wünscht, eben durch ein in der Liebe entstandenes Gefühl heraus als wünschenswert wahrgenommen hat. Das heisst, dass empfunden wird, dass dieses oder jenes seine Liebe sättigen könnte. Umgekehrt aber können alle äussern Einflüsse – einschliesslich jener des eigenen Leibes – einer Verwirklichung der innerlich wahrgenommenen Wünsche entgegenstehen. Die Erfahrung von uns widerfahrenem Unrecht kann uns beispielsweise zur Vergeltung durch ebenfalls unrechtes Tun drängen, anstatt zur Einhaltung des Rechtes, wie es sich in unserem ursprünglichen Gefühl als richtig manifestiert hatte.  Oder der eigene grosse Hunger kann unsern ursprünglichen und ehrlich gefühlten Wunsch, dass alle Menschen satt werden mögen, stark relativieren, sobald einmal zu wenig Nahrung vorhanden ist. Die Wünsche reichen also beim noch im Leibe lebenden Menschen immer – wie die Äste eines Baumes – in die Allgemeinheit hinaus, weil wir Menschen ja alles Vorhandene teilen müssen. Da ist es dann Aufgabe des Erziehers, die Richtung dieser Wunsch- und Willensäste zu beurteilen. Jene, die durch die Schwere ihrer Masse den Stamm einmal entzwei reissen könnten, frühzeitig zurückzuschneiden; die sich kreuzenden zu entwirren und die allzu weit in die Nachbarschaft sich streckenden einzukürzen.

Wie und wo aber muss unser Ziehen oder Erziehen ansetzen? Aus dem Vorangegangenen können wir entnehmen, dass einzig die Liebe der Grund unserer Lebensentfaltung und damit auch unserer Entwicklung ist. Also lässt sich nur die Liebe ziehen oder zu jener Organisation ihres Wesens bringen, die dem Ganzen dient.

Dabei spielen die Gefühle dieser Liebe eine wichtige Rolle. Denn aus ihnen erkennt sie, was sie wirklich erfüllen und dadurch kräftigen kann. Die tiefsten Gefühle sind eher dem Lichte des Glaubens – das ein Ahnen der Liebe ist – folgend. Sie suchen Nahrung oder Kraft. Die äussern Gefühle folgen oder gründen eher im Lichte des Verstandes, welcher ein äusseres Begreifen ist. Sie suchen vor allem Ordnung.

Wo aber fände die Liebe eher Nahrung als in der Liebe selbst! Darum auch schlägt – entsprechend – schon der erste Keim einer werdenden Pflanze, wenn er dem Samenkorn entwächst, seinen ersten "Arm" in die Tiefe jenes Bodens, aus dem er schon als Same an seiner Vorpflanze ursprünglich hervorgegangen war. Erst sein zweiter "Arm" reckt er in die Höhe – dem äussern Lichte des Verstandes zu. Und im weitern Verlaufe entwickelt ein werdender Baum unterirdisch, das heisst im dunkeln, aber lebensfeuchten Boden eine ebenso ausgebildete (Wurzel-)"Krone" wie im Lichte die Krone seines Stammes. Dabei folgten die Wurzeln eher der durch die bisherige Erfahrung begründeten Ahnung in die Richtung vermehrter Nährkraft und Lebensfeuchtigkeit, wie entsprechend der Glaube beim ganzheitlich entwickelten Menschen sich der durch die bisherigen Führungen erahnten Fürsorge Gottes hingibt und sich durch sein Volltrauen endlich ganz darin verwurzelt. Und die Äste der Krone ordneten sich nach dem nach unbestechlichen Gesetzen sich ausbreitenden Lichte, wie entsprechend der Verstand des Menschen sich in den klar erkannten Wirkungen aus den verschiedenen Ursachen sich ordnet und entwickelt. Dergestalt entwickelt sich aus dem Liebelicht des Glaubens und der klaren Erkenntnis des Verstandes erst ein ganzer Mensch, wie anderseits aus der nährenden Feuchtigkeit und dem wärmenden Lichte sich ein Baum entwickelt. Auch beim Menschen ist zuerst alles nur Glaube, wie beim Baum der erste "Arm" nur Wurzel ist. Denn der Verstand muss sich bei einem Kinde ja zuerst aus den mannigfachen Erfahrungen seiner sich im Äussern ausbreitenden Liebe entwickeln können. Schiesst dabei seine Liebekraft aber zu sehr und zu schnell in die äussern Dinge, so gleicht der Mensch einem Baume mit zwar starker Krone, aber schwacher Wurzel. Für einen Laien zwar ein wundervoller Baum, für den fachkundigen Gärtner aber ein Baum mit grossem Risiko und nur kleiner Chance. Denn grosse Stürme, aber auch schon trockene Sommer bedeuten für einen solchen Baum den Tod. Darum gehört es zur Kunst des Erziehers, die vorzüglichere Entwicklung eines Kindes zuerst in die Tiefe seines eigenen Grundes zu lenken und es darin mit ihm stark verbunden werden zu lassen und es dann erst aus der Kraft dieser Verbindung auch im Äussern zunehmen zu lassen. Wie das in der frühesten Kindheit so ganz einfach und natürlich vor sich gehen kann, erleben wir schon bei den ersten Erfolgen einer anfänglich bloss äussern Kindererziehung:

Da entfernt sich zum Beispiel eine Mutter ("von ihrem kaum erst stehen gelernt habenden Kinde auf einen oder zwei Schritte und lockt es wieder zu sich mit den Worten: "Komme doch, komme – – –, komme her zu mir!" Und das Glück beider – des Kindes, wie der Mutter ist gross, wenn der erste Schritt gelingt.

Das ist das rechte Ziehen: Ein Ziehen mit der Liebe durch die Liebe auf die Liebe zu. Ein Ziehen zur Einheit, zur Ergänzung, zum andern – zum Leben im andern. Das stärkt erst so recht das eigene Leben, weil es zur Bewusstwerdung der Wünsche, aber auch der Möglichkeiten führt, die in jedem Menschen ruhen. Das Kind erfährt die Entfernung der Mutter – wie es sie übrigens im Stubenwagen schon unzählige Male erfahren hatte –, aber nun mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, selber etwas dazu zu tun, das Begehrte oder das "Anziehende" – die Mutter – zu erreichen.

Aber nebst dem Zug und der Liebe zur Mutter besteht durch die Neugierde der Kinder immer auch die Gier oder der Zug nach Neuem, Fremdem, weil ihm ja im Anfange seines äussern Lebens alles fremd war – sogar seine Mutter – und ihm vieles anfänglich Fremdes jetzt wohl tut. Dieser Zug ist der gefährlichste, so notwendig er andererseits zum Bestehen dieses irdischen Lebens ist. Denn das Neue und das Fremde in dieser äussern Welt ist zumeist ausserhalb der menschlichen und darum liebelebendig gefühlten Sphäre. Es besteht vor allem in Dingen, die durch ihre Form und Farbe, aber später auch durch eigene, selbständige Bewegung (Fahrzeuge, Maschinen) an-"ziehend" wirken. Das Kind will sie überdies vorerst nur bloss erfahren – und nicht wirklich auf sie eingehen. "Konsumieren", "Sich-Einverleiben" müssten wir im heutigen Sprachgebrauch sagen. Aber damit verliert der junge, heranwachsende Mensch ja eben das Verhältnis zu sich selber, zu seinen ursprünglichen Grundbedürfnissen und damit auch zur eigenen innern Vielfalt an Gefühlen und sich bildenden Vorstellungen aus diesen Gefühlen heraus und dadurch dann auch zum Leben der Gefühle in den andern, weil er nicht Zeit noch Lust hat, auf sich selber einzugehen und alle seine Gefühle, die es zu erkennen und zu ergründen gälte, zu ordnen. Er wird dadurch isoliert von sich selber, eben durch die Dinge ausserhalb von ihm. Und die Dummheit der Mütter und Väter unterstützt ihn dabei noch, indem sie ihm nicht nur alles hertragen und für ihn kaufen, was er begehrt, sondern ihn sogar schon in seiner allerzartesten Kindheit auf alles aufmerksam machen, was er etwa noch nicht gesehen oder wahrgenommen hat, und damit seine Auskundschaftung der innern Wirkungen, die alle Eindrücke auf ihn machen, unterbinden, stören und am Ende gar verunmöglichen, sodass er sie nicht mehr durchschauen kann und er sie später dann auch nicht nutzen kann, obwohl sie ihn – weil dennoch unerkannt vorhanden – zu drücken und zu plagen beginnen.

So spaziert etwa eine Mutter – und dass sie spaziert, statt Auto fährt, wäre schon eine positiv zu verzeichnende Tatsache – mit ihrem kleinen Kinde im Kinderwagen durch die Strassen. Aber sie zeigt ihm dabei immer neue Dinge, anstatt dass sie es sich auf irgendetwas konzentrieren lässt: zum Beispiel auf den Gang der Wolken, den Flug der Vögel, das Spiel der Blätter im Winde etc. Sie sagt eher: "Siehst du das Auto? Sieh, dort kommt ein Velo! Da kommt das Tram! Das ist ein Bus. Dort stehen Leute" (nicht Menschen, denn Menschen wären dem Kinde verwandte Wesen. Leute hingegen sind Personen; durch ihren Leib bedingt: auch "Sachen").

