Grundsätzliche Gedanken über die Psychologie

Wenn ein Gärtner nur die Blätter einer Pflanze kennen würde, wie könnte er seine Pflanzen pflegen, damit sie gedeihen und sich vermehren? Vielmehr muss er all seine Pflanzen von ihrer Wurzel auf kennen, muss ihren Stängel oder Stamm beurteilen können; muss wissen, unter welchen Umständen eine Pflanze Blüten und Früchte bringt und weshalb die eine oder andere immer nur Blätter treibt. – Das alles hört sich ganz vernünftig an. – – Wie kommt es denn aber, dass ein Psychologe oder ein Psychiater (also Seelenkenner oder gar Seelenpfleger) über seine "Pfleglinge" gerade nur weiss, was für Blätter – resp. was für Verhaltensweisen – sie haben können. Nichts jedoch weiss über ihre Wurzeln und in welcher Erde sie sich am besten verankern können; oder mit andern Worten: nichts über das Gemüt und wo es erfolgreich verankert werden kann, und wie behandelt eine Seele sein muss, damit sie Früchte hervorbringt, die ihr selber ebenso viel Seligkeit bringen, wie den andern einen Nutzen. Wie also müsste sich eine wahrhaftige Seelenpflege gestalten und an was orientieren, damit sie diesen Namen auch wirklich verdient? Das zeigen die Überlegungen im nachfolgenden Text.

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PSYCHOLOGIE

Grundsätzliches über die Position der Psychologie

Oh Psychologie, du unglückseliges Wort! Denn erstens bist du lateinisch und hast somit schon darum keinen umgangssprachlichen Bezug zum normalen Leben eines Menschen. Und zweitens bedeutet es dem Sinne der schon lange toten lateinischen Sprache nach: "Lehre von der Seele". Was für ein unglückseliger Gedanke, das Studium des Zappelns eines kaum geborenen Säuglings bereits als "Menschenkenntnis" deklarieren zu wollen. Denn sowenig ein kaum geborener Säugling unter dem Ausdruck "Mensch" bezeichnet wird (obwohl er selbstverständlich auch in seinem frühesten Anfangstadium ein Mensch ist), ebenso wenig sind das Studium und die Erkenntnisse des reflexartigen Verhaltens einer sich ihrer noch kaum selbstbewussten Seele eine wahrhafte Lehre vom Wesen der Seele. Zu einem Studium über das Wesen der Seele wären zumindest ihre Herkunft und ihr Sinn und damit ihre endgültige Bestimmung zu wissen notwendig. Denn ohne diese Kenntnis kann das Wesen der Seele nie erkannt und beurteilt werden. Bestenfalls könnte man die heutige als "Psychologie" bezeichnete Lehre als eine Verhaltensforschung bezeichnen. Denn wie die Tiere, so haben auch Menschen mit einer unentwickelten Seele reflexartige Mechanismen, die zu ihrem Überleben in einer Gesellschaft unabdingbar sind. Genau gleich, wie wir schon beim Leib in der frühen Entwicklungsphase eines Säuglings zunehmende reflexartige Bewegungen feststellen können, so entwickelt in einer spätern Phase auch die Seele für sich selber ihre reflexartigen Mechanismen. Von den leiblich über das Nervensystem gesteuerten Reflexen wissen wir zum Beispiel, dass frisch Geborene ihre leiblichen Sinnesorgane noch gar nicht gebrauchen können. Wenngleich die über das Ohr vernommene Laute noch bald einmal Eingang in das empfindende Gemüt finden, so sind doch die Eindrücke des Lichtes über das Auge noch gar lange nicht derart ausgeprägt, dass äussere Dinge auch als solche wahrgenommen werden. Zuerst kommt bloss eine allgemeine Wahrnehmung des Lichtes an und für sich – als ein Gegensatz zur Finsternis. Erst später wird wahrgenommen, dass sich Gegenstände im vom Auge wahrgenommenen Lichtbild der äussern Welt verändern können. Das erkennt der Betreuer eines Säuglings daran, dass die Augen seines Pfleglings beginnen, sich bewegende Gegenstände zu verfolgen. Aber noch immer erkennt das empfindende Gemüt des Säuglings die Gefahr noch nicht, die ein solcher sich bewegender Gegenstand für ihn und speziell für seine Augen darstellt, wenn er sich ihm zu nähern beginnt. Wann das so weit ist, erkennt der Pfleger eines Säuglings daran, dass dieser zu blinzeln beginnt oder seine Augen gar schliesst, wenn sich ihm ein Gegenstand allzu rasch nähert – und wäre es die Hand seines Pflegers. All dieses Wissen gehört doch gewiss nicht zu einer "Menschenkenntnis", obwohl es Marksteine in der Entwicklung eines werdenden Menschen sind. Eher könnte man es eine Lehre über die Entwicklung einer Reflexbereitschaft nennen. Später dann beginnen sich im Gemüt oder der Seele ebenso reflexartige Mechanismen auszugestalten, wie wir sie auch von den Tieren her kennen. Diese zu fördern, hiesse eine Menschenseele in ihren Anfängen festzuhalten oder mit andern Worten: ihre Weiterentwicklung zu verhindern. Derartige "Reflexe" werden jedoch während der frühen Erziehungsperiode vom Erzieher auch bewusst anerzogen. Zum Beispiel mit der Forderung, mit den Händen ein Bitte-Bitte zu machen, wenn etwas gewünscht wird, oder das "Dada" sagen nach dem Erhalt des vorher Gewünschten; ebenso auch das Küssen als Begrüssung am Morgen oder das Wiegen beim Schreien eines Kleinkindes, oder den Schnuller geben, wenn es wach, aber unbefriedigt ist. Alle solche Einrichtungen sind für sich gesehen nichts anderes als ein Dressurakt; zum Beispiel auch das Belohnen nach der Erfüllung einer Forderung des Erziehers. Und nur, weil die Menschen derart primitiv erzogen werden, ist es möglich, später eine Verhaltensforschung zu betreiben und daraus eine Lehre über das Verhalten einer Seele zu entwickeln, die dann in den Augen der Wissenschaft den Namen Psychologie verdient. In Wirklichkeit ist es nur die Lehre über Reflexe, die man auch Verhalten nennen kann.

