Aus dem Leiblichen in das Geistige wachsen

Wie kann ein Mensch die urtümlichsten Triebe seines Leibes mit seinem in ihm wirkenden Geist in Einklang bringen? Und wie soll er sich zum für ihn oft unzeitig vorhandenen Trieb im Wesen seines Partners verhalten? Ihm dienend? – Ja! Denn derjenige Anteil, den wir am Leben anderer nehmen, ist eine so grosse Bereicherung für uns selbst, dass wir diese gar nicht beschreiben oder gar verstehen können, solange wir das nicht einmal selbst erlebt haben! – Aber wie, ohne uns dabei selber zu erniedrigen? – Indem wir unsere eigenen Schwächen stärker gewichten als unsere Tugenden. Dann können wir uns schon auch mit der Schwäche unseres Nächsten abfinden und in einem nur dann möglichen gemeinsamen Wirken Vieles erringen und Vieles erfahren, das uns bereichert und das uns sonst fremd geblieben wäre. Das können wir in diesem kleinen Buch ahnungsweise miterleben, sofern wir bereit sind, auch für uns selber die äussere Selbstachtung unserer so unvollständigen Persönlichkeit aufzugeben zu Gunsten einer Achtung des Geistes der Liebe mit all seiner Verständnisbereitschaft, die dem Geist wahrer Liebe immer innewohnt und der Wahrheit in der tiefsten Tiefe des menschlichen Gemütes entspricht. Wer diese Wahrheit einmal berührt hat, scheut sich nicht mehr, ihr zu folgen durch alle Wirrnisse äusserer Erscheinungen hindurch bis zur lebensvollen Einung mit ihr. Denn zutiefst in uns ruht das Göttliche, das uns erst erfüllt und erfüllen kann, wenn wir ihm alleine zu dienen bereit sind; ungeachtet dessen, was die Welt und der Weltverstand dazu sagen wird, und ungeachtet dessen, wie wir selber uns vor dieser göttlichen Wahrheit ausnehmen.

(Gedruckt nur erhätlich beim Bezug aller Titel dieser Reihe) SFr. 5.00

Ein Auszug davon ist auf den folgenden Seiten widergegeben:

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AUS DEM LEIBLICHEN IN DAS GEISTIGE WACHSEN

Früher waren viele Menschen der Ansicht, dass eine geschlechtliche Vereinigung schlecht sei und nur die Enthaltsamkeit gut. Und heute sind die meisten Menschen überzeugt, dass die Enthaltsamkeit – als eine Verneinung eines einmal bestehenden Triebes – schlecht sei, und die Betätigung des Triebes aus demselben Grunde gut. Das sind nun zwei wirklich ganz gegensätzliche Meinungen zu ein und demselben Thema. Wer hat denn da wohl Recht?

So leicht lässt sich die Frage nicht beantworten, wenn man sich nicht im vorneherein klar darüber werden kann, was denn der Sinn und Zweck des leiblichen Menschen sei. Hat der leibliche Mensch keinen eigentlichen Zweck, sondern ist er vielmehr eine Laune der Natur, so wird es auch keine grosse Rolle spielen, wie er sein Leben gestaltet. Denn, was keinen reellen Grund hat, kann auch nicht nach den Prinzipien eines Grundes geordnet und gestaltet werden. Eine Ordnung nach anderen Prinzipien als jenen des Grundes aber ist nichts anderes als Irrsinn und käme dem gleich, dass z.B. einer sämtliche Nahrungsmittel nach den Prinzipien der Formähnlichkeiten ordnen würde. Dabei müsste er eine Linse zu den Wanzen ordnen, eine Kastanie zu den Igeln, das Ei zu den Kieselsteinen, die Milch zum Wasser – oder besser zur Farbe, und eine Banane gar zu den Himmelskörpern, weil sie in Form und Farbe nichts anderes, als ein Duplikat der Mondsichel darstellt.

