Diese Schrift ist gedruckt nicht erhältlich.

Denn sie enthält nichts Grundsätzliches. Aber eines verdeutlicht sie dennoch: Dass nämlich sehr oft Pflanzen – oder allgemeiner ausgedrückt: Wesen – mit vorzüglichsten Eigenheiten und von grosser Nützlichkeit von den sensationshungrigen Menschen völlig übersehen werden. Darum werden sie in dieser Schrift als ein Beispiel dafür vorgestellt. Die Pflanzen selbst sind bei den Nachfolgern meines ehemaligen Pflanzenzuchtbetriebes noch erhältlich. Die Anschriften finden Sie am Ende der Bestellliste.



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NAMENLOSE SCHÖNHEITEN (Aus der Gattung Sagittaria)

Unter diesem Titel vermutet man vielleicht eine unbeschreibbare Schönheit. Dafür wäre dann allerdings die richtige Ausdrucksweise: "unnennbar" oder "unbeschreibbar" schön. Namenlos schön bedeutet hier nur, dass es etwas Schönes ist, das leider (noch) keinen (endgültigen) Namen hat.
Unter diesem Titel soll also Schönes und Nützliches für das Aquarium in Text und Bild vorgestellt werden, wenn es auch bis jetzt noch keinen (gültigen) Namen hat. Zwar gehören meiner Ansicht nach alle Pflanzen, die ich hier vorstellen werde, zu der Gattung:

Sagittaria

Unter dieser Gattung gibt es eine Pflanze, die ich vor über 40 Jahren einmal aus Deutschland als Echinodorus tenellus erwarb. Sie sieht aus wie eine echte Echinod. tenellus, nur fehlt ihr der sichtbare Mittelnerv, der bei allen mir bekannten Zwerg-Echinodorus-Arten farblich auffällig (meistens etwas heller leuchtend) ist. Zwergsagittarien haben jedoch keinen sichtbaren Mittelnerv. Der viel bedeutendere Unterschied zu Echinod. tenellus besteht jedoch in der Wuchskraft und Anspruchslosigkeit dieser Pflanze. Sie gedeiht fast in allen Aquarien meiner grossen Kundschaft, die über 40 Jahre lang aus meiner Wasserpflanzenzüchterei Aquarienpflanzen bezogen haben! Warum nur "fast"? Diese Frage liess sich im Laufe der langen Zeit klären: Allen, welche die in meinem Buch "Liebe und Verständnis für das Aquarium" beschriebene Kornstruktur in ihrem Boden haben, gedeiht sie sehr gut und äusserst zuverlässig – und das haben früher oder später fast alle meine Kunden gehabt, weil ja erfahrungsgemäss nur solche Bodengründe eine Überlebenschance von deutlich mehr als einem Jahrzehnt haben (ohne je gewechselt oder ausgewaschen zu werden, versteht sich). Bei gröberer Kornstruktur, etwa von 2 bis 4 mm, versagt dieser sonst so muntere Zwerg sehr oft. Anderseits ist es ihm jedoch gleichgültig, ob hartes oder weiches Wasser, ob viel oder wenig Licht, ob mit oder ohne Filterung; überall wächst er zügig – nur eben im groben Sand nicht. Auch bei wenig Licht bleibt er stets niedrig (ca. 3 bis 4 cm hoch) und bildet äusserst satte Rasen. Nur wenn er sich in ganz dichte Bestände höher werdender Pflanzen hinein verbreitert, wird er dort grösser (bis ca. 10 cm), sonst erreicht er kaum je 5 cm Höhe. Seine Blätter treibt er stets bogenförmig. Seine Farbe ist hell- bis sattgrün.

So dicht, langlebig und robust ist nur der falsche Echinod. tenellus! Sogar Schnecken schaden ihm kaum.

