Gedanken über das jüngste Gericht

Das viel zitierte jüngste Gericht ist – wie auch der jüngste Tag – ganz einfach zu verstehen; ist zwar der Folgen wegen erschrecklich für den, den es trifft, aber als solches ebenso natürlich wie alles "Gericht" oder gesetzmässig Festgefügte natürlich ist. Wenn Gott aller Materie die Schwere verliehen hat, so hat er damit auch die Folgen eines schweren oder tiefen Falles unseres Leibes für alle Zeiten festgefügt. Nur besteht der Unterschied zum jüngsten Gericht darin, dass das leiblich Gerichtete ja ohnehin auf Zeit gerichtet ist, die einmal vergeht; das seelisch Gerichtete – der Freiheit der Seele wegen – hingegen auf Ewigkeiten festgehalten bleibt, solange sich eine Seele darin befinden will. Und das ist das Schreckliche am jüngsten Gericht, dass die verstockte Absonderung einer Seele vom göttlichen Gesetz mit der Länge der Zeit eher noch zu- als abnimmt. Das kann der Mensch schon im diesseitigen Leben feststellen. Nur befindet er sich da noch auf Gottes Erdboden, jenseits hingegen auf seinem eigenen Boden, da es nichts anderes geben kann als das, was er sich hier selber eingesammelt oder eingebrockt hat.

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GEDANKEN ÜBER DAS JÜNGSTE GERICHT

Das Gericht am jüngsten Tage muss wohl auch ein jüngstes Gericht sein. Denn wie der Tag, so das Gericht. Was aber ist denn der Tag, und was das Gericht? Der Tag ist das Gegenteil von Nacht, und als solcher ist er hell und voll Licht, im Gegensatz zur Nacht, die zumindest dunkel, und die tiefe Nacht gar völlig lichtlos ist. In der Nacht und völligen Dunkelheit liegen alle Kräfte darnieder und es gibt kaum eine Regung jener Kräfte, die aus dem Lichte ihr Wesen haben. So nimmt zum Beispiel die Wärme ab und beginnt am Ende der Nacht immer mehr zu fehlen; auch ist das Verständnis für alle äussern Vorgänge durch die Erkennungsschwäche der Augen in dieser Dunkelheit blockiert, dadurch ist auch die Bewegung gehemmt und eine gewisse Starrheit – die Schwester des Todes – erfüllt den Raum in allen und um alle Wesen. Das Geschilderte geschieht sowohl in der Nacht der Welt, wie auch in der Nacht der Seele; denn sonst würde man jenen Seelenzustand nicht Nacht nennen, der alles innere freie Leben und Erkennen der eigenen innern Kraft und ihrer Möglichkeiten blockiert, sowie die Weltnacht jedes äussere freie Schauen und jede Bewegung danach blockiert.

Das Gericht seinerseits ist das Gegenteil von Freiheit und die Folge eines Gesetzes, das übertreten worden ist. Wer gerichtet ist, der ist Sklave jener Macht (aufgeblähte Eigenliebe, Hochmut, Zorn Rache und Trotz), die ihn gegen das Gesetz gerichtet hat. "Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht" (Joh. 8, 34). Er muss sich als Folge davon die gesetzmässigen Folgen seines Handelns gefallen lassen, ohne dass er will; das heisst aber auch: ohne dass er Liebe zu dieser Gesetzmässigkeit besässe; denn was man liebt, das tut und erduldet man frei und es beseligt denn auch das ganze Gemüt. Alles, was der Mensch jedoch gegen seine Liebe erdulden muss, ist für ihn ein Gericht. Und nie kommt er von der Einengung eines solchen Gerichtes los, solange nicht seine Liebe es mit beiden Händen umfasst, das heisst: solange er nicht liebewerktätig, nach der erkannten Ordnung oder Gesetzmässigkeit zu handeln beginnt.

Damit Menschen vernünftig und sich gegenseitig beseligend miteinander leben können, brauchen sie vor allem zwei Dinge

1. Liebe zu Gott, der sie werden liess und der seine Ordnung der Dinge so gestellt hat, dass sie alle Wesen beseligt, die dieser Ordnung aus Liebe – also freiwillig –  dienen.

2. Liebe zum Nächsten, der ein Mitgeschöpf ist, und also für ebensoviel Beseligung erschaffen wurde wie alle andern auch.

