Relativitätstheorie

Wie die Relativitätstheorie Einsteins uns erst das richtige physikalische Verständnis gibt, so gibt uns die Einsicht der Relativität zwischen den verschiedenen Gebieten "Leib und Materie", "seelische Sphäre, seelische Kraft" und "Geist" das rechte Verständnis zum Gebrauch unserer seelischen Kraft nach den Weisungen der Bibel. Das, was uns verführt, erklären wir zu unserem Feind – selbst dann, wenn das uns Verführende (wie z. B. der Alkohol) gar nicht die Absicht haben kann, uns zu verführen. Vielmehr sind wir in dieser Beziehung selber unsere Feinde, indem wir unseren Willen nicht zu zügeln gelernt haben, sodass er uns hin und her treibt, wie er will, anstatt wir mit seiner Beherrschung uns durch ihn gerade dorthin bringen lassen, wo wir unser eigentliches Ziel erkannt haben.

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RELATIVITÄTSTHEORIE

Der Physiker Albert Einstein wurde weltberühmt durch seine spezielle und seine allgemeine Relativitätstheorie. Der Laie kann sich darunter wenig vorstellen. Hätte der heutige Mensch jedoch mehr Ernst in seinem Leben, so wäre er schon auch auf Relativitäten in seinem eigenen Leben oder auch in den Aussagen der Bibel gestossen. Denn die Aussagen der Bibel sind äusserst relativ und darum für viele auch sehr widersprüchlich, weil die Seele, für die und deren Entwicklung sie geschrieben wurde, in sich ein ebenso komplexes Gebilde ist wie das Universum, dessen Erscheinungen uns Einstein mit seiner Theorie näher bringen oder verständlicher machen wollte.

Was also besagt die Relativitätstheorie? Sie besagt, dass alle Gesetze in einem geschlossenen System für dasselbe konstant und wirksam bleiben, während sie im Vergleich zu andern oder in Berührung mit andern differieren können.

So ist auch der irdische Mensch kein einheitliches, in sich geschlossenes System. Er besteht vielmehr aus einer seelischen Kraft, die es gilt, in einem materiellen Gefäss zu proben und zu läutern und dadurch aufnahmefähig für den göttlichen Geist zu machen. Darin liegt der Sinn des materiellen, leiblichen und damit auch zeitlich beschränkten Probelebens einerseits und der der Seele zukommenden Lehre anderseits. Denn: Wie der Leib, verhält sich auch die Seele träge, das heisst anlehnend. Lehnt sie sich an das Materielle, an die Zeit und damit an die Vergänglichkeit, so wird sie sich in dieser zeitlichen und darum vergänglichen Materie verlieren, das heisst: in ihrem Individuellen abnehmen. Lehnt sie sich hingegen an die ihr laufend zuströmende geistige Kraft, so wird sie sich im Geiste und seinen Gesetzen wieder finden oder in seiner Kraft und seiner Ordnung sammeln. Da sie jedoch als eine eigene Kraft nie aufhören wird, zu sein, ist es für sie entscheidend, wie oder nach welchen Gesetzen ihre Kraft geordnet ist.

Und weil sich das mit dem Menschen so verhält, so sind auch alle Angaben, Vorschriften und Aussagen der Bibel sehr relativ und scheinen auf den ersten Blick auch so stark widersprüchlich. Und dennoch müssen sie äusserst präzis erfasst werden, wollen wir uns in ihnen auch wirklich zurechtfinden und uns nicht verstricken lassen, wie es so manchen Sekten passiert ist.

Diese Relativität ihrer Aussagen lernte ich schon in meiner Lehrzeit kennen. Dort war ein Meister, der Antialkoholiker war und darum seine Lehrlinge unbedingt zur Abstinenz von Alkohol verpflichten wollte. Das gab natürlich immer wieder Diskussionen. Da überraschte uns eines Morgens ein auf das Anschlagbrett mit Kreide geschriebener Vers. Er lautete:

                                                                                        Mensch, bedenk' es wohl:
                                                                                        dein grösster Feind ist Alkohol!
                                                                                        Doch in der Bibel steht geschrieben:
                                                                                        Deine Feinde sollst du lieben!

