Umwege

Nicht unbedingt eine Lektüre für moderne Menschen, die weder die Tiefe noch den Ernst suchen. Eher geschrieben für Menschen, deren Liebe tief und ernst ist, und die deshalb erst zur Ruhe kommen, wenn die innern und äussern Verhältnisse miteinander übereinstimmen. Das geschieht in der Gesellschaft praktisch nie, sodass sie das höchstens in der kleinen Gemeinschaft der Ehe anstreben und dann oft auch dort nicht finden, was sie brauchen. Wüssten sie um die tiefern Gründe, so hätten sie immer noch eine immense Arbeit vor sich, hätten dann allerdings auch den Weitblick und eine Tiefe des Erkennens, das weit über das Gesellschaft-liche hinaus geht und auch tiefer reicht als alle studierte Psychologie, welche ja die Liebe noch eher im Gefühl und im Sinnlichen begreift als in einem tiefen Lebensernst, wo sie zu einer gestaltenden Kraft werden kann, deren Wirksamkeit dem blossen Verstande unerklärlich bleiben wird.

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UMWEGE

Vieles liesse sich einfacher gestalten, würden die Menschen nicht allzu viele Rücksichten auf Eitelkeit nehmen müssen. Das ist nicht nur in der grossen Politik so, sondern auch im allervertrautesten zwischenmenschlichen Leben, wie in der Familie, zwischen Eltern und Kindern, und vor allem zwischen den Ehepartnern. Während in der Politik noch schnell einmal zu erkennen ist, aus welchem Grunde welche Schachzüge getan werden – weil es ein Spiel mit dem Verstande ist, da ein jeder weiss, was er will und was er tut –, ist es zwischen Ehepartnern sehr viel schwieriger, den Umwegen oder Schachzügen auf die Spur zu kommen, weil es dabei weniger um Verstandes-, als vielmehr um Gemütsangelegenheiten geht. Wer weiss denn da schon so genau, was er an seinem Partner liebt, was ihn an ihm alles fasziniert, und weshalb der andere überhaupt so ist, wie er ist – oder wie er sich jedenfalls gibt.

Eitel können beide Partner sein. Während die Männer auf ihr Können oder auf ihre Kraft stolz sind, und darin eitel werden können, dass sie nichts Besseres oder Stärkeres über sich dulden wollen, ist es bei den Frauen die Schönheit ihres Leibes und die Gediegenheit ihres Benehmens, auf die sie sich nur allzu gerne viel einbilden. Es ist also nicht nur die Schönheit ihres Leibes, sondern vor allem auch die dazu gehörende Gediegenheit ihres Benehmens in einer Gesellschaft. Wie leicht fällt es da doch einer durch ihre Schönheit und ihre Aufmachung Ausgezeichneten und dadurch allgemein Bewunderten, sich in gefälliger Weise dienstbereit zu geben oder bescheiden, gleichsam zurücktretend zu wirken! Denn ihr Dienst besteht ja vor allem, alle Blicke auf sich selber zu ziehen, um dann den Bewunderern bescheiden bekennen zu können, dass man ja nichts tue und auch nichts anderes habe als nur das, was alle andern auch haben. Und das ist keine besondere Bescheidenheit, wenn man sich vorher extra für die Bewunderung durch die andern zurecht gemacht hat, und dann auch spürt, wie nun alle gerade eben dasjenige wollen und sogar gierig begehren, was man ihnen absichtlich so schmackhaft vorgestellt hat. Darum entwickelt sich bei ihnen sehr leicht eine grosse Empfindlichkeit, ihre grossen Vorzüge betreffend. Denn sie gehen mit Empfindung auf die geheimen oder offenen Wünsche – besonders der Männer – ein. Sie fühlen sich dadurch dann aber auch in ihrem Wesen diskreditiert, wenn sie keine Anerkennung finden, weil sie all ihr Tun aus einer Nachempfindung der Wünsche gestalten und darum in ihrer dem Leben sehr viel näheren Empfindung (Nachempfindung) enttäuscht werden, anstatt bloss im berechnenden Verstande. Eine geschäftstüchtige Hure würde da schon weniger leiden, weil es bei ihr blosse Berechnung und der daraus resultierende äussere monetäre Gewinn betreffen würde, der durch eine Nichtbeachtung diskreditiert würde – also eine von ihr selbst klar erkannte minderwertige, weil bloss materielle Absicht. Im Allgemeinen aber empfinden Frauen ihr Wesen – eben durch die anerkennende Bewunderung durch die Männer – eher als vorzüglich oder edel, so eitel und gefallsüchtig auch die Gründe ihres Benehmens sind.