Eine Zwischenbemerkung dazu sei erlaubt: Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn zu Beginn der Erziehung, also am Anfang der Entwicklung Reflexartiges verlangt wird, weil ja ein wirkliches Denken noch nicht möglich ist. So zum Beispiel das Bitten mit den Händen oder das Danke. Denn damit wird dem werdenden Menschen erkenntlich gemacht, dass es zu allem, was man begehrt eine Hinwendung an denjenigen braucht, von dem etwas begehrt wird, dass man also mit andern Worten nicht einfach nur fordern darf und noch weniger sich selber bedienen. Damit wird dem jungen Menschen eine ganz wichtige Erkenntnis übermittelt, die man vereinfacht mit "Rücksichtnahme" bezeichnen kann. Aber schon der Gute-Morgen-Kuss ist ein Ritual, das es nicht braucht und das im Prinzip die Gefahr in sich schliesst, alle tiefern Wahrnehmungen zu unterbinden. Denn: ob man schlechter Laune oder guter Laune ist, der Morgenkuss ist ein fester Bestandteil des (dann eben nur) äussern Lebens oder Lebensablaufes. Er wird nur als Strafe bei Missfallen des Betragens verweigert. Das ergibt dann in unzähligen weitern Schattierungen solcher Bräuche ein äusseres Korsett, das die Entwicklung und Bildung eines freien Gemütes durch eigene Beurteilung und damit eine freie Seelenentwicklung verhindert. Faule Seelen sind dafür sogar dankbar, weil mit einem solchen Korsett die eigene innere Gestalt oder Gestaltung nicht gestärkt zu werden braucht. "Rollenmenschen" hat man solche innere Schwächlinge schon genannt. So leicht sich mit ihnen umgehen lässt, wenn man die Struktur ihrer Rolle oder ihrer Reflexe einmal kennt, so schwierig wird es anderseits für eine solche Seele selber, sich in irgend neuen und darum noch ungewohnten Positionen weiter zu entwickeln – in gewohnten tun sie das und wollen sie das ja ohnehin nicht. Es entspricht ein solches Benehmen dem Gesetzlichen, dem von aussen her Bestimmten oder notfalls sogar Vorgeschriebenen – geradeso wie es im alten Testament der Bibel, zum Beispiel in den 10 Geboten Mosis, verankert war. Daraus gibt es kein Entweichen! Wie aber entwickeln sich Menschen in einer solchen Situation? Sie haben ein den Gesetzen und ihren Forderungen entsprechendes Verhalten, ganz gleichgültig, ob sie es beachten oder umgehen wollen; wobei das Umgehen einfach in einer ihnen vertretbaren andern Auslegung besteht. Und in einer solchen Situation kann man dann eine Verhaltensforschung betreiben. Denn der Geist – nicht der Verstand – ist nicht wach und darum auch nicht wirksam in solchen Seelen. Denn soviel Verstand haben sogar die Haustiere, dass sie sich den Forderungen des Menschen durch allerlei Tricks zu entziehen vermögen. Zum Beispiel ein Hund, der in irgendetwas zu weit gegangen ist und darum von seinem Herrn zurückgepfiffen wird. Er kommt entweder nicht oder nur zögernd oder beginnt dann in der Nähe seines Meisters zu flattieren. Genau dasselbe geschieht auch beim Menschen. Und Sigmund Freud, der Begründer der modernen Psychologie bringt ja selber das beste Beispiel dazu, indem er ausgerechnet den aus moralischen Gesetzesgründen verdrängten Sexualtrieb zum Ausgangspunkt seiner Forschungen macht. Ist das nicht eine Verhaltensforschung im besten Sinne?! Sie fragt sich, was macht der Mensch, wenn er Triebe hat, die dem Gesetz widersprechen. Alles, was ein Mensch dabei falsch gemacht hat, das Verdrängen also, lehrt man ihn dann richtig machen. Aber: Ist das richtig?!! Selbstverständlich sind solch behandelte Menschen danach freier, alleine schon aus dem Grunde, dass sie dabei erfahren, dass es andern genauso ergeht und dann noch aus dem Grunde, dass man ihnen Auslegungen der Gesetze oder der Vernunft zeigt, die das Problem entschärfen. Der "Naturtrieb" ist eine solche Erklärung. Aber niemand kann sie versichern, dass sie nicht wieder in ähnliche Situationen geraten. Und das liegt an der anfänglichen Erziehung. Denn solange der Mensch nicht weiss, was sein Sinn und die sich aus ihm ergebende Aufgabe ist, solange auch kann er sich nicht wirklich seiner innern Wesensstruktur gemäss entfalten, die er ja eben zur Vollendung bringen soll – im Gegensatz zum Tier, das in seiner Wesensgestaltung bereits vollendet ist. Ja er kennt auch das Resultat oder die ganz andern Möglichkeiten der Vollendung seines Wesens gegenüber seinem jetzigen Seinszustand nicht. Und gerade hier müsste ja eigentlich die wirkliche Psychologie beginnen – jene, die berechtigterweise so genannt werden könnte. Und genau an diesem Punkt versagt sie und begnügt sich stattdessen mit einer Verhaltenslehre.

Ein Psychologe, ein sich selbst, wenn auch in lateinischer Sprache, als "Seelenkenner" Bezeichnender, ist einem Kenner des Raupenlebens zu vergleichen. Der Kenner des Raupenlebens wird bald einmal herausfinden, was eine jede Art von Raupe als Nahrung braucht. Er wird herausfinden, wie und wann sie sich fortbewegt, ob sie einer geselligen Art angehört oder ob sie Einzelgängerin ist, wie sie sich bei Gefahren verhält. Ja er wird sogar mit der Zeit herausfinden, dass eine Raupe das einzige Tier ist, welches nach seinem vollendeten Leben einen Sarg braucht, den sie sich erst noch selber baut!! Ist das nicht eine grossartige Forschungserkenntnis! Aber da sind die Zoologen einem blossen Raupenkenner weit voraus. Sie nennen diesen Sarg "Puppe". Ein blosser Raupenkenner hingegen muss es berechtigterweise immer "Sarg" nennen. Denn die Natur der Raupe hat ihn gelehrt, dass es sich tatsächlich um einen solchen handelt, denn noch nie ist es vorgekommen, dass man aus einer Puppe – oder einem Raupensarg – je wieder eine lebendige Raupe hat zurückgewinnen können. Was alles danach – nach dem Ende des Lebens einer Raupe mit ihr passiert, das gehört ja nicht mehr zu seiner Forschung. Sonst wäre er ja nicht Raupenforscher, sondern Spekulant oder gar ein Fantast – zum Beispiel wenn er behaupten würde, aus diesem Sarg würde einmal ein völlig anders geartetes und gestaltetes Tier entweichen. Denn ein ernst zu nehmender Wissenschafter hat stets bei seiner Materie zu verbleiben. Und diese muss stets greifbar und messbar vorhanden sein. Alles was man nicht wägen und messen kann ist bestenfalls Glaube oder Mystik. Darum haben blosse Raupenkenner, die sich selber ernst nehmen, dieselben Probleme wie die Psychologen auch: Sie haben nämlich keine Ahnung, woher die Raupen kommen und wie sie entstehen. Bei allen andern Tiergattungen, die man kennt – gleichgültig ob unter Wasser oder über Wasser lebend – gibt es eine Fortpflanzung, entweder über Eier oder lebende Geburten. Nur ganz primitive Einzeller vermehren sich durch Teilung. Die Raupe hingegen legt weder Junge noch Eier! Auch beim Aufschneiden ihres Körpers hat noch nie jemand Eier oder gar lebende Junge gefunden. Sie ist einfach da, und wir können ihr Leben studieren. Wir können sogar ihre Feinde erkennen, ihr Futter, ihr gesellschaftliches Verhalten, nicht aber ihre Herkunft und deshalb auch nicht ihren Sinn. Als Raupenkenner könnte man höchstens faseln gehört haben, dass die Schmetterlinge aus diesen Raupensärgen entstehen sollen, besonders die Zoologen sollen derart mystische Vorstellungen haben. Ja, selbst wenn sie Recht hätten, dass aus solchen Raupensärgen ein Schmetterling hervorgehen kann, so ist es noch lange nicht erwiesen, ob das immer der Fall ist, und wenn das auch der Fall wäre, so müsste doch bestimmt vorher ein ebensolcher Schmetterling ein Ei in einen solchen Sarg gelegt haben, so wie es etwa ein "Blausieb" tut, eine Schmetterlingsart, deren Weibchen ihre Eier einzeln in die Rindenspalten eines Baumes legen. Abgesehen davon entstehen ja in den Särgen der Menschen aus ihren faulenden Leibern auch allerlei Würmer, ohne dass jemand behaupten möchte, der Wurm sei eine andere neue Form des verstorbenen Menschen. – Also mit dieser Theorie kann man einem ernsten Raupenforscher nicht kommen.

Ist es doch noch nicht einmal so sicher oder gar erwiesen, dass der Mensch vom Affen abstammt, obwohl er ihm gestaltlich und in seinem Verhalten äusserst nahe verwandt ist (und leider noch immer verwandter wird!), wie soll da einer ernst nehmen können, dass aus einem mit seinen vielen Füssen an seiner Unterlage fest verhafteten Wurm endlich gar ein Tier würde, welches die Himmelsluft als seine neue Unterlage und zu seiner Fortbewegung braucht und sie damit zu seinem neuen Lebenselement macht. Nein, und nochmals nein, so etwas gehört ebenso wenig zu einem seriösen Wissen eines Wissenschafters wie die Spekulation ungebildeter Menschen, dass eine Menschenseele auch nach dem Tode des Leibes weiterleben könnte, zur seriösen Forschung eines Psychologen gehört. Wenn also ein Nervenarzt und Hirnforscher – wie Sigmund Freud es war – beginnt, eine Psyche, zu Deutsch also eine Seele, zu definieren, die ja weder von den Nerven noch vom Gehirne her kommt – oder entstanden ist –, wie eine Raupe nicht von den Blättern, so muss er ja in völliger Nacht herumtappen. Und kann – wie der Raupenforscher – allenfalls Verhaltensforscher werden, weil er das Verhalten der Seele erforschen kann, wenigstens so lange, als diese mit ihren vielen (Bezugs-)Füssen sich noch auf dem Boden der Materialität vorwärts bewegt, wie eine Raupe mit ihren vielen Füssen auf ihrem Blatt. Mit dem eigentlichen Wesen der Seele hat das allerdings nichts zu tun. Das hindert jedoch alle weitern oder nachfolgenden so genannten Seelenforscher keineswegs, sich ihrerseits bei diesem Entdecker gewisser Verhaltensweisen zu ihrer Freud' zu orientieren. Der Beweis, dass nur Dumme  Psychologie studieren, ergibt sich von selbst dadurch, dass viele von ihnen als Studierte zu erkennen beginnen, dass Freud in sehr vielem seiner Lehre nicht Recht hatte. Wären solche Studierte von Hause aus klüger gewesen, hätten sie nie in einer solchen Richtung zu studieren begonnen, weil sie leicht erkannt hätten, dass sie selber das aus eigener Erfahrung auch schon kennen, was Freud an sich selber kennen lernte. Damit wissen sie ja allerdings noch immer nicht, woher eine Seele kommt, wie sie sich entwickelt – und noch weniger, zu was sie sich entwickeln könnte –, vorausgesetzt, sie erhält auch das ihr dazu notwendige Futter (die notwendige Erkenntnis und Anleitung).