Das alles gleicht eher einem Stossen auf etwas, auf etwas Neues, anstatt einem Ziehen in die Tiefe seiner Gefühle und die Weite seiner innern Wahrnehmung, wie es die Vorgänge in der äussern Natur im menschlichen Gemüt – auch im Gemüt eines kleinsten Kindes – zu tun vermögen. Wie viel schöner wäre es doch, Mutter und Kind gäben sich also einer vertieften gemeinsamen Betrachtung und vor allem auch vertieften Empfindung hin. Eben zum Beispiel dem Zug der Wolken oder dem Spiel der Blätter im Winde.

Wenn das Kind dann auf eine Wolke oder die sich bewegenden Blätter zeigen würde, so könnte die Mutter dieser Erscheinung immer noch einen Namen geben und sagen, dass das Wolken sind, dass sie von weit, weit her kommen, und dass sie der Wind immer weiter fortschiebe, ganz weit, weit weg. Oder: dass der Wind die Blätter bewege. Wenn das kleine Kind dann versucht "Wind" zu sagen, bestätigt ihm die Mutter das Wort, indem sie es wiederholt und ihr Kind dabei sanft und liebevoll anbläst und das Wort nochmals wiederholt: "Wind". Das Kindlein lacht dabei vielleicht vor Erregung und beginnt zu strampeln und versucht vergnügt das Wort "Wind" zu lallen. Harmlos, ja fast romantisch verträumt klingen solche "Gespräche", und es erscheinen solche Episoden der Erziehung darum dem heutigen so nach aussen orientierten Menschen als veraltet. Und dennoch sind sie von kaum erfassbarer Wichtigkeit, weil sie – so einfach sie sich anhören – unendlich tiefe Weisheiten enthalten. Um das etwas zu verdeutlichen, können wir uns überlegen, dass auch wir erwachsenen Menschen in unserem Gemüte oftmals einen Zug – dem Winde gleich – wahrnehmen, der all unsere bisherigen Gedanken aufs neue aufzuwirbeln und zu bewegen beginnt, sodass wir ihrer wieder vermehrt bewusst werden – wie dem Betrachter der äussern Natur die Blätter der Bäume ebenfalls erst dann als solche aufzufallen beginnen, wenn sie vom Winde bewegt werden, wie es beispielsweise beim Laub der Espe der Fall ist. Vorher gehörten sie einfach bloss zum vollständigen Bilde eines Baumes. Und dabei wissen wir  oftmals ebenfalls nicht, von wannen dieser Zug in unserm Gemüte kommt, und wohin er uns treiben will oder gar wider unsern Willen zu treiben fähig ist. Wir spüren, dass "andere Mächte" in das Landschaftsbild unseres sonstigen Wesens einzugreifen vermögen und dass wir darum noch lange nicht alle Gewalt über unser eigenes Wesen erlangt haben. Wir spüren, dass wir all unserer entgegen gesetzten Anstrengung zum Trotz nur Teil eines Ganzen sind und immer noch nicht wissen, was das Ganze eigentlich ist und was es will. Wohl freuen wir uns, wenn solche Züge oder Gemütswinde unser inneres Leben wieder etwas auffrischen; aber wir kennen auch den stürmischen Charakter all solcher Züge, wenn sie heftig werden. Wohl schützen uns Gedanken der Hoffnung und des Glaubens ebenso vor allzu grossem Schaden durch den Sturm, wie die Bäume und Wälder helfen, die Heftigkeit eines natürlichen Sturmes etwas zu mildern, oder wie ein fest gefügter Wille zu Gutem uns vor einem Gemütssturme ebenso schützt wie die sichern Wände eines solide erbauten Hauses. Das alles hilft uns Menschen, uns wieder in gerechter Relation zum Ganzen zu sehen und uns dabei auch wieder einmal Gedanken über das "Ganze" zu machen. Ist es einfacher Zufall – oder doch eher eine fest geordnete Schöpfung eines grossen und umfassenden Geistes, eine Schöpfung Gottes? Und wenn ja, wie sind wir damit verbunden? Können wir Hilfe erlangen, und wie? Wie müssen wir uns verhalten, um in diesem "Ganzen" dennoch gehalten oder sogar behütet zu sein? – – Wie muss sich denn ein Kleinkind verhalten, wenn es spürt, dass äussere Einflüsse sein Gemüt zu beengen beginnen? Muss es nicht das Antlitz seiner ihm bekannten und von ihm geliebten Mutter suchen! Wie gut, wenn es sich dieses Antlitz in guten, schönen Zeiten gemerkt hat, damit es durch seinen Anblick in der Not gehalten wird. Ebenso fühlen sich Menschen im Sturme persönlicher Not gehalten, wenn sie sich schon in der früheren, noch sorgloseren Jugendzeit diesem Antlitz des "Ganzen" des Schöpfers hingegeben haben durch ein Suchen nach ihm und durch den innigen Wunsch seiner steten Nähe.

Gewiss, manch einem mögen solche Gedanken fremd sein oder wenigstens neu erscheinen, so heimatlich er sie vielleicht auch zu empfinden vermag. Aber all diesen muss doch dabei aufgehen, dass sie über solche heimatlich anmutenden Dinge trotz ihres Empfindens offenbar noch zu wenig nachgedacht haben, wenn sie ihnen als Aussage nun neu erscheinen – vielleicht weil sie sich in der Abwechslung des Weltgeschehens und seiner Zeit bisher zu sehr verloren haben. Denn all diese innern Erscheinungen in unserer Gemütslandschaft gibt es ja offenbar, und zwar spürbar, auch. Wer dabei seine anfänglichen Vermutungen oder gar seinen Glauben ernsthaft geprüft hat, weil er ihm als einer genaueren Prüfung wert vorgekommen ist, und dann seinem Glauben nach gelebt und die Wirkungen davon sorgfältig und umsichtig geprüft hat, wird wissen und kennen, wovon hier die Rede ist. Er wird auch erfahren haben, was alles dem Menschen möglich ist, das allerdings nur, sofern er sich nicht selbstgefällig dieser Arbeit entledigen wollte, oder sich über andere oder sogar über das "Ganze" erhoben hat.

Und das alles liegt schon in den einfachen Worten, die eine Mutter zu ihrem Kinde sprechen mag! Ja, es liegt selbst dann darin, wenn sich die Mutter dessen gar nicht recht bewusst wird. Denn der von ihm bewusst erfahrene "Wind" ist jedem Kinde bereits ein solcher Teil des "Ganzen", welchen es nicht begreift und der es deshalb spüren lässt, dass über ihm und um es herum noch andere Kräfte wirksam sind, die es zwar (noch) nicht verstehen, sehr wohl aber spüren kann. Es wird durch das mangelnde Verstehen, wenn vor-erst auch nur in seinem Gefühle, angeregt, sich mit diesem "Ganzen" zu beschäftigen und sich weniger auf bloss einen Teil davon (zum Beispiel auf ein Fahrzeug) zu konzentrieren, welches ihm in seinen innersten Gefühlen immer mehr oder weniger fremd bleiben wird – selbst dann, wenn es seinen Sinn dann später einmal einzusehen beginnt. Denn es wird dann fühlen, dass man mit einem noch so vollendeten Fahrzeug, wie gestaltet es dann auch sein mag, weder dem Kummer, noch dem Schmerz und noch weniger dem leiblichen Tode davonfahren kann und dass es also dabei bleiben wird, dass es selber trotz aller Technik immer nur ein Teil des "Ganzen" bleibt, dass es aber wertvoll ist, sich mit dem Wesen dieses "Ganzen" auseinander zu setzen, damit es seinen Teil von ihm zu seiner Seligkeit einmal erhalten kann.

Wer diesen Sinn nur ein wenig zu erwägen vermag und dessen Realität wenigstens zu ahnen beginnt, der wird verstehen, dass das richtige Erziehen – die Erziehung – eine so grosse und den ganzen Menschen fordernde Tätigkeit ist, dass daneben eine berufstätige – also im heutigen Sinne emanzipierte – Frau zur puren Hilfsarbeiterin wird; selbst dann, wenn sie einen ganzen Betrieb führen würde. Denn: was nützen dem Menschen Betriebe, welche dasjenige betreiben oder herstellen, was den Menschen in seiner Ganzheit zerstört, statt ihn vervollkommnet?!! Und welche Betriebe tun das nicht? Zweifach sogar!! Erstens durch die Monotonie ihrer anfallenden Arbeit und zweitens – und viel wichtiger – durch ihre Produkte, die alle mehr oder weniger dem nicht lebensnotwendigen Teil des Äussersten dienen, jenem Äussersten vom Äussern, das die Menschen durch Vergnügungen bloss ablenkt von ihrer innern Bildung und Vervollkommnung – ohne ihnen in ihrem äussern Fortkommen notwendig oder wenigstens dienlich zu sein.

