Gemeinschaft haben mit und in Gott

Wie viele Gemeinschaften gibt es, die glauben, mit Gott Gemeinschaft zu haben? Wenn dem so wäre, so wäre ja örtlich das Reich Gottes auf Erden. Und doch steht, dass dieses nur inwendig im Menschen sein kann. Also muss es im Einzelnen manifest werden. Hat der Einzelne dann wirklich eine tiefe Gemeinschaft mit Gott, so hat er sie ohne weiteres auch mit einem jeden, der seiner Gesittung wegen ebenfalls Gemeinschaft mit Gott hat, was er wohl bald einmal spürt, denn wessen das Herz voll ist, dessen geht der Mund über – sagte Jesus. Spricht er über Gott, so spricht er über Äusseres, spricht er hingegen voll Feuer von seinen Erfahrungen mit seinem himmlischen Vater, so spricht er von seiner Gemeinschaft. Das deckt sich dann auch mit der Vorhersage Jesu, dass man Gott weder hier noch dort anbeten werde, sondern im Geist und in der Wahrheit nur, und deckt sich weiter auch mit seiner Verheissung, dass er sich den ihn Liebenden offenbaren werde.

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GEMEINSCHAFT HABEN MIT UND IN GOTT

Was heisst Gemeinschaft haben mit Gott und Gemeinschaft haben in Gott? Können all die vielen vorhandenen Glaubensgemeinschaften mit Gott und in Gott Gemeinschaft haben?

Wenn dem so wäre, so wäre Gottes Reich auf Erden oder zumindest in all den Gemeinschaften deutlich spürbar! Dass es aber in allen solchen Gemeinschaften nicht so gottesnahe zugeht wie in seinem Reich, das erfährt jedes ehrliche Mitglied tausendfältig, sowohl im Umgang mit deren andern Gliedern, als auch in der weitern Wirkungslosigkeit des darin gepredigten Wortes und auch des Glaubens, der ja Berge versetzen müsste. Wohl gibt es darin manchmal feierliche Momente mit erhabenen Gefühlen begleitet. Aber diese Feiern sind erstens nur sehr kurz und zweitens rein äusserlich und ihre Erhabenheit beschränkt sich zumeist auf das über den Alltag hinaus Ungewöhnliche. Im Anschluss an solche Feiern aber hört man dann in solchen Gemeinden ausser eventuell einigen gleisnerischen Floskeln nur noch sehr Banales und Alltägliches.

Wohl hatten zumeist alle einmal ein persönliches Erlebnis, als sie neu zu einer solchen Gemeinschaft stiessen. Denn sie suchten ja Gott und fanden sein Wort – d.h. das erste Verständnis dafür – eben in einer dieser Gemeinschaften. Und – wer Gott ernstlich sucht, der wird ihn finden, weil er sich allen ernsthaften Suchern einmal im innersten Gefühl ihres Herzens offenbaren wird (getreu dem Versprechen Jesu, dass wer sucht, auch finden wird). Dieser Moment kann natürlich bei neu zu einer solchen Gemeinschaft Gestossenen sehr wohl während einer Feier sein, da die Erwartung des Neulings dabei aufs Höchste gespannt ist und der Wunsch, Gott zu erfahren, dabei einen Höhepunkt erreichen kann. Aber all das Schöne und tief Erlebte will sich dann in der Folge nicht halten lassen, weder in den weitern so genannten Gottesdiensten, noch weniger im täglichen Leben; es ist nicht bleibend, ja mit der Länge der Zeit auch nicht einmal mehr wiederkehrend, sondern verliert sich in Leere und Banalität.

