Wissen oder Verständnis,
welches bringt die Emanzipation?

"Emanzipation" heisst: Befreiung von Abhängigkeit und wird heute grundirrig vor allem nur einseitig auf die Unabhängigkeit der Frau gegenüber dem Geld verdienenden Manne bezogen. Wie abhängig jedoch anderseits die Menschen und ihr Wohlbefinden von ihren unverstandenen und darum auch noch ungeordneten Gefühlen sind und wie abhängig auch noch von allgemein gängigen, jedoch ungeprüften Ansichten, das wird in diesem kleinen Buch sehr hautnah und tief greifend beschrieben, sodass es nicht so leicht zu lesen ist und noch schwieriger zu fassen. Jedenfalls für so lange nicht, als wir völlig selbstbezogen unser Ziel in einer Selbstverwirklichung sehen. Denn erst die Erfüllung unserer Seele mit dem Licht des Geistes vermag uns unabhängiger von unserer stetigen Selbstbezogenheit mit all ihren Ansprüchen einerseits und all ihren Animositäten anderseits werden zu lassen. Denjenigen Anteil, den wir am Leben anderer nehmen, ist eine so grosse Bereicherung für uns selbst, dass wir diese gar nicht beschreiben oder gar verstehen können, solange wir das nicht einmal selbst erlebt haben. Eine solche Hingabe an das Höhere, welche die Aufgabe der Selbstachtung unserer unvollständigen Persönlichkeit zu Gunsten einer Achtung des Geistes und seinen Forderungen unter Duldung der vorläufigen Schwächen unseres Nächsten beinhaltet, erstreckt sich, besonders in der Ehe, bis in die intimsten Bereiche.

(Gedruckt nur erhältlich beim Bezug aller Titel dieser Reihe) SFr. 5.00

Ein Auszug davon ist auf den folgenden Seiten wiedergegeben:

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WISSEN ODER VERSTÄNDNIS,
WELCHES BRINGT DIE EMANZIPATION?

Es begab sich einmal, dass sich in einem Schnellzuge zwei alte Schulfreundinnen begegneten, die nun aber schon seit vielen Jahren nichts mehr voneinander gehört hatten, obwohl sie während den Schuljahren oft miteinander geplaudert, und in späterer Zeit auch immer mehr diskutiert hatten. Die eine war eine sportliche, für alles Moderne aufgeschlossene Kämpferin, während die andere zwar auch halbwegs eine Kämpferin, aber dennoch eher gar eine Revolutionärin war, wenngleich auch nicht im üblichen Sinne des Wortes. Denn sie konnte äusserst hingebungsvoll sein und erduldete oft vieles, sowohl zu Hause als auch in der Schule, aber innerlich stellte sie sich oft dagegen, und so redete sie nicht stets in gleicher Art wie sie handelte oder duldete. Sie war dem Modernen gegenüber eher skeptisch, und Sport zu treiben war schon gar nicht ihre Art. Nicht, dass sie eine "Feine" gewesen wäre, ihre Sprache war eher rauh, wenn auch ihre Stimme sich als sehr beugsam erwies, aber sie war herzlich; alles, was sie gab oder sagte, das kam von Herzen – von was sie sich aber abwandte, das konnte ihr Herz nicht mehr berühren, denn wie die Zuneigung, so war auch ihre Abneigung von ganzem Herzen. Sie war nicht grosszügig, sondern eher genau, ganz im Gegensatz zu ihrer Freundin, welche sehr grosszügig sein konnte, sich aber im Stillen dann auch wieder beklagen konnte, wie die Menschen doch – undankbar genug – alles anzunehmen bereit seien, aber für nichts einen Dank empfinden. Durch diesen Zug ihres Wesens war sie auch zur glühenden Verfechterin der Emanzipation der Frau geworden, und sie fand in ihrem gekränkten Wesen jede Kleinigkeit heraus, welche ein Undank – besonders gegenüber Frauen – zum Grunde gehabt haben konnte. Ihre Sportlichkeit und ihr Ehrgeiz verlangten von ihr auch einen Beruf, der jenem grosser Männer entsprechend sein musste. Ein Studium strebte sie auf alle Fälle an. In Frage kam für sie die Jurisprudenz, die Medizin oder die Psychologie, für welch letztere sie sich dann entschlossen hatte, wie sie gerade eben der wieder gefundenen Schulfreundin zu erzählen wusste. "Weisst du", fuhr sie fort, "ich wollte mich einmal mit der Psyche des Menschen befassen und erkennen lernen, was die Männer so überheblich machte, und was dagegen die Frau so unterwürfig, wie das schon Jahr-hunderte lang der Fall ist. – Du bist ja auch verheiratet, wie ich deinem Ringe nach schliessen kann – und so wirst du ja schon wissen, wie es auch heute noch überall in einzelnen Gebieten menschlichen Zusammenlebens der Fall ist." – "Bist du denn nicht verheiratet?" erkundigte sich die Freundin, indem ihr bei diesem Gespräch natürlich ebenfalls der Gedanke kam, nach einem Eheringe Ausschau zu halten, den sie aber vergeblich suchte. – "Ich bin in Scheidung, weisst du. – Ach, das ist eine lange Geschichte und ein trübes Kapitel meines Lebens! – Ich will dich nicht langweilen." – "Im Gegenteil, es interessiert mich ausserordentlich", widersprach ihr die Freundin, so dass sie – nachdem sie sich mit einem Blick vergewissert hatte, dass auch im Abteil neben dem von nur den beiden besetzten, kein ungebetener Zuhörer sich vorfinde – bereitwillig ihren ganzen Kummer von ihrer Seele zu wälzen begann.