Was also könnte eine berufstätige Frau noch Vorzüglicheres tun, als es eine auf das innere Wesen des Kindes eingehende Mutter tut?!! Denn: durch das Eingehen auf die Gefühle des Kindes bestätigt sie ihm, dass seine Gefühle als gravierender Teil seines Lebens wichtig sind. Sie kann ihm helfen, sie zu ordnen, damit sie brauchbar werden zu einer innern wie äussern gedeihlichen Entwicklung; nicht dass sie später im grossen Druck ihrer noch ungeordneten Menge und ihrer bisher unverstandenen Bedeutung die Seele erlahmen machen und im Umgang mit ihrem eigenen Selbst blockieren.

Aus diesen erklärenden Nebenbetrachtungen geht allerdings für einen Verständigen überaus klar hervor, dass das wirkliche und grundsätzliche Erziehen noch zu einem viel früheren Zeitpunkt beginnen muss. Denn Gefühle haben schon eintägige Säuglinge. Und diese werden uns durch ihr Schreien offenbar. Schon gleich nach der Geburt fängt der neue Erdenbürger gewöhnlich an zu schreien, weil er seine bisherige behaglich warme Umgebung durch einen ziemlich unbequemen und beengenden Gang verlassen musste  (ähnlich dem Erlebnis beim Sterben – also bei der Loslösung der Seele von ihrem Leibe –, wie sie uns, oder den sie befragenden Ärzten, von vielen reanimierten (med. wiederbelebten) Verstorbenen geschildert wird.) Allerdings empfinden bei beiden "Geburtsvorgängen" – jenem in die materielle Welt und jenem in die geistige Welt – nicht alle Menschen oder Seelen dieselben Gefühle, weil dabei auch nicht alle in gleichem Masse wach und damit für äussere Eindrücke empfänglich sind. So kommt es oft vor, dass Neugeborene bei ihrer Geburt nicht in einem solchen Masse wach geworden sind, dass sie den neu empfundenen und darum noch völlig ungewohnten Zustand lauthals reklamieren würden. Darum werden Neugeborene, die durch den Geburts-vorgang nicht von selber erwacht sind, extra noch durch Streiche auf ihren Hinterteil "geweckt", damit sie durch ihr schreiendes Reklamieren einmal ihre Lungen mit Luft füllen und damit zu ihrer ersten Tätigkeit in ihrer neuen Lebenssituation angeregt werden.  Und eine solche Situation bei der leiblichen Geburt ist allerdings alles andere als komfortabel – wie, umgekehrt, auch bei der Scheidung der Seele von ihrem Leib für die empfindende Seele dadurch eine unangenehme Situation entstehen kann, dass sich eine in ihrer Willenskonsistenz zu wenig gefestigte Seele plötzlich aller äussern (leiblich) gewohnten Umgebung und Sicherheit enthoben fühlt. Bei der leiblichen Geburt hingegen ist es ein nach und nach sich Bewusstwerden durch das Gefühl, wie eingepfercht die Seele nun in ihrem Fleische, ihrem Körper, steckt. Wie kaltgestellt und verlassen muss sie sich da vorkommen! Seelisch-sinnlich stark empfindende und darum mitleidige Eltern bieten darum alles auf, ihren Säugling seine neue Situation ja nicht allzu krass spüren zu lassen. Bei geringsten Anzeichen eines Unwohlseins eilen sie auf den Neuankömmling zu, herzen und wiegen ihn – manchmal ohne seine Situation dadurch verbessern zu können (zum Beispiel bei Verdauungsschwierigkeiten). Aber eines vermitteln solche Eltern mit ihrer Handlungsweise dem schnell einmal wacher und aufmerksamer werdenden Kinde: Dass es nur zu schreien beginnen muss, und schon wird es mit Aufmerksamkeit und Zärtlichkeiten bedient und umsorgt. Und das ist eine völlig verkehrte Art der ersten Erziehung. Denn ein Kind (oder die neu in einen Körper eingelegte Seele) sollte möglichst bald erkennen, wie beengend ihr Körper – im Gegensatz zu ihrem vorherigen körperfreien Sein – sie umschliesst, damit sie später ja nicht so schnell in Versuchung geraten kann, in der Perfektion des Äusseren ihr Heil zu suchen. Denn darin kann kein Heil liegen, schon darum nicht, weil das Äussere für sie kein bleibender Zustand ist, weil dieser ja mit der späteren Scheidung der Seele von ihrem Leib wieder aufgehoben wird. Eltern, die eher wachen Geistes sind, als zu einseitig seelisch empfindend, werden beim Schreien ihres neu angekommenen Kindes wohl auch etwas besorgt, aber vom Säugling so unbemerkt als möglich, ihr Kind beobachten und sich fragen, was ihm wohl fehle. Aber sie wollen auch, dass sich ihr Kind seiner neuen Situation schnell einmal, sie empfindend, bewusst wird und sich ihr anpassen lernt. Sind also blosse "Unpässlichkeiten" der Grund seines Schreiens, so werden sie es eine geraume Zeit hin weiter schreien lassen. Stellt es sich heraus, dass es körperliche Probleme sein könnten, so werden sie erst dann – aber ohne zuviel sichtbare Anteilnahme – versuchen, seine Lage zu verbessern (z.B. durch ein Aufnehmen, um dadurch ein besseres Aufstossen der Luft zu ermöglichen; oder sie werden es durch Wickeln von einem allzu säuerlich und scharf wirkenden Durchfallergebnis befreien.) Sie werden wohl auch einige Worte mit ihm reden, aber es dann wieder zur Ruhe legen.

Durch eine solche Handlungsweise erfährt das Kind schon in seiner frühesten Zeit – obwohl sich dessen nicht bewusst werdend –, dass das Sein in diesem Leibe zwei Seiten hat: eine angenehme (beim Spielen und Kosen mit seinen Eltern) und eine unangenehme (beim ungewohnten und darum manchmal auch harzigen Umgang mit seinen innern Leibesorganen, zum Beispiel jenen der Verdauung). Es wird sich bald daran gewöhnen, auf die unangenehmen nicht allzu sehr einzugehen und die angenehmen dankbar zu nutzen. Es wird erfahren, dass es zwar immer eine längere Zeit sich alleine überlassen bleibt, dass aber zu Zeiten seiner Nöte dann schon Beistand und Hilfe kommt – genau gleich, wie es auch im Leben gläubiger Menschen immer wieder von oben her der wohl-erfahrbare Fall ist. Auf alle Fälle entwickelt es durch eine solche Erziehung bedingt eher eine Gelassenheit und Nüchternheit seinen äussern Bedingungen gegenüber, weil es keinen Grund hat, diese zu überbewerten – ganz im Gegensatz zum verwöhnten Säugling, der sich für alle empfundenen Unpässlichkeiten von aussen her (durch seine Eltern) möglichst königlich entschädigen lässt und der dadurch versucht ist, sich auch in seinem spätern Leben von seiner Umgebung als Entschädigung für alle Unannehmlichkeiten des Lebens bedienen zu lassen; von ihr Anteilnahme zu fordern, ohne je zu merken, dass auch die Anteilnehmenden denselben Grund hätten, von ihm zu fordern. Hat ein solcher Mensch später genügend Geld, so wird er das "Gewünschte" einkaufen. Lassen sich die Menschen aber nicht dafür kaufen, so ist es mindestens die Technik, die ihn wohl schon in seiner spätern Jünglingszeit durch immer raffiniertere Spielzeuge entschädigen helfen muss. Durch solche Erziehungsfehler, aus der Schwäche der Eltern rührend, entwickelte sich beim heutigen Stand der Technik dann die heutige Überflussgesellschaft, die all ihr Heil nur im Äusseren sucht, die aber keiner innern, geistigen – nicht verstandesmässigen – Entwicklung mehr fähig ist; deren Glieder keine eigene Anteilnahme mehr kennen, sondern nur noch eine technisch mögliche Kompensation.