Ist der Mensch aber nach den äusserst unlogischen Prinzipien des Neodarwinismus (denn der Darwinismus ist ja schon längst widerlegt) das Ende einer Evolutionsreihe, so ist das einzelne Individuum nichts anderes als ein notwendiges Glied oder eine Substanz dieser imaginären Evolutionskette, dessen Pflege oder Gestaltung völlig unwichtig ist, weil es ja nur in der kurzen Zeit seines irdischen Lebens als Glied einer ewig langen Kette wirkt und nachher vergessen werden kann. Das ist insbesondere auch deshalb so, weil sich ja diese Kette nach heutiger Erkenntnis und den von der ehemaligen Lehre Darwins noch übrig gebliebenen Restmöglichkeiten ohne das Zutun des einzelnen Individuums weiterentwickeln soll (durch den blossen Zufall der Mutation).

Ist der Mensch hingegen das Produkt einer äusserst intelligenten Kraft, was man angesichts des ungemein komplizierten und feinstabgestimmten Organismus ganz getrost annehmen darf, so wäre das Ordnen seines Lebenslaufes und seiner mannigfachen Lebenstätigkeiten schon ohnehin am zweckmässigsten nach den Prinzipien der ihn erschaffen habenden Kraft vorzunehmen, weil er sonst leicht seinen ihm zugedachten Zweck verfehlen könnte und er dadurch eine Chance zerstören würde, durch die Erreichung seines Zweckes mit seiner Schöpferkraft eins zu werden. Das aber würde ihm bestimmt nicht gut bekommen, weil ja die ihn erschaffen habende Kraft ohnehin sicher grösser ist als die seine, sodass nur er selber der Leidtragende eines Prinzipienkonfliktes ist, und nicht die ihn erschaffen habende Kraft, die ja augenfällig nicht nur stärker, sondern auch im Höchstmasse intelligenter ist als er. Das belegt der Mensch ja dadurch, dass er erst heute langsam zu begreifen beginnt, wie kompliziert und genial sein Organismus aufgebaut ist.

Wie auch immer eine solche Kraft von den Menschen genannt werden mag, eines ist sicher, dass sie nämlich undenkliche Zeitenläufe oder Ewigkeiten vor dem ersten Menschen bestanden haben muss. Da aber die sicher ebenfalls schon äusserst alte Materie – in ihrer äusseren Erscheinung – aus der Sicht der heutigen Physik keine Kraft ist, sondern nur der Ausdruck oder die Wirkung einer Kraft, so kann das Endzweckliche des Menschen unmöglich ewige Materie sein, folglich auch keine Vervollkommnung im Materiellen, sondern nur im Wesen seiner Kraft, welche in seinem Geiste ruht.

Und weil eben diese Kraft im Menschen ein Teil aus der ihn hervorgebracht habenden Kraft sein muss, so ist die Vermutung nahe liegend, dass sie noch Wesenszüge ihrer Ursprungskraft in sich enthält. Wenn wir diese Wesenszüge suchen, so fällt uns auf, dass einer der wesentlichsten das Assimilationsbedürfnis oder das Aneignungsbedürfnis ist, das auch Liebe genannt werden kann. Schon der kleinste Knirps legt das an den Tag, indem er seine Eltern sucht, aber auch dann, wenn er das ihm Angenehme und Schöne sammelt. Die Ehepartner legen das Bedürfnis dieser Kraft wieder an den Tag, wenn sie einander ergreifen.

Nur gibt es zwei verschiedene Artungen dieser Kraft: Die unbedingte und brutale, und die bedingte und sanfte Artung. Wer ohne Rücksicht auf das Ergriffene oder – bei einer Sache – auf den Besitzer des Ergriffenen ergreift und sich etwas aneignet, ist ein Räuber, der brutal und unbedingt seiner eigenen Liebe (der Eigen-liebe) oder Assimilationskraft gehorcht. Derjenige, welcher nur unter der Bedingung des Einverständnisses des Ergriffenen oder – bei einer Sache – des Besitzers des Ergriffenen ergreift, vereint nur, was sich zur Vereinigung eignet. Dies ist die sanfte Artung derselben und in dieser Wesensart nicht minder starken Kraft, wie sie sich auch in ernsthaft sich Liebenden zeigt.