Das alles ist bei Männern schon darum weit weniger der Fall, weil im Allgemeinen die Männer die Frauen mehr beachten und begehren als die Frauen die Männer.  Das sagt schon Moses in seinem ersten Buch (1. Mose 2, 24), dass eben darum der Mann Vater und Mutter verlasse und ganz seinem Weibe anhange, weil dieses aus ihm selbst, und zwar aus einem seiner gediegensten Teile (der Rippe, die das Herz umschliesst) genommen und gestaltet wurde. Wie umschliesst sie denn nach ihrer Erschaffung das Herz des Mannes? Das wollen wir an einem konkreten Beispiel sehen.

Es werden sich zwei Ehepartner ob eines Gegenstandes, der verlegt worden war und darum erst nach gemeinsamem längeren Suchen gefunden wurde, uneins darüber, wer die Schuld daran trägt, wer ihn seinerzeit wohl verlegt haben mag. Sie haben deshalb, in gegenseitiger Schuldzuweisung, einen ziemlich lauten Wortwechsel, ehe sie sich trennen – ein jedes in ein anderes Zimmer.

Dabei wird dann nach einer reiflichen Nachprüfung der Situation der Mann vielleicht finden, dass er etwas allzu heftig reagiert habe und begibt sich darum nach einer Weile zu seinem Weibe, um ihm zu sagen, dass er es nicht gar so hitzig gemeint habe, wie es vielleicht getönt haben mag, worauf dann auch seine Frau ihm zu verstehen gibt, dass auch sie ihn nicht in böser Absicht so laut angeschnauzt habe. So weit, so gut. Denn dadurch sind die beiden ja wieder ausgeglichen; so sieht es wenigstens, oberflächlich betrachtet, aus. Und diese Oberflächlichkeit ist es ja, die alle tiefer begründeten weitern Handlungen verdeckt hält! Denn dem Manne fällt vielleicht auf, dass immer er der erste ist, der sich entschuldigt; und wenn er feinfühlig und etwas tiefer beurteilend ist, so merkt er vielleicht auch, dass es ihm jeweilen nach solchen Fällen oftmals aufrichtig leid tat, so heftig reagiert zu haben, und dass er aus einer gewissen Reue darüber, das auch seinem Weibe gegenüber habe eingestehen wollen, ja sogar eingestehen müssen. Er spürt dann allerdings bei einem allfälligen nachprüfenden Fühlen nach der Versöhnung aber auch, dass sein Weib mit seiner Aussage ihm nur nachgezogen habe, nicht aus eigen gefühlter Reue, sondern nur, um nicht schlechter zu sein und am allerwenigsten schlechter dazustehen als er. Und weil er das schon oft erlebt hat und dabei allmählich zu spüren beginnt, dass sein Weib ihm eigentlich wertvoller sei als er ihm; dass er um seine Hand gebeten hat, und nicht es um die seine, so wird er mit der Länge der Zeit, die ja in einer Ehe über Jahre hinweg dauert, einmal unzufrieden mit dieser Situation. Und das im speziellen auch aus dem Grunde, weil er in solchen Fällen spüren kann, wie nach einer aufrichtig gefühlten Reue über seinen Fehltritt seinerseits, sein Weib den seinen, gleich gelagerten, bei weitem nicht so drastisch sieht, dass es eine wahre Reue über ihn empfindet, sondern ihn nur eher der Ordnung halber entschuldigte, erst nachdem es die Tiefe der Reue seines Mannes – durch sein offenes Bekennen vor ihm – empfunden hat.

