Suchen und Finden

Manchmal sprechen uns Bilder in der Natur, aber auch Gemälde und Zeichnungen in einer ganz bestimmten Weise sehr stark an. Immer wieder spüren wir, dass sie in irgendeiner Weise mit einem Teil in uns verwandt sind; dass es in unserer Seele Vorgänge gibt, welche dieselben Gefühle in uns wach rufen, wie die Bilder vor unsern Augen es tun können. Wenn wir uns in diese Gefühle vertiefen, so erkennen wir immer klarer, dass alle äusseren Dinge und Formen eine Entsprechung zu unseren innern, seelischen Vorgängen haben. Wie bereichernd es sein kann, solche Entsprechungen zu erkennen, und wie erlösend und befreiend solche Erkenntnisse auf unser Gemüt einwirken können, wird beim Lesen dieses Schriftchens und beim Betrachten seiner Bilder erfahrbar.

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Den vollständigen Inhalt enthalten die nachfolgenden Seiten:

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INHALTSÜBERSICHT




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GEDANKEN ÜBER EIN BILD VON LUDWIG RICHTER

Nur wer noch ein lebendig wahrnehmendes Gemüt hat, wird von diesem Bilde tröstlich angesprochen, empfindet es als eine Wahrheit durch ein bestätigendes Gefühl, dass dieses Bild vollkommen richtig – weil dem tatsächlichen Leben entsprechend – ist. Das wirkliche Leben besteht aber nicht so sehr aus äussern Vorkommnissen und Erscheinungen, als vielmehr in der innern Aufnahme und der Verarbeitung der bei allen äussern Ereignissen sich ergebenden Gefühle. Und aus diesen erklärt sich dieses Bild folgendermassen:

In der Tiefe des Tales aller Materialität ruht das innere, bleibende Leben – noch untätig – verborgen. Die aufgehende Erkenntnis und ein Gefühl, dass es Besseres als die Enge dieser Materialität (auf sich bezogenes Sorgen, Denken und Trachten) geben muss, ist in diesem Bilde dargestellt in der aufgehenden Sonne. Ein solches Erkennen belebt die Seele, durch ihren Eindruck auf sie, zur Tat. Und diese Tat des Aufmerkens und die daraus erfolgenden äussern Taten bestehen in der Abwendung von den Genüssen blosser Sinnlichkeit und der Hingabe an die Nützlichkeit eines ernsthaften äussern Tuns für die lichtvolle Erkenntnis über die Wahrheit der Verhältnisse – vor allem über sich selbst. Daher rührt dann der Zug in solchen Menschen zur Höhe des vollen Erkennens und Verstehens hin – aber immer zu Gunsten des gemeinsamen Nutzens. Dorthin, wo keine Hindernisse mehr sind, wo nur reine und darum geistige Lebensluft eingeatmet wird; dort wo auch die wahrhaftigen Kinder sind, die, unbeschwert von irdischer Sorge, sich dem Wohle ihrer Nächsten zukehren, dabei ihre Augen unverwandt nach ihrem himmlischen Vater (im Bilde nach der Sonne) richtend, weil ja jede gute Möglichkeit im Leben eines Menschen erst durch den Segen des Vaters vermittelt werden kann. Dorthin zieht es eine Seele, die durch die innere Lebenswärme des in ihr anbrechenden Tages erwacht oder erweckt worden ist.

Darum ist in dem Bilde das mit irdischer Last beladene Weib (das Weib als Entsprechung für die Seele, die als solche auch nichts zeugen, sondern nur empfangen kann aus ihrem Geist) auf einer Treppe aufwärts steigend abgebildet, das die Last irdischer und daraus vergänglicher Sinnlichkeit mit all ihren daraus sich ergebenden Sorgen treulich auf seinem Rücken trägt, um sie auf der Höhe seiner ersehnten Erkenntnis der vollen Wahrheit ganz ihrem himmlischen Vater zurückgeben zu können.

An seiner Seite geht sein Kind. Dieses entspricht in diesem gleichnishaften Bilde dem neu erwachenden Leben im Gemüte all jener, die durch die neue Richtung seiner Tätigkeit angesprochen worden sind, sodass sie – wenn vielleicht auch noch etwas zaghaft – seinem Beispiele folgen wollen. Diese anfängliche Zaghaftigkeit ist im Bilde dadurch verdeutlicht, dass sich das Kind noch eher am starren Geländer (der äussern Tätigkeitsart) festhält als an der lebendigen Mutter, weil ihm das innere Licht über die Verhältnisse des wahren innern Lebens noch fehlen.