Die Konfliktverdrängung, die Freud zuerst an sich, und später dann auch in den meisten andern Menschen entdeckt hat, ist bestimmt nicht eine falsche Erkenntnis, aber ebenso bestimmt auch nicht neu. Neu daran ist nur, dass es ein lateinisch Gelehrter war, der das neu entdeckt hat, was in alten Schriften schon längst aufgedeckt worden war. Nach einer Zusammenfassung des Psychologen Karen Horney sind allen Richtungen der Tiefenpsychologie, wie sie sich durch die Abweichenden Lehrmeinungen der Schüler Freuds ergeben haben, etwa folgende Grundzüge gemeinsam: 1. Das Seelenleben ist, ähnlich wie in der Physik, kausal determiniert; auch wenn die Ursachen nicht immer gleich erkennbar sind. 2. Grosse Bereiche des Denkens sind unbewusst und emotional gesteuert (via Verhaltensmuster oder so genannten Ritualen, wie beispielsweise dem oben beschrieben Guten-Morgen-Kuss, mit der leidigen Folge der Unterbindung der Freiheit, allen tieferen Wahrnehmungen zu folgen bis auf ihren Grund). 3. Die Konfliktgegenstände bleiben jedoch trotzdem im Unbewussten gespeichert. 4. Bei ihrer Bewusstwerdung entstehen Widerstände, weil sie Peinlichkeiten erzeugen könnten. (Jede Schuld, vor allem jene gegenüber der vollen Ergründung und Anerkennung der Wahrheit in persönlichen Angelegenheiten erzeugt Peinlichkeiten.) 5. Im Traum oder in freier Assoziation, werden diese Widerstände herabgesetzt und machen das Unbewusste der Deutung zugänglich.

Wie also war es mit den Konflikten und ihrer Verdrängung vor der Neuentdeckung durch Freud bestellt? Hat nicht schon Eva entdecken müssen, dass ihr inneres Wesen weit begehrlicher und fordernder war als ihr äusserer, so ebenmässig gestalteter Leib, dessen sanfte und weich anzufühlende Wölbungen und Vertiefungen alles andere als Begierde darstellend waren, sondern eher das Bild sanfter Ruhe und Ausgeglichenheit vermittelten, welches dem mit allerlei Fragen bestürmten und beschäftigten Gemüte Adams eine Erleichterung zu versprechen schien. Der Widerspruch in der Aussage der körperlichen Form zum innern, begierlichen Wesen war also ein innerer Konflikt Evas, den es eigentlich zu lösen gälte, dadurch, dass sie entweder durch die Wandlung ihres innern Wesens in ein dem äussern Leib Entsprechendes diesen Widerspruch ausgleichen würde, oder dann dadurch, dass sie in sich selbst und als Folge dann auch vor Adam diesen Widerspruch von Form und Inhalt voll anerkennend und auch bedauernd aussprechen würde. Aber sie hat sich lieber der ihrem Wesen noch fremden weil ihm nicht entsprechenden Form und Aussage ihres so vollkommen gestalteten Leibes hingegeben, welcher das Interesse Adams weit mehr belebte als ihre innere, eigene Natur. Das war denn auch der noch ungesegnete Zustand des Baumes mitten im aufblühenden Garten ihres Wesens, dessen Frucht (die innere Vervollkommnung) noch nicht gereift, und darum nicht gesegnet war durch eine Übereinstimmung des inneren Lebens mit der Aussage der äusseren Form als einer Vorgabe oder Vorbildung des Schöpfers. War das keine Verdrängung wichtigster Tatsachen im Gemüte Evas zu Gunsten einstweiliger Ruhe, in welcher jedoch die noch ungereinigte urwüchsige Kraft der (Eigen-)Liebe in ihrer ursprünglichen Form an Kraft und Wirkung stetig zunehmen musste, bis sie endlich dann – durch die Trägheit ihres Strebens nach Wahrheit bedingt – die ihr gegebene äussere Form für die ihrige anzusehen verleitet wurde? Und mit dieser in sich aufgenommenen Lüge konnte sie dann auch den Adam hinreissen, dieser zu huldigen anstatt der Vervollkommnung seines eigenen Wesens wie dadurch auch jenes der Eva. Und was war die leidige Folge dieser Verdrängung? Immer war es seither das Bestreben des Menschen, besser dastehen zu wollen, als er eigentlich ist und als er es eigentlich auch wissen könnte und wissen müsste, wäre ihm die Wahrheit und damit das endgültige Ziel lieber als die genussvolle und daher verderbliche Ruhe seines Gemütes. Es ist das der leichte Weg der Lüge – die allerdings nur in der das innere, wahre Leben überdeckenden Materie möglich ist, weil diese das Denken und innere Wollen überdecken kann. Die Liebe zur Wahrheit muss einem solchen Bestreben zumeist unterliegen, weil die im Materiellen fälschlicherweise empfundene Beständigkeit zum Verweilen in seiner Sphäre einlädt.

Glücklicherweise gibt es von dieser allgemeinen Lebenspraxis auch Ausnahmen! So hatte der biblische König David, der als "Mann nach dem Herzen Gottes" bekannt ist, auch viele innere Konflikte auszustehen gehabt, ist dabei der Wucht des Eindruckes äusserer Erscheinungen auch oftmals unterlegen. Aber eines hat er daneben eben doch auch gehabt: eine grosse Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Wahrheit und damit der tiefe Grund seines Wesens aber liegt in dem, der ihn erschuf. Und diesen erkannte und anerkannte er voll und ganz, diesem galten auch vorzüglich seine Lieder und Psalmen, denn er erfuhr ihn als existent in den Führungen seines Lebens! Auch er wurde – wie in früherer Zeit noch gar manche andere Menschen auch – über Assoziationen (wie sie Träume oder auch Gleichnisse darstellen und wie es von der Tiefenpsychologie unter Punkt 5 auch erkannt wird) der tatsächlichen Wahrheit über sich selbst überführt, weil eben solche Gleichnisse den Widerstand gegen die Anerkennung der (schlechten) Wahrheit über sich selbst herabsetzen, weil sie den nur unterschwelligen empfundenen Zustand der eigenen Schuld in einem Bilde offen legen können, das vorerst vom Gefühl eigener Betroffenheit ablenkt. Zur Illustration dieser Möglichkeit soll hier kurz der Ablauf eines seiner Erlebnisse wiedergegeben werden:

