Verschiedenartige Wesensgestaltung

Die innere Armut ist es, die uns Menschen drückt, sofern wir sie nicht mit weltlichen Vorteilen überdecken können. Was tun wir dagegen? Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Wenn wir von den rein egoistischen einmal absehen, so sind es vor allem zwei, die ehrliche Menschen als Möglichkeit akzeptieren können. Und diese zwei sind im Folgenden etwas genauer beschrieben. Dass dabei die an zweiter Stelle beschriebene die seltenere ist, kann nichts daran ändern, dass sie die seligkeitsvollere ist, weil sie nur nach dem Grunde sucht, aber darum auch im tiefsten Grunde erfüllt werden kann. Die verbreitetere erste Art ist demgegenüber nur ein äusseres Hilfsmittel, das, so ehrlich es ausnahmsweise auch einmal gemeint sein kann, nie wirklich erfüllt, sondern nur ausgleicht.

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VERSCHIEDENARTIGE WESENSGESTALTUNG AUS DEMSELBEN TIEFSTEN KONFLIKT HERAUS

Jeder Mensch, wenn er einmal in seinem Leibe auf diese Erde oder "zur Welt" kommt, sucht in seiner anfänglichen Hilflosigkeit – auch ohne sein Wissen – Annahme und bittet oder bettelt um Aufnahme. Das erkennt man sofort und sehr wohl daran, dass die Kinder, wenn sie geboren werden, sofort zu schreien beginnen. Und beginnen sie einmal nicht zu schreien, muss ihnen durch beklatschen (also durch Streiche) angezeigt werden, dass sie sich nun in einer fremden, harten Welt befinden, wo sie nicht so selbstverständlich umsorgt werden, wie sie von der Natur aus im Leibe ihrer Mutter noch versorgt waren. Die fremde Wärme (der Mutter) fällt für sie dahin; sie müssen ihre eigene Wärme entwickeln durch die Aufnahme von Nahrung aus dieser Welt und das Einatmen der aus dem Himmel uns zufliessenden Luft, welche beiden Komponenten zusammen erst die Erwärmung des Blutes und damit dann auch des ganzen Körpers ermöglichen – und zwar dadurch, dass sie sich auf Zeit vereinigen und dadurch die Quintessenz des Lebens freisetzen, nach welchem Vorgang sie wieder ausgeschieden werden durch die Lunge – beim Ausatmen –, durch den Urin und den Kot. Diese Arbeit ist im Anfange – wenn auch ohne eigenes Bewusstsein verrichtet – äusserst hart und verbraucht das frisch geborene Kind, also den jungen Säugling, derart, dass er fast nur schläft. Fehlt ihm mit der Zeit frische Nahrung – die materiellere Komponente der beiden: irdische Nahrung und himmlische Luft –, so erwacht das Kind und beginnt zu schreien. Dabei ersucht es dann, ihm natürlich noch völlig unbewusst, um Aufnahme seiner Bedürfnisse im Gemüte seiner Pfleger und um Annahme (das heisst: Gewährung) seiner Bitte. Denn von dieser Annahme und Aufnahme hängt der Fortbestand seines weitern Leibeslebens ab. Und so oft es Hunger hat, muss es darum betteln, wenn es ein waches Kind ist. Ist es ein schläfriges oder sehr genügsames Kind, so bleibt es still – wenigstens so lange als das zum Leben erforderliche Notwendige nicht allzu lange ausbleibt.

Und dieses Betteln um Annahme seiner Bedürfnisse und Aufnahme seines Wesens in die Obhut seines Pflegers bleibt fortan bestehen. Denn, es bleibt sich gleich, ob der Säugling durch Schreien danach verlangt, oder das Kleinkind durch gestammelte Bittesworte, oder das junge Kind durch schon wohlartikulierte Worte.

Mit der Zeit und dem allmählichen Erwachen seines Bewusstseins spürt dann das Kind seine Armut und eigene Hilflosigkeit – allerdings nur bei einer richtigen Erziehung, und nicht bei Verhätschelung und Verzärtelung, welche den eigentlich Hilfsbedürftigen sehr schnell und für bleibend zu einem Herrscher und Beherrscher seiner Pfleger umgestalten, der später dann auch als Erwachsener nur die Forderung – und niemals die Bitte und das Bitten – kennt.