Das Weib (oder – entsprechend – die Seele) darf aber in einer solchen neu erwachten Erkenntnis und Tätigkeit nach ihr nicht direkt oder allzu augenfällig von Gott, dem himmlischen Vater, gesegnet werden, weil es dadurch die noch so selbstlose Liebe bald einmal als sich selber dienend erkennen könnte und dadurch sein Wille – bei der immer noch gleichen äussern Tätigkeit – mehr auf das eigene Wohl als auf das Wohl des Ganzen gerichtet werden könnte. Darum wird es in diesem Bilde nur von hinten her von der Sonne beschienen. Das bedeutet in der Entsprechung: dass es nur verdeckt vom Herrn alles Lebens erwärmt und belebt wird, weil es so die Wohltat seiner Liebe und seines Segens dennoch in seinem ganzen Wesen verspürt, aber dabei doch den Schatten seiner Unvollkommenheit stets noch vor seinen Augen haben kann, welcher Umstand es demütig und bescheiden bleiben lässt, damit es dann auf der freien Anhöhe nicht übermütig und selbstbewusst werden könnte, sondern – wie die Kinder (Gottes), die bereits auf der Höhe sind – sich alsbald umdreht und nur noch für das Licht und die Liebewärme Gottes in sich ein Auge hat – oder sein Auge nur noch seinem himmlischen Vater zugewandt bleibt.

Dann wird auch es (das Weib als Sinnbild der Seele) erkennen – wie die Kinder der Höhe auf dem Bilde –, dass ja den derart Steigenden das Licht und die Wärme der Sonne sich schon während ihres Steigens ihrem ganzen Wesen mitgeteilt hat, sodass es ein in dieser Art tätiger Mensch sehr wohl spüren muss, dass er bei seiner mühsamen Tätigkeit nicht alleine ist, obwohl es seinen Augen (seinem Verstande) noch nicht erkenntlich werden kann und darf, weil er sich ja dem in seinem Gefühle wahrnehmbaren Weg zum Guten hin völlig frei und sich selbst bestimmend zuwenden muss, damit er dann auch einmal wahrhaft an sein eigenes Ziel gelangen kann, das seiner Liebe entspricht, weil es seine Liebe eben ohne allen äussern Druck (zum Beispiel des äussern Gotteswortes) zu ihrem Anteil werden liess und sie nur in dieser Freiheit selig werden kann. – "Es kann niemand zu mir (Jesus, dem Licht der Welt) kommen, es sei denn ihn ziehe der Vater (d.h. die Liebe), die mich gesandt hat", so steht es im Evangelium Johannes im 44. Vers des 6. Kapitels.

Darum auch muss der höher Steigende das äussere Wort Gottes (im Bilde durch die Kirche versinnbildlicht) in seinem Rücken haben, weil man das innere Licht dieses Wortes nicht erkennen kann, wenn man bloss das Wort für sich betrachtet, sondern erst, wenn man nach dem Sinne dieses Wortes zu handeln beginnt. Denn erst aus dem lebendigen Handeln nach ihm werden wir die Früchte erkennen, die aus dem ins Wort gelegten Samen in uns zu einem Himmelreich erkeimen können.

Das wird jedoch all jenen verborgen bleiben, die zwar dem Worte treu verbleiben, es jedoch in sich nicht durch die Tat nach ihm zum Leben erwecken. Und das sind sehr viele! Denn: erbauliche Gedanken haben, ist für den Moment leichter und schöner als die schwere Tätigkeit des wirklichen, weil lebendigen Bauens aufzunehmen. Darum fühlen sich ernsthaft nach dem Guten bestrebte Menschen oft so alleine und verlassen in dieser äussern Welt, weil niemand ihrem Beispiele folgen will. Die besseren unter den Menschen verbleiben bloss beim gehörten und darum äussern Worte, und die schlimmeren gar bei ihrer Finsternis durch eigendienliches Streben nach bloss leerer und niemandem dienenden sinnlichen Lust.

