Über den Unterschied, ein Vorbild zu sein,
oder sich etwas zum Vorbild zu nehmen

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Den vollständigen Inhalt enthalten die nachfolgenden Seiten:

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ÜBER DEN UNTERSCHIED, EIN VORBILD ZU SEIN, ODER SICH ETWAS ZUM VORBILD ZU NEHMEN

Es gibt Menschen, die machen es sich zur Aufgabe, Vorbild zu sein. Ein Vorbild ist etwas Vorzügliches, etwas Erstrebenswertes und darum eben vor den vielen andern.

Wie aber wirkt ein solches Vorbild auf die andern, und wie auf den Vorbildlichen selbst? Um vorsätzlich zu einem Vorbild werden zu können, muss man die Fehler der andern sehen und erkennen. Sodann muss man bestrebt sein, über das erkannte Niveau der andern hinauszukommen, weil man ja auf gleichem Niveau unmöglich Vorbild sein kann, sondern – im Gegenteil – sogar eher zu einer Bestätigung für die andern wird, dass es wirklich keine bessere Möglichkeit des Handelns gibt. Somit ist die Folge – oder auch die Bedingung –, Vorbild zu sein, besser zu sein, zumindest in jenen Fächern, in denen man Vorbild sein will.

Dieses Besser-Sein ist aber sehr gefährlich, weil es sehr leicht zur alleinigen Liebe eines solchen Vorbildlichen werden kann, bloss besser zu sein als die andern, anstatt dass sein Streben oder seine Begierde darauf gerichtet ist, andere auf bessere und ihnen dienlichere Wege zu bringen, ihnen mit andern Worten zu helfen. In einer solchen Haltung oder einem solchen Streben ist schon Ehrgeiz verborgen. Jeder Ehrgeiz aber ist vor allem ein Geiz – Geiz um die Ehre; und jeder Geiz ist eine Form der Selbstliebe oder Eigenliebe. Im Vorbild-sein-Wollen liegt also die grösste Gefahr, nur den Splitter in den Augen der andern zu sehen (um sich reicher und besser zu wähnen), und den ganzen Balken im eigenen Auge (oder Wesen) nicht wahrzunehmen, weil man diesen ja eben nicht auf jenem Fachgebiete stecken hat, auf welchem man Vorbild sein will, sondern in einem ganz andern Fache – eben in der richtigen Bildung des eigenen Charakters. Denn dieses Bestreben, Vorbild zu sein, wird bald zum Querbalken des Sich-besser-Vorkommen oder Sich-besser-Fühlen, mit der leidigen Folge für alle ihn Umgebenden, dass er diesen Vorsprung um jeden Preis jedem andern gegenüber zu verteidigen gewillt ist – eben geizig um die eigene Ehre zu werden; andern ihre Ehre nicht oder nicht genügend zuerkennen zu wollen. Jesus, das göttliche Vorbild unter uns Menschen, sagt zu einer solchen Lebenssituation mehrere Male etwas. Zum Beispiel: "Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder" (Matth. 23, 8). oder: "Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet (bekennet): Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren" (Lukas 17, 10). Seine Worte sind also Hinweise für die Vorbilder selber!

Wie aber wirken solche selbstbewussten Vorbilder auf die andern, auf jene, denen sie Vorbild sein wollen? Je gravierender und augenfälliger ein solches Vorbild für andere erscheint, desto grösser ist auch seine Wirkung! Die einen erkennen daraus, dass sie es nie erreichen werden, so zu sein, wie das Vorbild ist; und die andern erkennen in ihrem Abstand zu diesem Vorbild ihre "Minderwertigkeit" ihre vielen "Makel", ihre "Unehre" und setzen aus Liebe zu einer solchen Ehre alles daran, gleich oder womöglich noch besser zu werden als das Vorbild selbst.

Schon aus diesen beiden möglichen Folgen alleine wäre es viel vorteilhafter, sein Vorbild sehr versteckt zu halten, damit es die einen nicht erdrückt und die Geizigen (die Ehrgeizigen), die nach Ehre streben, in ihrem geizigen Bestreben nicht noch geiziger werden lässt. Aber auch für das Vorbild selber wäre es von Vorteil, wenn es nie gar zu offen und gar zu augenfällig als solches erscheinen würde, weil es dann nie zu einer Ehre oder zu einem äussern Ansehen vor den andern gelangen könnte.

Jedes augenfällige Vorbild steht vor demjenigen, dem es als ein nachahmungswürdiges Bild vorsteht und verstellt ihm dadurch seinen eigenen Weg zur Vervollkommnung. Die einen werden dadurch mutlos, weil sie glauben, dieses hohe Ziel nie erreichen zu können, die andern wollen es möglichst umgehen oder überholen, damit sie irgendwie ein höheres Ziel haben und erreichen, nur um damit das ursprüngliche Vorbild in den Schatten der Unbedeutendheit zu stellen, und nicht, um das Gute gefördert zu haben. Die Allerschlechtesten jedoch wollen ein solches Vorbild lädieren, und suchen zu diesem Zweck nach allerlei Mängeln in diesem Vorbilde, werden dadurch zu Neidern oder im schlimmsten Falle suchen sie es gar zu zerstören (entweder durch Versuchungen zu Fall zu bringen, oder gar in handgreiflicher Weise durch direkte Schädigung oder Misshandlung) und werden damit in beiden Fällen zu Mördern am Guten – "am Guten" darum, weil für sie das Vollkommenere ja trotz allem als etwas Gutes und Erstrebenswertes erscheint, sie es aber an andern nicht dulden können, weil sie es lieber zur Erhöhung der eigenen Person bei sich und für sich selber hätten und dergestalt das Gute zu etwas Schlechtem missbrauchen, als es dem andern mit Freude und Anerkennung zu überlassen.