Folglich kann doch nicht die Glaubensgemeinschaft oder ihre Feiern als Grund für ein solches Erlebnis angesehen werden, sondern höchstenfalls als einen verstärkenden Faktor der eigentlichen Ursache. Denn der Grund zu solchen Erlebnissen ist das Suchen und Wünschen der Gottesnähe, und die Ursache zum eigentlichen Erlebnis ist die Steigerung dieses Wunsches bis zu einem gewissen Grade, der notwendig ist, um in Selbstvergessenheit Gottes Nähe zu erfahren. Denn wäre eine Feier oder kirchliche Handlung der wirkliche Grund oder auch nur die Ursache zu einem solchen Erlebnis, so müsste sie stets von neuem wieder dieselben Erlebnisse hervorrufen können. Soweit wird mir jedes ehrliche Gemeindeglied beistimmen müssen. Nur – –, wie viele sind ehrlich? Für solche Erlebnisse alleine verantwortlich ist, wie erwähnt, der mächtige Zug der Liebe zu Gott hin, wenn er sich im Menschen zu erheben beginnt. Er kann allerdings auf kurze Momente hin von einer Gemeinschaft noch verstärkt werden, wenn darin auch andere denselben Wunsch innig genug hegen. Aber nach einer solchen "Früh"-Sättigung der Seele durch ihre erstmalige Berührung mit dem Geiste wird diese nur allzu oft träge. Sie weiss jetzt, dass es Gott wirklich gibt, und sie glaubt, ihm zu gehören. Wohl weiss oder spürt sie, dass das auf die Länge nicht genügen kann, aber fürs erste genügt es ihr dennoch und fürs zweite – –?

Ja, fürs zweite hat sie ja in der Zwischenzeit des langen Wartens die Gemeinschaft! Diese aber kann ihr, wie es sich vorher zeigte, das nicht wiederbringen, was sie eben durch sie alleine wieder zu erleben können glaubt. Nur ihre von allem Äussern gereinigte Liebe in ihrer vollen Gier nach Gott könnte ihr diese selige Erfahrung der Gottesnähe wiederbringen; und daran hindert eine Seele oft nichts so sehr, als eben die Gemeinschaft selbst, die ihr beim ersten Mal als nützlich erschien – und das, weil in jeder förmlichen Gemeinschaft nur der äussere Mensch die Gemeinschaft verkörpert, und nicht die inwendige Liebe. Es kann also, wie wir sehen, in einer üblichen Glaubensgemeinschaft kaum je eine Gemeinschaft in oder gar mit Gott bestehen, weil diese ja nur in und durch die Liebe des Einzelnen zu Gott bestehen kann. Fragt sich nur, warum das so ist und wie es sich denn fügen müsste, dass man Gemeinschaft mit Gott und dadurch auch in Gott mit andern haben kann.

"Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm", so heisst es in der Schrift (1. Joh. 4, 16). Also kann nur die Liebe – aber nur in ihrer reinsten Form – Gemeinschaft haben mit Gott. Die reinste Form der Liebe muss aber nicht so gross und gravitätisch sein, wie sie manchem vorkommen will:  "rein" bedeutet hier nur "ausschliesslich". Denn nur eine in ihrer Kraft ungeteilte Liebe kann voll zu Gott finden. Wer hingegen das Leben des Leibes oder gar die Wohlfahrt seines Äusseren, oder auch einen andern Menschen – und sei es der Ehegatte – mehr liebt als Gott, oder auch nur gleich stark liebt wie Gott, der hat eine geteilte Liebe, die niemals jene Kraft, jenen innigen Wunsch in Richtung Gott entwickeln kann, die ihn Gott auch finden lässt. Denn Gott und die Welt sind Gegensätze wie Inneres und Äusseres, und wer sich vom Gegensatz zu Gott einen Teil seiner Liebe binden lässt, dessen Liebezug ist dann niemals stark genug, um seinem innig angestrebten Ziel getreu verbleiben zu können bis zur endlichen Einung hin. Darum heisst es auch in der Schrift, dass nicht geschickt ist für das Reich Gottes, wer seine Hände an den Pflug legt und nach rückwärts schaut (Luk. 9, 62).