Da uns Menschen aber die uns hervorgebracht habende Kraft in unserm Innern uns augenscheinlich nicht ergreift ohne unsern eigenen Willen und unser Wollen dazu, so ist sie bestimmt jener Artung, die wir vorher die sanfte genannt haben. Dass wir unsererseits diese sanfte Kraft nicht gerne und an erster Stelle erfassen und ergreifen wollen, zeigt anderseits, wie wenig in uns das Bedürfnis nach dieser Artung unserer eigenen Kraft schon vorhanden ist. Dabei müsste es doch jedem, auch dem Lichtlosesten und Dümmsten klar sein, dass die brutale Artung, welche wider den Willen des Ergriffenen oder seines Besitzers ergreift, nie Ruhe und Frieden finden wird, weil ja das wider Willen Ergriffene aus derselben Kraft selber wieder anderes ergreift und sich zu trennen sucht von dem es ergriffen Habenden, während bei der Ergreifung nach der sanften Artung geradezu nur Ruhe und Friede als einzige Möglichkeit übrig bleibt.

Also geht aus dem bisher Gesagten hervor, dass erstens ein Zweck des Menschen nur in einer ihn erschaffen habenden Kraft zu ergründen ist, und nicht in einer Zufallskette von Entwicklungen, weil im Zufall kein Zweck liegen oder walten kann; und zweitens, dass der Zweck des leiblichen Menschen in seiner Kraft liegen muss und nicht in seiner Materie oder dem Leibe, da Materie in sich und für sich keine Kraft ist, sondern nur sicht- und fühlbarer Ausdruck einer Kraft, und somit nichts erschaffen kann. Ferner erkennen wir das Wesen dieser Urkraft im Wesen, das der menschlichen Kraft zugrunde liegt, als Assimilationsbedürfnis oder Liebeskraft. Die Artung dieser Kraft aber erkennen wir an den möglichen Formen der Ergreifung oder Assimilation, und den Sinn oder Unsinn einer solchen Artung an den Folgen ihrer Handlungsweise. Wie sinnvoll diese Urkraft ist, erhellt aus ihrer Artung. Also ist folgerichtig bestimmt ein Zweck des Menschseins, einerseits diese Kraft in ihm zu stärken und anderseits ihre Eigenart oder ihr Wesen so sinnvoll als möglich zu gestalten.

Darin also liegt die Aufgabe eines jeden Einzelnen, wie selbstverständlich noch vermehrt eines jeden Ehepaares, weil ja dort nach der gegenseitigen Ergreifung die Früchte davon (die Kinder) die Wesensartung dieser Kraft an den Tag legen und diese Früchte ihrerseits wiederum durch eine möglichst gute Einwirkung ihrer Eltern leichter die Fülle des möglichen Masses, welches in der Urkraft gegeben ist, erreichen können.

Und so standen sich auch einmal zwei Ehepartner gegenüber und hatten ein wenig Erkenntnislicht in der soeben geschilderten Weise und verspürten anderseits durch ihre Gefühle in sich auch eine Kraft, deren Ziel, Zweck und Artung sie nicht kannten, und sie wussten deshalb nichts damit anzufangen. Mit dem bisherigen Lichte ihrer Erkenntnis aber vermochten sie anderseits auch nicht viel anzufangen, weil dieses Licht vorläufig nicht durch das Gefühl – mangels geeigneter Tätigkeit – mit seiner Kraft verbunden werden konnte, die im Sinne und dem Schein dieses Lichtes das Gute hätte ergreifen mögen. Weil das Paar aber die gute Artung der es erschaffen habenden Kraft zumindest aus dem Lichte seines bisherigen Verständnisses kannte und deshalb seine eigene Kraft auch mit ihr einen wollte, aber aus der Armut der noch unentwickelten eigenen Kraft das noch nicht so recht konnte, so half die es erschaffen habende Kraft nach, wo sie nur konnte, das heisst: Wo es nur aus dem Wunsche der Beiden möglich wurde – denn gegen den Willen ergreift ja diese Kraft nichts, wie wir gesehen haben. Christen würden sagen: Sie empfahlen sich Gott, dem Herrn, und gaben sich alle Mühe, aber das Werk tat der Herr. (Weil aber heute weit mehr Menschen Naturkundige – also auch Physiker – sind als Christen, so war es vorgängig auch notwendig, die so einfachen christlichen Verhältnisse zuerst physikalisch zu erklären.)

