Schwerer Gang

Ein Bild, das man nach längerem Betrachten nicht so leicht mehr vergessen kann! Vieles liegt darin! Zu vieles, um es mit wenigen Worten tief genug ausdrücken zu können. Aber nur für den, der sich davon merkwürdig zwiespältig angesprochen fühlt, wird es eine Wohltat sein, seinen Inhalt erklärt zu bekommen. Weil nur eine ganz grosse Liebe diese Situation kennt – diese Beengung des Gemütes erfahren konnte, die so sehr drängt und darum so sehr einer sie erlösenden Erklärung harrt, angesichts ihrer schweren Not auf dieser Welt. Nur wer also nach dem "Warum", nach der tieferen Wahrheit, dem tieferen Grund, dieser Situa-tion dürstet, wird im Lesen dieses Textes eine Bereicherung finden.

Gedruckt erhätlich für SFr. 4.50

Den vollständigen Inhalt enthalten die nachfolgenden Seiten:

© Copyright by
A. Perle Verlag
CH-4315 Zuzgen AG


DER SCHWERE GANG
GEDANKEN ÜBER EIN BILD VON FRITZ UHDE

Ein ungemein treffendes und viel sagendes Bild, das Uhde da geschaffen hat! Wer das nicht im ersten Augenblick empfindet, dessen Seele ist noch stumpf, sowohl den Eindrücken aus seinem eigenen Leben gegenüber, als auch in der Wahrnehmung höherer Gedanken und ihrem Schicksalsverlauf in der materiellen Welt. Denn es ist noch stets das Licht der Wahrheit, das der Entstehungsgrund aller höheren Gedanken ist, das im nach aussen gekehrten Gemüt der Menschen eine solche Not leidet wie das in diesem aussageschweren Bilde gemalte Paar.

Obwohl zwar die innere Leuchtkraft der Liebe den weitaus grössten Teil dieses Bildes erfüllt, so ist diese grosse und aller Hingebung volle und alles überwindende Kraft verhüllt, gleichsam bloss ihrer äussern Form nach dargestellt. Das erreichte der Künstler dadurch, dass er dieses in sorglicher Liebe vereinte Paar uns nur von hinten wahrnehmen lässt. Was diese grosse und alles Leben erst gebärende und gestaltende Kraft in ihrem engern Kreise tut, oder in ihren hilfsbereiten und Anteil nehmenden Armen hält, bleibt uns in den Einzelheiten – also der wahren Gestalt nach – verborgen.

Wie kann – so fragt man sich – ein Künstler die von allen so  sehr gerühmte und fast überall vergeblich gesuchte Liebe bloss von hinten darstellen, anstatt dass er ihr Angesicht malt? Hunderte vor ihm haben sie dargestellt in all ihren möglichen Freuden, aber wohl noch selten einer in ihrem stillen, aber geduldigen Ernst und darum so alltäglich und beiläufig erscheinend, wie es Uhde in seinem Gemälde getan hat. Die Antwort auf diese Frage kann einem gewöhnlichen Alltagsmenschen, der all seine Motivation aus seinem Gehirnverstand oder aus seiner Sinnlichkeit empfängt, unmöglich gegeben sein. Eine Antwort auf diese gewichtige Frage kennt nur, wer das Wesen der uneigennützigen, wahren Liebe kennt – kennt aus seiner eigenen brennenden Liebe heraus, die nach Gutem und Wahrem dürstet und das Gute und Wahre auch in seinen kleinsten Ansätzen zu erkennen vermag, es hütet und hätschelt, wo er es nur finden kann und darum die Grösse, die schon im kleinsten Funken einer wahren und gereinigten Liebe ruht, wenigstens zu ahnen beginnt. Ein solcher Mensch erst kennt auch die Scheu, über so Grosses und Erhabenes und in aller Schöpfung sich immer wieder Manifestierendes mit den abgenutzten Worten einer Alltags- und Umgangssprache zu reden, ja ihm überhaupt erst Worte zu verleihen; Worte, die alles Ganze, Heilige und Vollkommene nur zerschneiden und zerbröckeln helfen! Darum wird und kann ein derart Berührter, der das heilige Wehen einer solchen Liebe an und in sich selber schon erfahren hat, den andern gegenüber davon höchstens in Bildern reden. Ein solches Bild ist jenes von Uhde. Es zeigt das Innerste nur so, wie es sich in einer äussern Form vermuten oder nachempfinden lässt. Das allerdings so bestimmt und eindrücklich, dass es einen jeden, der es aus eigener Erfahrung kennt, sofort berührt (einen, der es nicht kennt, darauf ansprechen zu wollen, ist ohnehin ein völlig vergebliches Unterfangen).