Dieser Vers enthält für logisch und rein rechtlich urteilende Menschen eine so klare Aussage, dass mit ihm jede Abstinenz biblisch begründet verneint werden muss. Wir Lehrlinge hatten natürlich eine grosse Freude über den wirklich gelungenen und unüberwindbaren Stolperstein für jede textgebundene Vernunft. Uns allen war ja klar, dass in dieser Weise der Text nicht anwendbar sein konnte, dass aber dem Wortlaute nach keine Einwendung möglich war. Da zeigt sich schon deutlich die Relativität der geistigen Lehre im Hinblick auf das seelische Leben und Wesen! Man lernt ja aber daneben auch im Beruf so manches klar und explizit, das in der nachfolgenden Praxis völlig anders gehandhabt wird. Wer sich damit abfindet, der hat keine Probleme mit einer Lehre und noch weniger Anstände mit der Relativität. Und die meisten Menschen haben diesbezüglich auch wirklich keine. Sie kommen dem Durchschnittsmenschen immer erst bei so manchen "Schicksalsschlägen" oder sonstigen unerwarteten Ereignissen verheerender Natur.

Nur mich selber wurmte es mächtig, dass man mit dem Wortlaut, ja sogar mit dem eigentlichen Sinn einer Lehre einen solchen Blödsinn erwirken kann. Selbstverständlich wusste ich genau, wie die Dinge liegen. Aber als Richter oder als Rechtsanwalt hätte ich einen Anwender oder Verteidiger dieser Auslegung mit rein sprachlichen Mitteln kein Verbot oder Verweis für seinen Genuss, auch von grossen Mengen, von Alkohol zu geben vermocht. Wie gut es manchmal sein kann, auch dem wörtlichen Sinn einer Aussage akribisch exakt nachzuspüren, um an den Folgen ihrer Erfüllung die Lücke oder den Mangel der Aussage oder ihres Verständnisses aufzufinden, zeigte sich bei diesem lapidaren Vers! Denn ich fand jahrelang keine befriedigende auf dem Wortlaut der Bibelstelle beruhende Entgegnung. Und das lag am Verständnis – oder Unverständnis – des Wortes "Liebe". Alle Menschen verstehen Liebe als: eng umschlungen, als fest gebunden als Einheit zwischen Liebendem und Geliebten. Das nur erkennen sie als wahre Liebe, die es allerdings – und notabene – nirgends gibt als alleine in den Wünschen und Träumen der Menschen oder besser: der menschlichen Seele – ausser bei Alkohol und andern Drogen und neuerdings auch zwischen Menschen und Tieren. Weil Tiere kein Urteilsvermögen haben und speziell Hunde und Pferde ursprünglich Herdentiere sind, die ein Leittier brauchen, so ist es für den Menschen leicht, eine eng umschlingende Liebe zu ihnen zu entwickeln. Denn ein Tier geht normalerweise nie aktiv gegen seinen Betreuer vor, sondern schliesst sich ihm bei stetigem und intensivem Kontakt nur immer enger an. Und der Mensch seinerseits, dessen Seele ihren Geist nie so recht gepflegt hat, wird bei einem solch nahen Verhältnis nur stets mehr seinen Gefühlen folgen als seiner Vernunft, sodass die Seele ihr lichtvolles Verständnis zu Gunsten grösstmöglicher seelischer Nähe aufzugeben beginnt, sodass sie in ihrer Individualität Schaden leidet und sich damit ihrer geistigen Entwicklungsmöglichkeit beraubt, sosehr sie anderseits auch verspürt, dass ein solch seelisches Verhältnis ja einmal ein Ende haben muss, bei welchem sie dann alleine und in trüber Dunkelheit steht, weil sie keine gegenteiligen oder ergänzenden Kräfte mehr in sich hat. Das Drama von Romeo und Julia zeigt das deutlich. Dort war das Verhältnis zwar zwischen zwei menschlichen Seelen. Aber die Individualität verloren beide dabei, und damit auch ihr eigenständiges Leben.

Genau so verhält es sich auch mit dem so herrlich flüssigen Alkohol, der so leicht und so angenehm die Kehle hinunterläuft und ein so angenehmes, sorgloses Sein provoziert, dass man sich von ihm niemals trennen kann.