Diese Pflanze eliminiert als Bodendecker, das in Bodennähe immer konzentriertere Nitrat im Wasser gründlich und reichert die unterste, normalerweise sauerstoffärmere Wasserschicht mit Sauerstoff an, was eine Filterung in einem sonst normal betriebenen Aquarium überflüssig macht. Von dieser Pflanze brauchten wir bis zu 500 Stück pro Monat! So begehrt ist sie, weil sie wirklich nie versagt. Weil man aber auch sie mit einem Namen verlangen muss, haben wir sie jahrelang als Echinod. tenellus verkauft. Heute nennen wir sie auch Sagittaria eatoni, was wohl ebenso falsch ist; einzig der Gattungsname wird zutreffender sein.

Kunden, die – aus welchem Grund auch immer – gröberen Sand oder gar Kies als Bodengrund haben wollen, empfehlen wir die ebenfalls äusserst robuste, aber schon um einiges derbere Sagittaria species, welche fast noch mehr Nährstoffe verzehrt oder braucht, ebenso gesunde, aber in allem viel gröbere und grössere Rasenflächen bildet. Diese Art hat das Aussehen eines grösseren Bruders der erstgenannten. Sie hat auch – im gleichen Aquarium wie die erstere gezogen – stets breitere und derbere Blätter von 5 bis 8 mm Breite und erstaunlicher Steifheit. Ihr Rasen wird normalerweise 5 bis 6, manchmal auch bis 8 cm hoch, kann aber – nur im Dickicht – bis 10 cm hoch werden. Auch sie hat keinen Namen, so vorteilhaft sie auch in Becken mit etwas grösseren Fischen oder nur wenig wühlenden Barschen ist.

Ein kräftiges "Blätterfeld" von Sagittaria spec. braucht gute Ernährung: Goldfadenfische (Trichogaster trichopterus) sind dafür geeignet.

Eine weitere namenlose Sagittaria-Art entwickelt dagegen ganz feine, aber nicht so uniforme Rasenflächen. Ihr Erscheinungsbild (unter Wasser versteht sich) gleicht jenen Trockengräsern, wie wir sie von lichten Föhrenwäldern her kennen. Die "Grasfläche" sieht nicht so konventionell gepflegt aus wie jene der beiden vorher beschriebenen Arten, sondern hat ein so richtig alpenhaftes Aussehen: zwar dicht, aber unendlich fein und etwas unterschiedlich in der Form der Blattgestaltung sowie der Farbe. Ihre Farbe kann – manches Mal an ein und derselben Pflanze – von gräulichem Grün über olivgrün bis goldgrün und karminrot wechseln und ihre bloss 1 bis höchstens 2 mm breiten linealischen Blätter sind nie gerade, aber auch nie regelmässig nach aussen zu gebogen wie bei den zuerst beschriebenen Arten, sondern sind leicht hin und her gebogen, eher aufrecht stehend, ein traumhaft schönes und ursprüngliches Bild vermittelnd und etwa 4 bis 8 cm hoch werdend.

Auch diese Art gedeiht – bei Kornstrukturen von 0,2 bis 4 mm in Mischung in einem Verhältnis wie in meinem vorerwähnten Buch beschrieben und begründet – in fast allen Verhältnissen recht gut. Auch die Schnecken schaden diesem Rasen wenig. Eher noch tun sich Fische an ihm gütlich.

So lebendig und vielfältig in Farbe, Form und Wuchshöhe kann sich ein Rasen mit Sagittaria "filiformis" präsentieren. Darüber schwimmen Goldfadenfische und im Hintergrund stehen Tigerlotus-Die Feinheit dieser Art sieht man besser in einer Einzelgruppe. Der Boden ist nicht so grobkörnig wie er aussieht, denn mit der Zeit versinken die feineren Sandkörner um etwa ein 3 - 4 mm, sodass nur die gröberen Körner sichtbar bleiben. Die Fische sind Barbus narayani.