Aber des können dem Guten verpflichtete Menschen dennoch immer wieder inne werden, dass ihr ganzes Gemüt – scheinbar oft ohne Grund – so angenehm belebend erwärmt wird, wie es im Bilde durch das Licht dargestellt ist, das sich über die ganze Gestalt des Weibes ergiesst, obwohl es sein Gesicht und seine Augen nicht direkt erreicht. Das macht die Höhe aus, oder der Abstand vom bloss materiellen Denken, den solche Menschen durch ihren Ernst bereits erklommen oder erreicht haben, sodass der Segen Gottes ungehinderter (durch etwaiges eigenmächtiges Tun bedingt) ihr ganzes Wesen ergreifen kann, auch wenn sie vor sich noch immer bloss den eigenen Schatten ihres noch unvollendeten Wesens sehen und darum auch den Druck der Last noch wie ein Kreuz auf ihrem Rücken spüren – wie das Weib im Bilde die Brente auf seinem Rücken.

Nur vollendete Kinder Gottes auf der Höhe ihrer Seligkeit sind fähig, die vollständige und deshalb wahrhaftige Situation eines solchen Menschen zu erfassen, weshalb sie in sich trotz grosser Anteilnahme am Geschicke solcher Menschen auch so ruhig und andachtsvoll verbleiben können, wie sie der äussern Gebärdung nach im Bilde dargestellt sind. Diese können die Kirche (das äussere Wort Gottes) wohlverständlich betrachten weil es – wie die harte, äussere Form der Kirche im Bilde – durch die hinter ihr erst voll sich erhebende, aber für sie bereits aufgegangene (Lebens)-Sonne als bloss Äusseres erkannt wird, das für alle so lange als ein richtender Schatten vor dem göttlich lebendigen Lichte verbleibt, bis das Licht des Himmelreiches in der eigenen Brust dieses bloss äussere Wort wahrhaft, weil durchgängig seinem Liebessinne nach erkannt hat, sodass es dann aus Liebe ins ewige Leben aufgenommen werden kann. Sie können auch das irdische Leben (im Bilde durch das Dorf versinnbildlicht) ohne irgendwelche Wehmut betrachten und sich darüber sogar freuen, wenn darin wenigstens immer noch zumindest das äussere Wort (im Bilde die Kirche) in der Mitte des Denkens und Handelns bleibt. Darum auch ist der Grund, auf welchem diese Kinder (Gottes) stehen, im Bilde als eben und mit hoffnungsvoll spriessendem Gras bewachsen dargestellt.

Auf eine solche Art die Bilder betrachtet und ihre Wirkung auf unser Gemüt erklärt, wird jede Beschäftigung mit ihnen zu einem wahrhaften Sonntag des Geistes und damit zu einem wahrhaftigen Tag des Herrn, an welchem nur Seiner und seiner wunderbaren Führungen der noch unerlösten Kinder gedacht wird.

Wer das in sich – wenn oft auch nur auf Augenblicke – zustande bringt, dem fliesst auch Kraft, Trost und eine heimatlich anmutende Wärme zu; etwa so, wie es bei den beiden Kindern auf der Anhöhe in diesem Bilde dargestellt ist. Allen andern Betrachtern bleibt es allerdings nur eine Illustration ohne allen innern (und wohl auch ohne allen äussern) Wert.

13.5.2007

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VOM INNERN REICHTUM DER KINDER

Was ist es wohl, das uns in diesem Bilde so angenehm anspricht, ja uns bei einer längeren und tieferen Betrachtung sogar berühren kann?

Ist es nicht die Einfachheit und grosse Innigkeit, mit der diese Kinder sich ihrem Spiel hingeben? Zeigt uns das nicht deutlich, wie wenig der Mensch an Äusserem zu seiner Seligkeit braucht, wenn er inwendig erfüllt ist – zum Beispiel mit einer Melodie oder gar mit dem Zusammenklang der Töne. Heisst es nicht darum in der Schrift – als eine Bedingung zum Himmelreich –: "Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen" (Mark. 10, 15)? Und wo ist denn dieses Himmelreich zu treffen? Steht nicht auch das genauestens, ja sogar örtlich genannt in der Bibel beschrieben, wenn es heisst: "Das Reich Gottes kommt nicht mit äusserlichen Gebärden, ... Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch" (Lukas 17, 20 & 21).

Aber warum heisst es dann wieder an einer andern Stelle: "Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt tun, die reissen es an sich" (Matth. 12, 11)? Das alles sind zwar hoch gegriffene Fragen, die aber alle zusammen in diesem kleinen von Ludwig Richter geschaffenen Bildchen samt der Antwort dazu enthalten sind – so einfach und anspruchslos es uns auf den ersten Blick auch erscheinen mag.