Das also ist jene Art Liebe, die Menschen sich vorstellen: eine ganze Hingebung an ein widerstandsloses Etwas. Bei Verbindungen mit Tieren oder auch mit ganz kleinen Kindern, dort speziell in Verbindung mit den sie verwöhnen wollenden Grosseltern, wird das von den meisten Menschen immer noch positiv gesehen. Beim Alkohol dann allerdings nicht – weil dort die Folgen sofort und augenfällig sichtbar werden. Es ist für die meisten Menschen einfach eine Tatsache, dass eine möglichst feste Verbindung etwas Edles und Positives ist, das sie nur bei klar ersichtlichen Folgen verneinen – eben bei den Suchtmitteln. Es könnte sie auch nicht im Geringsten stören, dass ein Bibelwort – wohlverstanden, völlig richtig zitiert – zu einem solchen Blödsinn verführen kann. Das kommt alleine daher, dass sie die Bibel nicht ernst nehmen und ihr Urteilsvermögen bei keiner Gelegenheit schärfen möchten, weil sie sich mit einem geschärften Urteilsvermögen nicht so leicht in die Menge einer Gesellschaft einfügen könnten.

Mir war es aber ernst mit der Bibel. Entweder ist sie ein brauchbarer Ratgeber, oder sie ist es nicht – dann aber auch völlig wertlos. Die vielen Widersprüche darin sind ohnehin nicht dazu angetan, sie als etwas Gediegenes und Brauchbares anzusehen. Was also stimmt da nicht? Im Laufe meines Lebens drang ich immer tiefer in die Relativität der Aussagekraft aller äussern Worte ein – schon für sich alleine betrachtet, und erst recht im Verhältnis zueinander – und das generell gesehen, nicht etwa nur im Bezug auf die Bibel. So steht zum Beispiel so viel über das Wort "Liebe" in so vielen Büchern, deren Bedeutung nicht immer dieselbe ist. Auch im neuen Testament ist das ein sehr oft vorkommendes Wort mit ganz verschiedener Auslegung, sodass fast niemand eine ordnungsgemässe Vorstellung von dieser einmaligen Lebenskraft des Menschen auf Grund ihrer Aussagen haben kann. So steht zum Beispiel im 1. Brief Pauli an die Korinther im 13. Kapitel, in Vers 13: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die grösste unter ihnen". Also fährt nach dieser Version doch ein jeder gut, wenn er seinen Glauben zugunsten eines tierischen Gefährten aufgibt, weil ja Glaube eine vage Sache ist, und Hoffnung eine vorläufige Erfüllung ausschliesst und am Ende erst noch enttäuscht werden kann. Ein Liebesverhältnis zum Tier hingegen ganz gut vorhanden sein und genossen werden kann. Auch steht an anderer Stelle der Bibel, dass ein Mensch alles tun kann, dass er es aber, sofern er es nicht aus Liebe tut, vergeblich tat (1. Kor. 13, 1-3). Was gibt es auch da Besseres, als durch Liebe zu einem nahe stehenden Tier auf Glaube und Hoffnung zu verzichten? Wenn man dann noch liest, dass der Buchstabe tötet, aber der Geist lebendig macht (2. Kor. 3, 6), dann scheint es doch wirklich am vernünftigsten zu sein, sich voll der Liebe in die Arme zu werfen, und weil es bei Tieren am einfachsten geht, so eben am besten mit einem Tier. In der evangelischen Kirche in Basel hat man es darum schon versucht, mit Tieren zusammen einen Gottesdienst zu halten. Die Menschen sind dadurch aber nicht geistiger geworden, sondern wurden bloss in ihrer Sinnlichkeit bestärkt.