Man sagt zwar, dass Uhde viele biblische Situationen in Bildern seiner eigenen Zeit dargestellt hat, und mutmasst deshalb auch, dass er mit diesem Bilde den Gang Josephs und Marias nach Bethlehem festhalten wollte. Sosehr dieser Gedanke auch zu bestechen vermag – durch die augenfällige Armut und die Jugendlichkeit der Frau –, so kann die Aussage dieses Bildes zwar wohl den entsprechenden Gang eines jeden Paares und gar eines jeden einzelnen Menschen zur bevorstehenden Geburtsstätte seines eigenen Geistes in seine Seele darstellen, wie wir noch sehen werden, nicht aber den Gang dieses geschichtlich einmaligen Paares.

Zwar waren auch Joseph und Maria ganz einfache Leute aus eher ärmlichen Verhältnissen, und sie mochten sich auch ebenso verlassen gefühlt haben wie das Paar auf diesem Bilde. Aber ihr Gemüt, das sich im Bilde nur als ihre nähere Umgebung sinnbildlich darstellen liesse, konnte unmöglich diese leere und unsauber wirkende Ebene zum Inhalt haben, wie sie das Bild von Uhde zeigt. Es würde bei dem geschichtlichen Paare wohl nicht genügt haben, sein von menschlicher Anteilnahme verlassenes Gemüt bloss mit einer ärmlichen und etwas leeren Landschaft darzustellen. Auch der leichte Lichtglanz, der das Paar auf dem Gemälde umgibt, würde wohl nicht genügen, die notwendige innere Fassung darzustellen, welche ein Gemüt für die Ankunft eines persönlichen Gottes als genügend vorbereitet erscheinen liesse. So wenig Licht, so wenig nützlich Glaubens-wahres und lebenskräftig Gutes, wie in dieser Landschaft – als ein Sinnbild für das Gemüt – enthalten ist, könnten niemals genügend sein, dem Sohne Gottes jene Wärme und jenes bestimmte Vertrauen entgegenzubringen, das es brauchte, seinen Ernst und alle Macht seiner Kraft in seiner Nähe aushalten zu können.

Und dennoch besteht ein inniges Verhältnis zwischen jener für alle Menschheit einmaligen Begebenheit und diesem Bilde! Denn so sehr es vonnöten war, dass der Herr selbst einmal für alle Menschheit, und deshalb sichtbar und wohlerfahrbar auf unsere Erde kam, ebenso sehr ist es für jeden Einzelnen – und dann selbstverständlich auch für jedes Paar – notwendig, dass sein Herr und Heiland auch zu ihm persönlich bleibend und wirkend kommt, will er – oder will ein Paar – nicht verloren gehen in der Öde der Welt und ersterben in seinem Gemüte, welches eben von der Trostlosigkeit und Aussichtslosigkeit dieser Welt oft nur schon zu sehr erfüllt ist.

Ein solch liebender Akt der erbarmenden Erlösung kann aber niemals dann und dort erfolgen, wo die Menschen in ihren Gemütern keine Zeit und darum auch keinen verständnisvollen Platz haben, ihren Erlöser in sich aufzunehmen, weil sie in sich selber noch zu sehr mit der toten Materie der vergänglichen Welt beschäftigt sind. Darum hätte auch die geschichtliche und für alle Menschen einmalige Niederkunft des Herrn nicht in einer Herberge geschehen können, weil deren Menschen noch zu sehr mit dem irdischen Gewinn beschäftigt gewesen wären, als dass sie sich des Erlösers oder wenigstens auch nur der Armut seiner ihn sehnsuchtsvoll Erwartenden hätten annehmen können und wollen.