Wer das erkennt und dieser Erkenntnis gemäss handelt, der wandelt im Lichte der göttlichen Wahrheit, ob er sich dessen voll bewusst ist, oder nicht. Denn es ist ja der göttliche Wille, dass alle seine Geschöpfe selig werden. Wer sich hingegen eigenliebig mehr herausnehmen will und herausnimmt, der benimmt den andern ihren Teil und in sich selbst benimmt er sich den göttlichen Anteil seines Wesens und damit das Licht und die Wärme des Tages (der Wahrheit) und verstrickt sich in sein eigenes Recht, das ihm auf der Welt scheinbare Vorteile bringt. Einmal aber muss er aus der Welt scheiden. Wem will er dann noch etwas nehmen, dort wo einem jeden nur das lieberechtmässig Gesammelte bleibt? Wie will der Lieblose dort auch nur Mitgeschöpfe finden, die ja nur durch die Liebe miteinander verbunden sind? Und wie will er seine Wege erkennen, wenn er die göttliche Wahrheit aus sich verbannt hat?! Ja, wenn er in diesen Zustand der Nacht fällt, wie kann er sich retten, wo doch nur die Liebe (zu Gott und den Menschen) uns retten kann aus der Nacht unserer Isolation, der göttlichen Ordnung unseres Wesens gemäss? Da trifft ihn nun das Gericht des jüngsten Tages, indem er zwar erkennt, dass eben gerade dasjenige, das er bisher floh (die Liebe), ihm Besserung brächte. Aber wie es sich aneignen in der Not, welche die Eigenliebe nur noch steigert?! Wie kann derjenige das lieben, das ihm durch seine Ordnung bedingt solche Qualen bringt? Er muss es, durch seine stark gewordene Eigenliebe bedingt, fliehen und ihm fluchen! Darum ist der Tag so schrecklich für jene, die ihm ohne Liebe begegnen, weil sie schon lange alle Liebe für sich selbst behalten haben. Sie können ihm nichts entgegen bringen in der Armut ihrer grossen Schuld, und er kann ihnen nichts geben, das sie als beseligend annehmen könnten, sodass sie einander ewig fliehen müssen.

Wer hingegen ohne es zu wollen und darum auch ohne eine eigene Liebe zum gesetzwidrigen Handeln ein Gesetz umgeht oder nicht erfüllt, der ist auch nicht im Gericht und leidet auch nicht unter seiner Wirkung. Da gilt der Satz der Schrift: "Wäret ihr blind, so hättet ihr keine Sünde" (Joh. 9, 41). Denn der Blinde ist in der Nacht seiner Sinne etwa so, wie die Kinder im Schlafe ihrer noch ungeübten Sinne verweilen, die damit noch in Unkenntnis des Gesetzes sind. Wohl trifft des Gesetzes Folge auch ihn, aber – weil er nicht eigentlich gegen das Gesetz handelte, das er nicht kannte oder nicht erkennen konnte, sondern nur nach seiner schwachen Einsicht – so wird ihn die Einsicht, die er durch des Gesetzes Folgen gewinnt, auch wieder aus dem "Banne" oder dem Manko des klaren Erkenntnislichtes hinaus führen ins Licht des neuen Tages. Denn der Bann oder das Gericht ist nur eine Wirkung des Gesetzes für jene, die es bewusst umgehen oder brechen. Aber noch ein zweites Wort Jesu, das uns in der Bibel erhalten blieb, besagt, dass der Tag (die Wahrheit) richtet – und nicht Gott, und auch nicht Jesus. Jesus nur insofern, als er uns den Tag zeigt ("Ich bin das Licht der Welt" (Joh. 8, 12)), der uns dann richten wird in der jüngsten Zeit, nämlich dann, wenn wir aus den Folgen unseres Tuns gewahr werden, dass wir in unserer Eigenliebe verloren sind für alle und für alles und uns aus der so lange kultivierten und hoch gezüchteten Eigenliebe keine Hilfe je werden wird. Jesus sagt da (Joh. 12, 47 und 48): "Und wer meine Worte hört, und glaubt nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt selig mache. Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon seinen Richter; das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tage".

Ja, noch ein drittes Wort der Bibel über das Wesen Jesu als Gottes Sohn verrät uns dasselbe Verhältnis über den Richter und das Gerichtete oder die Gerichteten durch das Gesetz. Schon der Prophet Jesaja verkündet Jesus nämlich folgendermassen (Jes.42, 1 bis 4): "Siehe, das ist mein Knecht – ich erhalte ihn – und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören, auf den Gassen. Das zerstossene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Er wird das Recht wahrhaftig halten lehren". Eine sich darauf beziehende Stelle im Matthäus-Evangelium (Matth. 12, 18 - 21) setzt da hinzu: "... ; bis dass er ausführe das Gericht zum Sieg". Diese Stelle bestätigt nur, dass das Gericht durch die Erkenntnis der Wahrheit geschehen wird – dann, wenn die Tatsachen zu belegen beginnen, dass sein Wort Wahrheit ist, die am Ende immer Sieger bleibt ("... ; das Wort, welches ich geredet habe, das wird ihn richten am jüngsten Tag" (Joh. 12, 48)).