Würden die Menschen eher das Gute suchen, als ein Vorbild zu werden wünschen, so würden sie an sich selber wohl bald nur allzu viele Unzulänglichkeiten – gegenüber dem Guten – entdecken, würden dadurch und dabei bescheiden bleiben und in aller Stille – ohne alles Öffentlichkeitsgerede – dem Guten nachstreben, sodass sie ungestört immer weiter auf ihrem Weg zum Guten gelangen würden und sich nicht so leicht mit dem bisherigErreichten zufrieden geben – sosehr der Stand des Erreichten auch schon vom Durchschnitt der andern abgehoben sein sollte. Sie würden ihren Blick damit also nach vorne richten, nach dem Ziel, und nicht zurück zu den andern, den Abstand auskostend. Auf diese Art würden sie sich ihrem Ziel stetig nähern, das sie in ihrer dabei empfundenen innern Gediegenheit dankbarer und darum glücklicher werden lässt. Glücklicher als es die Ehrgeizigen, die sich von andern abheben wollen, je werden können.

Ein solcher, für das oberflächlich betrachtende Auge ganz gewöhnlicher Mensch würde vom Auge eines eifrig nach Besserem Suchenden dennoch bald einmal aus allen Gewöhnlichen oder Nivellierten heraus entdeckt und würde von ihm dann auch als erstrebenswertes Ziel vor seinen Augen bleiben. In diesem Falle steht dann der Gediegenere jedoch nicht als Hindernis auf dem Fortschrittswege der Entwicklung, sondern als ein bloss vorläufiges, wünschbares Ziel, das den Weg zu gehen einlädt und nicht den Mut eines zu Besserem Geneigten erlahmen lässt; das anderseits jedoch den Ehrgeizigen durch seine Unscheinbarkeit  zu nichts bewegen kann und darum auch nicht zum Niederreisser oder gar zum Mörder werden lässt, eben weil es solch Eitlen und Ehrgeizigen überhaupt nicht als ein mögliches Ziel auffällt und darum auch von niemandem eine äussere Ehre erheischt.

Der Vorwärtsstrebende nimmt sich ein solches Vorbild an einem Menschen – es wird ihm nicht gegeben oder gar vorgesetzt oder vorgestellt. Und für alle Nivellierten und Selbstzufriedenen wird es nicht zum Anstoss, bleibt dabei also unbehelligt von ihnen, und sie von ihm. Wohl wäre es besser, auch solche würden von einem Vorbilde angespornt; aber Faule und Selbstzufriedene lassen sich nicht anspornen, und solche, die den Glanz der Welt suchen und  sich durch ihren eigenen Ehrgeiz auch zu etwas anspornen liessen, achten nicht auf solch unscheinbare stille und dem Guten zugekehrte Menschen und kommen durch sie darum auch nie zu äusserem Streben und damit auch nicht zu einem Fall in die Tiefe der Isolation (durch den vermeintlichen Abstand zu den andern). Den Selbstzufriedenen und Nivellierten jedoch wird ohnehin erst einmal die Not ihre Augen öffnen für das Gute, das sie erst dann auch zu suchen beginnen und wohl auch finden werden in solch verborgenen "Vorbildern", die sie sich darum schon selber zu solchen nehmen und machen müssen – sofern sich bei ihrem endlichen Erwachen in ihrer Armut dann nicht ein Geiz, ein Ehrgeiz, einstellen wird. Denn die meisten Menschen, die überhaupt etwas suchen, suchen und wünschen immer das Grosse und finden es darum immer im Äussern, in den grossen Vorbildern, die voll Eitelkeit und Stolz sind, und suchen und finden es nicht im Verborgenen der äussern Unscheinbarkeit, weil sie ja nicht das Nützliche und Dienliche suchen, sondern das Grosse. Und das ist für alle so lange immer im Äussern, solange sie in sich selber nicht schon einem Ideal gedient haben, bis zum Punkt, da es beginnt, zu einem Wesensteil der Person zu werden. Das Gute ist darum stets in stiller Liebeglut verborgen und wirkt deshalb  auch vor allem im Verborgenen – und täte es das nicht, so würde es ja durch sein Erscheinen eine äussere Grösse zeigen mit einem Wohlgefallen an sich selbst, anstatt am Guten alleine, und würde dadurch alle Ehrgeizigen ebenfalls wieder zum Erwerb eigener Grösse anstacheln. Darum wirkt das Beste alles Guten (Gott) nur stets im Verborgenen, in den einfachen, aber liebevoll anhänglichen Gemütern der Schwachen. "Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er zu Schanden mache, was stark ist", schreibt Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther (1. Kor. 1, 27). Und in seinem zweiten Brief an sie schreibt er: "Gott ist in den Schwachen mächtig!" (2. Kor. 12, 9)

26.1.2007

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