Entsprechend ist in dem Gemälde, welches wohl die für einen jeden Menschen persönliche – nicht aber die allgemeine – Ankunft des Herrn, respektive den Weg dazu, darstellt, sowohl der Weg wie auch die Landschaft eine trostlose und mehr oder weniger leere, und die Kleidung des Paares äusserst ärmlich. Weshalb wohl? Weil nur der späte Herbst dem Menschen genügend Zeit und in seinem Gemüte genügend Platz übrig lässt, und die äussere Beschränktheit der innern Tätigkeit genügend Freiheit und gerade Bahnen ermöglicht. Dazu wäre beispielsweise der Frühling, da aller Menschen Seelen sich dem Reiz ihrer Sinne zu sehr ergeben, ebenso wenig der rechte Zeitpunkt wie ein überaus heisser Sommer, der den Menschen für alle nützliche Arbeit nur faul, träge und müde macht, oder der volle Winter, dessen Kälte den Verstandesberechnungen eines geizigen Gemütes entspricht. Vielmehr ist der Spätherbst oder Winterbeginn der weit entfernt ist von des Lebens Frühlingsgaukeleien und des Lebenssommers weltgeschäftiger Hitze, welche das Geistige im Menschen nahezu zu ersticken droht, der richtige Zeitpunkt, weil da sogar schon auch des Herbstes Früchte für die viele gehabte Weltarbeit eingeerntet worden sind und nunmehr sich zu zeigen beginnt, wie wenig damit dem Fortkommen des Geistes in der Seele gedient ist. – Im Spätherbst also, wo die Tage kürzer und kühler werden und die Sicht sehr oft getrübt wird durch der Sünden Unzahl, die wir törichter- und oft gedankenloserweise begangen haben, ist der richtige Zeitpunkt der dämmernden Erkenntnis der eigenen Unfähigkeit, und damit die richtige Zeit zur Geburt des Geistes aller Wahrheit in die Seele eines Menschen. Zur bleibenden Aufnahme und Pflege der erkannten Wahrheit muss aber des Menschen Kraft noch immer Stärke genug haben, weshalb das Paar auf dem Bilde auch jung erscheint, so ärmlich es anzusehen ist. Denn die Liebe des Menschen darf mit andern Worten noch nicht allzu sehr ermüdet oder gar aufgezehrt worden sein von dem vielen Vergänglichen, und daher Toten, das sie aus der Materie an sich gezogen hat. Ein solcher Spätherbst stellt sich zwar nach einem jeden Frühling (gleichbedeutend mit aufkeimenden Welthoffnungen) und jedem Sommer (gleichbedeutend mit hitziger Tätigkeit für das eigene leibliche Wohl) mit grosser Regelmässigkeit ein. Aber es ist besser, nicht zu warten bis zum letzten Spätherbst eines Menschenlebens, weil dort zumeist die Liebe – im Bilde dargestellt durch den Mann – nicht mehr so lebenskräftig und für das wahre Leben sorgend sein könnte, wie sie hier im Bilde durch den Mann dargestellt ist. Eine solche, mit noch etwas Jugendkraft erfüllte Liebe ist noch eher fähig, mit ihrer fürsorglichen Umarmung den strengen Gang oder Fortschritt der Weisheit – im Bilde dargestellt durch des Weibes Haupt – in seiner Entschlossenheit zur vollen Erkenntnistiefe hin etwas zu mildern, indem sie mit ihrer wärmenden Kraft auch etwas Verständnis für das Entstehen dieser Situation erweckt. (Man achte, wie der Mann schräg zum Weg und zur Gehrichtung des Weibes steht). Dadurch wird auch wieder einer leisen Hoffnung Raum gegeben, die das Gemüt trotz der misslichen Lage wieder etwas erleuchten kann – wie es uns das Haar auf des Mädchens Kopf entsprechend andeutet. So kann dann auch die sie umsorgende Liebe wieder ein wenig durch ihr verständnisvolleres Licht mit Hoffnung erfüllt werden, und zwar durch die Erkenntnis über die zwar gute Wirkung einer geraden Bahn, aber, nun neu, in der Strenge gemildert durch das Verstehen-Wollen, wie es durch ihr Eingreifen zustande gekommen ist.

Die ärmliche Kleidung des Mannes kann den kräftigen Arm, welcher dem Willen der Liebe entspricht, das ihr Liebwerte an sich zu binden, nicht ganz verhüllen. Sie deutet vielmehr an, dass eine solche Liebe erst in der alltäglichen, von niemandem beachteten Arbeit gekräftigt wird zu dem, was sie endlich einmal sein sollte: zum achtsam sorgenden Mittelpunkt eines Menschen. Die Ausführung der Vorsätze einer solch kräftigen Liebe muss dann aber der Weisheit überlassen sein, die jedoch in ebensolcher Bescheidenheit und Schmucklosigkeit vorgehen muss, soll die Tätigkeit der Liebe im Alltage, die himmlische Herrlichkeit und ihre Wirksamkeit auf Erden (im Gemüte eines Menschen) offenbar werden lassen. Denn aller Prunk der Weisheit würde die Liebe nur verleiten, der Weisheit alleine, anstatt nur dem Guten – und damit Gott, dem Herrn – zu dienen, damit endlich die Güte seiner Liebeweisheit im Menschen offenbar werde, die alleine ihn für immer beseligen kann.