Wenn dann Jesus aber anderseits von sich aussagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh. 14, 6), so erkennen wir in Jesus die Wahrheit (in seinem Worte); den Weg (durch seine Lebenstat) und als Folge das freie, selige innere Leben (in seiner Auferstehung). Also muss ja seine Wahrheit das Licht des Tages sein, das uns endlich wieder aus der Starrheit des Todes erlöst – sofern wir es liebend annehmen –, in welche Starrheit wir durch die Verkehrtheit unserer Liebe gelangt sind, welche Liebe immer nur das Eigene sucht und nicht nach den andern fragt und auch nicht nach der Vollkommenheit im Lichte der Vollendung, so wie sie der Schöpfer für uns Menschen zur eigenen Beseligung vorgesehen hat. Und zwar eine Vollendung durch unsere eigene Tätigkeit aus der Freiheit der Wahl heraus, nach dem von Gott uns nur Geratenen – und nicht mehr Gebotenen – zu tun.

Also besteht die Gesetzmässigkeit, die uns richten könnte, wenn wir sie nicht annehmen wollen, in dem Wege, der uns von Gott durch Jesus als gangbar gezeigt wurde, um in das volle (Liebe-)Verständnis über unser eigenes Verhältnis zu unserem Schöpfer und zu all seinen zahllos vielen weitern Geschöpfen zu gelangen und aus diesem Verständnis und den Möglichkeiten des gegenseitigen Dienens, die sich daraus ergeben, selig zu werden, sofern wir diese Möglichkeiten auch nutzen werden.

Wer diese Gesetzmässigkeit erkennt und ihren guten Grund auch einsieht, für den ist der wahre Tag auch angebrochen, aber eben – – mit ihm auch die Möglichkeit des Gerichts. Denn wer am Tage, das heisst vorsätzlich, das Schlechte tut oder sich geflissentlich vom Tage abkehrt, damit er in der Dunkelheit der Nacht in seinem Handeln frei bleibe vom Erkennen der Folgen, der verflucht in sich ja den Tag, dessen Licht ihm das Schlechte in ihm selbst offenbart hat oder offenbaren würde; und er kann darum nie ein Freund des Tages werden und bleibt auch fortan von ihm getrennt. Nur jene können zu Freunden des Tages werden, die ihn in der Nacht ihrer Seele zu missen beginnen, die voller Angst und Bangen, aber auch voller Sehnsucht nach ihm zu suchen beginnen, sodass ihre ganze Liebe diesen Tag zu umfangen bereit wird, wenn er sich nur endlich irgendwo finden lässt. Und kommt dann endlich das lang ersehnte Verständnislicht durch das Begreifen der Worte Jesu über solche Menschen, so sind sie erlöst von der Starrheit der Nacht des Todes durch ihre eigene Liebe zur  Liebe in Gott, die uns in Jesus heimgesucht hat. Wessen Liebe hingegen am eigenliebigen Tun hängt zu der Zeit, da ihm das Verständnis wird, der verflucht das Licht seines Verständnisses und damit auch die Möglichkeit, über dieses Verständnis mit Gott eins zu werden, weshalb er auch verflucht ist durch sich selbst, vom Lichte hinweg zu seiner Liebe zur Nacht, in welcher ihn das Licht ohne seinen Wunsch oder Willen getroffen hatte. In dieser Nacht des Unverstandes verwünscht der Mensch alles, was gegen seine Eigenliebe spricht und richtet alles vom Gesichtspunkt seiner verkehrten Liebe aus, oder aus seinem Unverstände für das höhere göttliche Wirken heraus. Wie leicht kann er da aber einmal einem andern gegenüber in eine Situation kommen, wo er durch seine eigene bisherige Ansicht bedingt selber zum Gerichteten wird nach seinem eigenen bisherigen Urteil.