Wie nahe sind doch diese Kinder bei ihrem Spiel zusammen! Bei keinem äussern Spiel sind Kinder so nahe und so ordentlich beieinander wie beim gemeinsamen Entlocken einer – oder besser: ihrer gemeinsamen Melodie. Und wie wenig brauchen sie dazu! Ein Brett, auf den nackten Boden gelegt; das Gesangbuch – eher zum Lesen der Worte als der Melodie, welche so kleine Kinder noch nicht aus den Noten zu lesen vermögen. Der "Streicher" an der zweiten Stelle kommt mit nur zwei auf ein Brettchen gespannten Saiten aus. Der Schalltrichter des Bläsers an dritter Stelle weist keine Klappen und Ventile auf an seinem Rohr und der unvollständige Dreiangel der vierten Musikantin wird mit einem Löffel angeschlagen. Auch der hinter dieser Gruppe stehende "Flötist" hat ein einfaches Instrument, wenn er es schon nur einhändig zu bedienen braucht. – Es ist der Gemeinschaftssinn, der Sinn für das Schöne und Gute, der diese Kinder eint. Sie bestärken mit ihrem "Musizieren" eher ihre inwendigen Empfindungen und Wünsche als ihr Talent in der äussern Fertigkeit des Musizierens. Wie nahe können sich kleine Kinder doch sein! Nicht so sehr ihrer nur geringen leiblichen Grösse wegen, als vielmehr ihrer innern Anspruchslosigkeit und Genügsamkeit wegen, die sie im Guten viel leichter zu einen vermag, als es das Rang- und Geltungsbedürfnis bei Erwachsenen zulassen würde. Wenn es manchem auch als sicher erscheinen mag, dass es solche Kinder heute nicht mehr gibt, so kann man sich diese aber doch – zumindest während der Betrachtung dieses Bildchens – noch vorstellen, sofern auch nur noch ein verschwindend kleiner Rest von Kindheit in uns geblieben ist. Darum wirkt dieses Bild weder unnatürlich noch realitätsfremd. Nur wer in sich schon auch den kleinsten Resten von Kindheit und Kind-Sein  abgelegt hat, der hat keinen Sinn mehr für diese in jedem gesunden Menschen noch vorhandene innere Realität.

Lassen wir uns darum nur noch ein wenig tiefer auf die Aussage dieses Bildchens ein: Ist es nicht die äussere Armut, die das Innere eines Menschen so offenbar werden lässt? Doch!  Nur die Armut ist es meistens, welche den Menschen vom äussern Glanz und äusserem Genuss abzuhalten vermag. Natürlich ist diese äussere Armut zumeist keine selbst gewählte, sodass der innere Sinn des Menschen dennoch stetig nach äusserer Befriedigung strebt und auf äussern Genuss gerichtet bleibt, anstatt auf den Dienst am Guten und für das Gute. Aber das hat die äussere Armut denn doch für sich als Gutes: Dass sie nämlich dem Menschen beweisen kann, dass äusserer Besitz nicht alles ist, weil sie ihm ja nur den innern Besitz lässt, sodass er eigentlich erfahren könnte, wie reich er innerlich ist und auch immer noch mehr werden könnte, würde er sich mehr darauf konzentrieren als auf das Haben-Wollen äusserer Dinge.

Darum ist äussere Armut – wie sie zumeist den Kindern armer Familien beschieden ist – eine dem Menschen so förderliche Schule wie kaum sonst etwas – allerdings nur unter der Bedingung, dass er sich darüber nicht allzu sehr beklagt oder gar Materielles zu fordern beginnt, sondern sie bereitwillig und demütig – oder wenigstens gelassen – annimmt, sich selber, oder noch besser seinen himmlischen Vater fragend, wie er sie gebrauchen muss, damit für ihn auch daraus etwas Gutes werden kann.

Dabei kommt es dann zur Beantwortung der Frage über das Wort Jesu, dass das Himmelreich Gewalt leide und dass diejenigen, die es besitzen wollen, es mit Gewalt an sich reissen müssen. Die äussere Armut ist dabei nämlich eine Gewalt Gottes, unseres himmlischen Vaters, die unsere Gier nach Äusserem dadurch abödet, dass wir durch den Verzicht auf Äusseres den innern Reichtum unseres Gemütes wiederfinden. Das Angewöhnen dieser Art, zu Leben, führt uns Menschen deshalb kaum in Versuchung, von unserem innern Reichtum zugunsten äusseren Besitzes abzulassen. Wie viel schwerer hat es da doch ein Mensch, seine innern Kräfte zu erkennen oder gar auszubilden und zu stärken, der im Äussern alles zur Verfügung hat, alles nur nehmen und geniessen kann!  Da braucht es dann schon eine rechte eigene Gewalt und Kraft der Seele, sich von den ihr schmeichelnden äussern Genüssen fernzuhalten und vom Äussern nur so viel zu gebrauchen als sie für den Lebensbedarf ihres eigenen Leibes braucht und zur Wohlfahrt ihrer Brüder und Schwestern allenfalls noch verwenden kann. Darum heisst es ja denn auch wieder, dass die Bürde, die uns auferlegt ist, leicht sei und das Joch, das wir tragen sollen, sanft sei (Matth. 11, 30). Und das wäre ja ein Widerspruch zur ersten Aussage Jesu, hätte er des weitern nicht auch gesagt, dass das Reich Gottes den Kindern gehöre (die durch ihre Unerfahrenheit oft so arm sind, dass sie sich bald einmal mit noch so wenig Äusserem begnügen und dankbar ihr Inneres zu beleben beginnen).