Und gerade eben das kann ja erst geschehen, wenn sich der Mensch der Ärmlichkeit seines eigenen Wesens erst einmal bewusst zu werden beginnt. (Die Gegend seines Gemütes voll erkennt, so, wie sie auf dem Bilde dargestellt ist.) Denn solange er die Fülle seiner wirren und ungeordneten Ideen noch als einen Reichtum empfindet, sucht seine Liebe noch lange keine bessere Frucht, wie sie in der göttlichen Weisheit seines ewigen Wortes für uns Menschen gegeben wurde. Folglich muss Dunkelheit, Trübnis und Öde des eigenen Wesens zuerst empfunden werden, ehe die dadurch geängstigte Liebe den eigen-mächtigen Gang ihrer eigenen Weisheit zu hemmen beginnt und dadurch fähig wird, göttliche Weisheit in sich aufzunehmen und in sich wirken zu lassen bis sie endlich auch in ihren äussern Werken offenbar wird – zur Welt geboren wird, allen andern schaubar, damit auch diese dann, angesichts der Fülle in diesen Werken, die Öde ihrer eigenen Gemütslandschaft besser und klarer zu erkennen beginnen, und ihre eigene Liebe dabei dann eher fähig wird, den Gang ihrer eigenen Weisheit zu hemmen und sich zu erwärmen für das Höhere, das ihnen begegnet war durch das Werk des Herrn im Wesen eines andern.

Es müssen dabei all die Bäume der Welthoffnungen aber bereits kahl am Wege des innern Lebens stehen, – wie auf dem Bilde dargestellt –, damit unser Blick für das Innere, für das Ewige, nicht abgelenkt und getrübt wird durch den Glanz der Hoffnung auf eine erfüllte und doch so wechselvolle, vergängliche Welt. Die Häuser, die im Gemälde vereinzelt an der Strasse stehen und den Glaubenslehren und Philosophien der Welt entsprechen, dürfen nicht einladend sein, damit sie den Gang des Wahren durch die Erscheinungen des Falschen der äussern, vergänglichen Welt nicht abzulenken vermögen.

Einzig der Nebel darf in dieser von düstern und lichtleeren Farben durchströmten Gemütswelt eine lichtere Farbe aufweisen. Entspricht er doch der Gnade des Herrn, uns Menschen bei der zu unserer innern Entwicklung nötigen Erleuchtung unseres eigenen Wesens die volle Grösse unserer eigenverschuldeten, oft schmutzigen Leerheit aus Schonung unserer noch schwachen Liebekraft zu verdecken, sodass wir nur nach und nach und mit dem Fortschreiten und der Kräftigung unserer Liebe die noch fernern Leerheiten unseres Wesens kennen lernen müssen. Zu einer Zeit also, da sie uns durch die bereits gemachten Erfahrungen in der Kräftigung unseres innern Lebens nicht mehr zu Tode erschrecken, sondern bloss noch aufmunternd einladen, sie auch noch zu überwinden. Dann jedoch wird auch schon lange des Herrn Liebe – anstatt das äussere Gesetz und der Anblick unserer Verkehrtheiten – zu unserem Führer geworden sein, weil wir sie in uns zu Beginn unseres schweren Ganges in das Innere unseres Wesens durch den Zug unserer eigenen Liebe zum Besseren haben aufkommen und in uns wirken lassen, sodass in uns ein wahres Bild über unsere innere Gemütslandschaft hat entstehen können. Und unser Gang durch sie – voll Vertrauen auf den hilfreichen Liebezug eines gütigen Herrn und eigentlichen Vaters – lässt uns dann, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz, endlich dahin gelangen, wo sich dann auch die letzten Nebelschleier zu lichten beginnen und die Sonne des Geistes und allen wahren innern Lebens uns einen innern und darum bleibend wahren Frühling erleben lässt, dessen Erscheinungen dann alle aus unserem eigenen Wesen hervorgegangen sind und uns deshalb anschaulich über uns selbst belehren, anstatt uns verwirren wie die unserem Wesen fremden Formen eines Weltfrühlings. So viel liegt in der Stille und im Ernst einer reinen, hingebungsvollen Liebe, die nichts für sich selbst zu tun bestrebt ist, sondern nur für das Gute, wo immer es sich zeigt. Deshalb auch ist es richtig, eine solche Liebe nur von hinten, gleichsam von aussen, von ihrer äussern Wirkung her, darzustellen, weil ihr Inwendiges ein vollkommenes Ganzes, ja der Mittelpunkt allen geistigen Lebens ist.

 nach oben