Beide erkannten, dass sie für die Ewigkeit geschaffen waren und nicht für die Zeit, und spürten, dass es ihr Geist sei, der das Menschsein ausmache, und nicht ihr Leib oder die Materie. Aber beide verspürten auch zugleich, dass dennoch dieser Leib ständig für sie nicht erklärbare Forderungen an sie stellte und sie empfanden darum anderseits auch äusserst klar, dass ihr ewiger Geist noch reichlich untätig, und vor allem unausgebildet und zu schwach war – solchen Forderungen gegenüber –, sodass sie ständig das Gefühl haben mussten, dass sie viel eher dem Leibe nach – der vergänglich ist – Menschen seien, als dem Geiste nach. Und es konnte sie deshalb oftmals doppelt schmerzen, dass ausgerechnet ihr Leib oft mehr und deutlichere Forderungen stellte als ihr noch oftmals schlafender Geist. Denn was der wache Geist zu bewirken imstande ist, das kannten sie aus den geschichtlichen Aufzeichnungen der Bibel, aber auch aus so mancher Erscheinung an Menschen, denen sie schon begegnet waren, und welche mehr zu leisten imstande waren, als man gemeinhin von einem Menschen erwarten kann.

Insbesondere war es die geschlechtliche Erregung, die beiden zu schaffen machen konnte, ohne dass sie sich freilich allzu oft einstellte. Aber den sorgfältig abwägenden Geist bekümmert das "Wie oft" weniger als das "Warum". Denn, dass sie essen mussten zur Erhaltung des leiblichen Lebens, das sahen sie ohne weiteres ein, aber mit dem denn doch oftmals über das notwendige Mass zur Erhaltung und Fortpflanzung hinausgehenden geschlechtlichen Bedürfnis kamen sie nicht so ganz zurecht.

Da beide zudem – wie heute wohl sehr verbreitet der Fall – schon vor der Ehe ihrem Trieb selber Genüge tun mussten (also masturbierten – wie das lästige Fremdwort es genannt haben will, das keinem Menschen ein Gefühl der dabei vor sich gehenden Abläufe vermittelt), so hatten auch beide das doppelte Problem, wie sie beim Nicht-Vermeiden-Können einer Befriedigung ihrem Triebe genüge tun sollten – alleine oder miteinander?

Natürlicherweise würde man denken, dass es ja der Sinn der Gemeinsamkeit sei, alles auch gemeinsam zu tun. Obwohl diese Ansicht bestimmt nicht falsch ist, so gibt es doch auch Überlegungen, welche diese Denk- und Vorstellungsweise bei einem ernstlich und unvoreingenommen Denkenden in Frage stellen können:

Wenn beispielsweise die Ehepartner, wie die zwei Beschriebenen, das Gefühl haben, dass die geschlechtliche Lust nicht zu jenem gehört, welches den Geist stärkt, wohl aber die Begierde des Fleisches schürt, welches nachher nur umso ungestümer weiterzubegehren anfängt, so ist es durchaus verständlich, wenn der eine oder das andere der beiden bei seinen Lustanwandlungen folgendermassen denkt: "Wenn ich nun meinen ganz sorglosen und mit derselben Lust im Momente nicht konfrontierten Ehepartner um einen Dienst bitte und er ihn mir auch gewährt, so habe ich damit doch dieses eine Mal, da er selber keine Begierde in sich verspürte, diese in ihm geschürt und erhitzt, sodass er mehr in sie hineingezogen wird, als er aus seiner eigenen Natur schon mit ihr zu kämpfen hat, und ich habe sie ausserdem in ihm befestigt und bestätigt, und ihm selber damit seinen eigenen Kampf unnötig erschwert. Es ist ja genug, wenn wir uns vereinen, wenn gerade beide danach das Verlangen haben".

Das sind sehr schöne und äusserst pflichtbewusste, auch liebevoll abwägende und Rücksicht nehmende Gedanken – ob sie aber richtig sind, das wussten beide nicht; und insbesondere die Frau, welche oftmals nach diesem Grundsatz handelte, verspürte, dass dieser Alleingang der Gemeinsamkeit nicht sonderlich zuträglich sei, obwohl sie beide ein sonst sehr schönes und harmonisches Verhältnis miteinander hatten. Sie waren beide nicht gefühlsbetonte Menschen und ihr Verhältnis, das auch in äussern häuslichen Belangen äusserst bescheiden war, war deshalb auch im Gefühlsreichtume eher bescheiden, aber dafür auch echt und von Wahrheitsliebe und einer gesunden Nüchternheit geprägt. Manches Mal litten wohl beide darunter – wenn auch nicht schwer –, dass sie ihr Verhältnis nicht mit etwas mehr Gefühl schmücken oder – eigentlich besser ausgedrückt – durchwärmen konnten. Etwa so, wie sie es in der grossen Natur empfinden konnten, so war es auch in ihrer Ehe zu verspüren: Die Saat gedeiht und das Korn reift alleine durch das Licht und die Wärme der Sonne, und das genügt vollauf zum sich sättigen. Aber das alles bewegt den Menschen nicht in seinem Innern.