Das in allem äussern Umgang besser bewanderte Weib merkt einen solchen Gefühlsumschwung auf Grund der vertieften und vergleichenden Anschauung des Mannes bald einmal und will den ursprünglichen Zustand dadurch wieder herstellen, dass es besonders sorgfältig auf alles achtet, was seinen Gemahl stören könnte. Es widmet ihm dabei mehr Zeit als sonst, um sein beim Manne angeschlagenes Bild – das ihm seinerzeit immerhin seine Zuneigung und Freundschaft eingebracht hat – wieder aufzupolieren. Dieses stärkere – wenn auch nur äusserliche oder aus einem äusserlichen Grunde hergeleitete – Entgegenkommen spürt der Mann natürlich, wird dadurch etwas gelockerter in seinem Gemüt und dadurch – wenn das mehrere Tage fortdauert – auch den kleinen Übelstand vergessend. Es ist nur natürlich, dass ein Weib bei einem solchen Bemühen auch äusserlich schöner, gewissermassen aufblühender wirkt; ist es doch der Meinung, damit seinem Manne etwas Gutes zu tun. Es wird auch aufmerksamer auf den Mann und ist endlich auch über den Erfolg erfreut, der darin besteht, dass es von seinem Manne wieder mehr geachtet wird. Wer würde dabei in seinem Innern nicht so stark aufblühen, dass es sogar in seinem Gesicht bemerkbar würde? Eigentlich aber müsste all sein Mühen um einen Erfolg in der Festigung des Friedens nur alleine darin bestehen, dass es seinem Mann hilfreich zur Seite stünde, dass es ihn also mit einer zu grossen Aufmerksamkeit nicht verwöhne, aber alle seine guten Eigenschaften in seinem Herzen dankbar anerkennen würde und seine schlechten Eigenschaften höchstens durch ein verständnisvolles Erwähnen zu überwinden suchen helfe, was alles selbstverständlich auch in umgekehrter Richtung, vom Manne zu seinem Weibe, die richtige Handlungsweise ist.

Weil aber in einem solchen Fall das in seiner Seele hartnäckigere Weib seine sich selber auferlegte Pflicht der Aufmerksamkeit dem Manne gegenüber viel ernster nimmt als der Mann den Grund seiner ursprünglichen Verstimmung, so ist davon die natürliche Folge, dass der Mann seinerseits das Geschehene gar leicht vergisst und nur noch den Diensteifer seines Weibes empfindet. Und bei einem solchen Verhältnis muss er sich ja als einen unaufmerksamen und ungelenken Partner vorkommen. Ja, er fühlt sich dabei oft richtiggehend in der Schuld gegenüber seinem aufmerksamen Weibe, das er ja einmal aus Liebe geehelicht hatte, und es wird der Wunsch in ihm wach, sein Weib seine Anerkennung dadurch auch spüren zu lassen, dass er ihm bei weitern Zwistigkeiten noch vermehrt entgegenkommt.

Wäre er selber ebenso oberflächlich in seinen Beurteilungen und Tendenzen wie sein Weib, so würde er ihm entweder Schmuck kaufen, wie es beispielsweise ein durch viel äussere Umtriebe reich Gewordener zu tun pflegt, oder würde ihm ein sonstiges, rein äusserliches Vergnügen verschaffen. Es kann aber ein immerhin etwas tiefer empfindender und urteilender Mann, der nicht gar zu oberflächlich denkt, weil er in sich zu viele und zu tief sitzende Fehler spürt, sein Weib vielleicht mit einer oder mehreren Zärtlichkeiten spüren lassen wollen, wie sehr er sich über seine Zuwendungen der letzten Zeit freut. Bei solchen Betrachtungen und Vornahmen kann er natürlich auch einmal hitziger werden und es kommt als Folge zu einer leiblichen Vereinigung. Er ist glücklich dabei; zum einen, ein so liebes zu ihm gewendetes Weib zu haben, und zum andern, sein Glück über diesen Umstand sein Weibchen auch spüren gelassen zu haben. Das Weib seinerseits ist dabei allerdings vor allem bloss sicher, sein gutes Bild im Gemüte seines Mannes wieder hergestellt zu haben und nicht etwa auch glücklich darüber, einen so selbstkritischen Mann zu haben, der des Weibes Fehler schneller vergisst als die eigenen.