In einer Zeit, da der König David mit dem Volk Ammons Krieg führte, wobei er selber aber zu Jerusalem weilte, begab es sich, dass er – als er des Abends auf dem Dache seines Palastes weilte – ein Weib von schöner Gestalt sich waschen sah. Er erkundigte sich nach ihm und erfuhr, dass sie das Weib eines seiner Streiter war. Er liess sie in sein Schloss holen, worauf er mit ihr schlief. Zwar entliess er sie wieder in ihr Haus. Als er aber später von ihr erfahren musste, dass sie schwanger ward, liess er ihren Mann von der Front her in einen Urlaub holen und gewährte ihm einen Urlaub in der Meinung, der Zurückgerufene würde dann wohl bei seinem Weibe liegen, sodass der eigentliche Urheber der Schwangerschaft verdeckt bliebe. Der getreue Krieger Davids jedoch wollte nicht während eines Krieges unbekümmert und wohlgemut bei seinem Weibe schlafen während alle andern im Kampfe stehen, und blieb deshalb vor der Türe des Königshauses, wo er mit den Knechten seines Königs übernachtete. Als es David dadurch verunmöglicht wurde, das Vorgefallene zu vertuschen, gab er dem durch ihn selber wieder an die Front geschickten Ehemann einen Brief an seinen Befehlshaber mit, in welchem er diesen aufforderte, den Überbringer des Briefes an eine Stelle der Front zu stellen, von welcher er sicher nicht mehr zurückkommen werde. Das geschah dann auch. Das Weib trug auch Leid um ihren gefallenen Mann. Aber als sie ausgetrauert hatte, liess sie David in sein Haus kommen, allda sie ihm dann einen Sohn gebar. Und, so heisst es weiter: diese Tat Davids gefiel dem Herrn übel, weshalb er den Propheten Nathan zu ihm sandte. Der erzählte David folgende Geschichte: 'Es waren zwei Männer in ein und derselben Stadt, wovon einer sehr reich war und viele Schafe besass, der andere jedoch nichts anderes hatte als ein einziges kleines Schäflein, das er nährte, damit es bei ihm und seinen Kindern gross werde. Dieses Schäflein ass von seinem Brote und trank von seinem Becher und schlief in seinem Schoss. Als aber einmal zu dem reichen Manne ein Gast kam, wollte dieser, um dem Gast ein gutes Mal zu bereiten, die grosse Anzahl seiner Schafe nicht mindern, sodass er sich kurzerhand entschloss, das eine so gut gepflegte Schaf des Armen schlachten zu lassen, um es seinem Gast als Speise vorsetzen zu können.' – Bei dieser Erzählung ergrimmte der König David und sagte in seinem Zorne: 'So wahr der Herr lebt, der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes! Dazu soll er das Schaf vierfältig bezahlen.' – Nathan aber sprach zu ihm: 'Du bist der Mann! Gott, der Herr, lässt dir folgendes sagen und gibt dir zu bedenken, dass er dich zum König gesalbt hat und dich errettet hat aus der Hand Sauls: 'Ich habe dir das Haus Israel und Juda gegeben. Warum hast du dafür das Wort des Herrn verachtet und einen Menschen durch das Schwert umkommen lassen und sein Weib zu deinem Weibe genommen? Darum soll auch künftig das Schwert deinem Hause nie ferne sein.' – Da bekannte der König freimütig seine Schuld und Nathan antwortete ihm, dass darum der Herr seine Sünde getilgt habe. – Soweit die historische Geschichte. – Der Unterschied zur heutigen Psychologie besteht nicht so sehr in den angewandten Mitteln als vielmehr darin, dass David erstens wusste, woher er, resp. seine Seele, kam und wohin er zu gehen bestimmt ist, und zwar nicht nur durch seinen Schöpfer – was ihn unfrei hätte werden lassen –, sondern viel mehr bestimmt durch seine grosse Liebe zu ihm, dem Ewigen, sodass er nicht eine erdverhaftete Seele – dem Wesen einer Raupe gleich – bleiben musste, wie die Patienten der heutigen Psychologen es bleiben, sondern immer mehr in den göttlichen Geist der eigentlichen Wahrheit übergehen konnte, wie eine Raupe in die Form eines Schmetterlings. Der zweite Unterschied liegt darin, dass David das Gleichnis nicht träumen musste, um seinen Widerstand gegenüber der Wahrheit nach der Erkenntnis heutiger Psychologie herabsetzen zu können, sondern es von einem Propheten seiner Zeit vorgesetzt bekam. Und dieser Umstand zeigt denn deutlich, dass eine Seele nicht für sich alleine auf dieser Erde lebt, sondern verbunden und behütet ist von ihrem Schöpfer, der alle Umstände kennt und auch für alle seine Geschöpfe sorgt, sofern sie gerne von ihm für sich sorgen lassen, anstatt für sich selber (durch karge Lügen und andere Weltvorteilsgedanken) für ihr Fortkommen und ein möglichst makelloses Ansehen vor der Welt sorgen zu wollen. Durch solche Begebenheiten lässt sich gut erkennen, dass jener (der Schöpfer), der die Träume erzeugt, dieselben Bilder der möglichen Träume auch ganz anderen Menschen eingeben kann, die sie dann erst dem damit zu Konfrontierenden überbringen müssen als ein Zeichen dafür, dass die Seele nicht ein Eigenprodukt ist, sondern ein Geschöpftes, das seine volle Erfüllung nur in der innerlichen Übereinstimmung mit ihrem Schöpfer finden kann. Und davon war Freud noch weit entfernt, obwohl er die Möglichkeit wiederentdeckt hat, mit welcher Verdrängtes wieder aktualisiert werden kann. Seine späten Schüler kamen dieser Erkenntnis des Nicht-Alleineseins schon wieder einen Schritt weiter, ohne allerdings den einzigen Grund dafür (den Schöpfer) beim Namen zu nennen. Offen bleibt, ob sie das zu ihrer eigenen Beruhigung als eine Verdrängungsmöglichkeit gegenüber der vielleicht doch schon erkannten Wahrheit nicht tun wollten, oder ob sie einen Schöpfer nur ihres Ansehens vor der Welt wegen, nicht bekennen wollten, weil dieses darunter mit Bestimmtheit gelitten hätte. (C.G. Jung beispielsweise nannte es das kollektive Unbewusste.) In beiden möglichen Fällen jedoch gleichen sie in ihrer Handlungsweise dem Wesen der Raupen und ihrer Erforscher, die sich, wie ihr zu erforschendes Objekt, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine solide Verhaftung auf materieller Ebene sichern möchten, um ja nicht in die von Licht durchtränkten Lüfte einer freien Entfaltung zu geraten, was ihrer trägen Natur ebenso beschwerlich würde, wie einem ritualisierten Rollenmenschen ein freies, von allen Konventionen befreites Sein – ohne alles Latein.

Andere Wissenschafter hingegen, die sich unbeachtet des Schwindens ihres materiellen Bodens – bestehend aus einer wissenschaftlichen Anerkennung und gesellschaftlicher Achtung –  in die freie Luft des Geistes hinüber schwangen, sind ebenso aus der wissenschaftlichen Diskussion und gesellschaftlichen Achtung ausgeschieden, wie die Raupen aus der Beachtung der Raupenforscher fallen, sobald sie sich aus ihrem bisherigen erdgebundenen Zustand zurückgezogen haben in ihre ureigentlichste Bestimmung eines freibeweglichen Seins in den von Licht durchtränkten Lüften des Himmels.

Aber gerade eben diese Art der Verdrängung von Konflikten – der Konflikt zwischen dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und dem Wunsch die Wahrheit in ihrem tiefsten Grunde aufzufinden – haben Freud und seine Nachfolger für sich selber nicht überwinden können. Nicht etwa darum nicht, weil sie davon keine Ahnung hatten, sondern darum, weil sie das nicht wollten, weil ihnen ihre Anerkennung durch andere mehr wert war, als die Freiheit ihres Geistes und die Erkenntnis der Wahrheit im Sensorium ihrer Seele. Hat doch ausgerechnet Freud alle persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Manuskripte in seinem 29. Altersjahr vernichtet!! Wenn das keine Verdrängung ist!

Als ein absolut gegenteiliges Beispiel wäre in diesem Zusammenhang das Wirken des Psychiaters Dr. Wickland zu nennen, der Schizophrenie als eine Besessenheit erkannte, und damit natürlich in den materiefreien Raum purer seelischer Kraft vordrang, den es für die in ihrem Erkennen erdgebundenen Wissenschafter nicht geben kann; der aber eben durch seine Anerkennung der Gegebenheiten während 30 Jahren seiner Praxis mit wenigen Ausnahmen alle seine Patienten von der so genannten Schizophrenie heilen konnte. Als ein weiteres Beispiel einer gegenteiligen Entwicklung wäre das Wirken des protestantischen Pfarrers Johann Christoph Blumhardt (1805 - 1880) zu erwähnen, der während der Ausübung seines Berufes die Möglichkeit erhielt, mit verstorbenen Seelen sprechen zu können, die ihm Auskünfte über sich und ihre Vergangenheit im irdischen Leben gaben, die teilweise nachprüfbar waren, ohne dass er so etwas je gesucht hatte. Darum unternahm er auch immer alles nur in Gegenwart mehrer glaubwürdiger Zeugen von angesehener weltlicher Stellung, was er als Pfarrer einem seiner Gemeindegliedern, einer ledigen Frau, in ihrer schweren Not schuldig zu sein glaubte. Solche Menschen mussten nichts verdrängen, so sehr misstrauisch sie anfangs zu Werke gingen. Aber den Tatsachen und damit der Wahrheit gegenüber verweigerten sie ihre Anerkennung nicht – gleichgültig, was die Gesellschaft davon hielt.