Natürlich kann ein in den Erfahrungen des Geistes noch junges Gemüt nicht so leicht zu solch reiner und ausschliesslicher Liebe kommen – und noch viel weniger längere Zeit darin verbleiben. Wer aber einmal dazu gekommen ist, dessen Liebe wird von der Liebe Gottes, die sie durch ihre Sammlung zu Gott hin berührt hatte, gestärkt, sodass sie leichter wieder zu einer erneuten notwendigen Sammlung gelangen kann – – sofern sie diese Stärkung nicht vergeudet durch Investitionen in der Welt. Das heisst: Wenn die durch das Erlebnis mit Gott gestärkte Seele ihre Liebe nicht an Äusseres bindet (z.B. an eine äussere Gemeinschaft), sodass sie dann für das Drängen nach Gott und zu Gott hin nicht mehr vollständig zur Verfügung steht. Darum auch heisst es: "Die Gott frühe suchen (vor einer Bindung an die Welt, so wie es eben Kindern noch möglich ist), die werden ihn finden (Spr.8, 17). Und aus demselben Grunde heisst es auch: "Sie werden von Gott gelehrt sein" (Joh. 6, 45 und Jer. 31, 33-34). Und schliesslich wird im Johannesevangelium noch genau dargetan, wie die Menschen von Gott gelehrt werden können: "Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebet. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. Aber der Tröster, der heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe." (Joh. 14, 21 und 26). Alle diese Stellen dürfen aber durch die Glaubensgemeinschaften nicht so ausgelegt werden, als würden diese Gott als Lehrer vertreten; aber auch nicht so, als würde das geschriebene Wort den lebendigen Gott als Lehrer vertreten. Denn Jesus hat diese Stelle aus den Propheten selber angezogen, um seine Zuhörer zu belehren, dass nur die von Gott gelehrten ihn zu erkennen vermögen (nicht aber die aus der blossen Schrift gelehrten – wie es sich während seiner Lehrzeit auf Erden an den Pharisäern und Schriftgelehrten vielfach erwies). Von Gott gelehrt heisst aber ebensoviel wie durch den Vater belehrt, denn Jesus sagt an derselben Stelle: "Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat" (Joh. 6, 45). Gott, Vater und Liebe sind aber eins, denn Gott ist Liebe (l. Joh. 4, 16).

Damit, ist also der Weg aufgezeigt, wie man mit Gott, dem Vater, in Berührung kommt und mit ihm Gemeinschaft hat. Natürlich können auch Menschen auf diesem Wege zu ihm gelangen, die ihn nicht so frühe wie in der Schrift angezeigt betreten haben, aber dabei muss dann oft zuerst eine grosse Trübsal (Depressionen) kommen, oder es müssen Krankheit und Schmerz die Liebe des Menschen von den Banden zur Welt zuerst lockern und lösen, damit die dadurch freiwerdende Liebeskraft dann auch voll vereint werden kann im grossen Drange zu Gott hin, sodass sie rein oder ausschliesslich genug wird, um der Begegnung mit Gott auch standhalten zu können, ohne dabei zu verzagen. Aber irgendeinen andern Weg des Menschen zu Gott kenne ich nicht, weder aus der Schrift, noch weniger aus der Erfahrung. Allerdings gibt es im Gegensatz dazu auch einen Weg von Gott aus zu den Menschen hin, den aber nur er begehen kann, etwa so, wie das ein Paulus erlebt hatte und wie ihn auch in der Jetztzeit viele Menschen durch grosse Geschehnisse, wie Unfälle, grosse Todesnähe, aber auch durch andere Erscheinungen erfahren.