Eine klare Direktive steht allerdings in Bezug auf die Liebe schon in der Bibel: "Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte, dies ist das vornehmste und grösste Gebot. Das andere aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Matth. 22, 37 bis 40). Das sind Worte Jesu, an einen Schriftgelehrten gerichtet. Darin haben wir also schon einmal die Feststellung, dass man seine Liebe teilen (aufteilen) kann. Sie kann also mehreres erfassen oder umfassen! Wenn du Gott über alles liebst, so musst du dich seinem Wesen so stark als nur möglich anschmiegen, damit du eng umschlungen mit ihm zusammen nahezu als eins mit ihm leben kannst. Und dieses Anschmiegen an sein Wesen (nicht an seine äussere Gestalt in der Person Jesu) kann nur über das richtige Verständnis seines Wesens geschehen! Denn an Unverstandenes kann man sich gewöhnen, wie sich der Mensch an sein oft noch so trauriges "Schicksal" gewöhnt; aber man kann sich nicht mit ihm vereinen, nicht eins werden. Denn eine wahrhaftige Vereinigung setzt immer ein vor-behaltloses "Ja" voraus. Alles andere ist ein mehr oder weniger starkes Nebeneinander. Erkennt und schätzt man Gott aber in der Unabänderlichkeit seiner ewigen Ordnung, so möchte man selber so ordentlich, so beständig und damit so verlässlich werden wie Gott selbst ist. Dieser Schluss wird durch das Wort des Herrn bestätigt, da er sagt: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches (äussere Notwendigkeiten) alles zufallen" (Matth. 6, 33) und durch das Wort: "Darum sollt ihr vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Matth. 5, 48). Denn die Gerechtigkeit muss ja dem Nächsten ebenso viel lassen, wie uns selber zukommt, sowohl im Recht, wie in der Nachsicht und Vergebung als auch in der leiblichen Versorgung. Das alleine ist die richtige Aufteilung unserer Liebe: Alle unsere Liebe für und zu Gott, und unserem Nächsten – aus dieser Liebe zu Gottes Ordnung heraus – so viel, wie er braucht, um seiner Seele und seinem Leibe nach ordentlich leben zu können. Und dazu braucht es neben der wahren Glut der Liebe auch grossen Ernst, der kein Abgleiten duldet. Und in einem solchen Ernst der Betrachtung wird man erkennen, dass alles Gute eben in der richtigen Ordnung besteht; und dazu zählt auch das rechte Mass. Alkohol beispielsweise hat die Eigenheit, die Nervenkammern des leiblichen Organismus zu füllen und zu beleben. Das ist eine herrliche Eigenschaft, – aber – sie besitzt kein Mass! Denn der Alkohol füllt infolge dieser seiner Eigenschaft die Nervenkammern stets weiter, bis sie so voll und unempfindlich werden, dass sie weder äussere (leibliche) noch innerlich (seelische) Reize richtig verarbeiten können. Und in einem solchen Zustande des Menschen sind dann Leib und Seele mehr oder weniger voneinander getrennt. Dabei kann dann sowohl dem Leib und der Seele sehr vieles zustossen, ohne dass sie imstande ist, es abzuwehren. Wenn also die stumme Kraft des Alkohols eine belebende Wirkung hat, die einem so manchen heilsam nötig werden kann, z.B. nach einem grossen Schreck oder bei nervlicher Ausgelaugtheit, so sollte man aus der Liebe zu Gott, der ihm diese Kraft gegeben hat, auch das rechte Mass für ihn beachten, damit er nicht durch ein Übermass zu einem Schaden werde für die Ordnung Gottes und den Menschen, der nur innerhalb dieser Ordnung selig werden kann. Aus dieser achtsamen Überlegungen geht doch eindeutig hervor, dass die in der Bibel verlangte Feindesliebe nicht eine Umschlingung und ein Einswerden mit ihm sein kann, sondern vielmehr der aus der Liebe zu Gott begründete Drang oder die Absicht, den Feind des Lebens durch ein rechtes Mass zum wahren Freunde der Ordnung Gottes zu machen. Dass wir ihm gewisserart jenes Mass zurückgeben, für das alleine er von Gott erschaffen wurde.

Darin besteht die wahre Liebe zu Gott, dass wir alles in seine Ordnung zu stellen bemüht sind – ohne äussere und innere Gewalt, soweit es Menschen betrifft –, aber mit umso grösserer Gewalt eines innern Widerstandes, soweit uns selber einmal eine stumme Gier nach etwas anficht. Und eben auch darin besteht die gerechte und vernünftige Liebe zum Nächsten, dass wir erkennen, dass auch für ihn dieselbe Ordnung Gottes das Seligkeitsvollste bedeutet – sofern er aus Überzeugung ein "Ja" dazu sagen kann. Bei der in sich stummen Kraft des Alkohols genügt es allerdings, dass wir ihm dieses Mass angedeihen lassen, welches wir als das in der Ordnung Gottes richtige erkannt haben. Beim Menschen jedoch braucht es die grosse Geduld, ihm so lange beizustehen, bis er selber zur richtigen Einsicht gelangt und sich selbstwillig dem Besseren hingibt.