Was wäre es aber anderseits für einen Erwachsenen für eine grosse Tat, klein, bescheiden und kindlich zu bleiben, seine Schwächen zu erkennen und sie sich selber einzugestehen. Wir müssten dabei nicht so grosse, anstrengende, weil ununterbrochene Vorkehrungen treffen, nur darum, dass wir den andern als ebenbürtig erscheinen können. Diese Anstrengung, immer mehr scheinen zu müssen, als wir der Wahrheit nach sind, ist es ja, die den äussern Kult oder die so genannte Kultur derart anschwellen lässt, dass unser Inneres durch seine Vernachlässigung dabei hohl und leer werden muss. Und nur darum müssen wir Erwachsenen das innere Reich des Geistes Gottes in unserer Seele, mit Gewalt an uns reissen, sonst jedoch wäre es ein Leichtes, es zu erwerben, oder vielmehr wie die Kinder zu besitzen.

Was hat denn beispielsweise der stehende "Flötist" auf dem Bilde Richters mit seiner lässigen Art für sich erreicht? Er alleine ist stehen geblieben – obwohl er auf dem Brett, welches den andern als Ruhebank dient, noch gut Platz gehabt hätte. Ja, das ist wahr: Er hebt sich zwar von den andern erfolgreich ab; ist von ihnen, als ein Letzter oder Äusserster, am weitesten entfernt und könnte darum in der heutigen, verkehrten Zeit schnell zu einem Mittelpunkt werden. Aber was hat er Wirkliches damit erreicht? Er wäre es ohnehin nur für die Vielen, welche durch ihr Nach-aussen-Spähen ein leeres und hohles Gemüt haben, sodass sie eben nur noch von einem äussern Schein angesprochen werden können, weil ihr inneres Sein schon lange aufgehört hat, wirksam und darum lebendig zu sein.

Menschen hingegen, die das Innere, das Bleibende pflegen, kehren sich nur wieder zu solchen, die ihr Eigenes ebenfalls pflegen, weil sie durch die andersartigen Erfahrungen der andern bereichert werden und ihr Eigenes damit ergänzen können, sodass aus ihrem Zusammenwirken Gutes, weil Bleibendes – durch die gegenseitige Bestätigung eines innern Lebens – gefestigt wird. Solche halten das ihnen Liebwerte (im Bilde ihr Instrument) mit beiden Händen und blasen ihre Erfahrungen nicht einhändig – die andere Hand lässig in der Hosentasche ruhen lassend – bloss gauklerisch in die Luft hinaus. Ja, ohne es eigentlich zu wollen, kehren sie solchen Menschen den Rücken zu – wie es bei den "Musikanten" im Bildchen ja tatsächlich der Fall ist.

Wie ganz anders ist doch dagegen ihr Verhältnis zwischen ihnen und dem "Dirigenten"! Denn dieser steht nicht – wie die grossen Dirigenten dieser Welt – über dem Orchester oder über die andern erhöht, sondern kniet vor ihnen, ihnen zur Einheit im Musizieren dienen wollend, und damit sowohl der Einigkeit unter Brüdern und Schwestern wie dem Musizieren dienend. Seinen zu diesem Zweck von den Grossen der Musikwelt übernommenen "Dirigentenstab" hat er längst unter seinen Arm geklemmt, hält sich die klaren Anweisungen des Liedtextes vor Augen und benützt seine rechte Hand zur Aufmunterung zum Spiel. Ist es bei einer solchen Gemütsverfassung nicht mehr als klar, dass der so hingegeben Handelnde das rechte Brot für die Sättigung des innern, bleibenden Lebens gesammelt bei sich trägt – auf dem Bilde ersichtlich gemacht durch die umgehängte Vespertasche?!