Die Liebe also in ihrer reinsten Form ist die Bedingung zur Gemeinschaft mit Gott. Was anderes aber kann oder soll die Bedingung sein zur Gemeinschaft mit andern in Gott, als eben dieselbe Liebe. Denn wer sonst als sie alleine, die Gott selber empfunden und berührt hat, würde erkennen, ob und allenfalls wie der Nächste mit Gott verbunden und wie stark mit ihm vereint ist, sodass der Mensch dann ausschliesslich in Gott alleine Gemeinschaft mit andern haben und pflegen kann? Dieselbe Liebe, die fähig war, Gott in sich selber zu finden, ist auch alleine fähig, Gott in der Liebe des andern zu erkennen, sofern diese zu Gott hin noch einen Zug hat – und wenn er auch noch so verborgen wäre. Verborgen aber ist er in allen jenen Menschen, die eigentlich das Gute wollen oder gar suchen, die aber (noch) nicht bereit sind, alles dafür zu opfern. Denn in diesen ist der Zug zu Gott hin noch verborgen und zugedeckt durch ihre vielen Züge zur Welt hin: zur Wohlfahrt des Leibes, zur eigenen Ehre, zum Partner, zur Lust der Sinne etc. Anfänglich entdeckt ein mit Gott Gemeinschaft Habender diesen Zug zu Gott im Nächsten nur in jenen Menschen, in welchen dieser schon stärker, stark oder gar vorherrschend geworden ist. Denn dabei vereint sich die Liebe beider in der Liebe zu Gott so schnell, dass sie all das äusserlich Trennende der Sitte, des Brauchtums und sogar der (falsch aufgefassten) Lehre ausser Acht lässt, weil kein Äusseres solcher schon stark gewordenen Liebe widerstehen kann. Denn wer die Tiefe der Liebe, die alleine Wahrheit ist, fühlt, lässt sich nicht durch die widersprüchlichen Erscheinungs- und Ausdrucksformen dieser Wahrheit irre machen, sondern ruht in seiner Liebe bei ihr und lässt sich durch sie erleuchten, wenngleich diese Erleuchtung anfangs auch nur im Gefühl der Liebe wahrgenommen wird. Darum stürzt sich, wer die Liebe Gottes durch seine Liebe zu ihm einmal wirklich und gemütstief erfahren hat, mit solcher Heftigkeit auf sie, dort, wo sie ihm begegnet, dass er keiner äussern Umstände mehr achtet. Mit der Erstarkung der Liebe, die durch Gottes sättigendes Einfliessen noch stetig zunimmt, empfindet der mit Gott in Gemeinschaft lebende Mensch aber zunehmend auch schon die geringste Form einer Liebe zum Guten oder Wahren in einem andern Menschen und kann mit ihr Gemeinschaft haben in Gott, indem er seinen Nächsten in dieser seiner noch schwachen Liebe bestärkt und sich auch nicht daran stösst, wenn diese Liebe vorerst durch das eine oder andere noch etwas verunreinigt ist.

Solche Verunreinigungen sind z.B. Liebeszüge, die nur Teilen des Guten und Wahren gelten und diese an sich binden, anstatt das Ganze. Eine übertriebene Ordnung beispielsweise ist zwar ein Zug zum Guten und Wahren, aber nur in der Form der erkannten Ordnung. Einer noch nicht erkannten Ordnung, und sei sie noch so hoch und rein, kann eine solche Liebe nicht anhangen, weil sie sie nicht als gut erkennen kann. Wo aber die Liebe aller Menschen in voller Freiheit ausgebildet werden soll, muss eine eher stereotype äussere Ordnung in dem Masse zurückstehen, in welchem Masse sie die Erfahrung der frei tätigen Liebe behindern kann. Wer aber nur oder vor allem die äussere Ordnung liebt, und weniger die von Gott jedem Menschen verliehene Liebe, die jeder auf seine Art selber zu vervollkommnen hat, der steht dann Gottes Plan mit seiner eigenen Ordnung im Wege und verdunkelt durch sein Unverständnis seine Liebe zu ihm. Bei einem andern kann es durch eine übertriebene Liebe zum Schönen geschehen, dass dieser die Schönheit einer Form, z.B. der Form des Leibes, über die innere Schönheit und Reinheit der inwendigen Liebe erheben wird und dadurch dann in sich selbst einen Schaden im Fortschreiten zum Innersten hin nimmt, weil ja das Äussere vergänglich ist und als Form höchstens die Harmonie der innerlich waltenden und schaffenden Kraft symbolisieren kann. Wer bei solcher Sachlage aber von der Begeisterung der äussern Schönheit zu stark gefangen genommen wird, der vergisst leicht ihre Vergänglichkeit und versäumt darum, das ihn ansprechende Schöne vor allem nur in seinem eigenen innern und ewigen Wesen zu festigen.