Wie es sich im Laufe des Gespräches zeigte, musste ihr Mann wohl ein Sadist gewesen sein – trotz seiner feinen Bildung, er war Rechtsanwalt. Wie allerdings die aufgeschlossene und sportliche Freundin zu so einem Manne kam, konnte sich die andere nicht recht vorstellen, weil sie nicht annehmen konnte, dass ihre Freundin – wie sie selbst es tat – auf einen vorehelichen Geschlechtsverkehr verzichtet haben konnte. Sie konnte sich deshalb der Frage nach dem Grunde nicht erwehren.  –  "Weisst du, das war nicht von Anfang an der Fall; das hat sich erst mit dem Laufe der Zeit gebildet", erklärte ihr die andere. "Erstmals war mir das aufgefallen, als ich das Examen bestanden hatte, und wir beide zur Abschlussfeier gingen. Da waren wir bereits verheiratet, denn ich habe mein Studium zweimal – einer Weltreise wegen, die ich mit meinem Manne unternahm – unterbrochen, sodass ich erst mit 26 Jahren das Examen machte.

Als wir spät abends, nach der Feier, nach Hause kamen und mein Mann – etwas angeheitert, was sonst nie der Fall war – zu mir ins Bett zu kommen wünschte, was ich an jenem Tage nach all den Festtagsstrapazen nicht wollte, da drängte er sich mir in brutaler Weise auf. Ich wehrte mich zuerst, denn ich wollte mich ja nicht in jene Rolle der Frau drängen lassen, die ich zeitlebens so sehr hasste und bekämpfte. Aber endlich blieb er in seiner brutalen Beharrlichkeit Sieger, und mir blieb nichts übrig, als es geschehen zu lassen. Seither kam er mir immer mehr mit Schikanen aller Art, sodass ich ihm denn einmal ernstlich vorstellte, dass ich nicht dafür geschaffen sei, dass er seine Aggressionen an mir abreagieren könne. Ich sei zwar seine Ehepartnerin – nach wie vor – und ich würde auch im Rahmen unserer Vereinbarungen meine Pflicht erfüllen, aber das Aushalten seiner Grobheiten gehöre nicht dazu. Es sei nun einmal für zwei Monate eine Pause einzulegen." – "Was hat er denn dazu für ein Gesicht gemacht?" wollte die Freundin wissen. "Zuerst ein überraschtes und danach ein äusserst beherrschtes und entschlossenes." – "Da wird es sicher nicht angenehm gewesen sein, in der darauf folgenden Zeit." – "Im Gegenteil", nahm die Erzählende das Wort wieder auf, "er war mustergültig, höflich und zuvorkommend, und er verlangte nicht ein einziges Mal nach mir, in den ganzen zwei Monaten, ausser einmal in der ersten und einmal in der zweiten Woche darauf. Aber ich blieb hart, und so konnte er sich daran gewöhnen, dass nicht er befehlen kann." – "Und als er dann wieder einmal das Verlangen hatte, wie war es denn da?" – "Du glaubst nicht, wie diszipliniert mein Mann sein kann, wenn er will. Er hat mich über drei Monate in Ruhe gelassen, bis ich selber ihm einmal vorschlug, sich doch daran zu erinnern, dass wir verheiratet seien. Darauf nahte er sich mir äusserst behutsam und – er war ein echter Gentleman. Von da an klappte es gut; nur fiel mir mit der Zeit auf, dass immer ich ihn, anstatt auch wieder einmal, wie früher, er mich an die ehelichen Pflichten erinnerte. Aber ich dachte nichts dabei, ausser, dass er als ein äusserst intelligenter Mann die Zeichen der heutigen Zeit zu würdigen wisse, bis ich dann nach zwei Jahren durch Zufall darauf kam, dass mein Herr Gemahl eine Freundin hatte. – Nun weisst du ja den Rest: soweit er durch die endgültige Scheidung noch nicht bestimmt ist, ein trauriges Kapitel mit gegenseitigen Vorwürfen und eisiger Kälte bei sonst korrekter Haltung." – "Was sagt denn da die Psychologin dazu?" – "Was soll sie sagen?! Ich habe ihm angeboten, alles zu vergessen, wenn auch er die Beziehungen zu seiner Freundin aufgeben würde. Aber er erklärte mir, dass er das nicht tun könne, er brauche das, sonst sei er nur ein halber Mensch."  –  "Aber die Psychologie lehrt doch ebenfalls, dass der Mensch dieses Bedürfnis voll befriedigen und ausleben müsse, wie er auch den Hunger und den Durst stillen müsse", insistierte die stets mehr Anteil nehmende Freundin. –  "Das kann er ja, und soll es auch, aber bei mir, und nicht bei einer Fremden! Deshalb haben wir ja ein eheliches Verhältnis, was er als Rechtsanwalt doch sehr genau weiss." –  "Aber du kannst doch einen Menschen nicht zwingen, etwas zu essen, das ihm widersteht. Auch kannst du einem nicht vorenthalten, was er dringend braucht. Psychologisch gesehen ist es ein Bedürfnis, das dein Mann hat, und dieses Bedürfnis hat er nun bei einer andern, die ihm offenbar zulässt, was du ihm verweigerst, so dass er es auch dort nur befriedigen kann. – – Müsstest nicht du vor allem dafür sehen, dass du selbst ihm wieder zum Bedürfnis wirst?" – "Das kann ich nicht!" war die knappe Antwort der Gefragten. "Du weisst nicht, was Sadismus ist, und wie erniedrigend er für den Partner ist." –  "Aber – entschuldige, dass ich so unbefangen weiterfrage", beharrte die Freundin auf ihrer Frage, "geschieht denn Forschen, auch psychologisches Forschen nicht einfach, indem man sich in eine Sache vertieft? – Gewiss, in dieser Tiefe ist es im einzelnen Fall bestimmt oft sehr enge, aber die Liebe zum Resultat oder zur Wahrheit sollte doch diese Enge überwinden können – wenn Forschung überhaupt Erfolg haben soll. Denn erst in der Tiefe finden sich doch die Grundlagen des Lebens!" –  "Meinst du, die Psychologen Freud, Jung, Adler und alle andern haben nur für ihr eigenes Vergnügen geforscht? Was sie herausgefunden und zu Tage gefördert haben, muss ich nicht noch einmal von neuem durch unsägliche Erniedrigung erfahren, um es zu wissen. Das ist ja eben die Zeit der Wissenschaft, dass es der Einzelne nicht mehr nötig hat, alles selbst sich zu erkämpfen, sondern dass alle zusammen am Fortschritt der einzelnen Grossen der Wissenschaft teilhaben können. Das erst ist die Grundlage zu einer humanen Welt, in der nicht Schmerz und Erniedrigung Platz hat, sondern Befreiung und Wohlstand, und ein ungestörtes Leben garantiert wird." –  "Aber zur Freiheit gehört doch wohl auch die freie Partnerwahl", bohrte die revolutionäre Freundin weiter. "Die hat ja jeder; und meines Mannes Wahl war frei!" entgegnete mit etwas Verbitterung die Erzählende. "Entschuldige meine dummen Fragen, ich werde wohl dennoch aus der Moderne nie klug – aber du kannst doch nicht verlangen, dass einer, der sich bei einer Mahlzeit für Äpfel entschieden hat, deshalb sein ganzes Leben lang nur Äpfel essen soll, er muss doch seinem Bedürfnisse entsprechend auch andere Nahrung zu sich nehmen können!" –  "Wenn einer nicht weiss, was er will, so sollte er nicht ehelichen", gab die Psychologin zurück, während ihre Freundin weiterdrängte: "Aber es kann doch auch die ursprünglich gewählte Nahrung verderben. Dabei kann doch der Wählende nichts dafür, und es ist ihm doch nicht zuzumuten, nur der festgelegten Wahl wegen entweder verdorbene Speise, oder zeitlebens keine Speise mehr zu sich zu nehmen. Was ist denn dann zu tun?" –  "Willst du eigentlich meinen Mann verteidigen? Der ist