Wie real dagegen empfindet doch ein vernünftig erzogener Mensch das Äussere, das ihn schon in seiner Kindheit nicht überzeugend befriedigen konnte. Er weiss mit der Zeit auch, wie die für ihren Dienst bezahlten Fachleute, anstatt an den Dienst, nur an sich selber denken und alle Arbeit nur nach den ihnen selber dienenden Gesichtspunkten einrichten und ausführen – und sich dabei nicht an der Tauglichkeit ihrer Arbeit für den Auftraggeber orientieren, der sie dafür ja bezahlen muss. Er weiss, wie beispielsweise Ärzten oder Krankenpflegerinnen mit ihm umgehen würden, wenn er sich, seiner jenseitigen väterlichen Hilfe etwas vergessend, in ihre Hände begeben müsste. Bei Routinefällen liefe zwar alles glatt. Sobald aber etwas ungewöhnlichere Umstände der Grund einer Konsultation wären, könnte er erfahren, mit welcher Leichtfertigkeit über seine Gebrechen geurteilt würde und wie nutzlos oder gar verkehrt darum auch viele Behandlungen sein würden, bis endlich einmal einer – mehr zufällig erlebter ähnlicher Fälle wegen, als ernsthafter Anstrengungen halber – das wahre Übel erkennen würde. Die meisten Ärzte, die ihren Patienten nicht zu helfen vermögen, schlafen nämlich im Allgemeinen dennoch gut. Auch sie sind normalerweise Menschen, die eher Worte und Begriffe als Tatsachen ansehen, und weniger die Erscheinungen des Lebens selber, und noch weniger werden sie ein durch das Gefühl empfundenes Leben als etwas Ernstzunehmendes, Reelles betrachten, das es zu erhalten und zu festigen gilt. Darum wird ein Arzt – wie schon vorgekommen – einen alten Mann mit einem Brustkrebs nicht ernst oder für voll nehmen, weil ja Männer keinen Brustkrebs bekommen – wenigstens seiner nach allgemeinen Begriffen gebildeten Meinung nach nicht. Dabei müsste er doch aus den Beipackzetteln einiger Entwässerungsmittel wissen, dass sie Brustkrebs erzeugen können. Nun allerdings, da mittlerweile bekannt geworden ist, dass auch Männer zunehmend an Brustkrebs leiden können, braucht es wieder Forschungsprogramme, um die Gründe dafür zu finden. Dabei ist ja aus vielen andern Fällen von Nebenwirkungen der Medikamente bekannt, dass die meisten neuen Krankheitsformen vor allem von den Medizinen hervorgerufen werden, wie zum Beispiel Diabetes von Herzmitteln und Entwässerungsmittel sowie von Cortison; Hirnschläge bei jungen Frauen, besonders während einer Schwangerschaft, von der in vorheriger Zeit eingenommenen Antibabypille etc. Solche Fehlentwicklungen resultieren in ihrem tiefsten Grunde alle aus einer grundlegend falschen Erziehung, die schon in den ersten Tagen nach der Geburt beginnt und dann, wie bisher aufgezeigt, konsequent weiterverfolgt und weiterentwickelt wird bis zu diesem elenden Resultat. Zu der bisher beschriebenen Überbetonung äusserer Dinge kommt später noch das bewusste Kitzeln und Fördern der Ehrgeizgefühle ihrer Kinder um vor der (äussern) Welt ein möglichst glänzendes Bild von ihrer Kunst zu erhalten, weil ehrgeizige immer nur äussere Ziele verfolgen können. Denn innere Stärken und Vervollkommnungen werden ja von gewöhnlichen Menschen nicht wahrgenommen und bringen daher auch keine Ehrung – wohl aber mithin sehr innig gefühlte Seligkeiten. Denn alleine das Leben, sowie das lebendige Erkennen – nicht das blosse Wissen – befriedigen und erfüllen das Gemüt und ermöglichen ein inneres Fortschreiten und ein stets helleres Erkennen der realen, weil bleibenden Wirklichkeiten und Möglichkeiten einer Seele. Und einen solchen Zustand erreichen wir Menschen nur, wenn wir den Verstand lediglich zum Erkennen des tiefern Grundes unserer Gefühle und zum Ordnen unseres Gemütslebens verwenden, welches dann eben über die Gefühle und Empfindungen sich stets weiterentwickeln und sein Leben vertiefen und festigen kann bis hinein in die jenseitige – aber dann ganz eigene und dafür auch bleibende – Welt (oder Sphäre, wie man auch sagen kann).

Denn nur die Gefühle sind und bleiben mit unserem Leben verbunden – nebst den aus ihnen hervorgegangenen Taten –, wenn wir einmal die Welt verlassen – und nicht etwa die materiellen Dinge selbst. Diese Feststellung tönt in den Ohren moderner Menschen zwar sehr schön und fromm und damit veraltet und vor allem auch unbeweisbar und deshalb wohl auch überflüssig. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der innere Reichtum einer inneren Wahrnehmungen durch unsere Gefühle auch schon im diesirdischen Leben hilft, äussere Enttäuschungen sowie auch den Druck äusserer Armut oder leiblich bedingter Depressionen beträchtlich zu mildern. Sicher ist es – als Beleg dafür – schon jedem einmal begegnet dass er während einer regen gedanklichen Tätigkeit das Gefühl eines sonnigen Tages empfunden hatte, bis er plötzlich überrascht feststellen musste, dass es eigentlich draussen ein trüber Tag ist. Solche oder ähnliche Erlebnisse müssten uns bewusst werden lassen, dass sich die wahre, weil eigene Sonne im Innern eines jeden Menschen befinden muss, weil er diese, im Gegensatz zur natürlichen Sonne, durch die Art seiner Tätigkeit zum für ihn wirksamen Scheinen oder Leuchten bringen kann. Das alles gehört zum innern Reichtum, zu welchem einem Menschen mit der richtigen Erziehung ein realer, weil erfahrbarer Zugang verschafft werden kann.

Und zudem ist noch eine ganz andere Perspektive ins Auge zu fassen:  Mit unbehauenen, spröden und rissigen Steinklötzen lässt sich kein komfortables Haus bauen und mit in sich selber verklemmten, unausgereiften oder gar in ihrer Materialität zerfallenden und versandenden Menschen keinen gut funktionierenden Staat errichten! Der Mensch muss also nicht einmal an ein Weiterleben nach dem Tode denken – so sehr dieses für den Einsichtigen auch auf der Hand liegt –, sondern nur an den Aufbau einer ordentlichen Gesellschaft, in welcher es allen ihren Gliedern wenigstens einigermassen wohl ergehen kann, so sieht er auf den ersten Blick, dass ihm dabei mit rohen (Menschen-)klötzen nur schlecht gedient ist. Es lassen sich zwar Häuser auch mit Bruchsteinen bauen. Aber sie sind weder stabil (bei Erdbeben = Unruhen des Volkes), noch gemütlich, weil die Kälte (entsprechend der äusseren Selbstsucht der einzelnen Menschen oder Einwohner eines Staates) durch eine solche mit schlechten Steinen errichtete Wand (= die den Staat tragende Beamtenschaft, das Rechtssystem) nicht vom innern Liebeleben, welches das staatliche Haus eigentlich erfüllen sollte, getrennt oder isoliert werden kann.

Viel sinnvoller wäre es, für den Bau eines Hauses Steine herzustellen, die in ihrer ursprünglichen Weichheit (als ungebrannter Ton – entsprechend dem anfänglich noch willenlosen Zustand des Kleinkindes) auch richtig und zweckentsprechend zu formen sind. Das heisst, dass wir ihnen eine gerade und klare und nach dem rechten Winkel ausgerichtete Form geben (wie dem werdenden Menschen eine klare, dem "Ganzen" entsprechende Grundlage), und indem wir ihnen zusätzlich (wie beim Backstein üblich) in ihrem Innern senkrechte und von Materie freie Kanäle formen, deren Anordnung und Anzahl verhindern, dass die äussere Kälte (dem puren Verstandeswissen entsprechend) sie nicht so direkt durchdringen kann, sodass weder sie selbst, noch das Haus (der Staat), das mit ihnen aufgebaut wird, von einer allzu lebens-feindlichen, Kälte durchdrungen werden können. Geradeso muss auch der Mensch durch den Zug der Liebe zum Höheren in sich senkrecht ausgerichtete Freiräume schaffen, durch welche der Druck äusserer, kalter Verstandesberechnung nicht ins Gemüt des Einzelnen, wie auch nicht in eine staatliche Gesellschaft eindringen kann. Zudem gleicht der lebendige Mensch aber nicht nur etwa bloss einem Stein im Gebäude der Gesellschaft, sondern gleicht eher noch der Zelle eines starken Stammes, welche die von unten aufsteigenden noch etwas grobstofflichen Säfte filternd über die nächst höheren Zellen weitergibt an die Krone des Baumes zur Bildung einer süssen Frucht.

Wie aber lassen sich aus Menschen solche Bausteine oder Zellen für eine geordnete Gesellschaftsstruktur und -entwicklung erzielen? Diese gewünschten Wesenszüge verankert eben eine Mutter in dem vom Leben noch nicht hartgebrannten und darum noch kindlich-aufnahmefähigen Gemüt ihres Zöglings; unter anderem mit so einfachen Begriffserlebnissen und so wenig Worten, wie anfangs beschrieben. Ist das nicht tiefe Weisheit – wenigstens dann, wenn es bewusst geschehen ist?! Wäre es jedoch nicht auch dann das Beste und Nützlichste, wenn es "nur" aus dem stets heller werdenden Ahnen inniger Liebe geschehen wäre?!!

Da eben beginnen wir zu begreifen, wie unendlich gross und erhaben der Beruf einer Mutter – verglichen mit sämtlichen andern Berufen – ist. Nur müssen wir jetzt noch verstehen lernen, welche Weisheiten in den ganz einfachen und natürlich klingenden Aussagen der vorher geschilderten Mutter liegen, und wie sie  wenn auch unausgesprochen – auf das Kind wirken können:

Bei den Wolken erzählt die Mutter ihrem ihr lauschenden Kinde, wo die Wolken herkommen und wo sie hingehen. Dabei ist es zu-nächst nicht einmal so sehr wichtig, was sie da aussagt, als dass sie etwas aussagt. Dass sie mit andern Worten einen Inhalt, einen grösseren Zusammenhang vermittelt, der über die Benennung des äussern Dinges, der Erscheinlichkeit, eben der Wolke, hinausgeht. Denn so einfach und primitiv auch noch der Verstand eines noch so kleinen Kindes ist, so ausgeprägt und tief – wenn auch vorerst noch unbewusst – ist anderseits sein gemüthaftes Erfassen. Denn mit seinem Gemüte erfasst schon das kleinste Kind das Wesen seines Erziehers, weshalb schon die kleinsten Kinder fähig sind, ihre ungeschickten Erzieher hinters Licht zu führen, sodass sie am Ende selbst zu "Erziehern" (oder Despoten) ihrer erwachsenen Betreuer werden können.