Wenn aber dieselbe Sonne, welche am heissen Sommertage das Korn reifen machte, sich gegen Abend hin dem Horizont und damit augenscheinlich auch der Erde nähert und – von herrlich weissen Wolken gesäumt – den Horizont auch bald einmal berühren wird, so färben sich diese weissen Wolken – als Symbole der im Geiste verdichteten Bilder liebevoller Glaubensvorstellungen – zuerst gelblich und dann rötlich golden bis sie am spätern Abendhimmel leuchtend tiefes Rot annehmen, wenn noch ein zarter Hauch des Lichtes in ihnen schwebt und sie durchglüht, wiewohl die Sonne mit ihrem äusseren Licht dann bereits hinter den Bergen dieser Welt verschwunden ist. Da erst erkennt das aufnahmefähige Gemüt, dass das Licht (auch sein inneres Licht) stets nur vom Himmel her kommt, wie sehr es auch die Materie der Erde beleuchten kann. Das verhält sich gleich wie im Menschen, wo auch das Verstandeslicht die Vorkommnisse des irdischen Lebens beleuchten kann und dennoch einmal versinken muss hinter der überwältigenden Vielheit aller äusseren Erscheinungen, woselbst dann erst das innere Licht des Himmels – im Gemüt des Menschen – bewirken kann, dass er seinen Blick zu diesem Himmel hinauf richtet und erkennt, dass er viel bewegter und belebter wird, wenn das Irdische (Sorge und Verstandesspekulation) schon lange in seinem eigenen Schatten ruht.

Erst zu dieser Zeit – oder auf das Seelische bezogen: erst in diesem Zustande – vermögen uns die Formen und Bilder des Natürlichen den richtigen Eindruck zu vermitteln, indem bei aller Glorie des abendlichen Widerscheines des Himmelslichtes denn doch in allem irdisch Gegenständlichen der eigene tiefe schwarze Schatten sichtbar gegenwärtig ruht. Diese Gegenstände besagen uns dann, dass sie nur harte und darum Schatten werfende äussere Bilder eines göttlichen Planes sind, die nur erst dann, wenn sie vom himmlischen Licht beschienen werden, die richtigen Relationen erkennen lassen und auch nur alleine durch dieses Licht zu einem eigenen individuellen Leben in den sie betrachtenden lebendigen Geschöpfen gelangen können, ohne dieses Licht jedoch im eigenen Schatten zu ruhen verurteilt sind.  Erst in diesem Lichte die Natur betrachtet, vermag sie uns wirklich und unser Wesen tief verändernd zu berühren, während dieselbe Natur unser Leiblich-Materielles sonst zwar wohl ernährt, aber unserem innern, lebendigen Gemüt nicht viel Stärkendes und Tröstendes zu bieten hat.

Genau so erfuhren die beiden oftmals ihre Ehe. Es war in ihr eine gedeihliche Ordnung, die sich stets vervollkommnete und damit auch befestigte, wie das nährende Korn in der Gestalt des Brotes die Gesundheit festigt und die Kräfte nährt. Aber nur wenig war darin, das sie bewegte und ihre Liebe wach rief und sammelte, wie es der abendliche Widerschein des himmlischen Lichtes im menschlichen Gemüt bewirken kann.

Als dann die Frau während eines Gespräches mit einem Bekannten überdies noch den Ausspruch vernahm: "Wo anders als im Gemüte und seinem Gefühl soll sich einmal der Himmel offenbaren können, wenn er inwendig im Menschen sein soll; ja, wo anders soll er sein?", da wurde es ihr klar und immer klarer, dass ein Stein (des Anstosses) auch im Himmel ein Stein bleiben würde, wie der Bekannte ihr damals weiter erklärt hatte, und sie erkannte, dass ja ein Stein als solches nie im Himmel sein kann, selbst dann nicht, wenn er mitten in ihm läge, wenn der Himmel so materiell wäre, dass ein Stein in ihm liegen könnte. Vielmehr würde der Himmel gerade um den Stein herum, den er umgibt, aufhören, ein Himmel zu sein. Er würde ihn zwar wohl umschliessen, aber niemals durchdringen. Und würde oder könnte er ihn durchdringen, so wäre es nicht mehr ein Stein.