Weil ich diese Art erst seit ca. 15 Jahren kenne und sie nicht in demselben Masse verkaufe wie die falsche Echinod. tenellus, kann ich über weitergehende Erfahrungen meiner Kundschaft weniger aussagen. In unserer eigenen Anlage aber gedeiht sie überall recht gut. Ein Unterschied zu den beiden vorher genannten Arten besteht allerdings: Im Schatten dichter und hoher Pflanzenbestände wird diese Art nicht etwa grösser, sondern verkümmert. Es darf aber aus dieser Bemerkung nicht geschlossen werden, dass sie viel Licht braucht. Im Gegenteil – in unserer Zuchtanlage arbeiten wir mit Lichtwerten, die in der üblichen Literatur als absolut ungenügend bezeichnet werden, obwohl wir ja vom Verkauf und deshalb von der Wuchsfreudigkeit der Pflanzen abhängen; also kommen die allgemein empfohlenen Lichtmengen bei normal betriebenen Aquarien mit üblichem Pflanzenbesatz einer blossen Umweltbelastung gleich. Wir haben die bei uns üblichen Lichtmengen ebenfalls in unserem Aquarienbuch präziser angegeben. Wer eine solche urwüchsig bunte Graslandschaft einmal in seinem Aquarium gestalten möchte, hat keine andere Wahl als diese Pflanze. Das macht sie so wertvoll! Weil man auch diese Pflanze irgendwie vorläufig bezeichnen muss, nennen wir sie einstweilen Sagittaria 'filiformis' ihrer fast fadenförmigen Blätter wegen, obwohl es sich kaum um die echte Sagittaria filiformis handelt, die nirgendwo im Handel erhältlich ist.

Aber es gibt auch unter den höher werdenden Sagittarien (Pfeilkräuter, wie sie zu Deutsch heissen) noch zwei weitere, mehr oder weniger unbekannte, aber prächtige und völlig anspruchslose Arten, die unsere Aquarien bereichern können. Beide sind ihrer Grösse wegen für den Hintergrund geeignet. Die eine von ihnen ist ebenfalls namenlos, die andere hat zwar einen Namen, den ich in einem uralten Buch gefunden habe; dafür ist sie ausser in meiner Züchterei nirgendwo erhältlich gewesen. Vorausschicken möchte ich allerdings, dass ich ursprünglich kein Sagittaria-Liebhaber war. Ich kannte diese Gattung seit meiner Jugend vor allem von der Sag. subulata natans her, die mir mit ihren 60 cm langen Blättern stets mehr als Gestrüpp bekannt war denn als schöner, dichter Pflanzenbestand. Aber Vallisneria gigantea mit ihren über 2,5 m langen Blättern fand ich auch nicht besser. Darum geriet ich schon etwas in Begeisterung, als ich einmal in einer Sendung Wasserpflanzen von einem Sammler und Züchter in den USA eine Sagittaria-Art erhielt, die 50 bis 80 cm gross wird, breite und harte Blätter hatte und – wie sich zeigte – unerhört wüchsig ist. Ihre frisch- bis satt-grünen ca. 1 bis 2, zumeist etwa 1,5 cm breiten bandförmigen Blätter treibt sie – wie wir es von Sagittarien üblicherweise erwarten – leicht bogenförmig nach aussen geneigt in die Höhe. Bei bloss 60 bis 80 cm Höhe bildet sie also in grossen Aquarien nicht eine lästige, leicht veralgende und vor allem das Licht stark hemmende, schwimmende Blattdecke, wie wir das von Vallisneria gigantea her kennen. Nun gibt es aber einige Sagittaria-Arten, die zwar, submers stehend, ebenfalls bandförmige Blätter treiben, die aber mit der Zeit und bei kräftigem Wuchs dann leicht und schnell Überwasserblätter in pfeilblattförmiger oder lanzettlicher Gestalt treiben. Darum auch war meine Begeisterung anfangs noch mit Sorge gemischt, dass sich das schöne und lebendige Wuchsbild bald einmal ändern könnte. Das aber war seit 20 Jahren weder in meinen Kulturen noch irgend bei einem meiner vielen Kunden je der Fall. Die Pflanze ist also eine echte Bereicherung des Aquariums, und nicht eine bloss heraufstilisierte Neuheit.