Darum heisst es auch: "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet" (Matth. 7, 1). Denn wer seinen Nächsten mehr strafen will, als dass dieser schon durch sich selbst und durch sein Handeln gestraft ist, der hat seine Freude an der Strafe, anstatt an der Beihilfe zur Befreiung von der Strafe, und handelt damit starr und für die Starrheit der ewigen Nacht, sodass er starr in seiner eigenen Nacht verbleiben muss, welcher das Strafen mehr gefällt als das Erlösen und Erlöstwerden. Wie will – wie kann der auferstehen aus der selbstgewollten Nacht?!!

Also bewahrheitet sich die Aussage der Bibel auch in den folgenden Texten (Luk. 17, 34 - 36): "In derselben Nacht werden zwei auf einem Bette liegen; einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden. Zwei werden mahlen miteinander; eine wird angenommen, die andere wird verlassen werden. Zwei werden auf dem Felde sein; einer wird angenommen, der andere wird verlassen werden." – Denn: in welchem Glaubensschlafe einer auch gelegen haben mag, so wird doch derjenige angenommen, der den Tag ersehnte, und jener verworfen, der den süssen aber untätigen Schlaf des Geistes liebt. Und welcher irdischen Tätigkeit einer auch immer nachgegangen sein mag, so wird doch jener angenommen, der damit vor allem seinen Nächsten dienen wollte und jener verworfen, der dabei nur seiner selbst gedachte. Bei welcher Beschäftigung uns das Tages-licht des jüngsten Tages also auch immer antrifft, so wird es den erlösen, der mit seiner Tätigkeit für den Tag und damit für das Wohl aller gearbeitet hat, und den verfluchen, der für die Nacht des Eigennutzes tätig war oder gar nichts gearbeitet hat. Verfluchen durch die Erkenntnis, dass die Folgen seines eigenliebigen Tuns, zu dem er Liebe und Neigung hat, ihn stets mehr für sich selbst gefangen nehmen, was ihn zu einem Gegensatz der Ordnung werden lässt, die er deshalb samt ihren Folgen in sich selber immer mehr verflucht und damit aus sich verbannt, was eben die Folge und damit der Fluch seiner ungewollten Erkenntnis ist.

Darum hat auch ein jeder Mensch seinen eigenen jüngsten Tag und als Folge davon auch sein eigenes jüngstes Gericht zu bestehen. Dann nämlich, wenn er das Leibliche verlassen wird. Denn dann werden ihm die Verhältnisse der Welt im Lichte des Geistes offenbar, da der Sehe seiner Seele keine die Erkenntnis hindernde Materie mehr entgegensteht. Aber dann auch wird er durch sich selber, das heisst durch die Richtung oder Neigung seiner Liebe in ihm, der gemäss er bisher gehandelt hatte, für sein weiteres Bestreben gerichtet, sich entweder endlich ganz mit Gott zu vereinen ("Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir." – Paulus in seinem Brief an die Galater (2, 20)), oder sich von dem seine verkehrte Liebe beleuchtenden Lichte, das ihm daher zuwider ist, hinweg zu begeben und damit willentlich der völligen Nacht anheim zu fallen. Aber das ist ja dann die Erfüllung des Wortes Christi, dass nicht er richtet, sondern nur das Licht des Wortes, das er zu uns geredet hat, und das über dem Grabe sichtlich erkennbar wird.

Und es gehört eben darum zu der Liebe Gottes und zur Handlungsweise Jesu, dass er die bösen Menschen lange Zeit flieht, damit sie durch das Licht seines Wortes nicht vor der Zeit gerichtet sein mögen. Darum ist er als Kind – durch die Führung Gottes – mit seinen Eltern vor den Kindermördern des Herodes geflohen, damit dem Herodes und seinen Mördern eine Chance werde, selbstwillig ihre Schuld einzusehen und einzubekennen, weil sie sich dann ihrer eigenen, reuigen Liebe gemäss hätten ändern können. Werden sie hingegen ihrer schlechten Handlung durch äusseres Licht (anstatt durch ihr inneres Liebelicht) überführt – was durch eine göttliche, wundermässige Einwirkung gegen ihre Handlungsweise leicht möglich gewesen wäre –, so verfluchen sie das äussere Licht nur, das sie und ihr Wesen entblösst hat; selber aber haben sie ja noch nie ein eigenes Liebelicht gehabt, folglich fallen sie ihrer eigenen Nacht anheim, weil sie den für sie ungewollten äussern Erkenntnistag verflucht haben, ohne einen eigenen innern Tag aus ihrer Liebe auch nur ansatzweise gehabt zu haben.