Dem mit Gott Gemeinschaft Habenden kann die Konzentration der Liebe in seinem Nächsten nicht so leicht entgehen, und er fördert sie, wo er kann – allerdings nur bis zu jenem Punkt, bei welchem eine Zunahme in eine bestimmte Richtung zugleich eine Verbauung in Richtung zu Gott hin bedeuten würde. Darum versucht er auch von Anfang an, diese Einzelzüge der Liebe im grossen Grundstrom der Liebe Gottes und der Liebe des Menschen zu Gott hin zu vereinen, indem er auf die Beschränktheit des Guten im Einzelnen, z.B. der Ordnung oder der Schönheit hinweist. Aber nie würde er die Liebe oder auch nur einen Liebezug in seinem Nächsten verneinen, denn sie alleine ist die Kraft Gottes in ihm und fähig, einmal mit Gott wieder vereint zu werden, ob sie im nunmaligen Zeitpunkt schon gereinigt ist, oder nicht. Nie würde er durch die Lehre alleine seinem Nächsten Schranken setzen, wie es die Glaubensgemeinschaften tun. Sondern immer wird er versuchen, durch die Erklärung der innern Sachlage die einzelnen Liebeszüge in seinem Nächsten zu vereinen in Gott und damit zu harmonisieren in der Ordnung Gottes. Er wird die Liebe in seinem Nächsten gewähren lassen und nur versuchen, sie noch mehr zu wecken und sie noch vermehrt auf Gott hinzulenken – eingedenk der Tatsache, dass auch er selbst noch lange kein Meister ist, der alles kann und alles weiss und alle Auslegung völlig inne hat, sondern nur ein Bruder ist seinem Bruder in der treuen Suche nach der gänzlichen Vereinigung mit dem Vater, der alleine beider Meister ist! (Matth.23, 8). Nur eine solche Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft in Gott. Denn Gott fügt sie selbst durch das Erkennen aus dem Gefühl des Liebedranges nach seinem Willen hin. Es wächst eine solche Gemeinschaft nicht aus den Vorstellungen der Menschen, durch das unverstandene Wort hervorgerufen, das solange unverstanden und damit tot im Menschen bleibt, bis nicht die Liebe es findet und in sich aufnimmt und dadurch erst belebt wird, und damit dann fähig wird zu einer lebendigen Gemeinschaft.

Die Glaubensgemeinschaften nach den blossen Vorstellungen, aus dem falschen Verständnis des Wortes Gottes begründet, aber sind Gemeinschaften mit der Welt und in der Welt. Denn alles Äussere gehört zur Welt – auch der blosse Verstand –, der erst durch die innere Liebebindung wieder in Beziehungen zu Gott gelangen kann. Und wäre es nicht so, wie könnte dann der Mensch sich zwischen der Welt und Gott entscheiden; für was wäre seine Freiheit gut? Wie könnte er die Erfahrung in der Fremde, in der Welt, die ihn den Vater durch sein Vermissen erst so recht erfahren liess, in den Himmel des Vaterhauses einbringen? Auch das geschriebene Wort Gottes gehört – als geschrieben – der Welt an; und wäre es nicht so, wie möglich hätte es mit der Länge der Zeit durch die vielen Konzile, Übersetzungen und Rückübersetzungen so zerzaust werden können, und wie dem Menschen so entfremdet werden? Das äussere – geschriebene – Wort Gottes läuft dem Menschen nicht nach wie der gute Hirte dem verlorenen Schaf! Es bleibt und ruht als Hinweistafel, von der sich die Menschen entfernen können, an welcher sie sich aber auch orientieren könnten, wenn ihre Liebe durch ihre Innigkeit Licht genug zum Verständnis desselben schaffen würde. Der Mensch muss zuerst durch das innere, lebendige Wort angesprochen und zurückgeführt werden, damit er dann auch das äussere Wort verstehen kann. Denn nur das in der Liebe lebendige Wort ertönt auch in einem von Gott noch so entfernten Menschen, wie es im verlorenen Sohne ertönt war in Form der Erinnerung an die Fülle, die er bei seinem Vater hatte, und sich einnistete in seinem Gemüte und gedieh bis zum Wunsche und dem endgültigen Entschluss, dieser Fülle alleine zu dienen, selbst wenn er für sich daran keinen Anteil mehr haben könnte ("Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heisse" (Luk.15, 21) ).