Also ergibt sich aus diesen Betrachtungen und Überlegungen Folgendes:  Gott alleine kennt das rechte Mass in allen Dingen und allen Wesen. Wir Menschen müssen uns bemühen, dieses Mass in allem zu erkennen und es einzuhalten. Und in Bezug auf unsere Nächsten heisst das: Wir müssen ihnen dazu dienen, auch für sich selber dieses Mass zu erkennen und zu beachten. Ein Feind ist immer aufsässig, und wäre er es nicht, so wäre er kein Feind! Ein Aufsässiger ist aber durch seine Aufsässigkeit gewiss auch immer von neuem ein Nächster zu uns. Folglich sind die Feinde unsere Nächsten, weil sie sich uns stets von neuem – wenn auch in feindlicher Absicht – nahen. Und eben diese gilt es dadurch und darin zu lieben, dass wir mit grosser Geduld versuchen, sie durch unser Vorbild vom rechten Mass zu überzeugen; also dem Feurigen den Segen der Ruhe und Ordnung durch das eigene Verhalten zu zeigen, den allzu sorglos Schlafenden mit aufmunternden oder notfalls gar auch mit aufschreckenden Worten zu wecken, den Übermütigen zu mässigen und den Zaudernden mit Wort und Tat zu stärken, dem Ehrgeizigen zu zeigen, dass wir nicht Ehre suchen und darum auch Ehre für nichts besonderes halten, weil sie die Menschen in Ränge unterteilt anstatt sie zu Brüdern werden lässt.

Wenn wir diese Regel auch beim Alkohol beachten, dass wir dem unmässig unsere Nervenkammern Füllenden das rechte Mass entgegensetzen, so merken wir, dass solch stumme Kräfte, die sich uns nicht willentlich nähern können, auch gar nicht unsere Feinde sein können, sondern dass vielmehr nur unsere eigene Unordnung und Gier (Hang zum Übermass) der Feind des in sie gelegten Guten sind. Und indem diese beiden Eigenschaften das in der stummen Kraft liegende Gute seiner Wirkung nach zu etwas Bösem werden lassen, werden sie nicht nur zu Feinden des Guten im andern, sondern gar zu Feinden von uns selbst! Bei diesem Punkt erst verstehen wir das Bibelwort richtig: "Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein" (Matth. 10, 36). Wer ist nicht schon über diese schreckliche Aussage der Bibel gestolpert, in welcher uns Gott in der Person Jesu versichert, dass er uns nur das Schlechte ins Haus schicken will?! Diese Situation ist jedoch lediglich eine Folge der gottähnlichen Freiheit, die wir Menschen – als einzige Geschöpfe – haben, damit wir aus dem Geschöpflichen zu seinen Kindern werden können. Sie, die Freiheit, ist es, die uns Gott unserm Wesen nach so verwandt macht, dass es heisst, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes erschaffen wurde (1. Mose 1, 27). Aber durch diese Freiheit bedingt, müssen wir Menschen selber unsere Kräfte ordnen, damit sie uns nicht schaden, wenn sie unausgewogen sind und sich darum ausserhalb der Ordnung Gottes bewegen. Darum auch die grosse Geduld und Nachsicht und Barmherzigkeit Gottes mit uns Menschen, weil wir dasjenige für uns können müssen, das er den Tieren einfach so mitgegeben hat, sie damit aber auch auf das bloss Mitgegebene beschränkt hat. Dadurch sind wir nicht blosse Geschöpfe, sondern Kinder seiner Liebe, weil er uns seine Ähnlichkeit geschenkt hat, die einer unvorstellbaren Vervollkommnung fähig ist, welche dem Geschöpflichen abgeht.