So einfach und natürlich das in diesem Bilde dargestellt ist, sodass wir es kaum merken, würden wir nicht darauf aufmerksam gemacht, so einfach und natürlich gibt es sich auch im wirklichen Leben! Die Menschen, die überhaupt noch lebendig und darum empfindend sind, spüren auch heute noch, wo und in welchen Menschen Gott – unser aller Vater – wirksam ist. Nur können sie sich zufolge ihrer Ungeübtheit in diesen Sphären nicht erklären, woher das kommt und darum auch nicht sicher sein, ob sie richtig empfinden.

Wer aber solche Erlebnisse in "beiden Händen" hält – mit andern Worten: in seinem Herzen verwahrt –, weil sie ihm so wohl getan haben und er sie nicht mehr missen möchte und sie darum auch nicht etwa bloss mit einer Hand ergreift, dieweil die andere, zweite Hand, schon wieder gierig in das Gewühl der äussern Welt greift, der kann noch ganz leicht zu seinem eigenen Liedchen finden oder kommen, das ihm sein Schöpfer und Vater in seiner eigenen Brust bereitet hat. Jedem zwar einen andern Part, aber allen zusammen so verteilt, dass es bei ihrem Zusammenwirken zur wohlklingenden Harmonie wird, welche von den Vögeln des Himmels (von geist- und lichtvollen Gedanken im Gemüt eines Menschen) ebenso begleitet oder ergänzt wird wie das Liedchen der Kinder auf diesem Bilde von dem Gezwitscher der natürlichen Vögel des Himmels.

So Vieles liesse sich aus einer so einfachen und anspruchslosen Zeichnung lesen, wenn wir uns nur auch mehr Zeit dafür nehmen würden als für die leeren Vorgänge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. All dieses müssen wir nämlich einmal verlassen (beim leiblichen Tod, oder der Scheidung von Seele und Leib). Das Andere, das Innere verlässt uns jedoch nicht – mag es nun ein solcher Reichtum sein, wie wir ihn anhand dieses Bildchens erlebt haben, oder mag es Leere und Finsternis sein! Beides wird uns eigen bleiben, je nachdem, wie wir es in uns gestaltet haben, oder eben ungestaltet und leer gelassen haben. Wäre es da nicht der Mühe wert, zur Zeit (oder im Zeitlichen) dafür zu sorgen, dass uns für diese Ewigkeit genügend Proviant bleibt? Denn so schlecht hat doch diese innere Kost gar nicht geschmeckt.

15.5.2007

Bei allen Bildern handelt es sich um Holzschnitte nach den Zeichnungen von Ludwig Richter, der von 1803 bis 1884 lebte. Die erklärten Bilder wurden leicht koloriert. Titelblatt und letztes Bild sind unveränderte Holzschnittwiedergaben.

Peter Schneider

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EINSAM? - DIE NOT ALS QUELLE

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Immer wieder kommt es im Leben von uns Menschen vor, dass unser kleines inneres Feuer in der Nacht und im Staube dieser Welt auszugehen und zu ersticken droht. – Vielleicht weil wir bei Tageshelle – oder bei den Freuden und Genüssen dieser Welt – zu wenig darauf geachtet haben.

So schwer, leid- und sorgenvoll ein solcher Zustand von uns empfunden wird, so zeigt es sich doch immer wieder, dass uns erstens die meiste Schuld dafür trifft und dass wir zweitens, trotz unserer Schuld, darin nicht unglücklich bleiben müssen, sofern wir nicht zu sehr in Selbstmitleid verfallen, sondern dankbar dasjenige gebrauchen, das uns in einer solchen Situation noch übrig geblieben ist.