Die Folgerichtigkeit dieser Sachlage wird durch ein Vorkommnis bei einem andern Gottesverfolger offenbar: bei Saulus, der dann zu einem Paulus wurde. Auch er verfolgte Gottes Plan und Gottes Boten wie damals des Herodes Schergen. Aber vor ihm floh der seinem Leibe nach bereits gestorbene, aber am dritten Tage wieder auferstandene Christus nicht, wie das seinerzeit noch gar wohl sichtbare Christuskind vor Herodes und seinen Häschern geflohen ist. Sondern ihm stellte sich Christus sichtbar, weil er sah und wusste, dass nicht Saulus Liebe zu sich selbst, sondern Saulus Liebe zum reinen Judentum und darum zu dem Gott der Juden ihn trieb, gegen Christus zu sein, dessen Wesen er nicht verstand. Also nur die Unkenntnis oder die Nacht der Blindheit liess ihn Gott verfolgen, darum er vorderhand auch ohne Sünde ("Wäret ihr blind, so hättet ihr keine Sünde" (Joh. 9, 41)) war, und Jesus sich ihm darum offenbaren konnte ohne Gefahr für ihn, dass er dadurch gerichtet würde. Denn seine Liebe war ja für Gott. Ihm fehlte nur das Verständnis, und darum wurde er durch dasselbe Licht, das Herodes und seinen Schergen während ihrer Tat zum Tode im Gericht gereicht hätte, erlöst von seinem Irrtum, der ihn von dem von ihm geliebten Gegenstand – Gott – bisher entfernt hielt.

Bei diesen beiden Beispielen haben auch zwei in der Mühle der Weltherrschaft gemahlen; der eine – der die Vollkommenheit in Gott suchte und liebte – wurde angenommen, die andern – die ihr Eigenes suchten und liebten – wurden zwar noch nicht verworfen, sondern aus grosser Erbarmung Gottes ihres endlichen Gerichtes vorläufig noch enthoben dadurch, dass das Licht der Wahrheit von aussen her nicht über sie kam in der Zeit, in der sie wider Gott handelten. – – Aber schlussendlich müssen auch diese dennoch einmal ins Licht des Tages der Wahrheit gestellt werden und dabei entweder von ihrer Schwäche erlöst, oder dann durch ihr hartnäckiges eigenes Trachten gerichtet werden und gefangen genommen werden in ihrer eigenen Nacht.

(Wie gut könnte es aber bei einem damaligen noch jungen und unbekümmerten Schergen des Herodes geschehen sein, dass er später, in reiferen Jahren, von Jesu Wirken erfahren hat und er sich gefragt hätte, ob er wohl in seiner feurigen Jugend ausgerechnet gegen diesen Heiland der Menschen losgeschlagen hat, als er alle Kinder bis zu zwei Jahren Alters töten musste. Wie unendlich Leid täte ihm das dann. Ja wie Leid muss ihm jedes Töten tun, wenn er an die Unschuld der Kinder zu denken beginnt! Wohl begreiflich würde er da zu verzweifeln beginnen, wenn er plötzlich vor Jesus stände; aber Jesus würde ihn da vielleicht bei seiner Hand erfassen und zu ihm sagen: "Siehe, du bist zwar verloren gewesen im Gestrüpp deines weltlichen Drängens, aber ich habe dich wieder gefunden in deiner Reue".)

Aber beim letzten, oder auch noch mehr beim jüngsten Tag (jenseits) bleibt keine solche Zeit mehr. Da wird alles offenbar und wir müssen klare Stellung zu der Wahrheit beziehen, sie also annehmen oder ablehnen.

Da zeigt sich der Vorteil des Glaubenslichtes gegenüber dem völligen Erkenntnistag: Beim Glaubenslicht ist das Schauen noch unsicherer, und seine Wirkung auf unser Gefühl darum auch noch sanfter – ähnlich dem hellen Schein des anbrechenden Morgens. Es lässt uns noch vieles unklar und offen, das wir dann erst nach und nach – beim ordnen – noch genauer erkennen können, ehe uns die allzu krassen, vom mittäglichen Volllicht beschienenen Tatsachen zu erdrücken beginnen und gefangen nehmen. Denn: wo wir noch nicht ganz sicher sind, da können wir noch guten Mutes tätig sein, während eine für unser Fortkommen ungünstige Überzeugung uns schon eher lähmt, nach weitern Möglichkeiten zu suchen.