Eine Gemeinschaft, die in äusserer Form begründet ist, verweist also immer mehr oder weniger auf eine Gemeinschaft mit und in der Welt. Nur die äusserlich formlose, aber liebetätige Gemeinschaft, die aus der Liebe zur Liebe kommt, entstammt aus der Gemeinschaft in Gott und mit Gott, sofern es vor allem die Liebe zu Gott ist, die die Liebe zu Gott im andern erkennt und unterstützen will. Dazu aber geben Zeit und Umstände die Gelegenheit und bewirken dann auch die zeitweilige äussere Form einer solchen Gemeinschaft durch die innere Führung der einzelnen Glieder – und nicht der Verstand der Menschen beim Grübeln in der Schrift! Das Erkennen solcher Gemeindeglieder liegt also alleine in der Liebe – oder im Geiste der Liebe –, und nicht im Verstande. Das nur sind die Gemeinschaften in Gott, deren Grund wir zwar im Einzelnen nicht erkennen, deren Bestehen wir aber umso deutlicher fühlen, während jene Gemeinschaften, deren Grund wir zwar wohl gut erkennen am ausgesprochenen Ziel, aber deren Bestehen wir in der Tiefe unsres Gemütes kaum fühlen können, nicht lebendige, innere Gemeinschaften sind, sondern äussere, der toten Welt angehörende, die darum auch der äussern Form zur Einung bedürfen! Natürlich ist es anderseits nicht auszuschliessen, dass sich innerhalb einer äussern, toten Gemeinschaft auch einmal eine lebendige, innere finden kann. Diese aber ist dann stets partiell und beschränkt auf jene, die durch das Wesen ihrer innern Liebe geprägt sind – und zwar eher und mehr als durch den äussern Verstand. Denn der Verstand ordnet zwar wohl, aber nur die Liebe verbindet und vereint zu Gemeinsamem.

So eindeutig und klar sich diese Gedanken im Herzen eines Unbefangenen aussprechen und anhören lassen, so gewagt könnten sie dem bloss im Verstande Tätigen erscheinen, wenn er schon lange gewohnt ist, das Wort Gottes nur mit seinem Verstande zu beurteilen, anstatt es durch die Tat danach zuerst in sich aufzunehmen um dadurch dann eine Beurteilungsmöglichkeit in der realen Praxis zu finden, ob dieses Wort – so, wie er es verstanden und in sich aufgenommen hat – tatsächlich das alles bringt, was es denen verspricht, die ihm folgen: ein inwendiges himmlisches Reich.

Da der in sich tote Kopfverstand nur nach den Erfahrungen im äussern Geschehen eine Sache zu beurteilen imstande ist, sei hier auch noch eine äussere Begebenheit erwähnt, welche die vorhergehenden Gedanken und Aussagen mehr als klar bestätigt:  Es ist die Situation, wie sie damals, bei Jesu Kommen zu uns Menschen, bestanden hatte. Wie war es denn damals, als Jesus zur Welt kam, also in eine Gemeinschaft geboren wurde, die einerseits gebildet war aus der bloss äussern Ordnung durch die Gebote Gottes, die Moses auf steinerne Tafeln schrieb, und anderseits aus der Ordnung der – jedenfalls Gott gegenüber – ebenfalls äussern Natur, nämlich aus dem Samen Abrahams? Wie unsäglich wenige aus dieser äussern Gemeinschaft des jüdischen Volkes haben ihn erkannt und mit ihm – dem Lebendigen – Gemeinschaft gesucht und gehabt, mit dem sie schon ehedem in und durch Gott Gemeinschaft hätten haben sollen! Aber da sie mit dem Vater (oder der Liebe in Jesus) keine Gemeinschaft hatten, wie konnten sie sie mit dem Sohne oder der Weisheit ("dem Licht der Welt" – durch seine Lehre und sein Beispiel gegeben) haben, das ebenso aus dieser Liebe hervorgegangen ist, wie das Licht aus der Wärme hervorgeht? Heiden, die ausserhalb der Ordnung Moses sich befanden, die hatten wohl Gemeinschaft mit ihm. Zöllner und Huren – ihrem äussern Tun nach ebenfalls ausserhalb der Gemeinde der Gläubigen –, hatten ebenfalls innige Gemeinschaft mit ihm, weil sie in sich durch ihre verborgene (weil noch untätige und dadurch schwache) Liebe zum Guten und Wahren, von ihnen allerdings ganz unerkannt, Gemeinschaft mit Gott hatten. Wer aber mit Gott, dem Guten und Wahrhaftigen, dem Vater oder der Liebe, Gemeinschaft hat, gelangt dann auch zum Sohne in und durch dieselbe Gemeinschaft mit dem Vater, in der auch Jesus war, und zwar bis zur völligen und persönlichen Einung mit ihm durch das Kreuz und die Auferstehung! Darum auch sagte Jesus: "Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat" (Joh. 6, 44).