Jeder Psychologe würde an dieser Stelle darauf verweisen, dass das Erscheinungen sind, die schon weit in das Gebiet der Parapsychologie hineinragen. Oh wie schön, dass gerade sie selbst sich mit einer solchen Feststellung verraten. Denn nach ihrer Ansicht gehören solche Erscheinungen nicht in das Gebiet der Psychologie, sondern in ein Gebiet, das über die Norm hinausgeht. "Para" heisst Schein, und Parapsychologie ist für sie auch eine Scheinpsychologie. Wie merkwürdig trifft sich das, dass die so genannten Gelehrten der Seelenkenntnis (eben die Psychologen) just jene Gebiete, die ausschliesslich Erscheinungsweisen purer seelischer Kraft sind, als Scheinpsychologie bezeichnen, während sie die Dummheiten der Seele, das heisst ihr Verhalten im halblebendigen oder halbwachen Zustand, Seelenkunde nennen, anstatt Verhaltensforschung. Seelenkunde müsste sich doch mit dem Wesen der Seele befassen, nicht mit ihrem Verhalten. Das kommt daher, dass sie als Wissenschaftler immer von der Materie ausgehen und darum das eigentliche Wesen des Lebens nie erfassen können. Der Mensch als solcher oder seinem Prinzip nach ist nämlich pur Seele, und nicht Leib und auch nicht Geist. Wohl hat er auf Erden beides, einen Leib und einen Geist, welch beide diametral entgegen gesetzte Kräfte sind, sodass die Seele – also der eigentliche Mensch – die Gelegenheit erhält, sich in der Isolation der Materie ihres Leibes selber nach ihrem Gutdünken zu gestalten. Wenn eine solche Seele jedoch bei befriedigenden äussern Verhältnissen in ihrem materiellen Hause (dem Leib) einzuschlafen beginnt, sodass sie also ihre innern Kräfte nicht entwickeln kann, dann wird sie tatenlos und kraftlos in ihrem Hause verweilen – das sie übrigens in einem solchen Schlafzustande überhaupt nicht kennen lernt. Denn würde sie es nur ein wenig beachtend betrachten, so könnte sie sich nicht nur bald von der Wesensart ihres Leibes unterscheiden, sondern fände dadurch auch die Möglichkeit, sich in ihrem Verhalten nicht von den Gegebenheiten ihres Leibes leiten zu lassen, sondern im Gegenteil durch ihr souveränes Verhalten ihren Leib in einer solchen Art zu ordnen, dass er nicht so leicht mehr erkranken könnte. So aber schläft sie in ihrem leiblichen Hause, bis dieses endlich über ihr zusammenfällt, mit andern Worten: bis zu ihrem leiblichen Tode. Sie hat nicht versucht, ihre Kraft zu erkennen, noch weniger hat sie sie üben können und noch weniger hat sie ihren Wert oder ihren Nutzen für das fernere Leben erkannt, hat also mit andern Worten nichts dafür getan, ihren in ihr schlummernden Geist zu wecken und seine Kraft und sein Licht in sich aufzunehmen. "Geist" ist aber nicht etwa blosser Verstand, sondern eine eigene, ganz kurios mächtige Kraft. Mit dem Verstande kann man allenfalls hinterher hinkend nachrechnen, wie sich die Kräfte des Geistes verhalten – so, wie man in der Physik zu Rechnungen und Instrumenten gekommen ist, die Kräfte in der Materie zu messen.

Würde sich der heutige Mensch solcher Verhältnisse bewusster, wie leicht könnte er ohne die so genannte Psychologie in das Wesen seiner Seele vordringen und den Geist in ihr zu erahnen beginnen. Er könnte bei einer geistreichen bildlichen Betrachtungsweise seines innern Wesens erkennen, dass seine Seele tatsächlich eine eigene Persönlichkeit ist, die ihren Leib nur zu ihrer Ausbildung braucht. Denn in ihrem Leibe ist eine Seele viel isolierter von den Kräften und Einflüssen anderer Seelen auf ihr Gemüt, sodass sie für sich freier in der Ausgestaltung ihres Wesens wird. Der Verstand – der Rechner – ist dazu das geeignetste Mittel, weil er ohne jede Vorausbewertung alle Möglichkeiten und ihre Folgen erkennen kann – wenn die Seele es nur einmal ernstlich will, und sich in einer für ihr weltliches Fortkommen günstigen weltlichen Lage nicht einfach in ihrem Leibe wohl geschehen liesse.

Diese Einwirkungen des Verstandes auf die Individualisierung der Seele erkennen wir leicht, wenn wir Völker beobachten, deren Verstandesentwicklung auf einer tieferen Stufe stehen geblieben ist. Der Zusammenhalt der Gemeinschaft und deren Wirkung auf den Einzelnen ist dort viel ausgeprägter als bei so genannten kultivierten Völkern. Dort trägt die Gemeinschaft augenscheinlich den Einzelnen bis zu einem gewissen Grade mit, isoliert anderseits jedoch von einer solchen Gemeinschaft nicht mehr Anerkannte von der gemeinsamen seelischen Ausstrahlungskraft in einem solchen Masse, dass solche dann auch ihre allgemeine Lebenskraft einbüssen, was bis zu ihrem leiblichen Tode führen kann. Eine individuelle Entwicklung nach eigenem Erkennen, eigenen Einsichten und Überlegungen, ist in solchen Völkergemeinschaften zufolge ihrer geballt vereinten Seelenkraft und dem wenig geförderten Verstande nicht so leicht und auch nur in einem beschränkten Mass möglich. Anderseits können Menschen in solchen Völkern dafür wieder Taten aus ihrer vereinten pur seelischen Kraft vollbringen, deren Gelingen wir "kultivierten" Menschen nicht verstehen können. Der Grund dafür liegt zum einen bei der Ausgeprägtheit ihrer seelischen Kraft, und zum andern bei der durch eine nur geringe Individualität des Einzelnen besser möglichen Vereinigung aller speziellen Kräfte zu einem gemeinsamen Ziel. Bei Völkern, deren Verstand in weitem Masse kultiviert wurde, ist das denn ebenfalls aus einem zweifachen Grunde nicht mehr möglich. Erstens, weil ein Grossteil der seelischen Kraft zur Ausbildung des Verstandes oder des Intellekts verbraucht wird und zweitens, weil der Einzelne durch eine solche Ausbildung individueller und damit von der allgemeinen seelischen Kraft der Gemeinschaft viel isolierter ist, und damit von ihr auch weniger unterstützt werden kann.