Anwalt, und er kann das sehr gut selber tun", ereiferte sich die Psychologin. "Zudem ist ja er, als meine Speise, zuerst verdorben!" –  "Da hast du wohl ganz recht geurteilt", stimmte ihr die andere zu, "aber dadurch wurdest du ja auch für ihn verdorben – zumindest für diese zwei Monate. Wenn er heisshungrig ist, wie Männer es sein können, so kannst du ihm doch nicht zwei Monate Fasten zumuten, ohne seine Liebe, als sein Leben, zu riskieren. Hast du dir denn das nie überlegt?" –  "Mit dir ist nicht auszukommen! Du solltest Anwältin für in Scheidung befindliche Männer werden", stöhnte die Klagende. "Weisst du überhaupt, was Sadismus ist?!" – "Ich glaube, ich kann es mir schon vorstellen", entgegnete ihr die revolutionäre Freundin in sanftem Tone, "aber ich weiss nicht so genau, woher er kommt. Ich glaube wohl einen Grund zu kennen, aber in deiner Ehe war es ein anderer als der, den ich für mich selber erkannte." –  "Ja - - - bist du selber denn diesem Laster verfallen? - - Dann allerdings begreife ich dein Verständnis für meinen Mann. Du solltest dich dann aber unbedingt in eine psychologische Behandlung begeben, denn das ist ein scheussliches Ding." –  "Habe keine Sorge, ich leide nicht mehr darunter", meinte wohlwollend die sonst stete Fragerin.  "Dann warst du also bereits in psychologischer Behandlung?" doppelte die Psychologin nach, und ihre Freundin antwortete: "Nein, ich war nie in einer solchen Behandlung, denn ich selber habe keine solchen Neigungen, aber Erfahrung kann man trotzdem haben." –  "Wenn du aber keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr hattest, so müsste ja dein Mann – oder war es ein Fremder?  War es Vergewaltigung?"  –  "Siehe, mir liegt es nicht so wie dir, darüber zu sprechen. Aber weil du mir schon so viel erzählt hast, will ich dir gegenüber auch nicht so hart und verschlossen bleiben – nur ist mir dieser Ort nicht der passende. Aber wenn du willst, so können wir ja die Fahrt beim nächsten Halt unterbrechen und uns dann auf einem kleinen Spaziergang, dem Flüsschen entlang, darüber unterhalten." Die Psychologin begann der Fall zu interessieren, und sie stimmte deshalb dem Vorschlage zu. Beim nächsten Halt stiegen sie aus, und die Freundin, welche den Vorschlag gemacht hatte, wusste den Weg zu dem nahen Fluss, der dort, schon in der Stadt beginnend, beidseits von einem Auenwäldchen gesäumt war, das sich bald verbreiterte, indem der Bahnhof am Rande der Stadt gelegen war, wo bald nur noch Einfamilienhäuser – und auch diese zunehmend vereinzelter – standen, sodass sich der nicht stark begangene Weg zuerst in malerischen Schlaufen um die weniger werdenden Häuser schlängeln konnte und sich danach durch eine leicht wellige Landschaft wand, welche in noch frühlingshaftem Grün erschien, obwohl der Sommer schon Einzug gehalten hatte. Es war nicht nur die Bodenfeuchte des Auenwaldes, sondern auch die frische feuchte Luft des nahen Flüsschens, welche die Blätter noch in so hoffnungsvollem Grün erhielten – was freilich in einem gewissen Kontrast zur Stimmungslage der Psychologin stand. Aber ihre erwachte Neugierde erfrischte ihr Gemüt und lenkte von ihrem Kummer ebenso ab, wie die kühlende Frische des prächtigen Wäldchens, das im milden Schein der durch einen leichten Dunst hindurch brechenden Sonnenstrahlen lag, und drängte sie zur Aufforderung, ihre Freundin möge jetzt aber zu erzählen anfangen, wie und woher sie den Sadismus kennen gelernt habe.