"Was aber soll ich nun tun?" fragte sich die Frau immer öfters. "Das wenige Gefühl, das ich habe, das habe ich oft am deutlichsten und intensivsten während der Befriedigung meines Triebes – und da ist es nicht rein und erst noch unfassbar kurz!"  –  "Du musst es eben in deiner Erinnerung in die Länge ziehen und es dadurch zu erkennen suchen, woher und wann es kommt und wohin es im Allgemeinen zieht, dann kannst du es vielleicht auch reinigen oder entbinden vom ursprünglichen, leiblich-materiellen Anstoss, der es hervorbringen musste, sodass es dich dann zu einer nützlichen innern oder äussern Tätigkeit beleben oder gar drängen kann", riet ihr ihr Mann – über seine eigene, spontan aus ihm heraus gebrochene Antwort selber erstaunt –, als ihn seine Frau in ihrem Kummer einmal danach fragte.

(Solche Probleme ergeben sich nicht bei Menschen, für welche der Sexualakt bloss ein Vergnügen oder eine willkommene Abwechslung ist, sondern nur bei solchen, die ihn als ein Ereignis empfinden, das sie in ihrer Gefühlssphäre niemals überblicken und darum auch nicht richtig verarbeiten können, das sie aber im Moment des Geschehens derart aufwühlt, dass sie oft nicht so leicht und auch nicht so vollständig wieder davon los kommen, wie sie sich das wohl selber wünschten, weil sie niemals verstehen können, was sich in ihnen dahinter alles verbirgt.)

Diese Antwort bewegte darum die Frau auch ungewöhnlich lange und beschäftigte ihr Gemüt tage-, ja wochenlang. Denn erstens lag darin eigentlich eine Aufforderung, sich vermehrt und vertieft mit ihrem Triebe und den dabei in ihrem Gefühl erfolgenden Erregungen zu beschäftigen, und zweitens erkannte sie darin dennoch die Hilfe ihres Mannes durch seine Antwort – wiewohl weder sie selbst noch er wusste, wie diese entstehen konnte oder woher sie kam. Denn auch er selber hatte ja bis jetzt noch gar nie nach seinem so spontan gegebenen Ratschlage gehandelt, wie er ihr später noch mehrmals bestätigen musste, weshalb diese damals ausgesprochene Erkenntnis für ihn ebenso neu und überraschend war wie für seine Gattin. Allerdings kannten sie aus weiterer Erfahrung in andern Gebieten die Erscheinung, dass sie, wenn sie einmal ganz aus Liebe handelten oder redeten, oft Dinge vollbrachten oder Antworten geben konnten, von denen sie spürten, dass sie nicht ganz alleine aus ihrer bisherigen Erkenntnis und Erfahrung hatten zustande kommen können. Sie erkannten darin die Gnade von oben einerseits und die Bestätigung der Wichtigkeit und der bereichernden Wirkung der auf den andern voll eingehenden Nächstenliebe andererseits.

So kam es auch, dass sich die Frau vornahm, in Zukunft alle geschlechtlichen Probleme und Betätigungen mit ihrem Manne zu teilen. Obwohl sie nun also eigentlich bereit war, ihren Mann um seine Beihilfe zu bitten, so störte sie nun dennoch der bisherige Gedanke ebenso stark, dass sie mit ihrem niederen Triebe – wie sie es empfand – ihren Mann durch ihre Bitte auch jedes Mal erniedrigen müsse. Das war der Grund, weshalb sie dennoch und trotz ihres immer stärker werdenden Willens, auch alles Triebhafte mit ihrem Manne zu teilen, zur Zeit der Not ihres Bedürfnisdranges zumeist nicht zum Eingeständnis und der Bitte an ihren Mann gelangen konnte. Denn – wer so denkt und so stark mit der eigentlichen Wahrheit verbunden bleiben will, kann nicht – wie sonst bei den Menschen üblich – mit Kleidern, Gebärden und Gebaren – also mit Verführung – seinen Partner einfach stimulieren (d.h. ohne Worte auf das gleiche Niveau herunterziehen).