Nimmt die seelische Kraft jedoch einmal zu sehr ab – entweder infolge Überlastung durch zu intensive und zu anhaltende Verstandestätigkeit oder durch grössere äussere Strapazen, wie sie siechtumsartige Erkrankungen oder auch starke seelische Belastungen darstellen, so beginnt sich die Verbindung der Seele mit ihrem Leib zu lockern, weil sie nicht mehr Kraft genug hat, des Leibes Nerven mit genügend elektrischem Fluidum zu erfüllen. Als Folge davon empfindet sie ihren Leib zunehmend als schwer, im Sinne von träge und ihrem Willen weniger folgsam und überhaupt ihrem Wesen weniger verwandt. Dabei empfindet sie dann auch von aussen herkommende Einflüsse viel stärker und gravierender, was alle Depressiven, aber auch gestresste Personen sehr wohl bestätigen können. Solche Menschen empfinden zum Beispiel einen Spannungszustand in einem andern Menschen sehr stark, auch wenn sie nicht in unmittelbarem Kontakt zu ihm stehen; es genügt, dass sie im selben Raum sind. Sie können dadurch in einem solchen Mass tangiert werden, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre eigene Ruhe zu bewahren, obwohl sie in keiner Weise äussern Kontakt zu haben brauchen. Während solchen Zeiten kann es oft geschehen, dass der in seiner seelischen Kraft derart Geschwächte, sogar die Gedanken eines andern Menschen ziemlich klar empfindet, wenn er sich in seinem Gemüt stark mit ihm beschäftigt, manchmal sogar, ohne dass der Betreffende in seiner Nähe ist. Der sorgfältig Überlegende und Prüfende ist sich dabei nie ganz sicher, ob er das nur meint, oder aus einer bestimmten Situation seines Verhältnisses mit dem Betreffenden auch schliessen könnte – oder ob er es tatsächlich über sein Empfinden wahrnimmt. Dass es jedoch stimmt, was er empfindet, kann sich immer wieder aus späteren Gesprächen als klar erwiesen ergeben. Eine andere, weit verblüffendere Möglichkeit der Bestätigung solcher "Gedankenübertragungen" liegt im Umstand, dass sich die Situationen auffallend häufen können, in welchen zwei Menschen gleichzeitig miteinander ein vorher nicht angesprochenes Thema mit eigenen Worten anzusprechen beginnen. Wohl ist in einem ersten oder auch zweiten solchen Fall noch nicht sicher, wer wem seine Gedanken übertragen hat. Jedoch wird das bei Menschen in der oben beschriebenen Situation dann zumeist bei ganz verschiedenen Personen der Fall sein, sodass der Betreffende getrost davon ausgehen kann, dass er selber die Gedanken des andern aufnimmt, und nicht umgekehrt, weil ja sonst der andere seinerseits dieselbe Beobachtung an sich ebenfalls machen müsste. Auch bestimmen das Verhältnis zwischen zwei Personen und die Intensität der Gedankenbildung des Gegenübers sehr stark die Häufigkeit dieser Erscheinung, obwohl die Aufnahme des fremden Gedankens dennoch immer bei dem Einen stattfindet, der in seiner geschwächten Verbindung mit seinem Leib und der dadurch verminderten Verstandeskraft dafür empfänglich geworden ist. Im Bezug auf die Innigkeit des Verhältnisses zwischen zwei Personen wäre allenfalls noch zu ergänzen, dass zwei sich innig Liebende sehr oft auch über grössere räumliche Distanzen hinweg ihre gegenseitigen Gefühle zu gleicher Zeit sich stark steigernd empfinden können, was sie bei einer spätern Zusammenkunft nachprüfen können, oder sogar bestimmte Entschlüsse des jeweils andern ziemlich genau empfinden oder wahrnehmen. In solchen Fällen ist es vor allem die Innigkeit des Verhältnisses, welche eine solche Übertragung ermöglicht, obwohl anderseits eine starke und anhaltende Sehnsucht auch eine gewisse Schwächung der seelischen Kraft mit der dadurch lockerer werdenden Verbindung zu ihrem Leib bewirkt, welche dann für sich selber schon einen Grund zur Möglichkeit dieser Erscheinung bilden kann. Dasselbe kann auch bei zwei sich heftig Streitenden geschehen, wenn der Streit über eine längere Zeitperiode andauert, dass der eine spürt, wenn der andere in seiner Vehemenz einen neuen Plan zu entwickeln beginnt. Zwar wird er dabei wohl nicht die Gedanken selber erraten, weil diese in einem solchen Falle zu sehr bloss verstandesmässiger Natur sind, aber umso mehr die Heftigkeit seiner Entschlossenheit zur Tat und die Steigerung der Wut oder des Grimms in seinem Gemüt.

Eine weitere Möglichkeit oder Form einer direkten Einflussmöglichkeit Fremder auf Seelen mit einem gelockerten Verhältnis zu ihrem Leib finden wir in dem Umstand, dass es solchen Menschen in Gegenwart anderer oftmals passiert, dass ihnen bekannte Dinge, wie beispielsweise ein Gemälde oder ein Musikstück, nicht mehr so gefallen, wie sie ihnen bis jetzt immer gefallen haben, die ihnen aber später, wenn sie wieder alleine sind, wieder ebenso gefallen, wie schon bis anhin immer. Das ist dann der Fall, wenn der Andere kein besonderes Interesse an dem Vorgeführten hat, ohne dass er sich das anmerken lässt. In selteneren Fällen kann jedoch auch das Umgekehrte stattfinden. Diese Erscheinungen alle zeigen deutlich, dass eine pure Seele noch ganz andere Sinne hat als bloss jene äussern ihres Leibes, die durch Verstellung und falsche Rede erst noch so gut getäuscht werden können, dass sie in zwischenmenschlicher Beziehung oft untauglich sind, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Das ist bei der direkteren Wahrnehmungsart der Seele durch die ihr eigenen Sinne nicht der Fall. Nur sind ihre direkten Wahrnehmungen anfänglich ebenso wenig detailliert und die volle Wirklichkeit plastisch erkennend wie die entsprechenden durch den Leib erfolgten sinnlichen Wahrnehmungen bei einem erst jüngst zur Welt gekommenen Kinde. Aber ebenso wie bei diesem können sie mit der Zeit und der Übung bis zur Vollreife gesteigert werden.

Aus solchen, noch immer eher allgemeinen Vorkommnissen erhellt für den geistig aufgeschlossenen Beobachter, dass sich Seelen bei grosser Erregung, wie es die Liebe einerseits oder ein Konflikt anderseits bewirken können, sehr viel stärker sammeln und profilieren und bei der dadurch zustande kommenden grösseren Isolation von ihrem Leibe – durch die Schwächung der Nervenkraft – auch viel eindrucksempfänglicher sind. Daraus folgt aber, dass der Leib sowie auch der Verstand einerseits zwar eine Dämpfung allzu heftiger seelischer Erregungen und Verflechtungen bewirkt, dass er jedoch anderseits – bei allzu stabiler Gesundheit und guten äusseren Verhältnissen – auch zu einem Verführer der Seele werden kann, sich in ihm zu isolieren und sich in seinen Sinnen zu sonnen, anstatt an sich zu arbeiten und sich in ihren Fertigkeiten zu vervollkommnen, um einst fähig zu sein, den im leiblosen Zustand auf sie viel vehementer einwirkenden fremden Seelenkräften besser widerstehen zu können, um nicht in fremde Macht zu geraten.

Wir haben vorhin gesehen, dass Depressive Menschen das Wesen anderer Seelen viel stärker empfinden und dass sie dadurch oftmals in ihrem innern, labilen Gleichgewicht tangiert werden, wenn es Menschen sind, die ihrerseits unausgeglichen sind. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Dass sie nämlich in der Nähe bestimmter Menschen eine starke Entspannung fühlen, was auf eine starke und ausgeglichene Gemütsart solcher Menschen zurückzuführen ist, welche so etwas bewirken kann. Sie verbreiten ihre innere Ruhe und Ordnung gewissermassen über ihr Leibliches hinaus in den Raum, sodass ihre innere Atmosphäre von anderen aufgenommen werden kann. Meist sind Menschen, die eine solche Ruhe und Wärme um sich her verbreiten, ganz einfacher Gemütsart, wenig mit ihrem Verstande arbeitend, obwohl nicht im Geringsten unverständig, jedoch mehr die Kraft ihres Gemütes nutzend. Es zeigt, wie stark die innere, seelische Kraft eines geordneten Menschen über seinen Leib hinaus wirksam sein kann.

Durch solche Erlebnisse – oder für den unbefangenen Wissenschafter: Erscheinungen – wird doch jedem Unvoreingenommenen klar, was die Entwicklung einer Seele alles beinhaltet. Nämlich die Ausgestaltung einer persönlichen und ganz ihrem Wesen entsprechenden Atmosphäre, in welcher sie sich stetig mehr oder weniger befinden kann, je nach der Stärke ihrer Kraft (einerseits) und den ihr begegnenden Gegensätzen im Wesen anderer oder auch in den Erscheinungen und Erlebnissen der materiellen Welt (anderseits). Dann endlich beginnt der Mensch zu empfinden, dass er eine eigene Welt in sich trägt, die mit der materiellen Welt in keinem Verbande steht, das heisst also auch: die er nicht verlieren kann, wenn er das Zeitliche oder Materielle verlässt. Darin liegt auch der wahre Kern der Aussage der Bibel (Prediger 11, 3): "Wenn der Baum fällt – er falle gegen Mittag oder Mitternacht –, auf welchen Ort er fällt, da wird er liegen."