Diese begann etwas zögernd mit der Feststellung, dass sie noch immer eine gewisse Hemmung verspüre, darüber zu sprechen, denn es sei tatsächlich ihr Mann, welcher ihr zu diesen Erkenntnissen verholfen habe, und dass sie ihn noch immerfort mächtig liebe, sodass sie nicht gerne andern gegenüber von seinen Schwächen, erzähle. Aber sie habe es ja versprochen aus einer Art Hoffnung, es möge vielleicht der Freundin Verständnis und hernach vielleicht auch ihr Verhältnis zu ihrem Manne ändern und bessern helfen, und so wolle sie es nun auch tun.

"Aber diese Erkenntnis traf mich Gott sei Dank nicht so hart und unvorbereitet, wie dich", nahm sie die Erzählung auf. "Denn mein Mann hatte mich stets recht zärtlich lieb, sodass es mir gar nichts ausmachte, wenn er mich bei unserer gelegentlichen Vereinigung manchmal auch ein wenig mehr drückte, als dass es zur Liebesbezeugung gerade nötig gewesen wäre. Auch als er es manches Mal nicht unterlassen konnte, mich an den Haaren zu ziehen, konnte ich ihm das in keiner Weise verübeln, und es machte mir – ausser im Moment – nichts aus.

Aber weil derartige Belästigungen denn im Laufe von zwei, drei Jahren doch zunahmen, begann ich mich zu fragen, was das wohl zu bedeuten habe. Wenn ich ihn dann mit der Zeit hin und wieder nach dem Akte mit sanfter Frage zur Rede stellte, so meinte er nur, dass das in seiner Erregung geschähe. Da kam ich in eine gewisse Unsicherheit. Denn erstens war seine Antwort irgendwie ausweichend und zweitens wurden seine Wünsche stets begehrlicher – und ich selbst erachte den Beischlaf, als Zeugungsakt, als etwas Grosses, das eigentlich nur zur Zeugung gehören würde und darum keine Spielerei sein sollte – zu was er aber bei uns immer mehr ausartete. Ich wusste aber anderseits aus der Bibel von einem Briefe Pauli, der den Ehegatten empfiehlt, sich einander nicht zu entziehen. Ich beschloss also in mir, das alles zu dulden, aber ich dachte natürlich stets intensiver darüber nach, wo das herkomme und wo das noch hinführen könne.

Da geschah es einmal, dass er mich so sehr an den Haaren zog, dass er mir einen Büschel ausgerissen hatte, und ich selber war in einer gereizten Stimmung und schrie deshalb ein wenig auf, was meinen Mann sehr erschreckt hatte, sodass er sofort aufhörte und mich mit aller Zärtlichkeit umfing, und kosend bei mir weilte bis zum Ende." –  "Ja, da siehst du, wie gut es war, dass du endlich deine Rolle der Dulderin aufgegeben hast", fuhr die Psychologin dazwischen. – "Unterbrich mich doch bitte nicht bei meiner Erzählung, welche ich nur dir zuliebe und um des dir gegebenen Wortes willen fortführe. Denn, begreife es, ich denke und fühle ganz anders als du in dieser Sache. Meine Gefühle und Gedanken aber sind ja entscheidend dafür, was ich alles tat. Ich hatte ja kein Psychologiestudium. Aber auch im Lexikon steht etwas über Sadismus, was ich wohl schon oft nachgelesen hatte in meiner Not des Unwissens. Aber seit jener Begebenheit war mir klar, dass es nicht Sadismus sein konnte, was meinen Mann zu seinen Handlungen bewog, denn bei Erkennen des mir zugefügten Schmerzes hielt er ja sofort inne, während der Sadismus ja gerade darin seine Befriedigung sucht. Und eine längere Zeit hielt er sich sehr in Händen, wenn er zu mir kam.