Spätestens bei solchen Gedanken müssen wir erkennen, dass in unserem seelischen Bereich alles relativ, das heisst verhältnismässig zu betrachten ist. Und das Verhältnis ist immer bezogen auf das Ziel, Gott, und auf unsern Grund – ebenfalls wieder Gott. Denn von Gott ist der Mensch ausgegangen in seine Freiheitsprobe, die er in seinem begehrlichen Leib zu bestehen hat, von welchem er sich zu lösen hat wie ein Kind vom Leibe seiner Mutter, denn für Gott und sein Reich (der Vollkommenheit) ist er seiner ganzen innern Einrichtung nach bestimmt. Darum kann uns nur die Erfüllung der Ordnung Gottes eine Seligkeit verschaffen; und alles in uns, was nicht durch Gott und unsere Liebe zu ihm bestimmt wird, das ist unserer Seligkeit Feind. Das ist das wahrhaftige Verhältnis der Himmel, weshalb unmittelbar nach dem Ausspruch, dass unsere Feinde unsere Hausgenossen sein werden, geschrieben steht: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert" (Matth. 10, 37) und: "Wer sein Leben (im Materiellen, Leiblichen) findet, der wird's (im Himmel) verlieren; und wer sein Leben (seine Erfüllung im Materiellen) verliert um meinetwillen, der wird's (in der wahren himmlischen Fülle der rechten Verhältnisse) finden" (Matth. 10, 39). Alle jene, die durch die falschen Liebeverhältnisse (falsche Relationen) seiner nicht wert sind, das heisst Gottes Werke oder seine Güter mehr lieben als seine grosse Liebe zu uns, lässt Gott – der dem Menschen verliehenen Freiheit zufolge – ziehen wie den verlorenen Sohn im Gleichnisse Jesu.

Nun verstehen wir, weshalb unsere Feinde Hausgenossen sind! Es ist unsere verkehrte Art, sich dem Materiellen und dem bloss Seelischen zuzuwenden, anstatt dem Lichte der Wahrheit ("die Wahrheit wird euch frei machen" (Joh. 8, 32)); die verkehrte Art, uns in eine Form zu verlieben, anstatt in ihren (und unsern) Grund: Gott, unsern Vater.

Wenn wir um die Liebe eines andern Menschen freien (oder gar eines Tieres), so suchen wir ihm zu gefallen anstatt unserem himmlischen Vater, Gott. Folglich muss schon die Liebe zu den Menschen relativ, oder mit andern Worten: bezogen auf Gott sein. Auch Jesus zu bekennen vor den Menschen, wie gefordert wird (Matth. 10, 32), sofern wir wünschen, dass Jesus, das Licht der Welt – oder die Wahrheit –, uns vor unserem Vater bekennen soll, muss nicht so sehr eine Heldentat vor den Heiden sein, als vielmehr eine Grundlage für unser werktätiges Tun!!! – Wer also um einen Menschen freit, das heisst, ihm zu gefallen sucht, oder sich um einen Menschen mehr sorgt als um das Reich Gottes in ihm, der bestätigt ihn in seinem Missverhältnis zu Gott und darum in seiner Knechtschaft, anstatt dass er versucht, ihn mit der Wahrheit seines nach Gott ausgerichteten Lebens frei zu machen für die Umkehr zu seinem Vater, seiner Heimat, die alleine ihm geben kann, was er wirklich braucht. Und eben das tun wir kaum!  Darum sagt Jesus in Bezug auf sein Kommen auch (Matth. 24, das Ganze), dass es vor dem Ende der Welt kommen wird, wie es vor der Sintflut war: "Sie assen und tranken, sie freiten und liessen sich freien..." (Vers 38).

Das also gehört zur Relativität des Lebens und unserer Freiheit, dass die verschiedenen Richtungen, in welche uns unsere Liebe zieht, durch ihren Gegensatz zueinander ebenso gut Feinde wie Ergänzungen (oder Freunde) sein können. Feinde im falschen Mass und Ergänzungen im rechten Mass und zur richtigen Zeit.

Zur Relativität unserer Ansicht gehört es, dass wir etwas als Feind sehen, das nur durch unsere eigene Schwäche zu unserem Feinde wird, und dass wir darum eigentlich nur immer selbst zu unserem Feinde (zum Feinde unseres innern, geistigen Lebens) werden durch unsere Unausgeglichenheit und unsere zur Entwicklung notwendigen Unvollkommenheit. Darum eben muss die Liebe zu Gott stets um ein Vielfaches grösser sein als die Liebe zum Nächsten. Weil wir nur dadurch unserem ebenfalls unvollkommenen Nächsten durch unser Tun ein rechtes Mass geben können, im umgekehrten Fall jedoch er uns sein unvollkommenes Mass aufdrängt – und das zwar eben durch unsern (Liebe-)Drang nach ihm bedingt.

25.5.2007

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