Spätestens bei dieser Erkenntnis wird uns auch klar, dass all die Bilder der materiellen Welt, die der noch in seinem Leibe befindliche Mensch in sich aufnimmt, durch ihren entsprechend aussagenden Inhalt das Gemüt des Menschen entweder positiv oder negativ ansprechen können, und dass er dadurch, gewollt oder ungewollt, auch eine Auswahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten seiner innern Gemütslandschaft bekommt, auf die er in sich tiefer eingehen kann und ihre Vor- und Nachteile auf das Wohlbefinden seines Wesens abschätzen kann. Einen solchen Fall haben wir aus dem alten Testament der Bibel kennen gelernt, als Nathan, der Prophet, dem König David die Geschichte (oder das Bild) seines eigenen Handelns in einem natürlichen Gleichnisbilde gleichen Inhalts aber in einer formell anderen Begebenheit vorstellte. Diese Führung, die da dem König David zuteil wurde, kann einem jeden Aufmerksamen auch auf seinem eigenen Lebensweg begegnen, sofern er sich nur die nötige Zeit dazu nehmen will. Denn immer wieder geschieht es, dass uns äussere Bilder oder Vorkommnisse weit mehr und intensiver ansprechen können, als es unserer bisherigen Erfahrung nach der Fall war, ohne dass wir einen äusseren Grund dafür zu erkennen vermöchten. Da liegt der Grund dann zumeist in der dem Bilde oder Vorfall entsprechenden innern Situation unserer Seele. Wenn wir uns dabei Zeit nehmen würden, stets klarer zu empfinden, was genau an dem Erlebten uns so stark anzusprechen vermag, so würden uns bald einmal diesen Gefühlen entsprechende Vorkommnisse in unserer jüngsten Vergangenheit heraufdämmern, die wir dadurch dann mit dem Erlebten vergleichend noch einmal neu beurteilen können. Oder es kämen dann – bei längerem, scheinbar vergeblichen Verweilen in der Anschauung des Vorgefallenen – auch ganz alte, uns damals heftig beschäftigt habende Erlebnisse in unser Bewusstsein, die wir mit Hilfe des nunmalig erlebten Bildes noch einmal neu bewerten können unter Einbezug all dessen, was uns die Erfahrung seither gelehrt hat. Spätestens dabei müsste ein Mensch sich zu fragen beginnen, ob das vom Schöpfer seines Seins nicht etwa doch so gewollt ist, damit wir seine stillen "Mahnungen" wie eine uns entgegenströmende Liebefülle empfinden – und nicht etwa wie eine harte Korrektion. Gerade eben unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass in biblischer Zeit fast alle Belehrung so gegeben wurde, könnte man berechtigt auf diese Vermutung kommen. Es bot sich mir im Laufe meines Lebens sehr oft die Gelegenheit, solche Situationen im Leben mir sehr gut bekannter Menschen miterleben zu können, ohne dass ich allerdings von meinen Beobachtungen etwas verlauten liess. Nur wenn ich Menschen dann über ihr Unvermögen klagen höre, immer das Richtige zu erkennen, beginne ich jeweils vorsichtig, solche mir bekannten Vorkommnisse auf ihrem Lebensweg als immerhin mögliche Fingerzeige in die Tiefe ihres Wesens zu erwähnen. Allerdings ist mir auch aufgefallen, dass Menschen, die sich um gar nichts kümmern, auch praktisch nie zu solchen Gefühlen kommen und auch sonst keine Hinweise in einer andern Form aus einer höheren Sphäre erhalten. Eine solch andere Form von Hinweisen aus einer höhern, den leiblichen Menschen umsorgenden Sphäre kann beispielsweise darin bestehen, dass einem Menschen immer wieder ein ganz ähnliches Missgeschick passiert, jedoch mit einer stetig gesteigerten Folgenschwere. Dadurch erhält er Gelegenheit, den Grund seiner Missgeschicke zu suchen (der beispielsweise in einem ehrgeizigen Handlungsgrund liegen kann), den er aber bei einem bloss einmaligen Missgeschick nicht zu suchen begänne. Die stetig gesteigerte Folgenschwere jedoch lenkt seine Gedanken vom technischen Grund des Missgeschickes ab und führt seine Aufmerksamkeit auf den in seinem Wesen liegenden Grund seiner Handlungsweise. Die stetige Steigerung der Folgenschwere ist dann doch ein deutlicher Fingerzeig auf eine jenseitig begründete Führung. Denn – dem Zufall überlassen, würde sich niemals eine lineare graduelle Steigerung der Folgenschwere ergeben. Öfters begegnen solchen Menschen mit wenig Neigung, sich mit Ernst um den Grund ihres Lebens zu kümmern, dafür dann tief eingreifende Vorfälle, die ihrem Leben eine andere Richtung zu geben geeignet sind. Dabei stellt sich denn doch ganz ernsthaft die Frage, ob es nicht doch – wenigstens für ernstere und lernwillige Menschen – eine Art stille, aber liebe-innige Führung gibt, welche hilft, die seelischen Möglichkeiten zu erkennen und dabei die Liebekraft der Seele durch eine Art von Dankbarkeit erst noch mächtig zu stärken. Denn was ein Mensch während seines Erdendaseins in sich aufbaut, das wird ihm auch nach dem Verlassen seines Leibes bleiben. – Jedoch dort erst, jenseits, zu einem empfundenen Zuhause, zu einer Heimat zu kommen, wird allerdings weit schwieriger sein, weil der Seele mangels äusserer Gelegenheiten zu Kontakten mit anders gestalteten Menschen nicht viel Möglichkeiten offen stehen. Denn die bloss innere, seelische Annäherung, wie sie Depressive oder leiblich stark geschwächte Personen empfinden und auch herbeiführen können, kennt ja eine in aller Welt versunkene Seele nicht – und noch weniger hat sie die Erfahrung, durch Vergleiche von äusseren Bildern mit ihrer innern Wesensart auf ihren eigenen Boden zu kommen.

Wo steht denn diesen vielen besprochenen, möglichen Erfahrungen gegenüber ein Mensch, der durch eine Verdrängung von Tatsachen jeder Möglichkeit der Bewältigung und des Erkennens von Situationen bar ist? Und was nützt einem solchen die Aufdeckung einer solchen Verdrängung durch die so genannte Psychologie? Sicher, in diesem einen Punkt kann ihm leichter werden. Wie lange jedoch geht es, bis eine solch unbewegliche und daher fast leblose Seele wieder neue Konflikte einfach zu verdrängen beginnt?! Bestünde Psychologie – wirkliche Seelenerkenntnis – nicht eher im Erkennen der oben beschriebenen Möglichkeiten, zu einer eigenen innern Welt zu kommen durch Anschauung der äussern Bilder und aufrichtigem Wollen? – Mit andern Worten ausgedrückt: Durch die Hingabe an das Gute einer lichtvollen Erkenntnis! "Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist", riet Jesus seinen Zuhörern anlässlich seiner Bergpredigt, was bestimmt ein besserer und klügerer Ansporn zu einer seelischen Entwicklung ist als das Auffinden einer Verdrängung nach der andern, ohne dem Menschen begreiflich zeigen zu können, weshalb und zu was die Entwicklung seines seelischen Wesens zu einem abgeschlossenen Ganzen dienlich ist. Nicht, dass eine solche Hilfe falsch ist. Nur hat sie nicht viel mit umfassender und daher brauchbarer Seelenerkenntnis zu tun. Es gleicht eine solche Methode eher der Schuldenübernahme durch einen potenten Zahlungsfähigen, der aber damit nicht verhindern kann, dass sich der Entschuldete –  infolge seiner Trägheit – gegenüber der Freiheit seines eigenen Lebens stets von neuem wieder verschuldet, anstatt dass er seinen Weg kennen lernt, den er zu gehen hat, um auch alle andern Unannehmlichkeiten des diesseitigen und jenseitigen Lebens ausschliessen zu können. Viel eher müssten doch durch eine vernünftige Seelenkunde (Psychologie) die Möglichkeiten aufgedeckt werden, welche einer Seele offen stehen, um sich frei zu machen, von allem, was sie knechtet. Dazu gehört zweifelsohne die oben beschriebene Anleitung, in äussern Bildern über die beim Betrachten ausgelösten Gefühle auf eigene, diesem Bilde entsprechende, Verhaltensweisen zu gelangen, die dadurch neu beleuchtet werden und darum – neu und besser verstanden – geändert werden können. Zwar ähnlich dem Vorgehen in der "Tiefenpsychologie", jedoch nicht stets nur auf einen Einzelfall bezogen, sondern mit der Absicht einer grundsätzlichen Wesensveränderung durch das Erkennen eines vorgegebenen Zieles.