Dabei war es etwa gar nicht, wie bei so manchen billigen Reinheitsdienerinnen, die Scheu, ihr Innerstes ihrem Manne entdecken zu müssen, das sie so denken liess. Im Gegenteil, wenn nicht gerade Not am Manne – oder eben an der Frau – war, so sprach sie stets über ihre Schwächen und Nöte mit ihm, und ihr Mann schätzte diesen ihren demütigen Wesenszug auch wie eine Perle über alle ihre andern Eigenschaften. Auch hatte er ihr schon dadurch helfen wollen, dass er die Frage aufwarf, weshalb sich zwei denn eigentlich zu ehelichen bräuchten, wenn nicht aus eben dem Grunde, dass einer an der Schwäche des andern mittragen würde. Er wisse wohl, dass die sinnliche Schwäche einer Seele für ihren Geist "Schmutz" bedeuten könne, und in diesem Falle dann wohl auch der mittragende Helfer bei seiner Hilfeleistung in den Schmutz greifen müsse, sodass für ihn die Gefahr besteht, selber schmutzig zu werden. Aber das sei ja beispielsweise auch bei der Reinigung eines Hauses der Fall. Solle es etwa deshalb nicht mehr gereinigt werden, nur weil der Reinigende vom Staube des Hauses während der Reinigung beschmutzt werden könnte? Es könne sich ja der durch die Hilfe an seinem Nächsten Verunreinigte nachher wieder reinigen, und der gelöste Schmutz auf dem Helfer sei überdies leichter zu reinigen, als der festgesetzte auf dem ursprünglich Verunreinigten.    ............................

........................ ab Seite 29:

Ein anderes Mal, als sie sich leiblich wieder fanden, sagte der Mann schon zu Beginn: "Heute wollen wir wieder eine kleine Rast auf unserer Erlebniswanderung einhalten, um uns die Landschaft unserer Gefühle desto besser und eindrücklicher merken zu können." Dieser Vorschlag verzögerte zwar anfangs die Erwärmung der Frau, aber als sie nach kurzer Zeit dennoch in die Heftigkeit ihres Feuers kam, entzog sich ihr der Mann wieder und koste sanft ihre heissen Wangen, während er sie fragte, was sie wohl nun schon alles empfunden habe.  "Nur wieder eine Gier! – Ich verliere mich einfach dabei, weisst du", gab sie ihm etwas enttäuscht über sich selber zur Antwort. Und er meinte, dass das ja nichts zur Sache habe, weil sie ja eben nun darum eine Rast machen würden. Und wieder koste er sie und strich mit seiner Hand über ihre Stirn und über ihr Ohr, das er dabei ein wenig in seiner Hand behielt und es sanft zu drücken begann, während er zu ihr sagte – und diese folgenden Worte flossen ihm spontan zu, ohne dass er sie zuerst hätte suchen müssen:  "Siehst du, hier hast du ja noch ein weiteres Organ, welches zur Aufnahme geeignet ist – wenn auch nur für Worte, welche dir meine Gedanken übermitteln können! Was ist dir nun lieber, dass ich dir für dieses so recht von Herzen etwas Gutes gebe, das dich noch mehrere Tage in deinem Gemüte beschäftigen kann, oder ist es dir lieber, dass ich dich sättige an deiner hungrigsten, bloss leiblichen Stelle?"  Diese Worte ergriffen sie in ihrer Liebe, denn sie drangen so erlösend und ihr Feuer etwas mildernd in sie ein und dazu verspürte sie noch die innige Zartheit, mit der ihr Mann ihr Ohr wie ein Kleinod in seiner Hand hielt, und ihr wurde auf einmal bewusst, wie reich sie doch an ihren beiden Ohren war – nicht, weil er die Muschel des einen so sanft in Händen hielt, sondern weil so viel Gutes in dasselbe fliessen konnte, das dann in ihr weiter wirken und ihr somit auch weiterhelfen konnte. Sie verspürte eine grosse, dankbare Seligkeit in sich. Und sie merkte dabei, dass ihr die Worte ihres Mannes bei so grosser – wenn auch vorab leiblicher – Erregung merklich wohler taten und tiefer – fast leiblich tief – in sie drangen, als sonst bei irgendeiner Gelegenheit.