D ass sie bis jetzt unbekannt geblieben ist, liegt nicht alleine nur bei ihrer Namenlosigkeit – ich selber biete sie als Sagittaria gigantea an –, sondern liegt vielmehr auch an der Tatsache, dass ich in meiner ganzen Geschäftstätigkeit wirklich gar nie Werbung oder Reklame betrieben habe. In der Schweiz ist sie – durch den grossen Kundenkreis bedingt – wohlbekannt, aber in der Literatur suchte ich sie vergeblich. Mit diesem Büchlein kommt sie endlich auch einmal in die Literatur. Das soll auch darum so sein, weil ich altershalber aufgehört habe zu produzieren und nur noch wenige Nachfolger sind, die mein Pflanzensortiment weiterpflegen. Schade wäre es, wenn so brauchbare Pflanzen einfach wieder verschwinden würden. Gerade diese Art ist äusserst robust, auch gegen Fischfrass. Selbst Cichliden schaden ihr im Allgemeinen wenig.

Kräftige Jungpflanzen von Sagittaria "gigantea".

Eine andere Art, die ich vor ca. 20 Jahren erhielt, fand ich nach langem Suchen endlich in einem Buch erwähnt. Bezeichnenderweise war es kein Aquariumbuch, auch kein Wasserpflanzenbuch, sondern ein Buch über Gartenpflanzen: "Die Gartenstauden" Band 1 von H.R. Wehrhahn, erschienen 1931, Reprint (Parey-Verlag) 1989, Seite 7. Als Sagittaria subulata var gracillima wird sie dort beschrieben. Ihre Blätter sind äusserst hart, oft beinahe drahtig anzufühlen, jedoch bloss mit den Augen betrachtet äusserst feinfädig und leicht erscheinend, aber dennoch stets gerade und senk-recht aufsteigend. Sie sind so bezaubernd fein gestaltet, dass man auf sie kaum verzichten möchte, obwohl sie für das Aquarium die unangenehme Eigenschaft haben, bis zu 1,5 m lang zu werden.

Mit einer gewissen Anmut entfaltet Sagittaria subulata var. gracillima ihre Unart, ihre Blätter auf die Wasseroberfläche zu legen. Vordergrund: Crypt moehlmanii Fische: Perugiakärpflinge.

Trotz ihres feinen und zarten Vorhangbildes, das diese Pflanzen in grösseren Beständen entwerfen können, sind sie robust und gegen Frass unempfindlich. Allerdings wachsen sie nicht so schnell wie andere Arten dieser Gattung, gedeihen aber dennoch praktisch überall mit einer gewissen Sicherheit. Eine Abbildung ist extra in der Weise von unten her aufgenommen worden, dass die sich auf die Wasseroberfläche legenden Blattabschnitte ersichtlich werden, um zu zeigen, dass diese Pflanzenart sogar ihre "Unart", etwas allzu lange Blätter zu treiben, noch mit einer gewissen Anmut betreiben kann. Ein weiterer Vorteil der hoch wachsenden Sagittarien – gegenüber fast allen Arten von Vallisnerien (mit Ausnahme der Vall. gigantea) – besteht darin, dass sie gegen Fischheilmittel und Algenmittel viel unempfindlicher sind als diese. Man verliert sie also nicht so schnell und kann sich jahrelang an ihnen erfreuen. Eigentlich hoffe und wünschte ich mir, dass diese etwas zu karg in der Aquaristik vertretene Gattung endlich einmal mehr Beachtung und Zustimmung erhalten würde, so sehr ich selber anfänglich nicht begeistert über sie urteilen mochte. Denn sie bietet vieles und das immer mit einer grösseren Sicherheit als Arten anderer Gattungen bei derselben Verwendungsmöglichkeit.

2006

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