Sie, die durch die bloss äussere Glaubensgemeinschaft ausgeschlossenen Heiden und Sünder, hatten also die lebendige Gemeinschaft mit und in Gott, und damit auch mit Jesus. Die Grosszahl der übrigen Gemeinschaft hingegen hatte nur Gemeinschaft mit und in der Welt!

Und wie steht es mit den heutigen, so genannt christlichen Glaubensgemeinschaften? Wie viele von ihnen warten heute auf die Wiederkunft Christi!? Und doch kann es sich kaum einer von ihren vielen Mitgliedern vorstellen, dass vielleicht auch er dannzumal Christus nicht erkennen wird, weil er bloss Gemeinschaft mit und in der Welt hat, anstatt mit Gott in Jesus, und dass er so Gott wieder nicht erkennen würde, wenn er ihm auch in Christus erschiene. Und das alles, obwohl es doch deutlich in der Schrift steht – auf die alleine er seine Gemeinschaft gegründet sieht, anstatt auf Gott –, dass er kommen wird mit seinem neuen "Tage" wie ein Dieb in der Nacht (1. Thess. 5, 2 und 2. Petrus 3, 10), das heisst mit andern Worten: von vielen unerkannt, aus dem Unverstande ihres alten Tages oder ihrer alten Sichtweise heraus, die sich aus der Trennung des Weltverstandes von der Liebe ergeben hat. Denn so war es auch damals bei Jesu erstem Kommen in die Welt, welches sogar in der natürlichen Nacht geschah: Alle erwarteten auf Grund der Schrift einen König, einen Friedefürst, einen Erlöser und Helden, aber sie fanden nur ein armes Kind und das erst noch in einem Stalle, das – kaum dass es geboren war – sogar fliehen musste mit seinen Eltern, und das später bloss ein Zimmermannsgeselle wurde. Denn ihre Herzen waren stumm, weil sie nur Gemeinschaft mit dem Äussern – der äussern Schrift und der aus ihnen begründeten Weltgebräuche – hatten, und ihr Verstand war Nacht, weil er nicht mit der Liebe gesättigt war.

Und noch eine kleine Überlegung zur Problematik der puren äusseren Gemeinschaft mit den andern Menschen, die uns verfinstert und auch verfinstern muss, weil das Licht von Gott ausgeht, und nicht von der Welt:

Haben wir Gemeinschaft pur mit einem Menschen, so haben wir Gemeinschaft mit der Sünde in ihm, sodass wir durch sie verdorben werden, etwa so, wie alle Gemeinschaften verdorben wurden, angefangen von der jüdischen bis hin zur letzten christlichen Sekte. Haben wir hingegen nur Gemeinschaft mit der zu Gott strebenden Liebe im Menschen – ob sich der Mensch dieses Zuges schon bewusst geworden ist, oder nicht – so haben wir Gemeinschaft mit seinem göttlichen Geist in ihm und damit dann auch mit Gott, und wir stehen in Gemeinschaft zu ihm in Gott, im Guten, Wahren und Lebendigen, und werden auch den Gewinn von diesem Guten und Wahren haben: ein inneres Leben und Erleben. Wir gehen dabei auch der Stärke in unserem Nächsten nach, nicht seiner Schwäche, und beschäftigen uns mit dem uns Bekannten in ihm, anstatt mit dem uns Unbekannten, das uns leicht zur Sünde reizen und verderben kann. Um seine Schwächen dürfen wir uns erst dann kümmern, wenn er selbst sie ans Licht seiner Liebe zerren will, um sie mit uns zusammen zu erkennen und – als dem Guten zuwider – dann auch möglichst für immer abzulegen.

1.1.1996

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