Es erkennt allmählich stets klarer, dass es alleine nicht bestehen kann.

Bei um- und weitsichtigen Eltern erfährt es im täglichen Ablauf der Dinge, dass seiner Bedürfnisse stets geachtet wird, dass sie aber immer erst zur richtigen und damit auch ordentlichen Zeit erfüllt werden (zum Beispiel zur Essenszeit). Jedoch bekommt ein sich immer mehr selbst bewusst werdendes Kind auch stets mehr das Bedürfnis nach Erklärungen seiner noch zumeist unverstandenen äussern Erlebnisse. Und da hapert es bei den meisten Eltern, was die Befriedigung oder Sättigung dieses "Hungers" betrifft; zum einen, weil sie oft selber mit den einfachsten Fragen überfordert werden (beispielsweise mit der Frage: "Wieso hat der Mensch keine Flügel?", oder: "Wieso können die Tiere nicht reden?", – "Warum ist der Himmel blau?", – "Wieso weiss die Mutter, dass sie bald ein Kind bekommen wird?") und zum andern, weil sie oft weder Lust haben noch Zeit finden, solche Fragen in der Tiefe ihres eigenen Gemütes anzunehmen, um durch die Aufnahme in ihr eigenes Gemüt dann auch – wenigstens mit der Zeit – eine Antwort darauf reifen zu lassen wie sie nur der wahre Lebensernst der Liebe finden kann. Solche unbeantworteten Fragen sind dann die ersten unbefriedigt gebliebenen Bedürfnisse eines Kindes: Es steht da, weiss nicht warum (es zum Beispiel geworden ist) und findet keinen Grund, welcher seinen weitern Bestand rechtfertigen könnte. Es fühlt – wenn auch völlig unbewusst –, dass es auch für seine Erscheinung einen Grund geben muss und dass es ohne diesen Grund zu kennen nicht wirklich, das heisst in vollem seligen Einklang mit ihm bestehen kann. Seine Nächsten sind seine Eltern, also müssten doch sie seiner im Gefühl aufkommenden Meinung nach der Grund seiner Existenz sein oder wenigstens diesem Grund näher stehen. Weil aber die meisten Zeugungen nicht absichtlich, ja oft nicht einmal aus wahrhafter gegenseitiger Liebe geschehen, können die meisten Eltern die Existenz ihrer Kinder nicht wirklich, das heisst in voller zuneigender Liebe annehmen, noch weniger ihr Wesen in sich selber zur ernsthaften Beschauung aufnehmen und es dann durch die Wärme ihrer innersten Liebe zur göttlichen Ordnung reifer werden lassen. Das Kind spürt das wohl immer mehr und auch immer bewusster, aber es hat anfangs weder eine Erklärung dafür, noch ein Rezept dagegen. Die tiefer Fühlenden unter ihnen suchen stets mehr nach dem Grunde – sowohl dieser Tatsache als auch ihres ureigentlichsten Wesens. Sie spüren, dass es einen Grund für ihr noch immer sehr hilfloses Sein geben muss und spüren weiter, dass sie ja nur in Vereinigung mit ihrem Urgrunde wahrhaft ein Ganzes werden können. Sie können durch äussere Vorkommnisse und Erlebnisse zwar wohl auf eine gewisse Zeit von ihrem Grundproblem oder Grundbedürfnis abgelenkt werden, aber im Grunde schimmert dieses immer irgendwie ein wenig – und sehr oft auch auffällig stark – durch alle ihre äussern Situationen hindurch.

Die eher überlegenden – statt mehrheitlich fühlenden – Kinder hingegen suchen weniger nach dem Grunde selbst als nach einer Möglichkeit, irgendwo und irgendwie zu einer – wenn möglich bleibenden – An- und Aufnahme zu gelangen. Einige wenige finden diese vielleicht bei Verwandten oder Bekannten, aber viele davon finden heraus, dass eine vorzügliche Leistung, die sie irgendwo erbringen, ihnen zur An- und Aufnahme bei andern Menschen verhilft.