Auf eine solche Art kommt es dann aber öfters zu bloss sinnlichen – anstatt geistigen – Vereinigungen, bestehen solche dann in blossen Zärtlichkeiten oder in leiblicher Vereinigung. Wenn der Mann sich nicht sehr in Acht nimmt, so wird er innerlich vom Äussern seines Weibes immer mehr gefangen genommen und als Folge davon von ihm abhängig und verliert dadurch auch seine innere Sicht der Dinge.

Das ist der durchaus normale Verlauf in den meisten von den andern als gut angesehenen Ehen. Leider!!  Ist dabei der Charakter des Weibes im Allgemeinen schlecht, so wird es dann dieses Verhältnis voll bewusst zu seinen Gunsten ausnutzen, und der Mann wird ihm dabei zu einem verächtlichen, aber zu seiner Erhaltung notwendigen Anhang. Ist ein solcherart gestaltetes Weib hingegen an und für sich gutwillig, so bleibt es in allem Äussern tugendsam, aber eine gewisse Verächtlichkeit dem Manne gegenüber wird mit der Zeit kaum vermeidbar sein. Tut es dabei, was es tut, eher aus einer Art Instinkt, als aus bloss kalter Überlegung oder gar Berechnung und daraus aus Vorsatz, so wird aber eben jenem Instinkt dennoch bald einmal auffallen, dass es mit seinem bloss äussern Benehmen seinen Mann zu führen beginnt, und es wird dadurch mehr und mehr all seine Wünsche und Ziele auf einem solchen Wege zu erreichen suchen – und wohl in den meisten Fällen auch erreichen.

Aus diesen Gründen werden dann solche weiblichen Umwege zu Abwegen vom möglichen innern himmlischen Glück zu äusserem bloss scheinbaren Glück, das jederzeit wieder zerbrechen kann, weil es nicht aufrichtig gemeint ist und darum nicht auf bleibender innerer und darum grundsätzlicher Veränderung beruht, die den eigentlichen Lebensgrund verbessert, sondern nur auf vorsätzlicher Änderung, welche den Grund und damit das eigentliche innere Leben unberührt lässt. Ein solcher Abweg trifft dann grundsätzlich beide, Mann und Frau, solange er als solcher nicht bemerkt und künftighin vermieden wird. Ein Vermeiden müsste vor allen Dingen die Frau aus eigenem Erfühlen und Erkennen heraus anstreben, was bei der üblichen Ich-Bezogenheit all ihrer Gefühle wohl selten der Fall sein wird. Dann allerdings kann das auch der Mann dadurch zu erreichen versuchen, dass er diese auf einem falschen Gebiet investierte Mühe seines Weibes nicht mehr als eine Tugend empfindet, sondern als einen Umweg erkennt, den er dann auch nicht mehr honoriert. Merkt zuerst der Mann ein solch weibliches Umwegverhalten und ändert sein eigenes Verhalten diesem Umweg gegenüber, nachdem er zuvor vergeblich versucht hat, sein Weib über die Schädlichkeit eines solchen Tuns für die innere, seelische Entwicklung aufzuklären, so fragt es sich in Bezug auf die Auswirkung, zu welchem Zeitpunkt er es merkt.