Ich wusste nun ja auch, wie ich das merkwürdige Verhalten beenden konnte, und ich nahm mir auch vor, dieses Wissen anzuwenden. Es ist nicht die Rolle des Duldens, die ich da annahm, sondern jene des Dienens. Wenn ich meine Feinde lieben soll, und ihnen siebenmal siebenzigmal vergeben können muss, wie in der Bibel verlangt wird; wie oft muss ich dann meinem Freunde verzeihen? Das war zwar nicht meine Frage, aber daraus erfolgte für mich die Frage: Wenn du deinem Freunde nicht immer wieder verzeihen kannst, wie willst du es dann deinem Feinde tun? Also übe ich es doch bei meinem Freunde. Und zudem habe ich ja meinem Manne seinerzeit nicht mein Ja-Wort gegeben, damit er mir diene, sondern damit ich ihm dienen kann und darf, weil mich seine Art bereicherte und ich ihm dafür etwas entgegen zu tun gewillt war.

Es kamen mir dann allerdings noch andere Gedanken, als ich ihn – später einmal – durch einen leichten Aufschrei zu bremsen gewillt war. Denn als ich ihn so recht liebetreu ansah, während er mehr mit meinem Leibe als mit meinem Herzen beschäftigt war, da merkte ich, dass mein Mann in einem förmlichen Fieber steckte. Ich kannte ihn eigentlich nie von dieser Seite – vielleicht weil ich oft meine Augen geschlossen hatte, wenn er mir beiwohnte. Ich war zu überrascht von dieser Entdeckung, als dass ich etwas hätte abzubrechen vermögen – und zudem war mein Mann diesmal eher zurückhaltender, als die vorigen Male. Dafür fiel mir vermehrt auf, dass er nach dem Akte mich überall dort, wo er mich zuvor etwas geplagt hatte, liebkoste, und ich spürte auch seine grosse Dankbarkeit und entspannte Zuneigung. Ich musste mir zwar eingestehen, dass ich all das eigentlich stets in meinen Gefühlen so wahrgenommen hatte; aber es war nun für mich doch bewusster und bestimmter erkannt, woher meine Gefühle kamen, und dass sie mich also nicht trogen.

In den folgenden Tagen begann ich zu begreifen, dass mein Mann das, was er mir antat, unbedingt brauchte. Warum auch immer, das wusste ich nicht; aber ich spürte, dass, wenn ich ihm meine Hingabe entzöge, er diese anderswo zu suchen begänne. So sicher war ich mir, dass ich darüber erschrak, und mir vornahm, ihn nie zu bremsen, solange es auszuhalten sei. Das allerdings war nicht nur gut, sondern hatte auch seine Kehrseite. Denn mit der Zeit wurde er stets heftiger. Ich wollte daher unbedingt vermehrt darüber mit ihm sprechen. Aber ich kam nicht sehr weit damit, weil er mir bald unumwunden zugab, dass er zu seiner Handlung förmlich gezwungen werde, und er nicht wisse, weshalb. Das wiederum deckte sich wohl mit meiner Beobachtung des förmlichen Fiebers, wenn er sich mir in der bewussten Absicht nahte. Aber was lässt sich dabei machen, wenn einer in ein Fieber gerät, und niemand weiss, weshalb. Solange der Grund dazu nicht offen liegt, solange auch lässt sich ja das Fieber nicht vertreiben." –  "Das ist eben der Trieb im Menschen, wie schon Freud lehrt", warf die Psychologin fachmännisch ein. "Nenne du das Fieber wie du willst, aber sage mir dafür:  hat denn Freud ein Mittel dagegen?" –  "Den Trieb soll man nicht unterdrücken, sonst leidet die Natur, das ist eine allseits anerkannte Tatsache", kam es gelehrt zurück. – "Weshalb hast du ihn denn bei deinem Manne zu unterdrücken versucht?" fragte erregt die Erzählerin. "Er muss nur in rechte Bahnen gelenkt werden, und dabei nützt das Dulden nichts; es festigt nur noch die eingeschlagene Richtung", folgte die weitere Belehrung. –  "Jawohl, da hast du eines Teiles schon recht. Aber weisst du, die für dich "rechte Bahn" hat es bei deinem Manne auch nur verfestigt – einfach bei einer andern. Was hast du damit erreicht? – Nein, nein, das geht nicht so einfach." –  "Was hast denn du für ein Rezept dafür gefunden?" konterte die von der Ehe enttäuschte Psychologin.  "Ich habe meinem Manne einmal ernstlich vorgestellt, was ich alles doch mitmache um ihn herum; dass ich es zwar wohl gerne auf mich nähme, wenn ich damit sein Fieber kühlen könne, aber dass er ......................

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