Wie auf diesem schmalen Bilde – einer solch beklemmend engen Situation entsprechend – angedeutet, werden wir dann nämlich erleben, wie sich – wenn vorerst auch vielleicht nur auf einige Augenblicke während unseres momentanen innern Standpunktes – das Dickicht der Weltsorgen, wie zuvor schon der Weltgenüsse, zu lichten beginnt, sodass plötzlich der Himmel wieder bis zu unserem Wesen hinunter frei und ersichtlich wird; und uns sein Walten wieder besser verständlich wird und dadurch näher kommt – wie den Beiden im Bilde Ludwig Richters – sodass dann auch das schwache Licht unseres Verstandes, im Bilde durch den Mond angedeutet, uns wieder zur Orientierung behilflich wird, obwohl ja unser Verstand für sich alleine eigentlich ebenso wenig ein eigenes Licht oder Leben hat wie der Mond, sondern nur wiedergeben oder widerstrahlen kann, was auf ihn selber auftrifft. Beschäftigt sich unser Verstand jedoch, durch unsere Raffgier genötigt, mit materiellem Erwerb, mit Politik und Gesellschaftsregeln, so verfinstert er sich durch die Verstrickung in die selbstsüchtigen Machenschaften der Eigenliebe und kann uns dabei nichts Tröstliches oder gar Gedeihliches mehr bieten. Werden diese Attribute von der Welt her durch einen "Schicksalsschlag" von uns gestreift, so wäre der Himmel unseres innern Reiches in unsern Herzen zwar wieder frei und nicht mehr umstrickt. Aber weil dann leer, eben auch dunkel und finster, wie der Nachthimmel auf dem Bilde hinter dem Walde, würde er nicht ein wenig durch ein fahles Mondlicht erhellt, wie etwa unser Verstand durch ein Ahnen erhellt werden kann, wenn wir in solchen Augenblicken oder Situationen doch nur wenigstens erkennen oder gar zugeben können, dass wir in uns dennoch ein nicht immer ganz so verlassenes Gefühl haben, wie es eigentlich in unserer momentanen Lage der Fall sein müsste. Dieses Zugeben gleicht dem Blankwerden des Verstandes vom Staube der geglaubten Notwendigkeit der Weltfreuden mit ihren provozierenden Weltsorgen, sodass er etwas vom Lichte Gottes – welches aus tiefster Liebe kommt – aufzunehmen und dann in unser Gemüt zu strahlen vermag. Wohl ist die Sonne unseres Lebens – Gott, unser aller Vater – in einer solchen Situation ebenso wenig sichtbar wie die Sonne am nächtlichen Himmel. Und dennoch ist nur sie alleine es, die dem Mond sein Licht verleiht, wie die Liebe Gottes unsern Verstand in dem Momente zu erleuchten vermag, in welchem wir zugeben können, dass wir uns – endlich frei von allem Weltstaube und Weltdruck – nicht ganz so unglücklich fühlen, wie wir denken, dass es in einer solchen Situation sein könnte oder sein müsste. Denn wer das Feuer seiner Liebe dadurch zum Erlöschen gebracht hat, dass er sich zu sehr dem Wasser der Lustbarkeiten dieser Welt ergeben hat, der kann nicht mehr direkt aus der eigenen Wärme seiner in die Welt hinein vergeudeten Liebe erleuchtet werden, sondern nur noch über den Widerschein seines Verstandes, sofern er auch bereit ist, die momentane Situation als eine Wirkungen oder Zulassung der Liebe Gottes zur Erlösung seines geplagten Gemütes aufzunehmen – und nicht bloss als zufälliges Missgeschick zu betrachten.

Der Verstand ist es nämlich, der in der Schöpfungsgeschichte Mosis mit dem kleinen Licht gemeint ist, welches die Nacht regiere, während das grosse Licht, das den Tag regiert, die Liebe ist, die Gott, der ebenfalls Liebe ist, viel schneller erkennt und auch ein kräftigeres Licht erzeugt in unserem Gemüte als aller Verstand, sodass wir dann auch alle uns betreffenden Führungen Gottes viel genauer erkennen und begreifen und dadurch sogar lebendig spüren – im Gegensatz zum Verstande, der nur prüfend rechnen, aber nichts hervorbringen oder zeugen kann. Nur das wärmende Licht der Sonne ist fähig, die Lebenskraft im Keime der im Boden unseres Gemütes ruhenden himmlischen Samen zu erwecken. Die möglichen Wege jedoch zu erhellen vermag der Verstand ebenso gut wie der Mond. Und wer ihnen dann folgt, der gelangt auch bald zu seinem eigenen Morgen mit all seiner Liebelichtfülle in seiner Seele, weshalb in der Schöpfungsgeschichte Mosis auch geschrieben steht, dass aus dem Abend und Morgen der erste Tag ward – was ja im rein Natürlichen ein Unsinn wäre, da zwischen Abend und Morgen nur eine Nacht liegt, und kein Tag. Daraus erhellt aber auch, dass die Schöpfungsgeschichte auf das Gemüt des Menschen bezogen ist, und nicht auf die Erschaffung der Welt. Denn wäre sie auf die Erschaffung der Welt bezogen, so wäre es fraglich, weshalb Gott nach seinem Ausspruch "Es werde Licht" und der Erfüllung dieses Ausspruches noch nötig gehabt hätte, ein zweites Licht für den Tag zu schaffen und ein drittes für die Nacht.