Sie geniessen zwar diese ihnen durch die An- und Aufnahme entgegen gebrachte Wärme, aber sind sich nicht bewusst, dass diese im Grunde nicht ihnen selbst zukommt, sondern eigentlich nur ihrer Leistung. Denn –, würde diese Leistung allmählich verschwinden, so entschwände auch bald die ihnen entgegengebrachte Wärme. Auf diese Art werden solche Kinder bald zu tüchtigen "Geschäftsleuten", das heisst, Sie erbringen Leistung und werden mit der Wärme der Anerkennung dafür bezahlt. Sie empfinden die Bezahlung zwar als für ihr Wesen gegeben, in Wirklichkeit aber gilt diese Bezahlung nur dem Nutzen ihres Wesens, also der Leistung die sie erbringen und ihrem Wesen nur insoweit, als eben dieser Nutzen in ihm liegt. Solche Menschen werden irdisch genommen erfolgreich und damit reich, reich an Anerkennung, bleiben aber arm in ihrem eigentlichen, innern Wesen, weil dieses nie die Gelegenheit erhielt, sich mit seinem Urgrunde wirklich, das heisstin gegenseitiger Liebe, zu einem Ganzen zu einen, weil einer grundsätzlichen Einigung im Wesen ihrer innern Kraft stets die eigene Leistung im Wege steht. Wie könnte oder sollte Liebe denn bezahlt werden können – sie ist ja eine Kraft, die Kraft des Lebens! Überall werden solche Menschen angespornt, Leistung zu erbringen, weil in der lieblosen äussern Welt eben nur Leistung bezahlt wird. Das ist der Kreislauf des Handelns in der Welt und entspricht darum auch dem Kreislauf des Geldes: Alles wird mit Geld gemacht, und nur um des Geldes Willen auch erbracht!

Dass derart aufgewachsene Kinder auch als Erwachsene derart agieren und reagieren, ist ebenso klar wie die Tatsache dass sie – bei noch vorhandener uneigennütziger Liebe, aber auch bei einem grossen Leistungsbewusstsein – auch ihren eigenen Kindern diesen Anerkennungssegen durch Anspornung zur Leistung vermitteln wollen. Wie schnell ziehen solche Menschen dann auch tiefer Fühlende in diese Spirale hinein. Denn der tiefer Fühlende empfindet wohl, dass seine äussere Null-Leistung gegenüber der Leistung eines solchen Anerkennungsbeflissenen eine barste Schande ist und dass der ihm einen Dienst Leistende ihn ja dadurch zum Schuldner werden lässt. Aber – –, was kann er dagegen tun? Sein Ideal oder sein Wunsch wäre die Liebe für nur wieder die Liebe, aus purer Neigung zum Guten, das in dem Geliebten steckt, so wie es im Äussern die sinnlichen Menschen gegenüber dem Gegenstand, der von ihrer sinnlichen Liebe erfasst wurde, empfinden können. Stark sinnliche Menschen – aber mit idealen Zielen – halten dann allerdings oft das sinnlich aufgenommene Bild für eine innere Wirklichkeit: Sie empfinden beispielsweise die Armut ihrer eigenen äussern Möglichkeiten, gegenüber dem innern Reichtum an Empfindung und dem Wohl-wollen ihrer Liebe, so stark, dass sie nur zu bald auch in der äussern Wirklichkeit entsprechende Bilder für ihre innern Gefühle finden, die sie dann mit der ganzen Kraft ihrer Gefühle in ihre Liebe als gleich gesinnte innere Wesenswerte aufnehmen wollen – obwohl es ja nur äussere entsprechende Bilder sind, wie etwa der nackte oder besser noch der halbnackte Leib einer jungen Frau, welcher einen liebefeurigen Mann derart gefangen nehmen kann, dass er dabei völlig übersieht, dass ja diese Nacktheit nicht etwa "Armut" (der äussern Möglichkeiten) bedeutet, sondern eine wohlkonditionierte Falle ist zur Verstrickung seiner innern Liebesgefühle in die toten äussern Formen – mit der Folge einer Bindung seiner Ideale an die tote äussere Materie. Allerdings sind nicht alle Menschen solcher Empfindungen fähig, sondern jene nur, in welchen die Kraft ihrer Liebe durch ihre Konzentration auf das Gute, das Nützliche und das Wohl aller, und damit auch auf das Vollkommene, schon einen gewissen Reinheitsgrad erreicht hat – rein im Sinne von weniger Vermengung mit blosser Eigenliebe.