Merkt er es in früher Zeit seiner ehelichen Bindung, so liesse sich das ändern: Entweder in einer strafferen Leitung oder Führung seines Weibes, oder, in hartnäckigen Fällen, mit einer Scheidung, und zwar auf Begehren des in allem uneinsichtigeren und eben darum hartnäckigeren Weibes. Denn der Mann ist ja mit seiner Einsicht nicht gegen das Weib selbst, sondern duldet nur nicht seine Untugend, seine Eitelkeit – das heisst: er anerkennt sie nicht, er verbietet sie ihm ja nicht, er honoriert sie nur nicht mehr. Das eitle Weib hingegen, das sich weniger mit den tiefern Schichten seiner oder gar seines Mannes Seele abgibt und sich lieber in allen seinen Gefühlen seiner Eitelkeit hingibt, als seine Einsicht zu erweitern und zu vertiefen, muss ja infolge seiner ganzen, von ihm nie in Frage gestellten innern Haltung dann auch mit seinem ganzen Wesen gegen den Mann und damit für eine Scheidung sein, weil nach seinem undifferenzierten Empfinden sein ganzes Wesen vom Manne nicht akzeptiert wird.

Merkt der Mann ein solches Verhältnis hingegen eher in späterer Zeit seiner Ehe, weil er selber auch nicht allzu eifrig die tiefern Verhältnisse seiner ehelichen Bindung studiert hat, sodass ihm erst mit der Zeit solche schon sehr lange sich eingependelt habenden Gepflogenheiten aufzufallen beginnen, so kommt es zufolge der Angewöhnung zu einer jener Ehen, die in der grossen Überzahl sind, wo beide Partner unerfüllt bleiben, aber sich mit der äussern Situation abfinden können. Freilich dann nicht in wirklicher Gemeinsamkeit, sondern eben ein jedes das Seine in einem solchen Masse verfolgend, dass das andere dabei nicht zu sehr tangiert wird.

Um wie viel weniger dramatisch einerseits und weniger sinnlich anderseits wäre dagegen der direkte Weg! Jener, da ein jedes vor allem nur nach der eigenen Schuld suchen würde, wo keines dem andern etwas voraushaben will, sondern ein jedes nur wirklich und im tiefsten Sinne des Wortes dem andern auf seinem Wege zur Vervollkommnung seines Wesens dienen will. Dürfte in einem solchen idealen Fall das Weib seinen Mann im Äussern derart entgegenkommen, nur um die innere Wahrheit seiner viel laueren Liebe verstecken zu können? Dürfte es ihn durch diese ihm instinktmässig gegebene Kunst der Verführung in seinen Bann ziehen und ihn und sich selbst damit auf einen sinnlichen Weg bringen? Auf einen Abweg, dem geistigen Ziele einer möglichst grossen Vervollkommnung ihrer Seelen gegenüber, die ja einen ewigen Bestand haben, der über die leibliche Sphäre und damit über den Tod hinaus reicht.

Wie viel tiefer wäre die Liebe eines Weibes, das bei einem Näherkommen seines Mannes – nach einem allzu heftigen Wortwechsel – sofort zu spüren begänne, wie tief die Reue in seinem Manne darüber ist, was vorgefallen ist, gegenüber der seinen, die erst nach langer Zeit und nur möglicherweise dasselbe fühlen würde wie der Mann, der sicher nur der Heftigkeit seiner Reue wegen zu ihm gekommen ist. Wenn es dann noch berücksichtigen würde, dass der Mann in seinem Eifer viel hitziger war als es selber, so müsste es voll Anerkennung und Liebe sich eingestehen, dass die Liebe seines Mannes zu ihm ungemein viel stärker sein muss als die seine zu ihm, da er eine ungleich mächtigere Erregung in sich zu bändigen hatte, welche Überwindung ihm wohl nur mit einer noch mächtigeren Liebe zu ihm – oder dann wenigstens zur vollen Wahrheit – gelingen konnte. In einem solchen Empfindungsmomente käme es sich wohl niemals als seinem Manne überlegen vor, sondern sehr stark unterlegen, was die Kraft seiner Liebe anbelangt. Voll schüchterner Bewunderung würde es, bei einem kommenden Mal, daran denken, dass der Ernst und die Heftigkeit der erregten Liebe seines Mannes, der ihm in einem momentanen Zwist entgegenstrebt, es nachher mit noch ungleich grösserer Kraft und Wärme wieder annehmen wird, sodass es ohne Weiteres voller Demut zu seinem etwaigen Fehler stehen wird, auch wenn dieser nur in der Heftigkeit seiner eigenen Rede bestanden hätte, und gar nicht einmal in dem Grunde, aus welchem der Streit entstanden war.