Es ist uns im Übrigen in der Schrift an einer Stelle ganz deutlich gezeigt, wie es sich verhält mit dem jüngsten Tage der Wahrheit bei jedem Einzelnen; und zwar bei der Kreuzigung Jesu. Denn wie seine Liebe gekreuzigt wurde von den Menschen, so auch wurden zweierlei Menschen neben ihm gekreuzigt durch ihrer Missetaten Last; einer zur Linken, der andere zur Rechten. Der eine liess Jesu Wesen nicht gelten und lästerte ihn durch seine Aufforderung: "Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns." (Lukas 23, 39). Damit tat er, wie viele taten aus dem Volke; und Gott in Jesus blieb für ihn stumm, wie er stumm blieb gegenüber dem lästernden Volke und seinen Obersten. Da aber ergriff die Liebe (der Vater) den andern Missetäter neben Jesus, sodass er voll Verständnis ward für Jesu Wesen und ihn rechtfertigte in sich und vor den andern. Ja, dass er am Ende Jesus bat, an ihn zu denken, wenn er in sein Reich komme. Dieser hatte am Tage der Wahrheit, in seinem jüngsten, weil letzten Gerichte sichtbar Gnade gefunden in der Zusicherung Jesu: "Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (Lukas 23, 43).

Es war die Unverbesserlichkeit aus Trotz, und der Hochmut, der den Einen, beim Offenbarwerden seiner Missetat am Kreuze, so verstockt werden liess, dass er sich selbst über Gott in Jesus erhob durch seine höhnische Aufforderung, weil er es fälschlicherweise als offenbar und erwiesen sah, dass der noch so gute Erdenwandel dem Wandelnden gar nichts erspart und dass dagegen die Eigenliebe zumindest vorher noch herbsten konnte, womit er vor sich selber als "vernünftiger" erschien als die guten und dummen Menschen.

Beim Volke war es zum Teil vielleicht eher die lieblose Teilnahmslosigkeit am Leiden eines Gerechten und darum auch das unüberlegte Mitgehen mit den andern, die es so reden, liess. Dieser Teil zählt vorderhand zu den Lauen, die ausgespieen werden (Offb. 3, 16). Was alles jenen widerfährt, die sich über Gott erheben und jenen, die lau sind, das wissen wir nicht im Einzelnen. Dass die einen verdammt sind durch ihr eigenes Dagegenstemmen, das ist klar; aber wie die Finsternis solcher Eigenverdammung durch Absonderung von Gott zu erleben ist, das wissen wir besser nicht im Einzelnen. Das aber wissen wir aus Erfahrung, dass das Eingestehen von Fehlern schon in dieser Welt eine sehr seltene Tugend unter den Menschen ist, die bei einer vorherigen Ertappung schon am allerwenigsten möglich wird, weshalb der jüngste Tag, der ihnen mit seinem Licht ihr Wesen schonungslos offenbart, für solche so erschrecklich sein kann durch das damit verbundene, eigenverschuldete Gericht. Und das wissen wir auch aus der oben angeführten Begebenheit des Wortwechsels Jesu mit einem der beiden Mitgekreuzigten, dass Jesus zu denen spricht, die sich in Liebe und Achtung zu ihm wenden, und dass diese nicht verloren gehen, sondern um ihn versammelt bleiben.

Weil aber allem Seienden von Gott aus ein Mass gesetzt ist, so muss sich auch alles innerhalb dieses Masses wieder finden lassen, weil dieses Mass der Ordnung Gottes entspricht und ausserhalb dieser nichts bestehen kann. Darum kann sich zwar Gott – wie Jesus damals mitten im Tempel, als die Juden Steine aufhoben, um sie nach ihm zu werfen (Joh. 8, 59) – vor jedem verbergen und den Einzelnen vor seiner Zeit auch fliehen, damit ihn bei einer unzeitigen Erkenntnis der Wahrheit nicht der Fluch des Gerichtes trifft. Aber das irdische Leben des Menschen ist dennoch bemessen, innerhalb welchem er – die Dunkelheit zu seiner freien Entwicklung, gegen das Licht hin nutzend – sich entscheiden muss, was er will, damit ihn das Licht seines jüngsten Tages (jenseits) nicht zu seinem Nachteil trifft.