Das kleine Kind begreift bei der Rede seiner Mutter, dass hinter den Wolken mehr ist oder mehr verborgen liegt, als ihre äussere Form verraten würde; dass es weite und tiefe Gründe sind – welche es noch lange nicht erfassen kann –, die ihr Entstehen, Bestehen und ihren Gang bedingen. Es widmet ihnen darum in seinen Gefühlen mehr Zeit und Aufmerksamkeit als bei blosser Benennung einer Sache, und es hört dabei seiner Mutter auch zu; es leiht ihr Zeit und Aufmerksamkeit – eine Fähigkeit, die den meisten Menschen abgeht und durch deren Fehlen sie innerlich verarmen. Es gibt sich ihr – und der besprochenen Sache – hin. Es zieht sie nicht zu seinem noch unausgereiften Verstand herunter und will sie nicht mit einem Worte – mit einem unverstandenen Worte – dingfest machen. Zu wenig bedeuten ihm noch Worte! Es konsumiert nicht, sondern es dient mit seiner Aufmerksamkeit seinem Verständnis und kommt dabei der Liebe und der Sichtweise seiner Mutter näher als ihrem Verstande.

Dabei empfindet es aber dann auch lebenstief, dass die Dinge der Schöpfung grösser sind als sein Verständnis und damit auch – wennschon unbewusst –; dass Gottes Wege höher sind als unsere Vernunft. Es lernt aber auch durch eben seine Empfindungen während des Gespräches seiner Mutter, dass diese Tatsache – dass es Dinge gibt, die über dem Menschen stehen –, kein Grund zur Trauer sein müssen, sondern dass es durch sie sogar belebt wird, indem ihm Gelegenheit wird, die Liebe und Zuwendung seiner Mutter zu erfahren.

Diese mütterliche Zuwendung darf jedoch nicht bloss ihrem Kinde alleine gelten – und das ist sehr wichtig –, sondern muss eine vermittelnde Zuwendung mit dem Ziel sein, das Kind für das Höhere zu öffnen und es ihm dadurch zugänglich zu machen, dass ihm das Höhere durch die Erklärungen vorerst als überhaupt existent begreiflich gemacht wird und durch seine Erwähnung im Kind die Lust geweckt wird, sich ihm zuzuwenden. Wäre das Höhere nicht existent, so genügte ja die Benennung der Wolke mit ihrem Namen. Aber wie wenig hätten wir Menschen damit gewonnen?! Denn nur, was der Mensch fühlt, geht tief, sehr tief in ihn ein. Alles, was er fühlt und nicht versteht, beschäftigt ihn und belebt ihn dadurch und erfüllt auch sein Gemüt mit tätigkeitsvoller Wärme. Wer aber nur etwas weiss – den blossen Namen –, der hat nichts, nichts zum weitern innern Leben und damit auch nichts zur weitern Entwicklung seines Wesens. Und darum ist es in der Praxis so, dass ein solcherart erzogenes Kind um vieles weiss, von dem es zwar später nicht sagen kann woher, dass es aber lebenstief überzeugt ist von der Existenz dessen, was es noch nicht so genau weiss und sich deshalb später auch – allen Verführungen durch blosse Äusserlichkeit zum Trotz – vor allem ihm zuwendet und sich ihm hingibt.

Wo es hingegen hinführt, wenn sich der Mensch nur mit der blossen Erscheinung und allenfalls mit der Namengebung der Erscheinungen begnügt, und alles Höhere und Tiefere ausser Acht lässt, das erkennen wir an so Vielem in der heutigen Zeit. Zum Beispiel an der Mode! Ist nicht gerade sie eine bloss äussere Erscheinung, die mit dem innern Menschen nicht viel zu tun hat, ja die sogar seine Eigenheiten übertönt oder übertönen soll. Sie macht aus ursprünglich lebendig fühlenden Menschen blosse Personen – sich wichtig dünkende und darum für Viele eindrückliche Personen! Mit "Person" bezeichnet man eher das Leibliche oder Dingliche eines Menschen; nicht den fühlenden und denkenden, nicht den wahrhaft im Innern lebendigen Menschen! Man sagt deshalb Fahrzeugen zur Beförderung von Menschen auch "Personenwagen", nicht etwa "Menschenwagen", weil sie ja nur dem Transport des äussern Menschen dienen. Personen sind also vor allem äussere Dinge, die einem gefallen, deren Stellung man zum gesellschaftlichen Aufstieg nutzen kann, oder die man zum Zeitvertreib auch einmal ansprechen kann, die man zählen kann und deren Zahl in einer Demokratie das Gewicht hat. Nicht der Mensch bestimmt in einer Demokratie – noch weniger sein innerer Wert –, sondern bloss die Person, die Sache, die Zahl, die man durch eine geschickte Propaganda mit ihr erreichen kann. Darum hapert es zusehends in den Gesellschaften aller Völker, weil blosse Personen innerlich struktur- und wesenlos sind und mit ihrem bloss Äussern den vom blossen Zufall gestalteten Steinen gleichen, die zu keinem kunstvollen Gesellschaftsaufbau verwendet werden können.

Dass dem so ist, zeigt sich sogar in ihrer Sprache: Weil solche Personen – nicht Menschen – keine Herzensgedanken haben und sie darum auch nicht aussprechen können, sondern nur Namen – Pseudonyme für Dinge also – und allenfalls noch Systembenennungen, so gehört ihre Sprache auch nicht wirklich ihnen selber, sondern ist ihnen – wie die von der Mode vorgeschriebenen Kleider – nur hinzugegeben. Darum – und weil das Äussere und für sie Fremde auf sie einen so viel stärkeren Eindruck macht als das innere Fühlen – gebrauchen sie auch immer mehr und immer lieber Fremdwörter, weil diese vor den andern ebenfalls einen bewundernswürdigen Wert haben und sie die eigene innere Leere und Wertlosigkeit damit erst noch gut verdecken können. Ein Mensch hingegen, der Worte mit seinen Gefühlen verbindet, ja sie aus seinen Gefühlen heraus erst sucht und bildet, wechselt sie kaum, und schon gar nicht mit Fremdwörtern!

Und wenn dann solche modischen, das heisst nach dem Zufallswind der Mode geformte Personen einmal krank werden, so spüren sie nur in ihrer Person - in ihrem äussern Leib - eine Lücke des Wohlbefindens, weshalb auch die Medizin in ihrem Prinzip – nicht in ihrer Technik – so fatal einfach geworden ist: Man schaltet das Störende – den Schmerz – durch Medikamente aus (Schmerz-mittel). Geht das nicht mehr, so entfernt man das Schmerz erzeugende Organ ersatzlos, wie zum Beispiel die Mandeln, den Wurmfortsatz des Blinddarms, die Gebärmutter die Brüste, die Prostata, alle Krebsgeschwülste, aber auch die Milz oder eine Niere. Geht es – wie bei Leber und Herz oder auch bei beiden Nieren zusammen – nicht mehr ersatzlos, so wird ausgewechselt mit Material von Totem. Wichtig ist nur, dass sich die Person wohl fühlt (weshalb man auch immer mehr unerwünschte Kinder durch Abtreibung entfernt) und dass sie funktionstüchtig bleibt. Darum reicht man auch die durch die Untüchtigkeit von Drüsen fehlenden Sekrete einfach von aussen her nach, anstatt zu erforschen versuchen, weshalb sie nicht mehr produziert werden, wie etwa das Insulin, welches durch eine Vielzahl von Medikamenten zum Versiegen gebracht wird (Herzmittel und Entwässerungsmittel, die ihrerseits ebenfalls nur Ersatz für das fehlende eigene Produktionsvermögen des Körpers sind). Nichts mehr bringt man zum gehen!! Es gibt zwar dadurch immer mehr Krankheiten, aber für eine jede neue hat man schon wieder einen Namen – was soll's? Da macht es doch nichts, dass auch für die ältesten Krankheiten noch keine wirklichen Heilmittel und noch weniger die Ursachen gefunden wurden. Nur da, wo die Ursache ebenfalls dinglich ist und – wie die Person selber – sichtbar (wenn auch nur unter dem Mikroskop – wie bei Bakterien und Viren), da kennt man wenigstens die Ursache – aber die Gründe jedoch noch lange nicht. Denn: wenn ein und dieselbe Ursache bei einer Person eine Wirkung (Erkrankung) zeitigt, bei einer andern aber nicht, so liegt ja der Grund offenbar tiefer als die Ursache selbst, die ja nie der wirkliche Grund, sondern immer nur der auslösende Faktor sein kann.