Bei so heftigen und vor allem tief begründeten Gefühlen gäbe es keine Zärtlichkeiten, sondern nur Betroffenheiten, Betroffenheit über seine eigene Unzulänglichkeit, und zwar auf beiden Seiten – und danach eine bis in die tiefsten Tiefen verständnisvolle Versöhnung, ein Gemeinsamwerden im Fortschreiten der Vollendung des eigenen Wesens.

In einem solchen, eben geschilderten Verhalten besteht dann jene echte Menschlichkeit, die in der Schrift, im Worte Gottes, gefordert wird, und nicht eine Gesellschaftlichkeit mit der heute üblichen Geschlechtlichkeit, welche zwei Menschen im Grunde genommen eher trennen als einen, weil dabei ein jedes vor allem nur auf seine eigene Rechnung kommen will. Sie trennen von Gott, dem gemeinsamen Ziel, und sie trennen voneinander, wo sie sich doch als Ehegatten zuallernächst sein sollen. Trennen in zwei Wesen, nämlich in den donnernden, schwerfälligen Mann und in das elegante und flinke Weib. Dabei besteht ja der Sinn der Ehe in der Einung zweier verschiedener Wesen mit dem Ziel gegenseitiger Unterstützung auf dem Wege zur Vollendung hin.

Es würde bei einer gemeinsamen liebevollen Rücksichtnahme der Austausch der Wesenheiten untereinander zum Gewinn beider werden. Die grössere und hitzigere Liebe des Mannes fehlt zwar schneller, ist aber anderseits dann auch schneller zu einer totalen Umkehr bereit, und gleicht so die Fehler wieder aus. Und die schwächere Liebe des Weibes vertut nicht so schnell und nicht so weit etwas, bringt es anderseits aber auch nur saumselig und vielmals auch nur halbpatzig in Ordnung und gleicht auf diese Weise seine kleineren Fehler auch nur mit nur kleinem saumseligen Eifer aus – sofern die Liebe und Rücksichtnahme zu sich selber sowie seine Eitelkeit nicht schon so stark ist, dass es darin und dadurch dem nüchterneren Manne ohnehin haushoch unterlegen ist.

Wie schön wäre es, Mann und Frau könnten sich in der oben geschilderten Weise begegnen und sich auch in dieser Art immer wieder einen. Und was für ein Segen wäre ein solches Vorbild für die einer solchen Ehe entspriessenden Kinder! Sie würden, wie ihre Eltern, dem Innern und Wesentlichen mehr Gewicht verleihen und vor allem auf die innere Gestaltung ihrer Seele mehr achten als auf alle äussern, so schnell sich ändernden und vergehenden blossen Erscheinungen.