So aber, wie einem jeden Einzelnen ein Mass gesetzt ist – sowohl der Zeit als auch seinem Tun nach –, so ist auch der Menschheit als Ganzes ein Mass gesetzt, und zwar ebenfalls der Zeit wie ihrer innern Entwicklung nach. Weshalb es auch einmal zu einem allgemeinen Tag der Wahrheit kommen muss, der ja nach der langen Nacht der Unkenntnis auch zu einem jüngsten Tage wird, und auf welchen oder durch welchen letztendlich auch ein allgemeines jüngstes Gericht erfolgen muss, weil der Tag stets ein Gericht der Nacht der Lüge bedeutet, da Tag und Nacht nicht nebeneinander bestehen können zur selben Zeit, am selben Ort. Wenn also Gott – durch das böse Treiben der Menschen genötigt – sich lange Zeit sehr zurückhalten musste, der Freiheit zur möglichen Umkehr wegen, so wird dennoch einmal der Zeitpunkt kommen, da er die Werke der Welt offenbar werden lassen muss, um jene zu erlösen, die unter dieser Nacht allzu sehr gelitten haben, sodass sie hätten verloren gehen mögen (Matth. 24, 22).

Und diese Zeit ist genau gekennzeichnet – zwar nicht dem Zeitpunkt nach, wohl aber ihrem Wesen nach. Denn wie damals, vor der Sündflut – als dem ersten allgemeinen Gericht –, so werden die Menschen auch wieder tun und handeln vor dem jüngsten allgemeinen Gericht, nach Jesu Wiederkommen in aller Wahrheit. Denn so heisst es in der Schrift (Lukas 17, 27 und 28): "Sie assen und tranken, sie freiten, sie liessen sich freien ... sie kauften und verkauften ..."  –  "Essen und Trinken" bedeutet hier kultischen Genuss alles nur erdenklich Geniessbaren um des blossen Geniessens willen, nicht um des Sattwerdens und der Kräftigung willen zu neuen, guten Taten. Und "Freien und Sich-freien-Lassen" bedeutet hier nicht nur die unstete und immer öfters wechselnde oder gar bezahlte Partnerschaft, sondern bedeutet ebenso das haltlose Werben der Verkäufer als Anreiz, über das Mass zu Leben und sich damit nach demjenigen gelüsten zu lassen, was unseres Nächsten (z.B. der dritten Welt) ist, und bedeutet auch das Sichwohlgeschehenlassen der Kunden auf Kosten der Werber, der Versicherungen und des Staates, der um die (Wahl-)Gunst seiner Bürger wirbt oder buhlt.

Also mit andern Worten: Sie handeln ihrem Verstande und ihrer Weltlust gemäss in und mit der Welt und kümmern sich nicht mehr um die Gesetzmässigkeiten und noch weniger um die Liebe zu Gott und zu ihren Nächsten. – "Und dieweil (bei einem solchem Tun) die Ungerechtigkeit wird überhand nehmen, wird die Liebe in vielen erkalten" (Matth. 24, 12).

Aber just durch dieses viele äussere Handeln wird und muss es ja geschehen, dass sie endlich dennoch – aber eigenliebig – zu den Gesetzmässigkeiten (wenigstens der äussern Welt) vordringen werden; nicht zwar, um sie bewundernd zu beachten, sondern um sie eigenliebig und ohne Scham und Reue auszunützen. Solche Gesetzmässigkeiten, welche die Menschen auffinden, liegen z.B. im Atom verborgen, das sie spalten und damit zerstören und dadurch auf Jahrtausende alles zerstörende Strahlen freisetzen; liegen aber auch in den Genen, den wunderbar in die leiblich lebendige Materie gezeichneten göttlichen Baupläne der Leiber oder "Kleider" aller Lebewesen. Diese Gesetzmässigkeiten finden die unbussfertigen Menschen jener Zeit (unserer Zeit) aber auch in der Chemie und der Physik, die –industriell und global betrieben – durchaus die Welt, auf der wir leben, auch physikalisch und chemisch aus dem Gleichgewicht bringen können, und nicht nur etwa bloss die Menschen alleine (durch Überforderung der Einzelnen), die sie bewohnen, wohl aber später diese dann mit der Welt zusammen!

Wer das einsieht und weiss und sich dennoch an solchem Tun – in welcher Form auch immer: als Akteur oder Nutzniesser – erfreut oder es gutheisst, der bewillkommnet ja, ohne es sich vielleicht bewusst zu werden, den allgemeinen jüngsten Tag und das allgemeine jüngste Gericht durch sein Tun. Denn: dass er sich darum bemüht, zu wissen, belegt ja seine begierliche Forschung für den vollen Tag der Erkenntnis in natürlichen Dingen (wenn auch nur in seinem berechnenden Verstande, statt in seiner fühlenden Liebe). Und darum muss ja dann aus dem Tun am Tage, also aus dem bewussten und vorsätzlichen Tun, gegen die Einsicht der geschauten Wahrheit, auch der volle Tag – aus den zeitlichen Folgen daraus – werden; aber mit ihm dann auch das volle Gericht erwachsen. Denn erst das Gericht (die Folgen unseres Tuns) ist ja der Beweis dafür, dass das Licht des (Erkenntnis-)Tages uns nicht getäuscht hat. Aber dieser Beweis schickt seine Veranlasser dann auch in die endlose Finsternis des Sich-Verlierens im selbstwilligen Tun, das nicht aufhören mag, wenn noch so grosser Schmerz und Erschütterung die solcherart Tätigen heimsucht.