Menschen hingegen würden – im Gegensatz zu blossen Personen – schon Jahre vor einer leiblichen Erkrankung spüren, dass ihnen etwas fehlt. Sie würden dieses Fehlende suchen, notfalls mit vermehrter Hinwendung an das Höhere, das uns zwar überall umgibt, aber uns eben nur dann auch durchdringt, wenn wir uns ihm durch die Artung unseres innern Lebens hingeben, ihm den Raum dazu verschaffen (entsprechend: mehr senkrechte Kanäle, wie der Backstein, und weniger egoistisch materielle Wünsche). Solche brauchen nur selten einen Arzt; und wenn sie schon einen brauchen, so wäre ihnen nur mit ebenfalls wieder einem ganzen Menschen gedient, der als Arzt einfach noch weiter und tiefer dem Höheren in sich hat Raum geben können. Wie viele sind nicht schon durch ganz einfache und natürliche äussere Mittel geheilt worden, bei denen vorher alle noch so komplizierte "Personen"-Medizin versagt hat! Da war es doch nicht bloss das äussere Mittel, sondern die innere Reife, zu der sie durch die längere Krankheit gelangt sind und die erst aus ihrer bisherigen Person einen lebendigen Menschen werden liess, der durch das in seinem Innern erkeimende Leben auch seine äussere Person wieder hat beleben können und im Zuge des Ordnens seines innern Lebens auch das äussere seiner Person wieder in Ordnung bringen konnte. Wie oft kommt es vor, dass ein früher erprobtes Mittel, das bei einem Patienten seinerzeit versagt hatte, ihm eine längere Zeit danach geholfen hat. Die Tatsache der Verwendung ein und desselben Mittels, einfach zu einem spätern Zeitpunkt, belegt ja ganz deutlich, dass der Mensch zuerst wieder ganz werden muss, bevor der Leib (mit Hilfe desselben Mittels) gesunden kann.

Kurz, die Tiefe alles Geschehens im Leben des Menschen, wie der ganzen Schöpfung, ist und bleibt in den allermeisten Fällen nur einem derart erzogenen Kinde offen und zugänglich, sofern auch in seiner weitern Erziehung nicht krasse Vernachlässigungen dieses Aspektes vorkommen. Die meisten andern erfahren eine solche Tiefe zumeist nur durch den starken Druck einer Not – ob sie durch Krankheit oder Armut bedingt ist.

Die Folgen der frühkindlichen Erziehungsart erkennen wir im guten wie im schlechten Fall am weitern Entwicklungsweg des Zöglings, der nachfolgend in beiden Fällen geschildert wird:

Weil das mit äussern Mittel und durch äussere Erscheinungen voll gestopfte Kind nur noch im Äussern tätig bleibt und durch diese Tätigkeit ja endlich auch hin und wieder etwas Erstaunliches (für den begrenzten Verstand seines Erziehers) zuwege bringt, das ihm zumindest Beachtung, wenn nicht sogar Lob und offenes Staunen der andern einbringt, so wird es nach Anerkennung lüstern und sucht vor allem diese. Je mehr es sie erhält, desto selbstbewusster, frecher und egoistischer wird es handeln, und desto isolierter ist der Grund seiner Handlung vom Zweck des Ganzen, weil nur auf sich und den äussern Erfolg seiner Person ausgerichtet und alle weitern und tiefern Verhältnisse zu den andern – aber auch zum Höheren, und damit zur eigenen Festigung – ausser Acht lassend.

Anders das von seiner Mutter seit seiner frühesten Jugend stetig auf tiefer liegende und höhere Gründe von blossen Erscheinungen aufmerksam gemachte Kind! Es erkennt stets mehr seine Beschränktheit im Bezug auf das Geschehen im Ganzen, gibt sich darum noch vermehrt dem Ganzen hin, was es bescheiden, demütig und dienstfertig werden lässt; auch hilfreich gegenüber andern, weil es selber eben durch die hilfreiche Zuwendung seiner Mutter erst so reich an Erfahrung geworden ist, dass es die Fülle in den Möglichkeiten sieht, und nicht in den Dingen – in der Kraft, und nicht in deren Ausdruck. Denn beim Spiel des Windes mit den Blättern, dem es zusah, hat ihm seine Mutter mit ihrer eingehenden Zuwendung eine weitere, wichtige Erkenntnis vermittelt: Es ist der unsichtbare Wind, die unsichtbare Kraft, die eine Erscheinung (das Spiel mit den Blättern) hervorbrachte. Aber zugleich hat sie auch eine tiefe Empfindung in ihm hervorzurufen vermocht – als es von seiner Mutter angeblasen wurde. Es hat begriffen, dass es etwas gibt, das zwar für sich verborgen bleibt (die Kraft), das aber in ganz vielfältigen, und verschieden gestalteten Erscheinungen wieder als wirksam zu erkennen ist. Es wurde dadurch auf das innere Wesen des Seins (die Kraft)aufmerksam gemacht, anstatt auf das äussere Wesen (die Erscheinung). Auf den Schöpfer anstatt die Schöpfung. Was nützt es dem Menschen, wenn er auch die ganze Schöpfung kennete, aber in ihr alleine bliebe, ohne den Verband zu jener Liebe, die das alles werden liess und die alleine ihm den rechten Gebrauch von allem vermitteln kann. Ja wirklich, dabei hat die Religion (die Wieder-Verbindung zur Urkraft, zu Gott) schon ihren wahren Fortschritt im Kleinkinde gefeiert, wo sie noch bei der Erklärung zu den Wolken erst begonnen hatte, sich als Möglichkeit zu zeigen. Denn nicht Selbstverwirklichung, nicht Selbstbewusstsein bereichert den Menschen, sondern die Gewissheit, in seinem Schöpfer ein ewig bleibendes und ihn ergänzendes "Du" zu haben, das ihn auch dann nicht alleine lässt, wenn das noch unzuverlässige Selbst versagt. "Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder" (Matth. 23, 8). Eine solche Gewissheit lässt den Menschen auch dann noch geduldig bleiben, wenn die göttliche Hilfe – zur tiefern Glaubenserprobung – wenigstens menschlicher Vorstellung nach erst etwas verspätet erkannt wird (denn wirksam ist sie zumeist schon früher).

Diese hier aufgezeigten Tiefen liegen wirklich und reell in den einfachen Worten dieser Mutter; sonst hätten sie sich hier nicht entwickeln und entfalten lassen können. Und sie wiegen auch stark im Gefühl eines konsequent auf diese Art Erzogenen, und zwar viel tiefer als es der Verstand je erfassen kann. Denn sie wiegen mit dem Gewicht der Liebe, mit jener Kraft also, die – nach der Aussage der Bibel – alles werden liess. Die erste Verbindung in der Liebe geschah denn auch durch das Wort (den Geist) der Mutter, die zweite erst durch den Hauch – oder das Seelische. Und in dieser Ordnung alleine wird der Mensch erst wirklich frei, weil zuerst auf den Geist, den Schöpfer, hingewiesen wird, und nicht auf das zwar verwandtere Seelische, wo sich dann aber leicht zwei Seelen derart aneinander hängen können, dass in ihnen für die Entwicklung ihres Geistes kein genügender Raum mehr übrig bleibt. Wir kennen das von allzu grosser Mutter-Kind-Bindung her, aber auch – wohl eher aus früheren Zeiten – von zu grosser Ehepartnerbindung her, wo die Entfaltung des Einzelnen ins geistige Sein hinein durch die zu grosse Bindungskraft der Liebe im seelischen Bereich – welcher bereits die äussere Form des Geistes darstellt – erstarrt ist.

Die rechte Ordnung entstehen zu lassen und das aus ihr gegebene rechte Mass in allem zu beachten, ist eben eine der wichtigsten Aufgaben der Erziehung, des Ziehens in die rechte Ordnung völliger Harmonie – sowohl im einzelnen Wesen selbst, als auch zu allen andern. Und das kann und muss in der allerfrühesten Kindheit beginnen; dann, wenn der alles zersetzende oder analysierende Verstand noch nicht die Kraft des Widerstrebens entwickeln kann, weil nur dann eine ungestörte Aufnahme – ein klares Erkennen – stattfinden kann. Es ist darum äusserst unklug, wenn ein Erzieher seinen Zögling nicht "mit Unnötigem" plagen will, das der Zögling ja ohnehin nicht verstehen kann" – wie er sich ausdrücken kann, wenn er beispielsweise die Ansicht vertritt, ein kleines Kind müsse noch nicht förmlich bitten und danken, müsse noch nicht "Onkel" und "Tante" sagen, sondern bloss den Vornamen der Person nennen. Wenn wir das bisher Besprochene nur ein wenig überdenken, so sehen wir in solchen Ansichten sofort wieder die verführerische Vereinfachung und selbstzufriedene Reduzierung allen Lebens auf die Dinge und Formen und vermissen dafür die Möglichkeit des Hinweisens auf die vielen inneren Gegebenheiten seines Wesens, welche zu erkennen dem Menschen erst die Gelegenheit gibt, die rechte innere Struktur (entsprechend den Bausteinen der Gesellschaft) zu erlangen. Denn Bitte und Dank sind nicht Dinge und Formen, obwohl sie natürlich auch in gewissen äussern Formen zum Ausdruck kommen können und damit auch zur blossen Form gemacht werden können! Sie sind vielmehr innerste Wahrnehmungen aus dem Gefühl einer lebendigen Liebe im Menschen, ohne deren Vorhandensein keine Seligkeit möglich wäre. Gewährt doch erst die Bitte die Möglichkeit einer Erfüllung und ist doch wahrer Dank nichts anderes als Überfülle aus einer erlebten Erfüllung! Denn: Bitten setzt die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit voraus, wendet uns dem Andern (Mensch oder Gott) zu und lässt uns bescheiden und dadurch aufnahmefähiger werden. Und Dank ist die Freude über das Erhaltene und die Anerkennung der Tätigkeit der Liebe des andern, mit der wir uns durch den Dank mit unserer Liebe verbinden.