Aber das Äussere, die bloss flüchtige Erscheinung, ist nun einmal so geartet, dass sie den Menschen leicht verführen kann, weil sie im Moment präsent ist und dadurch scheint, als wäre sie Grundsätzlich oder gar Ursächlich, sofern der Mensch nicht stark genug in seinem Innern fühlt, dass eine jede Erscheinung nur die Wirkung einer innern Kraft sein kann und bestrebt ist, das Wesen dieser Kraft auch ernstlich zu ergründen. Darum ist eine Verstellung so leicht möglich, weil sie zwar auch einen innern Grund hat, jedoch nur einen momentanen, vorsätzlichen, und keinen grundsätzlichen. Aus eben diesem Grunde wirkt sie dann für andere, nur wenig prüfende Menschen auch so leicht verführerisch. Hinzu kommt, dass die feine und gediegene äussere Form des Weibes und dessen im Allgemeinen nur geringe Liebekraft dem Manne gegenüber ohnehin den Eindruck macht, als sei sie leichter, zärtlicher, ja fast ätherischer Art, sofern er sich nicht überlegt und aus seiner eigenen Erfahrung weiss und berücksichtigt, dass schwere Arbeit stark, muskulös und etwas schwerfällig macht. Was aber ist schwerere Arbeit, als sich selber erkennen und die vielen dabei als unschön und das Zusammenleben störend erkannten Fehler so lange ertragen zu müssen, bis sie dann endlich einmal mitsamt den Begierden, durch die sie zustande kommen, überwunden sind. Würde ein Mensch solcher Gegebenheiten aus eigener Anschauung und eigener Tätigkeit gewahr, so müsste er auch schnell erkennen, dass jede Lüge viel einfacher aufzustellen ist, als eine tief verborgene, weil in der Tiefe des Grundes nur zu findende Wahrheit zu erkennen. Dass die an sich tote äussere Erscheinung viel leichter zu ändern ist, als eine zähe lebendige Kraft.

Hätte das Weib selber einen festeren Ernst, es würde sehr bald auch ein ganz anderes Äusseres haben, das weit weniger kindlich, rundlich oder gar ätherisch leicht aussehen würde, weil eine jede betätigte Kraft auch kräftige Formen schafft und jeder Ernst auch als eine gewisse Bestimmtheit in die ihm entsprechende Form gezeichnet bleibt. Denn das alleine ist ja der Grund dafür, dass mit zunehmendem Alter, zunehmendem Ernst und zunehmender Kraft die ursprünglich kindlich weichen und gerundeten Formen bestimmter, kräftiger und dadurch weniger spielerisch oder gar ätherisch aussehen.

Eine gewisse Eleganz, die manchem Weibe eigen ist, rührt von einer gewissen instinktmässigen Weisheit her, die alles Mühselige auf eine elegante Weise zu umgehen fähig ist – allerdings zumeist unter Nichtberücksichtigung der Wahrheit und dem eigentlichen Ziel des Menschseins. Darum also seine wenig gekräftigte, aber dafür unschuldig kindlich scheinende oder eben auch leicht und elegant scheinende Form, welche dem Manne den Eindruck eines höheren Wesens vermitteln kann und ihm damit zur Überlegenheit gegenüber dem Manne verhilft, sofern dieser die wahren Gründe der Verschiedenheit beider Geschlechter nicht erkennt, weil ihm die Erkenntnis seines eigenen Wesens zu mühsam erscheint. Es sind also sowohl die äussere Form, wie auch das ihm instinktmässig gegebene Benehmen, welche das Weib zu seinen Umwegen nicht nur prädestinieren, sondern, durch die Bewunderung des Mannes, auch dazu reizen, Umwege zu gehen. Was aber äussere Form und äusseres Benehmen wert sind, erfahren wir nicht nur beim Sündenfall – am Anfang der Bibel –, sondern in ganz ausführlicher Weise auch an ihrem Ende, bei den Apostelworten, wo Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther, in seinem 13. Kapitel in den ersten drei Versen schreibt: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze!" Also ist nur der Ernst und tiefe Grund der Liebe, und damit die eigentlich Wahrheit, das Wesentliche und darum auch ewig Bleibende und Waltende, nicht nur einer jeden Person, sondern auch einer jeden Verbindung und einer jeden Gesellschaft – ob einer himmlischen oder einer höllischen. Nur im äussern, materiellen und darum toten Erscheinungsbild lassen sich die inwendigen Kräfte kaschieren, sodass sie zur Lüge und dadurch auch zur Verführung ins Äussere, ins Vergängliche, werden und damit zu einem riesigen Umweg auf dem Vervollkommnungsweg eines jeden Einzelnen, wie daraus dann auch einer jeden Gemeinschaft.

Februar 2007

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