Solange der Mann ruhig lag und ihr nur betrachtende Worte der Erbauung zuflüsterte, während er immer wieder ihre Ohrmuschel sanft ergriff, so als wolle er mit dem Druck seiner Liebe seine Worte noch bekräftigen, solange konnte auch seine Frau ruhig sein und gab sich ganz der Erbauung hin. Wie er aber einmal zu sehr sich bewegte und sie dabei wieder den ganzen leiblichen Kontakt zu fühlen begann, entzündete sich ihr Feuer wieder, oder vielmehr sprang es aus der geborgenen Wärmeglut ihres Gemütes auf ihren Leib über und wurde dort wieder zum Brande. Ihr Mann erkannte das augenblicklich in ihrem Gesicht, obwohl sie sich bewusst ruhig zu halten bemüht war, weil sie dieses schöne Fliessen der Gedanken ihres Mannes durch ihr Ohr nicht hindern wollte. Aber dennoch verschloss sich das Ohr ihres Gemütes noch mehr, was der Mann wohl verstand und wieder zu ihr kam, wobei er wieder bald – durch seine äusserst intensive und liebeglühende Beschäftigung mit ihrem Gemüte und der dabei grossen Miterregung seines Leibes – zu seinem Höhepunkt kam, gerade in dem Momente, als auch sein Weib dazu gekommen war. Danach verspürten beide eine Kühle und Leere, die der Mann nicht verstehen konnte, während sein Weib nicht darüber nachdachte, sondern sich die Wärme wieder wünschte, die vor dem Höhepunkte – während der Rast, wie es der Mann bezeichnet hatte – in ihr das Leben so stark regte und zur Kraft werden liess. So viel gaben sich die beiden während dieses Aktes – er vom Lichte seines Erkennens und sie von ihrer Hingabe und Überwindung ihres Feuers –, dass sie hinterher den so genannten Höhepunkt für äusserst schal hielten. Ist das wohl nicht vom Ur-Grunde der Menschen so gewollt, dass das im vergänglichen Leibe entzündete Feuer auf des Menschen Geist überspringen und ihn wecken soll – wenn nicht schon Not und Trübsal diesen bereits vorher erweckt hat und dabei die Liebe zum Guten in ihm gestärkt hat? Dabei kann dann der Geist durch dieses Feuer für sein ewiges Fortwirken in der Seele gestärkt werden, indem ihn diese in sich aufnimmt, und damit dem Leibe einen grossen Teil ihrer Kraft entzieht, sodass von dort her keine grosse Wirkung mehr ins Gebiet der Seele gelangt mit der Folge, einer grösseren Gleichgültigkeit gegenüber fernern Forderungen des Leibes.

Je mehr sich aber dieses Paar mit solchen Gedanken beschäftigte und dabei auch stets neue Erfahrungen in seinem Gefühlsbereiche machte, desto gefühlvoller und auch beseligender empfand es viele der täglichen Arbeiten. Wenn auch das Weib während ihres leiblichen Beisammenseins weniger zu geben hatte und viel mehr empfing, so wurde dadurch sein Gemüt dennoch wacher und dadurch aufnahmefähiger, sodass es die verschiedenen Lebensverhältnisse plastischer zu sehen begann, weil seine innern Gefühle und damit auch seine Liebe stärker wurden. Und immer öfters kam es denn auch vor, dass es während seiner Arbeit durch Gefühle zu Gedanken kam, die ihm bisher fremd waren. Aber auch umgekehrt vermochten nun gewisse Gedanken in ihm Gefühle zu erwecken, was sie vor dieser Zeit höchst selten zu bewirken imstande waren. Entweder dachte es damals, oder es fühlte eben. Und das war damals alles nur so, weil die Gefühle von der Allgemeinheit als "Emotionen" schon grundsätzlich für nicht modern und aufgeschlossen angesehen werden, und jene speziellen, die es in seiner frühen Jugend bei der Befriedigung des Leibes hatte, aus Gründen der Negation der Selbstbefriedigung so komprimiert wurden, dass sie nie und nimmer seinen Geist erweckend wirksam werden konnten.

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