Wenn ein Kind nicht bitten muss, sondern nur verlangen kann, so wird es zum alles verachtenden Despoten! Ja, es ist in der Zerstörung seiner innern Struktur dabei noch weiter gediehen als Räuber und Mörder. Denn diese müssen doch wenigstens noch selber Hand anlegen, wollen sie zum ihnen nicht zustehenden Raubgut kommen, während das Kind nur zu wünschen – will heissen: zu gebieten – braucht, und schon stehen ihm die Eltern zur Verfügung und tun an seiner Stelle alles, was nötig ist zur Erfüllung seiner unzeitigen und anmassenden Wünsche oder gar Befehle.

Natürlich können auch aus Räubern im weiteren Verlauf ihres Lebens noch Menschen werden und aus Despoten wenigstens noch selbsttätige Räuber. Aber – ist es vernünftig, bei der Erziehung einen solchen, mit vielen Risiken des Misslingens verbundenen Umweg einzuschlagen, wo es doch leichter ist, das in seiner Jugend noch weiche und gestaltungs-leichtere Wesen möglichst zu einem licht- und liebevollen Menschen zu gestalten, der dann in seinem fernern Leben immer noch genügend Anreize und Gelegenheiten hätte, ein ganz gewöhnlicher oder gar ungewöhnlich schlechter Mensch zu werden. (Die tauglichsten Bausteine, die Backsteine, werden ja auch in ihrem anfänglich noch weichen Zustand geformt, und nicht erst im (von vielen schlechten Erfahrungen) hart gebrannten Zustand mühsam in eine zweckentsprechende Form behauen, wo sie trotz aller Mühe keine geordnete und nutzbringende innere Wesensgestaltung mehr annehmen könnten.) Das Bitten hat aber nicht nur einen äusserlich ordnenden Charakter, sondern beinhaltet auch in die Tiefe weisende Züge, die der einsichtsvolle und darum wahrhafte Erzieher weidlichst nutzen wird, um die in spätern Jahren nur noch sehr schwer zugängliche Tiefe eines Menschen möglichst schon in ihrer weichen Jugendlichkeit zu ordnen.

Bei einer ungeschickt angebrachten Bitte eines Kindes wäre es zum Beispiel nichts mehr als nur klug, den kleinen Begehrer zu fragen: "Was möchtest du jetzt genau?" und danach weiter forschend: "Warum möchtest du denn das?" und weiter sich erkundigend: "Glaubst du, dass du damit dann zufrieden bist?" Mit solchen Fragen werden dem kleinen Kinde die Augen für die Tragweite eines jeden Wunsches oder Wollens geöffnet. Es kann sie zwar noch nicht alleine abschätzen; aber deswegen helfen wir – als seine Erzieher – ihm ja auch, es durch unsere Fragen dahin zu führen. Und das Kind spürt doch wenigstens diese immense Tragweite, wenn es sie auch noch nicht kennt. Es wird kleiner und bescheidener dabei. Darum eben soll es bitten, und nicht selber nehmen, damit es für sich selber durch unsere eventuellen Fragen die eigenen innern Gründe seines Verlangens durchforschen und dadurch auch erkennen lernt; und damit ihm in gewissen Fällen klar werden kann, dass die Überwachung durch die Eltern nicht bloss eine Einschränkung bedeuten muss, sondern ebenso sehr eine Hilfe und Bewahrung vor Dummheiten sein kann. Es spürt dabei auch, dass es seine Eltern mit jedem Wunsche auch beansprucht – eine Tatsache, deren sich heute die wenigsten Menschen bewusst sind, dass nämlich fast jeder Wunsch des Einzelnen zugleich Anspruch an die andern ist. Dieses Spüren lässt den Menschen bescheidener und kompromissbereiter werden – und lässt ihn darum auch überlegter handeln. Aber das alleine genügt noch lange nicht.

Denn: wer seine Wünsche praxisgerechter formuliert, der wird auch leichter zu ihrer Erfüllung kommen und dadurch eher wieder vergessen, dass auch leicht erfüllbare Ansprüche – besonders in ihrer Häufung – dennoch die andern tangieren. Er soll sich darum auch durch einen rechten Dank bewusst werden, etwas von den andern Abgetretenes erhalten zu haben – mit andern Worten: etwas aus ihrer Liebe empfangen zu haben. – Denn wir haben ja nur dasjenige um uns, das uns lieb ist. Das ist selbst bei der Zeit so! Nur derjenige hat Zeit zu vergeben, der sie ausschöpft und braucht. Alle, die sie nicht brauchen, die haben sie auch nicht eigentlich, weil sie sie nicht nutzen. Ihnen bleibt von der Zeit nur die Lange-Weile! Darum empfangen wir auch mit jeder Gabe einen Teil aus dem Wesensbereich der Liebe eines andern, und wäre es nur die Zeit seiner aufrichtigen Hinwendung an unsern Wunsch oder an unser Problem. Dieser Tatsache müssen wir uns stets bewusst bleiben, damit wir auch aus einer gewissen Dankbarkeit gegenüber dem bisher Empfangenen heraus stets bereit sind, aus unserem eigenen Liebebereich etwas abzugeben, etwas zu veräussern.

Und das alles lernt besonders das Kleinkind – dem es noch schwerer als uns Erwachsenen fällt, Worte zu sagen – durch das äussere Bitten und Danken, eben weil es für ein Kind noch eine Kraft der Überwindung braucht, das zu tun, und es ihm dadurch dann auch bewusster bleibt.

Ist ihm die Sprache dann mit der Zeit geläufig, so wird sie oftmals auch immer äusserlicher – also mit seinen innern Gefühlen immer weniger verbunden. Und damit wird die Sprache dann leicht zur Lüge der äussern Höflichkeit. Wenn es bei einem Kinde dazu kommt, so wäre es weitsichtig vom Erzieher, wenn er bei einem allzu geläufigen "Dankeschön" fragen würde, was denn das Kind bereit sei, als Dank zu tun und ob es überhaupt den Wunsch verspüre, etwas aus Dank zu tun. Damit gibt er dem Kinde wieder die Gelegenheit, sich zu erforschen, und er zeigt ihm gleichzeitig auf, wie unbemerkt die Sprache oft zur Lüge wird und wie gefährlich dieser Umstand für das Erkennen und sich Orientieren im eigenen Wesen für den Einzelnen sein kann. Wie schnell er mit andern Worten durch seine Sprache und seine Umgangsformen von sich selber ein Bild gewinnt, das nicht seinem wirklichen Wesen entspricht. "Bittet, so wird euch gegeben" steht schon in der heute kaum mehr beachteten Bibel. –  Wohin es hingegen führt, wenn die Menschen – anstatt zu bitten – sich nur eigenmächtig nehmen, das erfuhren damals nicht nur Adam und Eva, das erfahren auch wir heutigen Menschen in unserer "aufgeschlossenen" Gesellschaft; zum Beispiel bei unserer Bemächtigung des Atoms, dessen Strukturen wir eigenmächtig spalten und dann mit dessen durch das Spalten anfallenden Abfällen noch Hunderte von Generationen gefährden, ohne dass wir darauf weitern Einfluss nehmen könnten! Wir erfahren es aber auch bei der Industrie, die immer mehr dabei ist, das sich selber Angeeignete (Wissen) zur Überflüssigmachung der menschlichen Arbeitskraft zu gebrauchen womit sie den ganzen Sinn unseres Seins in Frage stellt. Hätten wir vorausberechnet, was wir nehmen und wem, so wären wir nicht so weit gekommen. Mit dem gespaltenen Atom nehmen wir unseren eigenen Kindern die Sicherung ihrer leiblichen Gesundheit; und für was eigentlich? – Auch das war eine Frage des umsichtigen Erziehers an sein Kind!: Zur Frönung der eigenen Faulheit, zur Befriedigung überhöhter Bedürfnisse oder vielmehr überhöhter Ansprüche und zum Renommieren vor andern! Zum Leben, Essen und Schlafen hingegen und zur Festigung unseres innern Wesens brauchen wir nicht einen Bruchteil der verschwendeten Energie und der konsumierten Dinge.

Wir selber wollen – als falsch oder gar nicht Erzogene – nicht begreifen, dass aller Reichtum eines Menschen nur im Inwendigen liegt, im Dank für alles, was wir erhalten und im Aufbau unserer innern, seelischen Kraft durch die Einung mit ihrem Geiste in der Tat – und nicht in der äussern Anhäufung von diesirdischen Werten, die wir doch nicht für bleibend besitzen, deren Umfang sich aber auf Kosten der andern stets vergrössern lässt – im Unterschied zum Dankgefühl, das – wenn es allzu gross wird – uns beunruhigen kann, weil wir aus unserer Dankbarkeit heraus nicht mehr so viel tun können, wie uns unsere Dankbarkeit zu tun drängt. Darum liegt der wahre Reichtum im Innern, wo er beschränkt bleibt auf das einem jeden Wesen für sein gedeihliches Wachstum zuträgliche Mass.