Ebenso wichtig ist jedoch auch die Erkenntnis, woher die meisten solchen Konflikte kommen. Sie stammen zumeist aus einer Überbewertung des Äusseren. Bestehe dieses als Gesetz oder als gediegene Form. Alles, was z.B. das Gesetz fordert, und das wir nicht erfüllen können, beschert uns einen sehr lange andauernden Konflikt, der dann allerdings nicht so leicht zu lösen ist. Am besten lässt sich dagegen angehen, wenn wir bedenken, dass alle den Menschen gegebenen Gesetze ja nur Vorgaben zu seiner Entwicklung sind, und keine Grenzmarken, die uns von unserer einmal zu erwartenden Seligkeit trennen sollen. Das ist eigentlich schon der Sinn der ursprünglichen Gesetzgebung durch Moses gewesen. Denn das Opfer für nicht erfüllte Pflicht ist ja nichts anderes, als eine stellvertretende Gabe für die Unordnung, die durch eine durch Schwäche oder Unachtsamkeit unterlassene Hingabe an die gesetzliche Vollkommenheit entstanden ist. Nur dort, wo ein Verstoss gegen das Gesetz zu schwerwiegend war, wurde in den Verordnungen Mosis die Todesstrafe befohlen, welche ein freiwillig gegebenes Opfer ausschliesst. Das darum, um das Sich-gänzliche-Verlieren sowohl des einzelnen Fehlbaren, wie durch ihn dann mit der Zeit auch der ganzen Gemeinschaft zu verhindern.

Alles, was wir Menschen in bester Absicht dennoch falsch machen, oder aus Schwäche trotz bestem Willen nicht erreichen können, bleiben wir der Vollkommenheit, die wir anstreben sollen, zwar schuldig. Aber unser Wille, alles zu opfern, was wir nur können, gibt uns die Möglichkeit, dort aus reiner Liebe tätig zu werden, wo wir sie noch reiner – mit weniger Eigeninteresse vermengt – tätig werden lassen können.

Am Ende ist es nur noch das ernste und feste Wollen, das uns dieser Vollkommenheit näher bringt. Denn dieses Wollen findet immer wieder andere Wege, dasjenige zu erreichen, was ursprünglich gewollt wurde. Es erreicht das von uns Gewollte oder – anders ausgedrückt – unser Wille also auch auf Umwegen sein Ziel, jedoch nur dann, wenn er auf noch so angenehm "romantischen" Umwegen nicht vom ursprünglichen Ziel abweicht, sondern alle Umwege nur als blosse Möglichkeiten sieht, dasjenige dennoch zu erreichen, was uns auf direktem Wege nicht gelingt.

Darum musste uns in der Person Jesu Gott entgegenkommen, damit wir endlich nicht nur ein Beispiel der Gesetzeserfüllung haben, sondern über das Wissen, wie viel dieser Gottessohn auf sich nehmen musste, nur um uns zu entlasten, auch zur notwendigen Liebekraft kommen, dessen Streben um jeden Preis mit unserm Tun zu unterstützen. Petrus, der Fels, hatte Jesum verleugnet. Thomas hat ihm nicht getraut, als er – wie angekündigt – als ein vom Tode Auferstandener zu seinen Jüngern kam. Sie haben selbst in seiner leiblichen Nähe in ihrer Beständigkeit versagt. Folglich können, dürfen und sollen wir ihm mit unserer ganzen Liebe entgegengehen, der für unser Nichtkönnen so viel für uns getan hat, dass wir nicht mehr ein materielles Opfer – wie zu Mosis Zeiten – brauchen, um unsere Schulden zu begleichen, sondern nur noch eine innige Liebeverbindung zu Gottes Sohn, als einem Menschensohn (oder Gottes naturmässige Erscheinung), damit wir nicht für das eine, uns Erlassene eine neue materielle Verpflichtung eingehen müssen, womit wir wieder und immer wieder an Äusseres gekettet bleiben würden – anstatt an das Gute.

Gibt es doch nur eine einzige Sünde wider das eigene ewige und ewigfreie Leben. Und diese besteht im Willen zur Besitznahme und sogar Gefangennahme alles andern durch das eigene Selbst, was wir als Hochmut bezeichnen müssen. Auch das ist bildlich dargetan in der Geschichte der Versuchung im Paradies:

Adam und Eva, als die beiden im Äusseren festgehaltenen gottähnlichen Wesen, erkannten in ihrer äussern Isoliertheit sehr wohl, dass es ihnen gegenüber ein Inneres, nicht Gebundenes gibt, das in jeder Hinsicht frei und darum allmächtig bleiben kann. – Und diese Macht wollten sie in das Äussere, also in ihr isoliertes Sein bannen, anstatt ihre Isolation an dieses Gute und Freie hinzugeben! Darum liess Eva sich vom gediegenen Äusseren berücken und begann es als ein Eigenes zu sehen, mit welchem sie sich selbst einen Adam zinspflichtig machen wollte – wie eingangs beschrieben wurde –, anstatt dass sie an diesem Äusseren das Mass der entsprechenden innern Abweichung durch ihre Fehler oder Schwächen erkennen wollte.

Und heute? – Ist es ebenso! "Ehrgeiz" ist das moderne Wort dafür. Das ist: Geiz um die Ehre. Weshalb denn diese Ehre nicht in kindlicher Weise dem zollen, der sie verdient hat, dem Schöpfer, welcher sie noch gar nie gesucht hat, sondern nur unsere Liebe sucht, damit wir ihm und er uns verbunden bleibt. Aber im Äusseren erkennen wir nur immer seine Grösse, während unsere innern Herzenskammern leer bleiben von liebevoller Wärme, aus welcher wir durch Verbindung mit ihm eins würden, wie der verlorene Sohn nach seinen traurigen Erfahrungen und der schrecklichen Erkenntnis, wie arm er im Äusseren geworden war.

Ehrgeiz ist auch der fast ausschliessliche Ansporn der meisten Wissenschafter und erst recht der meisten Gesellschaftshelden. Beinhaltet dieses Wort nicht Geiz?!! Und wo kommen wir hin in Bezug auf Frieden und Wohlergehen, wenn jeder zu geizen beginnt? Wenn jeder aus Ehrgeiz selber siegen will und sich nicht helfen lassen will von einem allgütigen Vater, der besser weiss, was uns Menschen frommt, als unser kurzer Verstand. Wollte nicht der verlorene Sohn im Gleichnisse Jesu das Erbe seines Vater zu eigenem Gebrauch. Wohl ist der Vater seinem Wunsche nachgekommen, wie er uns Menschen dieser jetzigen Zeit alles nach unserem eigenen Gutdünken zu tun überlässt. Wie aber ist es diesem Sohn dabei ergangen? Genau gleich wie unserer Zivilisation. Es war herrlich und berauschend für ihn, tun und lassen zu können, wie er wollte – jedenfalls solange er noch Vermögen hatte. Genauso ergeht es der heutigen Zeit! Ist sie nicht herrlich in all ihren Möglichkeiten? In der Gesellschaft – aber nur bis heute beurteilt –: Ja! Aber in den Einzelnen – wenn sie ihre Leere und Hilflosigkeit zu spüren beginnen –: Nein! Und die Gesellschaft steht schon am äussersten Rande ihrer eigenen Möglichkeiten, die materielle Landschaft zu zerstören – ebenso, wie die persönliche innere Gemütslandschaft –, um dann, wie der verlorene Sohn, aus den Pfützen und Kloaken der Wirtschaft unser Leben mit den Schweinen zusammen fristen zu können. Wir sind global geworden in unseren Ansprüchen, den Globus beherrschen wollend und haben darum keine persönliche Heimat mehr, keinen Platz mehr in unserem Herzen. Wir wollen und suchen keine Nischen der Bescheidenheit und Zufriedenheit mehr in der grossen Ordnung der Schöpfung! Und das alles trotz Psychologie – trotz Seelenlehre! Was ist denn dann eine solche Wissenschaft wert?

War es nicht immer so, dass die Reichen an Möglichkeiten die Armen knechteten (durch den Entzug auch ihrer letzten Möglichkeiten)? Aber noch immer waren bis jetzt viel mehr Arme als Reiche, die das Gleichgewicht in der äussern Welt ebenso wie die Ordnung in der Natur durch ihren unfreiwilligen Verzicht noch aufrecht erhalten halfen. Heute fehlen diese jedoch immer mehr, und wir stehen kurz davor, all unser Vermögen (das innere und äussere Gleichgewicht) zu verlieren, was unweigerlich zu einem Falle führen muss, und zwar zu einem globalen Fall – wie er früher immer nur einzelnen Völkern zuteil wurde. Das endliche Produkt solcher Verhältnisse steht zwar schon seit Tausenden von Jahren fest, was viele Völker schon erfahren mussten; aber nun muss es endlich auch einmal global, im grössten Experiment der Wissenschaft, erwiesen und bewiesen werden. Denn Wissenschaft besteht ja aus Wissen, und nicht aus blossem Vermuten! Und ausgerechnet die Psychologie, die so genannte Lehre von der Seele, hat dazu durch ihr Postulat einer Selbstverwirklichung mitgeholfen.

1.7.2008

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