Niemand kann und darf zwar richten, ohne das Gesetz zuvor verkündet zu haben – sofern er ein gerechter Richter sein will! Also wird es auch Gott nicht tun! Wie aber kann der Richter sein Gesetz bekannt machen?

Den Gläubigen kann er es sagen, und sie werden ihm glauben, weil sie in sich fühlen, dass es dieses Gesetz braucht, und weil sie es als etwas Brauchbares lieben – wie den Gesetzgeber auch. Dabei ist der Glaube aus der Liebe das Licht! Den Blinden in der Liebe zu Gott und den Tauben in ihrem Gemüte jedoch, die alles nur für wahr halten, wenn sie es betasten können, muss es ein gerechter Richter allerdings auch zum Betasten geben, sollen sie das Gesetz erkennen. Und das sind die Naturgesetze, die Gott den bloss nur für ihren Eigennutz Forschenden durch ihre Verstandeserkenntnis zukommen lässt. Und erst, wenn auch die grosse, ja die weitaus grösste Masse aller in der Liebe Blinden, die an Gottes Wort nicht glauben können, weil sie keine Liebe zu ihm haben, aus den Gesetzen der Natur erfahren haben oder durch wissenschaftliche Lehre sehend geworden sind, dass ihr Handeln in den Abgrund führt, erst dann ist allen diesen ein jüngster allgemeiner Tag der Wahrheit geworden und darum dann auch Zeit für das allgemeine Gericht mit allen seinen Folgen – zeitlich und ewig, oder: weltlich und geistig.

Und das betrifft die jetzige Zeit, und es ist ein Zeichen dieser Zeit, dass diejenigen, die es erkennen durch das Tasten an den Naturgesetzen – und den andern auch durch die Lehre verkünden –, dass eben diejenigen dennoch nicht davon ablassen können, das Böse und Gefährliche weiter zu tun. Sie erscheinen den mit Liebe Sehenden schon jetzt als verdammt, obgleich es sie leiblich noch nicht getroffen und geistig nicht ereilt hat. Aber diesen gilt der Satz: "Sie wissen, was sie tun". Und für solche hat Jesus seinen Vater (oder seine Liebe in sich) nicht um Vergebung gebeten – nur für die Unwissenden (Lukas 23, 34). Darum ist die Zeit des Gerichtes nun auch da. Einige Jahre oder gar Jahrzehnte mehr oder weniger ändern nichts daran. Auch steht nirgends geschrieben, dass der Tag oder das Gericht auf einen Schlag erfolge, denn auch der jüngste Tag währt – wie alle andern Tage auch – seine Zeit. Und so lange dieser Tag (der Erkenntnis) währt, solange kann auch das Gericht geschehen.

Dass, der allgemeine jüngste Tag, nicht ein einzelner (Natur-Tag) sein wird, weil es gar nicht um einen Welttag oder natürlichen Tag geht, sondern um einen Erkenntnistag, eine Zeitspanne, in welcher der Geist des Menschen über die Erfahrung – anstatt über die Liebe – aus seinem sinnlichen Schlafe wach geworden ist, belegen folgende zwei Schriftstellen:

Lukas 17, 26: "So wird's auch geschehen in den Tagen (Mehrzahl) des Menschensohns." und:

Joh. 8, 56: "Abraham ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich."

Die erste Stelle zeigt die Tage des Menschensohns schon in der Mehrzahl an. Die zweite bezieht sich auf die dreissigjährige Lebenszeit Jesu unter den Menschen dieser Erde, oder dann zumindest auf seine dreijährige Lehrtätigkeit und spricht über diese ganze Zeit dennoch nur als von einem Tag.

Daraus wird ersichtlich, dass die Texte der Bibel sich überwiegend auf die geistigen Verhältnisse beziehen – vor allem in den Prophezeiungen. Dass also beispielsweise Tage immer als ein Erkenntnislicht oder eine Erkenntnismöglichkeit gesehen werden – und nicht als Naturerscheinung.

3.10 & 15.10.99

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