Soviel liegt in der rechten Erziehung – nebst der Gesundheit der Seele und des Leibes. Und wenn wir im Reichtum unseres Verständnisses für andere dann dazu kommen, dass wir zu merken beginnen, dass nicht alle Vorkommnisse durch den Zufall und ein blindes Schicksal erklärbar sind, dann fragen wir noch einmal, bitten noch einmal und werden gar leicht die Antwort in unserem eigenen Leben finden, dass auch wir Erwachsene sehr wohl geführt wären, würden wir das auch wirklich und aus vollem Herzen wünschen. Aber im Gegensatz zu den Kindern, den werdenden Menschen, sind wir Erwachsene nicht mehr unbedingt geführt, sondern nur sehr bedingt, nämlich dann, wenn wir das sehr ernstlich wünschen und auch bereit sind, uns den Anforderungen des Höhern wirklich zu fügen. Wenn wir bereit sind, uns im Höheren zurechtzufinden, durch unser Bemühen, es zu begreifen. Denn im Gegensatz zu allen Tieren sind wir Menschen in unserem Willen völlig frei und ungebunden, welche Freiheit uns ja erst die Möglichkeit eröffnet, Gott in seiner ewigen Freiheit ähnlich zu werden ("Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde" (1. Mose, 1, 27)), sofern wir bereit sind, uns selber zu ordnen – denn andernfalls gelangen wir in die Knechtschaft unserer eigenen nicht gebändigten und ungeordneten Kraft, wie sie sich in aller unbegrenzten Leidenschaftlichkeit zeigen kann, aber ebenso auch in einer alles erlahmen machenden Trägheit, die unser Leben verkümmern lässt. In dieser Freiheit also liegt der alleinige Grund, weshalb wir Menschen erst durch Belehrung und freiwillige Übung uns mühsam vervollkommnen müssen – im Gegensatz zu den Tieren, die alle schon ihre beschränkten "Vollkommenheiten" in sich tragen, zu denen sie ausreifen können, während der Mensch auch in seiner Vollendung stets ein eigenes Wesen mit unbeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten und einem individuellen, von andern Menschen wieder ganz verschiedenen Reichtum hat, damit wir Menschen einander in beseligender Tätigkeit gegenseitig dienen können. Eben deshalb aber bedürfen wir auch einer Führung, die wir – als Erwachsene – jedoch eben unserer Freiheit wegen nur bedingt erkennen dürfen, erst dann nämlich, wenn wir uns in unserer freien Liebe um sie zu kümmern beginnen. Das lässt sich am folgenden Beispiel eines tatsächlichen Vorkommnisses leicht aufzeigen:

Es hatte auch einmal ein Vater ein sehr begabtes, aber dafür auch ein etwas vorwitziges und ehrgeiziges Kind. Er hatte darum, weil ihm die Erziehung ein ernstes Anliegen war, auch stets den Wunsch, seinem Kinde die Schädlichkeit seines Vorwitzes vor Augen führen zu können; fand aber weder die rechten Worte noch die günstige Gelegenheit dazu. Da geschah es, dass sein Kind in der Turnstunde, als es bei einer Übung das Erste sein wollte, sich bei einem Sturze eine Quetschung zugezogen hatte. Der Vater machte es darauf aufmerksam, dass das nun doch eine Folge seines zu extremen "Zuerstseinwollens" sei, und dass es froh und dankbar sein müsse, dass es noch so glimpflich abgelaufen sei.

Aber schon nach vier Monaten verunfallte das Kind wieder, und wieder in der Turnstunde. Aber diesmal hatte es eine regelrechte Verstauchung, die ihm längere Zeit weh tat. Der Vater schwieg, weil er wusste, dass zu Selbstsichere und Selbstbewusste nur ungern auf die Gedanken anderer eingehen.

Aber als nach einem weitern halben Jahr dasselbe Kind wieder in der Turnstunde verunfallte und sich diesmal einen Knochenriss zuzog, da zeigte er ihm, allerdings erst nach Tagen und erst nach einer leichten Abschwächung der Schmerzen, die Dinge noch einmal so recht augenfällig auf, indem er zu ihm sagte: "Drei mal hast du nun mit deinem Ehrgeiz einen Unfall gemacht und dir damit selber Schmerzen bereitet. Das erste Mal bloss mit einer Quetschung, das zweite Mal mit einer Verstauchung und nun, zum dritten Mal mit einem Knochenriss. Merkst du nicht, wie sanft dich der himmlische Vater führt? Wie lange wirst du dich noch über seine stets deutlicher werdenden Mahnungen hinwegsetzen wollen? Willst du damit noch bis zu einem Knochenbruch zuwarten, oder gar bis zum Verlust des einen oder andern Gliedes? Bedenke aber dabei, dass sich die Güte und Geduld des Vaters im Himmel nicht berechnen lässt. Denn nur er alleine weiss, wie viel es erträgt und wo dann seine Geduld zu Gunsten seiner Fürsorge und Vorsorge zurücktreten muss. Es könnte also schon ein nächstes Mal viel drastischere Folgen haben. Darum habe ich es dir diesmal noch einmal gesagt, damit du nicht allzu sorglos auf die Geduld deines himmlischen Vaters bauest." – Diesmal hatte es gewirkt! Das Kind ging in sich und wurde vernünftiger.

Als danach ein Bekannter, ihn auf die Unfallserie ansprechend, meinte, dass er da mit seinem Kinde schon Pech gehabt habe, da antwortete er ihm: "Pech – oder Glück –; wie du es nehmen willst. Pech hätte ich eher gehabt, wenn das alles nicht passiert wäre, und mein Kind hätte sich dafür später, beim Autofahren zum Beispiel, so profilieren wollen wie in der Turnstunde. Da hätte es leicht sein Leben, sowie das Leben anderer kosten können, und nicht bloss schlaflose Nächte der Schmerzen wegen. Und eine bleibende Schuld wäre auf ihm gelastet. Darum empfinde ich die Ereignisse eher als glückliche Fügung. Und ich bin auch dankbar, als Zeuge so etwas erfahren zu haben, denn ich bin zwar noch stets der Meinung, dass die Menschen sehr wohl geführt sind, wenn sie es auch wahrhaftig wünschen. Aber weil ich mit dieser meiner Ansicht in der heutigen Zeit wirklich sehr oft einsam dastehe, so tun auch mir solche Winke gut, besonders wenn sie in meiner Familie geschehen. Denn an und für sich habe ich Ähnliches schon relativ oft gesehen. Ich konnte auch daraus zwar wohl entnehmen, dass es unbedingt so etwas wie eine Führung oder Erziehung durch einen himmlischen, aber gleichwohl sehr persönlich wirkenden Vater gibt. Aber ich wusste nicht, ein wie inniges Verhältnis der Mensch zu Gott haben muss, damit ihm Gott auch wirklich hilft. Denn das Innerste der Menschen, das alleine Voraussetzung dafür sein kann, kenne ich ja nicht. Aber nun weiss ich sicher, dass beim Wunsche nach einer persönlichen Führung mit jener Innigkeit, die ich selber dabei hatte, diese Voraussetzung erfüllt war." Hat dieser Vater nicht vortrefflich erkannt, woher der Wind blies und wohin er zog – oder ziehen wollte? Eine solche Betrachtungsweise, wie sie aus der Antwort dieses Vater hervorgegangen ist, aber noch viel mehr eine solche erlebte Verwahrung und die aus ihr entspringende dankbare Seligkeit des Geborgenseins können alles Folgen oder Früchte einer richtigen Erziehung der Kinder sein! Sie kosten nicht viel und verursachen der Allgemeinheit keine Unkosten! Sie nehmen niemandem etwas weg, sondern bereichern im Gegenteil viele, die mit solchen Menschen später dann zusammenkommen. Und zu all diesem spätern Reichtum – für den Einzelnen, wie für die Gesellschaft – können wir mit einer rechten und einsichtsvollen Erziehung einen guten Grund legen. Wer will all die Schäden beziffern oder gar bezahlen, die durch die Vernachlässigung dieser wichtigsten und kunstvollsten Arbeit entstanden sind?! Ärzte, Psychologen, Psychiater, Politiker und Richter sind nicht in der Lage, das zu reparieren oder nachzuholen, was in der Kindheit eines Menschen durch seine Eltern vernachlässigt oder gröblichst missachtet wurde.

Und dabei kommen sich Frauen noch emanzipiert vor, wenn sie sich vor dieser verantwortungsvollen und beglückenden Aufgabe drücken weil sie glauben, eine solche, den ganzen Menschen beanspruchende Kunst sei zu banal für sie, oder glauben, sie könne noch neben einem lumpigen und schalen äussern Beruf her betrieben werden! Wie arm sind wir doch in unserm materiellen Reichtum schon geworden!!

21.11.98 & Feb. 08

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