Wer allerdings – wie das Mädchen oder das junge Weib im Bilde Ludwig Richters (als Sinnbild der Seele) – seine Augen in Selbstmitleid und Trauer über seinen Zustand verschliesst vor den Tatsachen und vor allem auch vor der eigenen Schuld, der wird weder auf das fahle Licht seines Verstandes merken, noch auf die Zusprache oder Einsprache des Geistes, der unablässig bereit ist, sie (die Seele) zu belehren und zu ermuntern wie in der Person des Jünglings im Bilde dargestellt. Der Jüngling ist darum ein Sinnbild des Geistes, weil er als unschuldiger und noch reiner Mann die volle Zeugungskraft besitzt, und nur der Geist zeugen, das heisst das in der Seele schon Vorhandene, aber noch Schlafende, beleben kann – wie der männliche Same, das Spermium, die ruhende Eizelle zur Weiterentwicklung belebt.

Es hat ja aber der Jüngling im Bilde eine Vespertasche voller Nahrung bei sich. Warum will sich die Seele denn weder durch ihr geringes Verständnislicht ihres Verstandes wecken lassen noch durch die direkte innere Zuwendung Gottes über ihr Gefühl beleben lassen mit Speise und Trank oder entsprechend: durch innerlich zugespielte, belehrende Gedanken noch durch eine Stärkung über ihr Gefühl?  So verlassen wie die Beiden in diesem Bilde, ebenso verlassen sind so viele Menschen dieser Welt, und zwar nur, weil sie ihre Gemütsaugen verschlossen haben vor der wahren, innern Erkenntnis, und ihre Ohren verstopft sind für die Einsprache Gottes in das Gefühl ihres Herzens und damit in ihr Leben. Dabei ist ja für sie noch nichts verloren in einer solchen Situation! Es fehlt nur das ernsthafte Wollen. Das Licht des Mondes – oder ihres Verstandes – wäre nämlich wohl gut genug, einen Weg zu finden, aber allerdings nicht jenen, den sie in ihrer eigenliebigen und genussorientierten Vorstellung zu gehen wünschen, sondern nur jenen, der sie zur Möglichkeit gelangen lässt, wieder in den Morgen ihrer Liebe zurückzugelangen. Denn es heisst und wird uns von Gott verheissen: "Ich liebe, die mich lieben; und die mich frühe (in der Jugend schon) suchen, finden mich" (Sprüche 8, 17).

Ja, ja, die tief gefühlte Nähe der wahrhaftigen, weil innern Wirklichkeit, welche nie in der Materie sein kann, weil diese sowohl für einen jeden (bei seinem Tode) wie auch für sich selbst einmal vergehen wird, könnte die Vespertasche – das einer jeden Seele mitgegebene Geistfünkchen – öffnen, in welcher es des Leben spendenden Proviants zur Genüge hat, eine Seele zu stärken für den Weg zum wahrhaftigen innern Leben, das dann die notwendige Wärme und aus dieser auch das Licht schon in sich hat.

Darum ist dieses Bild Richters ein so schicksalsschweres und darum auch wert, es so tief als möglich in sich aufzunehmen und aufzufassen, damit wir uns in ähnlichen eigenen Situationen daran erinnern können und unsere Seele – mit dem Mädchen dieses Bildes vergleichend – in ihrer Befangenheit erkennen können, damit wir unsere Augen dann auch öffnen und unser Gemüt nicht verschlossen halten. Denn nur so werden wir befruchtet zu guten Taten für das ewige, unvergängliche Leben in uns – eben durch die Worte oder Gedanken des Geistes, die uns allen durch unser Gefühl belebt, unablässig zufliessen und die wir ganz gut in uns vernehmen könnten, wenn wir nur endlich auf sie merken wollten.

P.S. Dass Ludwig Richter das vorher Dargelegte – wenn vielleicht auch nicht wörtlich – für sein eigenes Leben und auch ganz allgemein so gesehen oder zumindest so empfunden hat, dafür ist einem Gemüts-offenen und Aufnahmefähigen dieses Bild in seiner eindrücklichen Gestaltung und Aussagekraft Beweis genug. Aber zusätzlich hat er noch ein anderes Bild geschaffen (auf nebenstehender Seite abgebildet), über welchem diese Gedanken – in einfache Worte gekleidet – in einem einzigen Satz beschrieben sind.

15.5.2007

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