Würden diese tiefer empfindenden Menschen, das heisst jene Menschen, welche der Tiefe ihrer Empfindung stets mehr Gewicht verleihen als ihren Überlegungen, ihren himmlischen Vater kennen und anerkennen können, so, wie er uns in der Person Jesu begegnet ist, und durch ihren Wandel nach seinen Ratschlägen die Wahrheit seiner Worte dann in sich als eine neue Wirklichkeit erkennen, so würden wenigstens diese Menschen erkennen, dass sie von Gott auch ohne jede Leistung anerkannt und geliebt werden, sofern sie nur ihr Angesicht – das heisst all ihr Interesse und all ihre Liebe – nur ihm alleine zuwenden, und nicht nebenher in die weite Welt blicken, um sich und ihre Liebe, und damit ihr ganzes Wesen darin zu zerstreuen, wie es der verlorene Sohn im Gleichnis der Bibel einst getan hat. Indessen würden sie anderseits – bei einer steten Verbindung zu ihrem himmlischen Vater – allerdings auch Gefahr laufen, dass sie all diese Seligkeiten, die sie an der Vaterbrust geniessen dürfen aus einer daraus entstehenden Gewohnheit mit der Zeit als Selbstverständlichkeit – und nicht als den nie endenden Reichtum der Liebe ihres Vaters – erkennen und dann auch nie mehr so recht der Liebe ihres Vaters entgegenkommen, als vielmehr bloss seinen Segnungen. Bis sie dann – an der Wiederaufnahme des verlorenen, aber inzwischen wieder heimgekehrten Sohnes – erkennen, wie stark die Liebe ihres Vaters ist, dass sie auch einem so grossen Schuldner noch entgegenzukommen vermag, was sie vorher (mangels Gelegenheit an sich selber) nie so recht erfahren konnten. Hätten sie allerdings ihren Vater mehr geliebt, als bloss anerkannt, so hätten sie sehr wohl verspüren müssen, dass ihnen der Vater alles zu geben bereit ist, sodass sie mit ihrem ganzen Wesen dann nur zu einem der Überfülle seiner Liebe dienenden Gefäss werden, das in seiner dadurch erlangten Fülle mit ihm zusammen zu einer einzigen Seligkeit verschmelzen würde. Dass sie ihm dabei nichts anderes zu geben vermöchten als ihre aufnahmefreudige und aufnahmebereite Liebe, um derentwillen sie ihr Vater ja eben erschaffen hat, ist dabei ja die klare Folge. Und bei solcher Einsicht würde der Gott treu gebliebene Mensch dann auch sehr wohl erkennen und verstehen, was Paulus meint, wenn er sagt, dass der Mensch zwar alles tun könnte, geschähe es aber ohne die Liebe, so wäre es wie ein Nichts. (1. Kor., 1 -3)

Wir alle, die wir Menschen sind, können aus all diesen Überlegungen erkennen, wie wenig wir unserem Schöpfer und Vater bringen können als alleine unsere schwache, ihm entgegen drängende Liebe, welche ihm dann erst in ihrem vollen Erbrennen gar zu gerne mehr geben würde als bloss nur diese kleine, ihn immer noch unvollkommen aufnehmende Liebe. Erst in ihrer durch Stetigkeit erstarkenden Kraft wird ihre Flamme einmal so stark, dass sie in diesem Wunsche bereit würde, ihm mangels anderer Möglichkeiten – denn Gott kann sich aus seiner Fülle alles erschaffen – ihr eigenes Leben ihm zurückzugeben, damit unsere eigene Liebe wieder zu der Seinen würde. (Denn unsere durch unsere Freiheit eigene Liebe ist das Einzige, was sich Gott mit seiner ganzen Allmacht nicht nehmen kann, ohne uns – seine Geschöpfe – in unserer einmaligen Wesenheit mit der dazugehörigen Willensfreiheit zu zerstören.)

Und gerade in dieser Bereitschaft, uns ihm ganz zurückzugeben, wird dann Gottes Geist vollends über unsere Schwachheit kommen können und sie erfüllen mit seiner mächtigen Kraft und Fülle zu einer neuen Einheit mit ihm, deren Seligkeit dann ohne Ende sein muss, weil Gott, unser Vater ja in allem unendlich ist. Das besagt ja das Pauluswort, welches ihn aus seiner Erfahrung ausrufen lässt: "Ich lebe aber, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2, 20) so, wie es ihm der Vater in Jesus auch bestätigt hat: "Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!" (2. Kor. 12, 9).

21.9.2004

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